Spruch:
Die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. Jänner 2001, GZ 9a EVr 5741/00, Hv 3399/00-13, und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. September 2001, AZ 24 Bs 177/01 (ON 20 des Hv-Akts), verletzen § 111 Abs 1 StGB und § 6 Abs 1 MedienG iVm § 258 Abs 2 StPO.
Diese Urteile werden aufgehoben und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Text
Gründe:
Der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Hilmar K***** gegen die Antragsgegnerin G***** als Medieninhaberin, AZ 9a E Vr 5741/00, Hv 3399/00 des Landesgerichts für Strafsachen Wien, lag eine im Druckwerk „w*****" auf Seite 7 in der Ausgabe Nr 4 Juni/Juli 2000 in der Rubrik „Ladstätters Medienkommentare" veröffentlichte Abbildung zugrunde, die den von Frauen und Kindern umringten Antragsteller mit einer Adjustierung zeigt, die an die nationalsozialistische Uniform der SA erinnert. Er trägt einen Leibgurt und eine mit einem auffallenden Emblem - allerdings nicht in Form des Hakenkreuzes, sondern des Grußbuchstabens „F" auf weißem Grund - versehene Krawatte. Neben dem solcherart verfremdeten Foto des Antragstellers findet sich unter der Bezeichnung F***** der in Frakturschrift gehaltene Satz „Unser Angebot: Ehre & Treue".
Der Antragsteller erblickte darin die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der üblen Nachrede nach § 111 StGB und/oder der Beschimpfung bzw Verspottung nach § 115 StGB und/oder der Verleumdung nach § 279 StGB. Er begehrte, die Antragsgegnerin zu einer Entschädigung gemäß § 6 MedienG sowie zur Urteilsveröffentlichung gemäß § 8a Abs 6 MedienG zu verpflichten.
Nach zunächst vertagter Hauptverhandlung (ON 4) und Beschlussfassung über eine vorläufige Mitteilung gemäß § 8 Abs 5 MedienG (ON 7) brachte der Verteidiger der belangten Medieninhaberin über Ersuchen des Einzelrichters (S 24) einen Schriftsatz (ON 8) ein, in welchem er unter anderem vorbrachte, dass unmittelbarer Anlass für die inkriminierte Abbildung eine Aufsehen erregende Äußerung des Niederösterreichischen F*****-Obmanns und Landtagsabgeordneten Ernest W***** gewesen wäre. W***** hätte zur Ehrung langjähriger F*****-Mitglieder am Landesparteitag der F***** Niederösterreich spontan die Parole „Unsere Ehre heißt Treue" verwendet; dies wäre eine Ableitung des SS-Leitspruchs. In der Folge hätte der niederösterreichische Landesrat Ewald S***** dazu vermeint, Ehre und Treue seien „als Primärtugenden" anzusehen. Nach Landeshauptmann Jörg H***** könne es „keine schlechte Sache sein, wenn sich jemand zu Anständigkeit, Treue, Ehrlichkeit und Leistungsbewusstsein" bekenne. Als Beweis bot die Antragsgegnerin Meldungen der APA vom 4. und 5. Juni 2000 an, welche sie in Kopie vorlegte. Die Antragsgegnerin wies ferner darauf hin, dass es sich bei der inkriminierten Abbildung um einer Persiflage auf ein zu diesem Zeitpunkt von der F***** in Wien verwendetes Wahlplakat gehandelt hätte, welches Hilmar K***** umgeben von jungen Müttern und Kindern gezeigt und die Aufschrift „Unser Angebot: Kindergarten kostenlos" getragen hätte. Dieses Plakat, welches dem Schriftsatz in Kopie angeschlossen wurde, wäre karikaturistisch derart verändert worden, dass Mag. Hilmar K***** ein Leibgurt „umgehängt", seine Krawatte mit einem weißen Punkt und einem dunklen „F" in Form des Parteiemblems der F***** versehen und der ursprüngliche Schriftzug durch die Wendung „Unser Angebot: Ehre & Treue" in Frakturschrift ersetzt worden sei.
In der Hauptverhandlung vom 30. Jänner 2001 trug der Verteidiger diesen Schriftsatz vor und hielt die darin enthaltenen Beweisanträge aufrecht (S 79). Der Einzelrichter verlas und „betrachtete" die gegenständliche Veröffentlichung, nahm jedoch von weiterer Beweisaufnahme Abstand.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. Jänner 2001 (ON 13) wurde die Antragsgegnerin G***** gemäß § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung sowie gemäß § 8a Abs 6 MedienG zur Urteilsveröffentlichung verurteilt, weil durch die in der Nr 4 der periodischen Druckschrift „w*****", Ausgabe Juni/Juli 2000, auf Seite 7 unten in „Ladstätters Medienkommentare" erfolgte Veröffentlichung eines mit dem Beisatz „Unser Angebot: Ehre & Treue" versehenen Bildes des Antragstellers Mag. Hilmar K***** in einer der Uniform der SA entsprechenden Bekleidung in einem Medium der objektive Tatbestand des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB zum Nachteil des Antragstellers verwirklicht worden sei.
Der Einzelrichter stellte fest, dass sich die gegenständliche Publikation an einen Medienkonsumenten wende, der sich für politische Fragen, insbesondere für Fragen der Innenpolitik und der Wiener Lokalpolitik interessiere und dem die Art der Uniformierung der SA bekannt sei. Den Bedeutungsinhalt der inkriminierten Publikation könne der Leser nur dahin auffassen, dass Mag. Hilmar K***** durch die Darstellung in einer Uniform der SA, sohin als Mitglied einer nationalsozialistischen Kampforganistation, eine nationalsozialistische Gesinnung unterstellt, er zumindest in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt bzw ihm geradezu eine Betätigung im nationalsozialistischen Sinn zugeschrieben werde. Zum Vorbringen der Antragsgegnerin in ihrem von ihr in der Hauptverhandlung vom 30. Jänner 2001 wiederholten Schriftsatz (ON 8 iVm S 79), wonach die Publikation als Karikatur zu verstehen sei, die zum Ausdruck bringen wolle, dass der Antragsteller und andere führende Mitglieder der F***** insbesondere im Hinblick auf den in der Öffentlichkeit weithin bekannten und von einem Parteikollegen des Antragstellers zitierten Leitspruch des SS „Meine Ehre heißt Treue", dessen Wortlaut in der Publikation weiter verarbeitet worden sei, einen fragwürdigen Umgang zur nationalsozialistischen Vergangenheit pflegen, verwarf der Einzelrichter, indem er ohne jedwede Begründung auf die getroffenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt verwies, an dem dies nichts zu ändern vermöge. Den Wahrheitsbeweis hätte die Antragsgegnerin nicht angetreten. Die von ihr in Bezug auf die politische Tätigkeit des Antragstellers und seiner Partei gestellten Beweisanträge wären zum festgestellten Bedeutungsinhalt nicht kongruent.
Der dagegen von der Antragsgegnerin erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 26. September 2001, AZ 24 Bs 177/01 (ON 20 des Hv-Akts), nicht Folge. Dem im Wesentlichen die oben dargestellten, bereits in erster Instanz erhobenen Einwände zur aktuellen politischen Diskussion wiederholenden Vorbringen zur Schuldfrage hielt das Berufungsgericht die Überzeugungskraft der erstgerichtlichen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt entgegen. Zudem trat es der Ansicht des Erstrichters bei, dass die von der Antragsgegnerin angebotenen Beweise zu dem festgestellten Tatsachenkern der Publikation, nämlich der Behauptung, der Antragsteller betätige sich im nationalsozialistischen Sinn oder stehe solchem Gedankengut zumindest nahe, insofern nicht kongruent seien, weil diese lediglich diverse Äußerungen anderer F*****-Funktionäre zum Inhalt hätten.
Wegen dieser Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien behängt derzeit ein Verfahren der Beschwerdeführerin G***** gegen die Republik Österreich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Bei der Beurteilung des Bedeutungsinhalts einer Textpassage, aber auch einer bildlichen Darstellung, handelt es sich um eine Tatfrage (RIS-Justiz RS0092588; Rami in WK² Mediengesetz § 41 Rz 36 mwN). Dabei ist der Bedeutungsinhalt einer inkriminierten Textstelle oder eines Bildes aus dem Gesamtzusammenhang der mit den damit inhaltlich im Konnex stehenden Ausführungen zu ermitteln, sohin auf den situativem Kontext abzustellen, in den der fragliche Aussagegehalt einzuordnen ist. Die urteilsmäßige Feststellung des Bedeutungsinhalts - allenfalls auch in der für den Äußernden ungünstigsten Variante - obliegt dem Gericht in Ausübung des ihm nach § 258 Abs 2 StPO zukommenden Beweiswürdigungsermessens. Wenn dabei jedoch mehrere verschiedene Auslegungen zur Beurteilung des Sinngehalts einer Aussage nicht ausgeschlossen werden können, ist - entsprechend dem im Strafprozess geltenden Grundsatz „in dubio pro reo" - von der für den Angeklagten günstigsten Variante auszugehen (vgl § 14 StPO nF). Die gegenteilige Judikatur, wonach bei Vorliegen mehrerer Auslegungsvarianten einer Äußerung der Äußernde die für ihn ungünstigste gegen sich gelten lassen muss (11 Os 18/07t; Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² Vor §§ 28 bis 42 Rz 28, 42; Brandstetter/Schmid, MedienG² § 9 Rz 9) ist somit - anders als bei der Prüfung nach § 485 Abs 1 Z 2 und 3 StPO (vgl MR 1999, 16) - für Strafurteile nicht aufrecht zu halten (11 Os 124/07f, 125/07b; vgl auch EGMR 26. 4. 1995, Prager und Oberschlick gegen Österreich [15974/90], abweichende Meinung des Richters Martens, der die Richter Pekkanen und Makarczyk beigetreten sind, Z 9; Grote/Marauhn, EMRK/GG, Kap. 18 Rz 97; Berka WBl 1997, 265 ff [269, 272 f, 275]).
Abzustellen ist auf die Auffassung jenes Rezipienten, an den sich die Publikation nach ihrer Aufmachung und Schreibweise sowie den behandelten Themen richtet. Dabei ist nicht nur das Bildungsniveau, das politische Interesse sowie die Fähigkeit und Bereitschaft des Adressaten, sich mit kontroversieller politischer Berichterstattung und Kommentaren auseinander zu setzen, zu berücksichtigen, sondern auch dessen aktuelles Vor- und Begleitwissen. Dieser Wissensstand ist - neben der sinnfälligen Äußerung als solcher - ebenfalls Gegenstand des Beweisverfahrens. Daher sind auch zu Tatsachen, die insofern eine entscheidende Indizwirkung entfalten können, wie etwa eine entsprechende Vorberichterstattung, in der Hauptverhandlung Beweise aufzunehmen. Dies ist allerdings nur soweit nötig, als diese Tatsachen nicht ohnehin als notorisch vorausgesetzt werden können (Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 33). Insbesondere in engem zeitlichen Konnex zu einer inkriminierten Publikation im Rahmen einer breiten öffentlichen Diskussion zu einem aktuellen Thema in Massenmedien verbreitete Wortmeldungen politischer Funktionsträger werden als solche allgemeinkundige und somit notorische Tatsachen anzusehen sein, wobei dies aber nur den Umstand der Veröffentlichung, nicht aber den tatsächlichen Wahrheitsgehalt erfasst (vgl Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozessrechts², Rz 853; Rechberger in Fasching/Konecny² § 269 ZPO Rz 4).
Bei der Feststellung des Bedeutungsinhalts ist aber stets nicht bloß die inkriminierte Äußerung selbst, sondern auch das Anlass dafür gebende Ereignis zu beachten. Wie der EGMR bereits im Fall Lingens gegen Österreich (EuGRZ 1986, 424) betont hat, besteht unter dem Aspekt des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK - das bereits auf der Tatbestandsebene in die Prüfung einzufließen hat (Kienapfel/Schroll BT I5 Vorbem §§ 111 ff Rz 20) - eine Wechselwirkung zwischen der Bedeutung des kritischen Anliegens und der Schärfe der Kritik, die bei der Einschätzung der politischen Kontroverse zu berücksichtigen ist. Bei künstlerischen Ausdrucksformen wie Kabarett, Karikatur, Parodie, Satire etc ist stets deren charakteristisches Stilmittel, nämlich die Verfremdung der Realität in Rechnung zu stellen. Zur Beurteilung eines allenfalls tatbestandsmäßigen ehrverletzenden Aussagekerns ist eine solche Darstellung bzw Darbietung zunächst ihres überzeichnenden Gewandes zu entkleiden (Kienapfel/Schroll aaO Rz 32 mwN).
Als Vorfrage ist zunächst stets zu klären, ob sich eine Publikation als Werturteil darstellt, das dem Wahrheitsbeweis von vorn herein entzogen ist, oder im Kern Tatsachenbehauptungen enthält, deren Richtigkeit sehr wohl objektivierbar und damit einer Beweiswürdigung zugänglich ist. Bei Werturteilen - zu deren Annahme der EGMR tendenziell neigt - liegen die Grenzen zulässiger Kritik beim Wertungsexzess, bei allfälligen Werturteilen ohne hinreichendes Tatsachensubstrat und bei formalen Ehrenbeleidigungen. Von einem Wertungsexzess spricht man, wenn es sich um ein abfälliges Werturteil handelt, das entweder in Relation zum Tatsachensubstrat ganz unverhältnismäßig überzogen ist oder jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lässt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es gar nicht mehr um die sachliche Auseinandersetzung, sondern allein um die Herabsetzung der Person geht (neuerlich Lingens gegen Österreich aaO; Kienapfel/Schroll aaO Rz 14 bis 16). Diese Grundsätze sind in der österreichischen Rechtsprechung mittlerweile fest verankert (11 Os 25/93; zuletzt Ratz, Schutz der freien Meinungsäußerung und Schutz vor ihr im Straf- und Medienrecht durch den OGH, ÖJZ 2007, 948 [949]).
Die Funktion der Presse in einer demokratischen Gesellschaft ist es insbesondere, politische Vorgänge kritisch zu beleuchten und verschiedene Positionen zu wesentlichen Vorgängen wiederzugeben. Der Presse muss es dabei möglich sein, ihre vitale Rolle eines „public watchdog" in einer demokratischen Gesellschaft zu erfüllen (vgl ua EGMR 2. 11. 2006, Kobenter und Standard Verlags GmbH gegen Österreich, Nr 60899/00, Z 29). Die Freiheit der Meinungsäußerung findet nicht nur auf „Nachrichten" oder „Ideen" Anwendung, die günstig aufgenommen oder als nicht offensiv oder als indifferent angesehen werden, sondern auch auf solche, die verletzen, schockieren oder verstören. Für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses billigt der EGMR den Vertragsstaaten nur einen sehr engen Beurteilungsspielraum zu (vgl zum Ganzen Rami in WK², Präambel zum Mediengesetz Rz 4 ff mwN).
Eine in Ansehung einer Tatfrage erheblich bedenkliche Ausübung richterlichen Ermessens ist im Regelfall mit dem Rechtsbehelf der außerordentlichen Wiederaufnahme (§ 362 StPO) zu überprüfen (RIS-Justiz RS0108805, jüngst 13 Os 135/06m; Ratz, WK-StPO § 362 Rz 15 f). Bei willkürlicher und deshalb rechtsverletzender Ermessensübung können aber selbst letztinstanzliche Entscheidungen mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes bekämpft werden. Gleiches gilt, wenn der Feststellung des einer Entscheidung zugrunde liegenden Bedeutungsinhalts einer Publikation ein formaler Begründungsmangel (Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, Aktenwidrigkeit oder nur offenbar unzureichende Begründung, zum Widerspruch Ratz, WK-StPO § 281, Rz 438) anhaftet, der sich nicht bloß als erheblich bedenklicher Ermessensgebrauch, sondern vielmehr als Rechtsfehler darstellt (Ratz, Schutz der freien Meinungsäußerung und Schutz vor ihr im Straf- und Medienrecht durch den OGH, ÖJZ 2007, 948 [954]; WK² § 362 Rz 16; 11 Os 18/07t).
Im vorliegenden Fall haben die Gerichte die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Abbildung ausschließlich aufgrund deren sinnfälligen Erscheinungsbildes getroffen, indem sie sie aus der - mit Ausnahme des Parteiemblems - jener eines Angehörigen der SA gleichenden Adjustierung des Antragstellers erschlossen und auch das Schriftbild und die wesentliche Elemente des Leitspruchs der SS beinhaltende Textierung „Unser Angebot: Ehre und Treue" in ihre Überlegungen miteinbezogen haben (S 101 f, 161).
Den Bezug zu aktuellen politischen Ereignissen bzw Äußerungen, die ebenso wie das entsprechende Vorwissen des angesprochenen politisch interessierten Leserkreises notorisch waren und überdies durch das - dem Antragsteller bereits vor der Hauptverhandlung bekannte und in dieser vorgetragene - Vorbringen der Antragsgegnerin im Schriftsatz ON 8 in das Verfahren Eingang gefunden haben, ließen die Gerichte hingegen in willkürlicher Weise gänzlich außer Acht und übergingen solcherart für die Beurteilung der entscheidenden Frage des konkreten Bedeutungsinhalts der publizierten Darstellung erhebliche Umstände mit Stillschweigen (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409). Dass das Erstgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ohne jegliche Begründung öffentliche Äußerungen anderer FPÖ-Politiker, insbesondere des Leitspruchs der SS, als nicht geeignet einstufte, die Feststellungen zum Bedeutungsgehalt der inkriminierten Publikation auch nur in irgendeiner Weise zu ändern (S 101 f), vermag den formellen Begründungsmangel nicht zu beseitigen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 429).
Unberücksichtigt blieb demnach nicht nur, dass ein Parteigänger des Antragstellers, nämlich Ernest W***** auf dem Landesparteitag der F***** Niederösterreich im Juni 2000 im Zuge der Ehrung langjähriger FPÖ-Mitglieder die dem SS-Leitspruch abgeleitete Parole „Unsere Ehre heißt Treue" verwendet hatte, sondern auch, dass weitere hochrangige Parteifunktionäre diesen durch Äußerungen wie: „Ehre und Treue seien 'Primärtugenden'" (Landesrat Dr. Ewald S*****) und „Es könne 'keine schlechte Sache sein, wenn sich jemand zu Anständigkeit, Treue, Ehrlichkeit und Leistungsbewusstsein bekennt'" (Landeshauptmann Dr. Jörg H*****) unterstützt hatten. In gleicher Weise wurde der Umstand ausgeklammert, dass der gegenständlichen Publikation ein aktuell affichiertes Wahlplakat als Vorlage diente, auf welchem der Antragsteller als Spitzenkandidat der F***** in Wien - mithin als Repräsentant derselben politischen Partei, der auch Ernest W*****, Dr. Ewald S***** und Dr. Jörg H***** angehörten - mit dem Werbeslogan „Unser Angebot: Kindergarten kostenlos" zu sehen war.
Diese Aspekte wären jedoch von entscheidender Bedeutung gewesen, hätten sie doch - im Einklang mit den oben dargestellten Interpretationskriterien, insbesondere zu politischer Karikatur und Vorwissen des angesprochenen Leserkreises - die Konstatierung eines anderen Bedeutungsinhalts der inkriminierten Veröffentlichung dahin ermöglicht, dass die aktuellen Äußerungen und die Haltung der (damaligen) Führungsschicht der F*****, welcher auch der Antragsteller angehörte und welche die öffentliche Verwendung einer aus dem Leitspruch des SS stammenden Wortfolge anlässlich der Ehrung von Parteimitgliedern als völlig unbedenklich eingestuft hatte, angesichts der darüber zum Veröffentlichungszeitpunkt geführten breiten Diskussion - insbesondere durch Bezugnahme auf die Worte „Ehre" und „Treue" (als Angebot der F*****) - im Rahmen eines angemessenen Kommentars über eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses einer kritischen Betrachtung unterzogen wurden. Davon ausgehend hätte die Frage, ob fallbezogen ein im Sinn des § 111 StGB nicht tatbestandsmäßiges, auf Spitzenfunktionäre einer politischen Partei bezogenes Werturteil, dem ein entsprechendes Tatsachensubstrat zugrunde lag, in nicht exzessiver Form zum Ausdruck gebracht wurde, zu Gunsten der Antragsgegnerin beantwortet werden können.
Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, die im Spruch bezeichneten Urteile gemäß § 292 letzter Satz StPO aufzuheben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)