OGH 11Os18/07t

OGH11Os18/07t27.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. März 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mag. Hermann W***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1, Abs 2 StGB, AZ 41 Hv 19/05h des Landesgerichtes Salzburg, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 14. Juni 2006, AZ 8 Bs 126/06w, ON 21 der Hv-Akten, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Privatanklägers Dr. Mory und des Verteidigers Dr. Wallner für den abwesenden Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Strafverfahren gegen Mag. Hermann W***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1, Abs 2 StGB, AZ 41 Hv 19/05h des Landesgerichtes Salzburg, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 14. Juni 2006, AZ 8 Bs 126/06w, das Gesetz in den Bestimmungen des § 111 Abs 1, Abs 2 StGB, des § 270 Abs 2 Z 5 StPO sowie der §§ 6 Abs 1 und 33 MedienG.

Dieses Urteil wird aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Linz die neuerliche Entscheidung über die Berufung des Privatanklägers aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 11. Mai 2005, GZ 41 Hv 19/05h-11, wurde Mag. Hermann W***** von der wider ihn von Rechtsanwalt Dr. Gerhard O. M***** erhobenen Privatanklage, er habe dadurch, dass er mit seinem Buch mit dem Titel „Asylconnection - Es ist 5 nach 12" die Behauptung verbreitete, der Privatankläger Dr. Gerhard M***** sei ein vor allem den Behörden, aber auch seinem Mandanten gegenüber skrupelloser Anwalt, diesen einer verächtlichen Eigenschaft und eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, „und er habe hiedurch das Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB begangen" (vgl zum Freispruch von der rechtlichen Kategorie Fabrizy StPO9 § 259 Rz 16), gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Unter einem wies das Erstgericht die Anträge des Dr. Gerhard O. M*****, der Antragsgegner wolle als Medieninhaber gemäß § 6 MedienG verpflichtet werden, dem Antragsteller binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution eine Entschädigung in der Höhe von 5.000 EUR zu bezahlen, und das vom Antragsgegner im Eigenverlag herausgegebene und verbreitete Buch mit dem Titel „Asylconnection - Es ist 5 nach 12" möge gemäß § 33 MedienG eingezogen werden, ab.

Das Erstgericht traf ua folgende Feststellungen:

„Der Beschuldigte und Antragsgegner Mag. Hermann W***** ist seit 1999 in der Außenstelle des Bundesasylamtes in Salzburg tätig, seit dem Jahr 2000 als deren stellvertretender Leiter, wobei er auch diverse Asylverfahren führt(e). Er gilt als anerkannter Experte des Asylwesens und war im Bundesministerium für Justiz beim Entwurf eines neuen Asylgesetzes mit einer umfassenden Stellungnahme auch beratend tätig.

Der Privatankläger und Antragsteller Rechtsanwalt Dr. Gerhard M***** wiederum engagiert sich in besonderer Weise für die Einhaltung der Menschenrechte und tritt seit Jahren für Anliegen von Asylwerbern ein und vertritt diese auch vor dem Bundesasylamt in Salzburg. Als sogenannter ‚Flüchtlingsanwalt' ist er in Juristenkreisen und der interessierten Öffentlichkeit bekannt und ebenfalls als Kenner der Materie anerkannt.

Auf Grund des seiner Meinung nach bestehenden Asylmissbrauchs fasste Mag. Hermann W***** im Mai 2004 den Entschluss, ein Buch darüber zu schreiben. Er sammelte 44 Fälle aus seiner beruflichen Tätigkeit und präsentierte diese in dem Buch „Asylconnection - Es ist 5 nach 12". Das im Eigenverlag herausgegebene Buch wird über die B***** im Buchhandel und über das Internet vertrieben; die erste (und bisher einzige) Auflage betrug 5.000 Stück; ob diese alle verkauft wurden, ist nicht bekannt. Das Buch wird über das Internet vor allem von Akademikern erworben. Auch der Privatankläger erwarb am 3. Jänner 2005 dieses Buch, da er auf einer Pressekonferenz darauf hingewiesen wurde, dass sich im Buch auch Passagen über seine Person finden würden.

Auf den Seiten 190 bis 209 dieses Buches wird unter der Kapitelbezeichnung ‚Vier Asylanträge bis zur Sachwalterschaft' der Fall des (später) vom Privatankläger im Asylverfahren vertretenen Asylwerbers Peter O***** dargestellt, den der Beschuldigte im Buch ‚Ajibade P.' nennt. Die Schilderung dieses Asylverfahrens geschieht insbesondere durch in Kursivschrift gehaltene (und vom Privatankläger als korrekt außer Streit gestellte) Wiedergaben aus dem Akt des Bundesasylamtes, wobei sich dazwischen immer wieder Erklärungen, aber auch Bemerkungen und Kommentare des Beschuldigten finden. Es wird ausgeführt, dass der Nigerianer ‚Ajibade P.' am 3. März 1999 wegen behaupteter Minderjährigkeit einen Asylantrag gestellt und diesen ua damit begründet hat, dass er Angehöriger des Stammes der ‚Ijaw' sei, der von den ‚Itsekiris' bekämpft werde. Von Mitgliedern desselben sei er zweimal verletzt worden, sei aber nach der letzten Attacke noch ca drei Monate in dem Dorf geblieben, wo es zu den Übergriffen gekommen sei. Bei seiner Rückkehr nach Nigeria werde er von den ‚Itsekiris' getötet werden. Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid vom 4. August 1999 abgewiesen und die Rückkehr des Asylwerbers nach Nigeria für zulässig erklärt. Die von der Jugendwohlfahrtsbehörde dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid vom 11. August 2000 vom unabhängigen Bundesasylsenat abgewiesen. Da der Asylwerber die Frist für die Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof versäumte, brachte sein Vertreter einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, der vom Verwaltungsgerichtshof jedoch zurückgewiesen wurde. Nach diesem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens tauchte der Asylwerber in der Folge in Österreich unter und konnte die Abschiebung nicht vollzogen werden. Allerdings gelang dann die Festnahme des ‚Ajibade P.', da die Polizei auf den Bettelnden (der zu diesem Zwecke auch einen Zettel mit in deutsch geschriebenen Worten, in dem er ua anführte, aus Sierra Leone zu stammen, mit sich führte) aufmerksam wurde. Am 3. Juli 2002 wurde er im Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung zur Vorbereitung seiner Rückführung nach Nigeria der nigerianischen Botschaft in Wien vorgeführt, wobei der Asylwerber die vorführenden Polizeibeamten wiederholt beschimpfte und auch randalierte. Nachdem er wieder in das Polizeianhaltezentrum Salzburg zurückgebracht worden war, übernahm der Privatankläger seine Vertretung. Am 17. Juli 2002 stellte er für ihn einen neuerlichen Asylantrag. Zur Begründung wird darin auf die beiden Überfälle durch die ‚Itsekiris' verwiesen; der Antragsteller könne nicht mehr nach Nigeria zurück, da ihm dort ua Obdachlosigkeit, völlige Mittellosigkeit, extreme Armut und letztlich Tod durch Verhungern oder Verdursten drohen würden. Nachdem der Asylwerber in der Anhörung am 1. August 2002 über das bisherige (rechtskräftig abgeschlossene) Verfahren noch einmal informiert und auch in Kenntnis darüber gesetzt wurde, dass er in seinem zweiten Asylantrag im wesentlichen jene Gründe vorbringe, die bereits im ersten Verfahren abgehandelt worden seien, gab dieser ua an, dass er nicht nach Nigeria zurückkehren könne, da sein Haus niedergebrannt worden sei und er der Einzige seiner Familie sei, der noch lebe; seine Eltern und seine Schwester seien von den ‚Itsekiris' umgebracht worden. Sein Vertreter führte noch aus, dass kein identer Sachverhalt vorliege, da im ersten Verfahren die Gefährdung des Asylwerbers durch die fehlende existentielle Lebensgrundlage nicht beachtet worden sei. Die Asylbehörde stellte dem gegenüber, dass ein offenbar missbräuchlicher Asylantrag vorliege, der lediglich dazu diene, die bereits vorbereitete Abschiebung zu verhindern und den Aufenthalt in Österreich zu prolongieren. Somit wurde noch am gleichen Tag der Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Der Privatankläger erhob dagegen für seinen Mandanten Berufung, die vom Unabhängigen Bundesasylsenat abgewiesen wurde. Es folgte eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, die jedoch - ohne inhaltliche Ausführungen - zurückgewiesen wurde.

Sodann stellte der Privatankläger am 10. Dezember 2002 für seinen Mandanten einen neuerlichen Asylantrag und verwies insbesondere darauf, dass sein Mandant schon seit vier Jahren in Österreich lebe und dadurch verweichlicht worden sei; er wäre dadurch bei seiner Rückkehr nach Nigeria von Obdachlosigkeit, Hunger, einem Dasein als Straßenbettler sowie von physischer und psychischer Erkrankung bedroht.

Am 20. März 2003 wurde der Asylwerber zu diesem Asylantrag einvernommen. Er verwies noch einmal darauf, dass er keine Eltern und Geschwister mehr habe und er sich in Nigeria nicht ernähren könnte; er würde dort auch einfach verrückt werden. Der Privatankläger gab noch an, dass die im Asylantrag wiedergegebenen Grundinformationen von seinem Mandanten stammen würden; die Befürchtungen über die Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria seien seine (Anm: des Privatanklägers) Vermutungen und würden etwa auf Recherchen im Internet beruhen, sein Mandant könne dazu keine Angaben machen. Dieser dritte Asylantrag wurde (neuerlich) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, wogegen der Privatankläger für seinen Mandanten berief. Allerdings wurde noch vor der Entscheidung der Rechtsmittelinstanz über die Berufung diese zurückgezogen und zugleich ein weiterer, vierter Asylantrag eingebracht, der nun insbesondere mit einer psychischen Erkrankung des Asylwerbers, die während der Schubhaft ausbrach bzw (wieder) akut wurde, begründet wurde. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass es im Asylverfahren im Rechtsmittelstadium kein Neuerungsverbot gibt und der Privatankläger das neue Vorbringen im vierten Asylantrag sohin in gleichwertiger Weise auch im Berufungsverfahren hätte erstatten können. Dieses Vorgehen des Privatanklägers veranlasste den Beschuldigten auf Seite 203 seines Buches zu folgendem Kommentar:

‚Dazu muss man schon ein ausgekochter und vor allem den Behörden, aber auch seinem Mandanten gegenüber skrupelloser Anwalt sein, um ein Verfahren so zu strapazieren, dem Vertretenen noch falsche Hoffnungen zu machen.'

Auch der vierte Asylantrag wurde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, wogegen der Privatankläger für seinen Mandanten erneut berief.

Während der Name des Asylwerbers im Buch des Beschuldigten abgeändert wurde, wird der Vertreter des ‚Ajibade P.' wiederholt als ‚Rechtsanwalt Dr. Gerhard M.' bezeichnet. Damit meinte der Beschuldigte den Privatankläger.

Dem Beschuldigten war klar, dass die inkriminierte Passage - in einem Druckwerk veröffentlicht - von einer unbestimmten, aber doch nicht ganz geringen Anzahl an Interessenten gelesen werden wird und es war ihm auch klar, dass viele der an der Vollziehung des Asylrechts interessierten Leser in ‚Rechtsanwalt Dr. Gerhard M.' ohne Zweifel den Privatankläger erkennen werden.

Auch für den Beschuldigten stand bei Verfassung der inkriminierten Äußerung fest, dass er den Privatankläger einer verächtlichen Eigenschaft zeihen oder eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigen könnte. Doch war Mag. W***** davon überzeugt, mit dieser Passage eine korrekte und zulässige Wertung des Verhaltens des Privatanklägers sowohl gegenüber den Asylbehörden wie auch dessen Mandanten selbst vorzunehmen. Er wollte damit den Asylmissbrauch anprangern. Wenn der interessierte Leser die inkriminierte Passage für sich allein und isoliert liest, wird ihm der Eindruck vermittelt, dass es sich beim Privatankläger um einen skrupellosen = gewissenlosen Rechtsvertreter handelt. Nimmt er sich aber das gesamte Kapitel über das Asylverfahren Peter O***** zur Hand, wird er zu dem Schluss kommen, dass die vom Beschuldigten vorgenommene Bewertung des Agierens des Privatanklägers nachvollziehbar ist. Der verständnisvolle und interessierte Leser wird dabei diese Äußerung nicht in einem ausschließlich negativen Sinn interpretieren, sondern daraus auch durchaus ableiten, dass der Privatankläger alle Register des rechtlichen Könnens und Dürfens zieht, um seinem Vorhaben vor den Behörden zum Durchbruch zu verhelfen; und dem Leser werden dabei ob dieses Könnens und Dürfens auch durchaus kritische rechtspolitische Gedanken kommen. Zum Anderen gewinnt der interessierte Leser aus dem gesamten Kapitel auch den Eindruck, dass der Privatankläger alles versucht, seinem Mandanten eine positive Asylentscheidung zu verschaffen und er dabei auch Vorbringen erstattet, die durch die Grundinformationen seines Mandanten nicht gedeckt sind, sondern Vermutungen und Spekulationen darstellen. Auf Grund der Vielzahl der abschlägigen Entscheidungen entsteht beim Medienkonsumenten durchaus auch der Eindruck, dass der Privatankläger seinen Mandanten in falscher Hoffnung wiegt."

In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht - kurz zusammengefasst - den objektiven Tatbestand des § 111 Abs 1 und 2 StGB erfüllt, doch habe der Beschuldigte nicht mit der erforderlichen subjektiven Tatseite gehandelt bzw sei seine Äußerung durch Art 10 MRK gedeckt. Denn der Beschuldigte habe auf Grund einer eingehenden und über viele Seiten gehenden Schilderung des Asylverfahrens O***** und des Agierens des Privatanklägers dieses einer kritischen Wertung unterzogen und sei dabei zum Vorwurf der Skrupellosigkeit = Gewissenlosigkeit gelangt, wobei kein Wertungsexzess vorliege. Dr. Gerhard O. M***** erhob gegen dieses Urteil Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld. Mit Urteil vom 14. Juni 2006, AZ 8 Bs 126/06w (ON 21 der Hv-Akten), gab das Oberlandesgericht Linz nach einer Wiederholung des Beweisverfahrens der Berufung Folge, hob das angefochtene Urteil auf, erkannte Mag. Hermann W***** wegen der Behauptung, Dr. M***** sei ein seinem Mandanten gegenüber skrupelloser Anwalt, der dem Mandanten noch falsche Hoffnungen mache, des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB schuldig und verhängte über ihn nach § 111 Abs 2 StGB eine gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehene Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 25 Euro.

Unter einem erkannte das Berufungsgericht Mag. Hermann W*****

schuldig, dem Antragsteller Dr. Gerhard O. M***** gemäß § 6 Abs 1

MedienG binnen 14 Tagen einen Entschädigungsbetrag von 3.000 EUR zu

zahlen. Weiters verfügte es gemäß § 33 Abs 1, Abs 4 MedienG die

Einziehung der zur Verbreitung bestimmten Medienstücke, doch räumte

es dem Medieninhaber an Stelle der Einziehung die Möglichkeit ein,

binnen einer Frist von zwei Monaten durch Abtrennung, Überkleben oder

Schwärzung dafür zu sorgen, dass die Textstelle „... aber auch seinem

Mandanten .... dem Vertretenen noch falsche Hoffnungen zu machen" bei

einer weiteren Verbreitung der Medienstücke nicht mehr wahrnehmbar ist.

Auf Grund des wiederholten Beweisverfahrens traf das Berufungsgericht - abweichend von den erstgerichtlichen Konstatierungen - zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung folgende Feststellungen (wobei es ausführte, dass im Übrigen die erstrichterlichen Konstatierungen im Wesentlichen übernommen werden):

„Verhält sich ein Rechtsanwalt als Rechtsvertreter einer Person dieser gegenüber skrupellos, so handelt er unter allen Umständen äußerst negativ. Sowohl die Ebene der Honorierung des Mandats, als auch dessen inhaltliche Erfüllung (im Sinn einer bestimmten Konzeption der Vertretungsstrategie) sind damit gemeint. Die finanzielle Skrupellosigkeit bedeutet nichts anderes, als dass auch bei erkennbar aussichtslosem Prozessieren der Mandant vom Rechtsvertreter dazu getrieben wird, den Prozess weiterzuführen, damit aber sich eine Kostenpflicht aufzubürden, die nur mehr in einem Missverhältnis zum ursprünglich intendierten Prozesserfolg, aber auch zu den finanziellen Möglichkeiten des Mandanten steht. Die auf die inhaltliche Arbeit bezogene Skrupellosigkeit ist Synonym für die verzerrende oder gar entstellende Darstellung der Prozessaussichten durch den Rechtsvertreter (der sich über die Aussichtslosigkeit weiteren Prozessierens bewusst ist), wodurch er beim Mandanten (irreale) Erwartungen erweckt, die wieder auf die Planung wesentlicher Verhaltensweisen oder Lebensabschnitte, insgesamt auf soziale und/oder wirtschaftliche Dispositionen durchschlägt. Skrupelloses Vorgehen eines Rechtsvertreters gegenüber Behörden bedeutet nichts anderes als fundamentales Fehlen von Kompromiss- und Kooperationsbereitschaft unter Ausnutzung aller sich bietenden (formellen und materiell-rechtlichen) Erklärungen und Maßnahmen. In diesem Sinn kann ein gegenüber Behörden skrupelloser Anwalt die Sache seines Mandanten durchaus erfolgreich - in dessen Sinn - vertreten."

In rechtlicher Hinsicht kam das Berufungsgericht - kurz zusammengefasst - zum Schluss, dass nach dem Empfängerhorizont des in Betracht kommenden Leserkreises aus der Schilderung des Falles „O*****" allenfalls ein skrupelloses Vorgehen des Rechtsvertreters Dr. M***** gegenüber den Asylbehörden, aber unter keinen Umständen gegenüber seinem Mandanten abzuleiten wäre, wobei der letztere - den Kern der beruflichen Integrität des Dr. M***** treffende - Vorwurf schwerwiegend sei. Das inkriminierte Werturteil könne nicht im Entferntesten auf einem entsprechenden Sachverhaltssubstrat aufbauen und falle damit aus dem Grundrechtsschutz des Art 10 MRK heraus.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend führt der Generalprokurator aus, dass dieses Urteil des Berufungsgerichtes mit dem Gesetz nicht im Einklang steht. Welcher Bedeutungsinhalt einer Äußerung zukommt, ist eine im Rahmen der Beweiswürdigung zu lösende Tatfrage. Dabei ist der grundlegende Erfahrungswert in Rechnung zu stellen, dass der Sinn eines Ausdrucks je nach Situation, Vorverständnis, Schichtzugehörigkeit, Sprachgebrauch, Umgangsform oder Bildungsgrad der Beteiligten oder anderer Begleitumstände durchaus unterschiedlich sein kann. Für eine formal einwandfreie Beweiswürdigung genügt es keineswegs, nur auf die semantische Bedeutung eines Ausdrucks hinzuweisen und solcherart der Sache nach zu unterstellen, dass der gleiche Ausdruck von jedermann unter allen Umständen im gleichen Sinn verstanden wird (vgl 14 Os 105/05f, EvBl 2006/8, 34).

Nach gefestigter medienrechtlicher Judikatur (MR 1996, 26; 1997, 135; 2000, 228; 2006, 128 uva) sowie Literatur (Hanusch Kommentar zum Mediengesetz § 6 Rz 3; Berka/Höhne/Noll/Polley Mediengesetz2 Vor §§ 28 - 42 MedienG Rz 41 f; Schumacher Medienberichterstattung und Schutz der Persönlichkeitsrechte 59; Brandstetter/Schmid MedienG2 § 9 Rz 9; Rami in WK2 MedienG § 41 Rz 36 - jeweils mit weiteren Judikaturnachweisen) ist der Bedeutungsinhalt einer inkriminierten Textstelle als Tatfrage aus dem Gesamtzusammenhang der mit den damit inhaltlich in Konnex stehenden Ausführungen zu ermitteln, wobei der sich Äußernde die für ihn ungünstigste von mehreren - nicht aber rein spekulative - Auslegungsvarianten gegen sich gelten lassen muss. Vorliegend hat das Berufungsgericht den Bedeutungsinhalt des Vorwurfes des skrupellosen Verhaltens eines Rechtsanwaltes - soweit mangels einer ausdrücklichen Beweiswürdigung erkennbar - abstrakt aus dem Wortsinn abgeleitet, ohne irgendeinen Bezug zur Darstellung der Tätigkeit des Privatanklägers im Asylverfahren „O*****" im gegenständlichen Medienwerk herzustellen, obwohl die inkriminierte Äußerung eine Bewertung des Vorgehens des Rechtsvertreters in diesem Verfahren durch den Angeklagten darstellte. Vielmehr traf es die Feststellung, dass ein skrupelloses Verhalten eines Rechtsanwaltes gegenüber seinem Klienten auch finanzielle Skrupellosigkeit in der Weise bedeute, dass selbst bei erkennbar aussichtslosem Prozessieren der Mandant vom Rechtsvertreter dazu getrieben werde, den Prozess weiterzuführen, sich damit aber eine Kostenpflicht aufbürde, die in einem Missverhältnis zum ursprünglich intendierten Prozesserfolg, aber auch zu den finanziellen Möglichkeiten des Mandanten stehe. Ein solcher Sinn geht aber weder aus dem Gesamtzusammenhang der oben wiedergegebenen Äußerungen hervor - zumal die Frage der Kostenfolgen für den nach der Aktenlage mittellosen Asylwerber „O*****" und überhaupt die der Honorierung des Privatanklägers nie aufgeworfen wurde - noch wäre er aus der - isoliert betrachteten - inkriminierten Textstelle ableitbar, in welcher der Vorwurf der Skrupellosigkeit gegenüber dem Vertretenen ausschließlich dahin präzisiert wurde, diesem falsche Hoffnungen zu machen.

Indem das Berufungsgericht sohin das Wort „skrupellos" außerhalb des textlichen Zusammenhanges mit Geldgier gegenüber dem Mandanten gleichsetzte, maß es dem Wort willkürlich eine bestimmte Bedeutung bei.

Wie der Oberste Gerichtshof zuletzt zu 14 Os 100/05w, EvBl 2006/16, 92 = JBl 2006, 671 ausgeführt hat, können selbst letztinstanzliche Entscheidungen wegen willkürlicher - und deshalb rechtsverletzender (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 7) - Ermessensübung (etwa im Rahmen der gemäß § 258 Abs 2 StPO vorzunehmenden Beweiswürdigung, vgl dazu Fabrizy StPO9 § 281 Rz 46; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444 sowie - zum Bereich der Haftgründe im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens - ders, ÖJZ 2005, 418) mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes bekämpft werden. Dadurch kommt dem Höchstgericht die bedeutende Möglichkeit zu, besonderen Grundrechtsschutz zu bieten, um dem elementaren Willkürverbot - ein Ausfluss der Anordnung eines fair trial (Art 6 Abs 1 MRK) - faktische Geltung in allen strafrechtlichen Bereichen zu verschaffen.

Die Konstatierung, dass die inkriminierte Textstelle auch den Vorwurf der finanziellen Skrupellosigkeit des Privatanklägers gegenüber seinem Mandanten beinhalte, ist für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung, weil das Berufungsgericht auf Grund seiner abgeänderten Feststellung des Bedeutungsinhaltes zu einer anderen rechtlichen Wertung als das Erstgericht gelangte. Würde das Oberlandesgericht hingegen - im Einklang mit den oben dargestellten Interpretationskriterien - den Bedeutungsinhalt in Bezug auf den Vertretenen darauf beschränken, diesem falsche Hoffnungen gemacht zu haben, könnte die zur Abgrenzung zwischen Ehrenbeleidigung und zulässiger Kritik erforderliche Interessenabwägung (vgl jüngst etwa MR 2006, 191) zugunsten des Angeklagten ausfallen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde waren - ohne auf (zufolge § 290 Abs 1 Satz 2 StPO gemessen an der angefochtenen Entscheidung) Neuerungen zur Zuständigkeitsfrage Bedacht nehmen zu können (vgl jedoch hiezu Einlassung des Beschuldigten S 138: „Eigenverlag", „selbst verlegt") - die aus dem Spruch ersichtlichen Gesetzesverletzungen festzustellen; überdies sah sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 292 letzter Satz StPO veranlasst, die Neudurchführung des Berufungsverfahrens anzuordnen, das den Parteien Gelegenheit geben wird, ihre im Nichtigkeitsverfahren abgegebenen Stellungnahmen dem Oberlandesgericht Linz vorzutragen.

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