OGH 5Ob110/08z

OGH5Ob110/08z3.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Floßmann als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen/Hofräte Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eigentümergemeinschaft U*****, vertreten durch Dr. Klaus Nuener, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Dr. Christian F*****, vertreten durch Dr. Michael E. Sallinger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 8.813,23 EUR sA über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. Dezember 2007, GZ 3 R 135/07k‑27, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 31. Jänner 2007, GZ 35 C 2112/05i‑18, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 742,27 EUR (darin enthalten 123,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Begründung

Der Beklagte ist als Rechtsnachfolger seines Vaters nach dem Grundbuchsstand zu 252/5298 Anteilen (verbunden mit Wohnungseigentum an Geschäftslokal GR A2) und zu 241/5298 Anteilen (verbunden mit Wohnungseigentum an Geschäftsraum GR A2a) Miteigentümer einer Liegenschaft. Entgegen der 1970 erfolgten Parifizierung wurde das zuletzt genannte Wohnungseigentumsobjekt nicht errichtet. An seiner Stelle existiert eine leerstehende Grundfläche. Der vom Rechtsvorgänger des Beklagten abgeschlossene Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag wurde 1973 verbüchert. Erst 1979 wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Die Fertigstellung erfolgte 1981.

Der Rechtsvorgänger des Beklagten teilte jenem Unternehmen, das seit Bezug der Anlage das Objekt verwaltete, mit Schreiben vom 10. 11. 1981 mit, dass eine Vorschreibung von Aufwendungen nur für errichtete Einheiten zulässig sei. Dem entsprechend schrieb die Hausverwalterin von 1982 bis einschließlich 2002 keinerlei Beiträge für das nicht existente Wohnungseigentumsobjekt vor. Bei der Abrechnung wurden die auf das nicht errichtete Wohnungseigentumsobjekt entfallenden 241 Anteile von den Gesamtanteilen abgezogen, weshalb auf Basis von 5057/5057 Gesamtanteilen abgerechnet wurde.

Die klagende Eigentümergemeinschaft begehrt für den Zeitraum 2002 bis einschließlich 2004 die auf das nicht errichtete Wohnungseigentumsobjekt entfallenden anteiligen Aufwendungen von 8.813,23 EUR sA.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Ein abweichender Aufteilungsschlüssel könne seit dem WEG 1975 nur schriftlich vereinbart werden. Maßgeblich für die Aufteilung der Aufwendungen sei grundsätzlich der Grundbuchsstand, weshalb auch der Eigentümer einer nicht errichteten Wohnungseigentumseinheit an den Aufwendungen der Liegenschaft zu beteiligen sei. Im konkreten Fall habe aber die Hausverwalterin als Vertreterin der Mit- und Wohnungseigentümer aufgrund der etwa 20‑jährigen gängigen Praxis konkludent auf die anteiligen Aufwendungen verzichtet.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bejahte hingegen die Zahlungsverpflichtung des beklagten Wohnungseigentümers, weil ein Verzicht auf Beitragsleistungen als wichtige Veränderung nicht von der Verwaltungsbefugnis des Hausverwalters umfasst sei. Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Klärung der Höhe der Zahlungspflicht an das Erstgericht zurück.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof begründete es mit fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zur Beteiligung an Liegenschaftsaufwendungen für eine entgegen der Parifizierung nicht errichtete Wohnungseigentumseinheit.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Nach § 32 Abs 1 WEG 2002 bzw der grundsätzlich inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 19 Abs 1 WEG 1975 sind die Aufwendungen für die Liegenschaft einschließlich der Beiträge zur Rücklage von den Wohnungseigentümern nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile zu tragen. Maßgeblich für die Aufteilung ist grundsätzlich der Grundbuchsstand (5 Ob 213/98d; 5 Ob 2298/96v = RIS‑Justiz RS0106061 = RS0106059). Auch eine Neufestsetzung der Nutzwerte führt nicht automatisch zu einer Änderung des Verteilungsschlüssels nach § 19 Abs 1 WEG 1975 bzw § 32 Abs 1 Satz 1 WEG 2002, sondern es sind die aus dem Grundbuch ersichtlichen Anteilsverhältnisse maßgeblich (5 Ob 213/07w = RIS‑Justiz RS0106058; RS0106056).

2. Ein Wohnungseigentumsobjekt geht erst dann unter, wenn seine unterbleibende Errichtung endgültig feststeht (3 Ob 252/98z = SZ 71/213 mwN). Im konkreten Fall ist trotz des seit Bezug der Anlage verstrichenen Zeitraums nicht davon auszugehen, dass das Wohnungseigentumsobjekt nie errichtet wird. Im Gegenteil: Der Beklagte verweist in seiner Berufungsbeantwortung (ON 20 S 9) auf ein anhängiges Bauverfahren im Zusammenhang mit der Errichtung des Objekts. Die im Grundbuch eingetragene Einheit GR A2a mag in der Realität (noch) nicht existieren, rechtlich existent ist sie aber nach wie vor. Konsequenz dieser rechtlichen Existenz ist entgegen der Auffassung des Rekurswerbers seine Verpflichtung, als Mit- und Wohnungseigentümer entsprechend den im Grundbuch eingetragenen Miteigentumsanteilen zu den Aufwendungen der Liegenschaft beizutragen (§ 32 Abs 1 WEG 2002).

3. Seit dem 1. 1. 1975 wird eine konkludente Änderung des gesetzlichen Verteilungsschlüssels durch die in § 19 Abs 2 WEG 1975 (jetzt § 32 Abs 2 WEG 2002) geforderte Schriftform ausgeschlossen. Eine derartige schriftliche Vereinbarung steht im konkreten Fall nicht fest.

4. Der Oberste Gerichtshof hat in der bereits vom Berufungsgericht zitierten, ausführlich begründeten Entscheidung 5 Ob 146/06s (= wobl 2006/136 [Call]) klargestellt, dass es zumindest seit der Schaffung des Vorzugspfandrechts durch die WRN 1999 unbedingte Pflicht des Verwalters sei, Wohnungseigentümer notfalls zu mahnen, rückständige Beiträge gerichtlich zu betreiben und das der Eigentümergemeinschaft zustehende Vorzugspfandrecht auszunützen. Ein Abgehen von dieser gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung käme als Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung im Sinn des § 29 Abs 5 WEG 2002 nur mit Zustimmung der anderen Mit- und Wohnungseigentümer bzw nach Maßgabe des § 835 ABGB in Betracht. Dem Verwalter sei es daher verwehrt, einzelnen Wohnungseigentümern selbstständig Zahlungserleichterungen wie Ratenzahlungen, Stundungen etc einzuräumen. Was bereits für Zahlungserleichterungen gilt, hat umso mehr für den gänzlichen Verzicht der Hausverwalterin als Vertreterin der Eigentümergemeinschaft, für eines der Wohnungseigentumsobjekte des Beklagten Beiträge zu fordern, zu gelten. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Wirksamkeit eines (konkludenten) Verzichts zu verneinen, entspricht der Judikatur.

5. Erstmals im Rekurs beruft sich der Beklagte auf das Schikaneverbot des § 1295 Abs 2 ABGB. Er stützt diesen Einwand insbesondere auf das krasse Missverhältnis zwischen dem Miteigentumsanteil und den Nutzungsmöglichkeiten des Beklagten. Grundsätzlich muss die Einrede der Schikane nicht ausdrücklich erhoben werden. Derjenige, der sich auf das Schikaneverbot beruft, muss einen Sachverhalt nachweisen, der eine Schädigungsabsicht nahelegt (7 Ob 106/07z; RIS‑Justiz RS0037904). Schikane liegt nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet; sie ist auch bei einem ganz krassen Missverhältnis zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen verwirklicht (RIS‑Justiz RS0026265; Karna in KBB2 § 1295 Rz 22). Ob in solchen Fällen Rechtsmissbrauch vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu klären (RIS‑Justiz RS0110900; RS0026265 [T3]). Hier stehen die Interessen des betroffenen Wohnungseigentümers, für ein nicht errichtetes Objekt keine Beiträge zahlen zu müssen, den Interessen der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer gegenüber, zu deren Wahrung die Hausverwalterin nach den gesetzlichen Vorgaben verpflichtet war. Dass den übrigen Mitgliedern der Eigentümergemeinschaft die jahrelange Abrechnungspraxis der Hausverwalterin überhaupt bewusst war, steht nicht fest. In einem solchen Fall keine rechtsmissbräuchliche Geltendmachtung von Ansprüchen der Eigentümergemeinschaft anzunehmen, begründet kein korrekturbedürftiges Ergebnis.

6. Die Frage, ob ein Klagebegehren schlüssig ist, kann nur aufgrund der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden (RIS‑Justiz RS0037780). Ein korrekturbedürftiges Ergebnis lässt sich hier nicht erkennen, wurden doch die eingeklagten Forderungen anhand der Gegenüberstellung von Vorschreibungen und Zahlungen für die Abrechnungsperioden 2002, 2003 und 2004 aufgeschlüsselt.

7. Der Rekursgrund der Aktenwidrigkeit wurde geprüft; er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO iVm § 528a ZPO).

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen. Im Verfahren über den Rekurs findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (2 Ob 210/07g; RIS‑Justiz RS0035976 [T2]; RS0035962 [T24]).

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