OGH 2Ob207/07s

OGH2Ob207/07s14.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S*****, vertreten durch Mag. Ulrich Nemec, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien 1. Wolfgang J*****, 2. G*****Versicherung AG, *****, beide vertreten durch Mag. iur. Oliver Lorber Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt, wegen 468.302,50 EUR sA und Feststellung, über die Revision (Revisionsinteresse 35.053,75 EUR) sowie den Rekurs (Rekursinteresse 238.587,75 EUR) der beklagten Parteien gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. Mai 2007, GZ 4 R 34/07p-65, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 12. Dezember 2006, GZ 22 Cg 77/05y-55, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision und der Rekurs werden zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 4.461,35 EUR (darin enthalten 743,55 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung und der Rekursbeantwortung binnen vierzehn Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Der Kläger, der ein Transport- und Erdbewegungsunternehmen als nicht protokolliertes Einzelunternehmen betreibt, wurde bei einem Verkehrsunfall am 28. 9. 2002 gegen 19.35 Uhr als Fußgänger beim Überqueren der Zollfeld Landesstraße L 71 von einem vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen Pkw, der bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert war, erfasst und schwer verletzt. Der Kläger begehrt von den beklagten Parteien zur ungeteilten Hand - unter Einräumung eines Mitverschuldens von 25 % - letztlich die Zahlung von 468.302,50 EUR sA (darin enthalten ein Schmerzengeld von 60.000 EUR und ein Verdienstentgang von 415.248,75 EUR) und die Feststellung ihrer Haftung für 75 % seiner künftigen unfallskausalen Schäden. Er brachte im Wesentlichen vor, der zur Unfallszeit alkoholisierte Erstbeklagte habe eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und sei vollkommen unaufmerksam gefahren, weshalb ihn das überwiegende Verschulden treffe. Die schweren Verletzungen des Klägers rechtfertigten ein Schmerzengeld von 80.000 EUR. Durch den Unfall sei ihm bis 30. 6. 2006 ein Verdienstentgang von 553.665 EUR entstanden.

Die beklagten Parteien wendeten zusammengefasst ein, den Kläger treffe ein Mitverschulden von 75 %, weil er nicht in der Fahrbahnmitte stehen geblieben sei. Seine Verletzungen seien mit einem Schmerzengeld von 40.000 EUR angemessen abgegolten. Einen Verdienstentgang habe der Kläger, der seit Jahren nur Verluste habe, nicht erlitten.

Beide Vorinstanzen gingen von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 3 zugunsten des Klägers aus. Das Erstgericht sprach aus, die Klagsforderung bestehe mit 261.641,50 EUR, die Gegenforderung mit 500 EUR zu Recht. Es gab demgemäß dem Leistungsbegehren mit 261.141,50 EUR sA sowie dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt und wies das Leistungsmehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht sprach mit Teilurteil aus, die Klagsforderung bestehe mit 30.553,75 EUR, die Gegenforderung mit 500 EUR zu Recht. Es verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Bezahlung von 30.053,75 EUR sA, wies das Leistungsmehrbegehren von 199.661 EUR sA ab, sprach die Feststellung der Haftung der Beklagten zu 75 % aus und hob im Umfang des Zahlungsbegehrens von 238.587,75 EUR sA das Urteil des Erstgerichts auf und verwies insoweit die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Das Berufungsgericht ließ sowohl die ordentliche Revision gegen sein Teilurteil als auch den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss zu, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Berechnung des Verdienstentgangs eines selbständig Erwerbstätigen durch Ermittlung des entgangenen Deckungsbeitrags unter Bedachtnahme auf eine Fixkostenreduktion nach dem Schadenseintritt sowie zur Frage, ob (und gegebenenfalls wie weit) die durch gesetzwidriges Unterlassen des Geschädigten bewirkte Erhöhung der vom Nettoverdienst zu zahlenden Einkommensteuer dem Schädiger zurechenbar sei, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision sowie der Rekurs der Beklagten sind unzulässig. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision oder eines an den Obersten Gerichtshof gerichteten Rekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz, § 528a ZPO).

In ihren Rechtsmitteln relevieren die Beklagten jene Rechtsfragen, weswegen das Berufungsgericht die Revision und den Rekurs zugelassen hat, nicht.

Selbst wenn das Berufungsgericht - zu Recht - ausgesprochen hatte, die ordentliche Revision (oder der Rekurs an den Obersten Gerichtshof) sei zulässig, das Rechtsmittel aber dann nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist die Revision (der Rekurs) trotz der Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0102059).

Die Rechtsmittel der Beklagten zeigen indes keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

In der Revision bekämpfen die Beklagten zunächst die Verschuldensteilung von 3 : 1 zugunsten des Klägers. Die Beurteilung des Verschuldensgrads unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten können wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS-Justiz RS0087606; vgl auch RS0042405). Die Beklagten beziehen sich auf die Entscheidung 2 Ob 216/97x (RIS-Justiz RS0108199). In dieser Entscheidung hatte der geschädigte Kläger, ohne auf den erkennbaren Querverkehr zu achten, bei Dunkelheit eine mehrspurige Bundesstraße im Freilandgebiet, wo üblicherweise mit höheren Geschwindigkeiten zu rechnen ist, überquert. Demgegenüber stand lediglich eine relative Geschwindigkeitsüberhöhung des Fahrzeuglenkers von 10 km/h. Der hier vorliegende Fall ist jedoch mit der zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht vergleichbar. Im vorliegenden Fall steht der Unaufmerksamkeit des die Fahrbahn überquerenden Klägers entgegen, dass der Erstbeklagte seine Aufmerksamkeit nicht auf die vor ihm liegende Fahrbahn lenkte und daher nicht die für ihn schon mehr als fünf Sekunden vor der Kollision erkennbare, die Fahrbahn vor dem Kläger überquerende Ehefrau desselben wahrnahm, sondern zu zwei am Fahrbahnrand stehenden Frauen blickte. Darüber hinaus wies der Erstbeklagte im Unfallszeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von zumindest 1,424 ‰ auf.

Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, der Erstbeklagte habe nicht darauf vertrauen können, dass sich der Kläger bei Erreichen der Fahrbahnmitte nochmals vergewissern werde, ob er die Fahrbahn noch vor dem sich von rechts nähernden Fahrzeug des Erstbeklagten gefahrlos überschreiten könne, weil er den Kläger vor der Kollision gar nicht wahrgenommen habe. Der Vertrauensgrundsatz des § 3 StVO gelte nicht in Bezug auf nicht wahrgenommene Verkehrsteilnehmer (RIS-Justiz RS0073146) und komme auch demjenigen nicht zu Gute, der - wie hier der Erstbeklagte infolge seiner die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholisierung - seinerseits nicht jene Vorsicht angewendet habe, die von ihm im Interesse der Sicherheit des Verkehrs verlangt werde (RIS-Justiz RS0073214; RS0073146). Sein in einer krassen Reaktionsverspätung von mehreren Sekunden bestehendes Verschulden werde durch die gravierende gegen § 5 Abs 1 StVO verstoßende Alkoholisierung beträchtlich erschwert (RIS-Justiz RS0027068), weshalb das auf einem Verstoß gegen § 76 Abs 5 StVO beruhende Mitverschulden des Klägers, der die Straße nicht auf dem kürzesten Weg überquert und in der Straßenmitte auch nicht stehen geblieben sei, um den bereits gefährlich nahe gekommenen Pkw des Erstbeklagten vorbeifahren zu lassen, deutlich in den Hintergrund rücke.

Wenn die Vorinstanzen die Verschuldensteilung mit 3 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten vorgenommen haben, kann darin eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung nicht erkannt werden (vgl etwa ZVR 1961/46 = RIS-Justiz RS0027674; ZVR 1990/160 = RIS-Justiz RS0027794 [T3]).

Auch die von den Revisionswerbern in der Ausführung der Revision dagegen ins Treffen geführten Entscheidungen ZVR 1983/305 und ZVR 1985/107 sind mit dem vorliegenden Fall nicht hinreichend vergleichbar.

Schließlich wenden sich die Revisionswerber gegen die Ausmessung des angemessenen Schmerzengeldes mit 50.000 EUR durch das Berufungsgericht anstelle der vom Erstgericht für angemessen erachteten 40.000 EUR.

Nach ständiger Rechtsprechung bildet die Höhe des angemessenen Schmerzengeldes in aller Regel keine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO, es wäre denn, es läge eine eklatante Fehlbemessung vor, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt (RIS-Justiz RS0021095 [T1]; vgl auch RS0102181 [T4]).

Die Beklagten behaupten nicht einmal, dem Berufungsgericht sei eine Fehlbemessung unterlaufen; sie vertreten vielmehr die rechtsirrige Auffassung, das Berufungsgericht wäre nicht berechtigt gewesen, das vom Erstgericht im Rahmen seines Ermessens „eher niedrig" für angemessen erachtete Schmerzengeld von 40.000 EUR zu erhöhen. Auch im Rekurs zeigen die Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage auf. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagten hätten wohl ganz allgemein und unsubstanziiert im Zusammenhang mit der Schadensminderungspflicht des Geschädigten auch auf die Zumutbarkeit der Reduktion von Fixkosten hingewiesen, ein konkretes Vorbringen dazu, welche Fixkosten der Kläger (noch) reduzieren hätte können und müssen, aber - ungeachtet der im Gutachten des Sachverständigen konkret bezeichneten Fixkosten des klägerischen Unternehmens - unterlassen. Es liege daher kein Feststellungsmangel des Urteils des Erstgerichts vor. Sei ein bestimmter Sachverhalt nicht behauptet worden, bilde die Unterlassung entsprechender Feststellungen keinen Verfahrensmangel.

Im Rekurs vertreten die Beklagten die Ansicht, durch diese Betrachtungsweise würden die Anforderungen an die Konkretisierung eines Prozessvorbringens weit überspannt. Es handle sich um eine besonders komplexe Materie, zu deren Beurteilung eingehende betriebswirtschaftliche Kenntnisse erforderlich seien. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht bzw wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042828). Die Frage, wie ein Vorbringen einer Partei zu beurteilen ist, ist für sich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RIS-Justiz RS0042828 [T13]). Gegenteiliges gilt im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit nur dann, wenn die Auslegung des Parteivorbringens mit seinem Wortlaut unvereinbar ist oder gegen die Denkgesetze verstieße (RIS-Justiz RS0042828 [T7, T11]). Die Auslegung eines Prozessvorbringens bildet im Regelfall keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RIS-Justiz RS0044298 [T5]).

Im Hinblick auf die dargestellte Rechtsprechung kommt der von den Beklagten aufgeworfenen Frage, inwieweit (entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts) das Vorbringen zur Möglichkeit der Reduktion von Fixkosten infolge eines Schadensereignisses konkretisiert und substanziiert sein muss, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Davon, dass die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des Vorbringens der Beklagten zum genannten Thema mit seinem Wortlaut unvereinbar wäre oder gegen die Denkgesetze verstieße, kann keine Rede sein.

Im Übrigen begegnet die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten ein konkretes Vorbringen dazu, welche Fixkosten der Kläger reduzieren hätte können und müssen, erstatten müssen, keinen Bedenken. Zur durchaus vergleichbaren Lage im Werkvertragsrecht judiziert der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass es Sache des Bestellers ist, konkrete Behauptungen darüber aufzustellen und zu beweisen, was sich der Unternehmer durch das Unterbleiben der Arbeit erspart hat (RIS-Justiz RS0021768). Den Rechtsmitteln der Beklagten gelingt es somit nicht, erhebliche Rechtsfragen aufzuzeigen, weshalb sie zurückzuweisen waren. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat in seinen Rechtsmittelgegenschriften auf die jeweilige Unzulässigkeit der Rechtsmittel gegen Teilurteil und Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts hingewiesen. Im Zwischenstreit über die (mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit der Rechtsmittel findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (2 Ob 155/06t, 8 Ob 57/07a, 2 Ob 194/07d; anders RIS-Justiz RS0117737).

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