Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der Beklagte ist Eigentümer einer Liegenschaft im Ortsgebiet von Krems. Diese grenzt westlich an die gepflasterte Wachtbergstiege an, die sich im Alleineigentum der Stadt Krems befindet. Östlich der Wachtbergstiege liegen das Grundstück des Nebenintervenienten und zwei Grundstücke einer anderen Grundeigentümerin.
Die Wachtbergstiege beginnt bei der Alauntalstraße (Ende des Gehsteiges) und führt etwa im rechten Winkel zur Fahrbahnlängsachse der Alauntalstraße in nördlicher Richtung zur Wachtbergstraße. Der Stiegenaufgang ist nicht mit einem Gebotszeichen gemäß § 52 lit b Z 17 StVO als Gehweg gekennzeichnet.
Am 19. 1. 2006 stürzte die Klägerin gegen 6.25 Uhr auf der Wachtbergstiege und zog sich dabei unter anderem einen beidseitigen Knöchelbruch am rechten Bein sowie einen Bruch der rechten Hand zu. Nicht strittig ist die Position der Unfallstelle rund einen halben Meter östlich der Grundstücksgrenze zwischen Wachtbergstiege und dem Grundstück des Beklagten.
Das Erstgericht verneinte die - im Rekursverfahren ausschließlich noch strittige - Haftung des Beklagten nach § 93 Abs 1 StVO, weil sich die Wachtbergstiege nicht im Zuge eines Gehweges oder Gehsteiges befinde und auch nicht als Gehweg gekennzeichnet sei. Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass die Wachtbergstiege nach den Definitionen der StVO weder ein Gehsteig (§ 2 Abs 1 Z 10 StVO) noch - mangels besonderer Kennzeichnung - ein Gehweg (Z 11 leg cit) sei und es sich aufgrund ihrer rechtwinkeligen Abzweigung nicht um eine im Verlauf des Gehsteiges (der Alauntalstraße) befindliche Stiegenanlage handle. Dies beantworte aber nicht die Frage nach der Verpflichtung des Anrainers im Sinn des § 93 Abs 1 Satz 2 StVO, bei Fehlen eines Gehsteigs oder Gehwegs den Straßenrand in einer Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen. Die Stiegenanlage könne nach § 2 Abs 1 Z 1 StVO als dem Fußgängerverkehr dienende Landfläche die Qualifikation als Straße erfüllen, soferne sie regelmäßig benutzt werde und den öffentlichen Verkehr offenstehe. Zu diesen beiden Themen (und zu § 93 Abs 5 StVO) erachtete das Berufungsgericht noch weitere Feststellungen für erforderlich.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil der Frage, ob die von einem Gehsteig oder Gehweg im rechten Winkel abzweigende - als Straßenverbindung dienende - Stiegenanlage noch als „im Zuge des Gehsteigs bzw Gehwegs befindlich" anzusehen sei bzw ob eine derartige Stiegenanlage als Straße im Sinne des § 93 StVO zu beurteilen sei, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme und höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle. Der Beklagte beantragt in seinem wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Rekurs die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Rekursbeantwortung, dem gegnerischen Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Beklagten ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.
Nach § 93 Abs 1 StVO haben die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten (von hier nicht relevierten Ausnahmen abgesehen) dafür zu sorgen, dass die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee- und Glatteis bestreut sind (Satz 1). Ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen (Satz 2).
Ein Gehsteig ist nach § 2 Abs 1 Z 10 StVO ein für den Fußgängerverkehr bestimmter, von der Fahrbahn durch Randsteine, Bodenmarkierungen odgl abgegrenzter Teil der Straße. § 2 Abs 1 Z 11 StVO definiert als Gehweg einen für den Fußgängerverkehr bestimmten und als solchen gekennzeichneten Weg; die Kennzeichnung eines Gehweges erfolgt durch das Gebotszeichen im Sinne des § 52 lit b Z 17 StVO. Eine Straße ist nach § 2 Abs 1 Z 1 StVO eine für den Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr bestimmte Landfläche samt den in ihrem Zuge befindlichen und diesem Verkehr dienenden baulichen Anlagen. Voraussetzung für die Qualifikation eines Weges als Gehweg nach § 2 Abs 1 Z 11 StVO ist seine Kennzeichnung durch das Gebotszeichen des § 52 lit b Z 17 StVO (7 Ob 555, 556/81 = ZVR 1982/146 = SZ 54/92), was hier nicht zutrifft.
Ob eine bestimmte Verkehrsfläche den in der StVO enthaltenen Begriffsbestimmungen entspricht, ist grundsätzlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles, wie etwa der baulichen Gestaltung uä abhängig (vgl 2 Ob 214/97b) und kann daher nur bei einer auffälligen, aus Gründen der Rechtssicherheit wahrzunehmenden Fehlbeurteilung eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründen. Eine derartige korrekturbedürftige Fehlbeurteilung lässt sich hier nicht erkennen, zumal sich die Frage nach der Einordnung der gegenständlichen Verkehrsfläche als Voraussetzung für die in § 93 Abs 1 StVO geregelte Räum- und Streupflicht des Anrainers anhand der bereits genannten Legaldefinitionen der StVO beantworten lässt. Entscheidend für die Wertung einer Landfläche als Straße ist das ausschließliche Merkmal des Fußgängerverkehrs oder Fahrzeugverkehrs (RIS-Justiz RS0073172; RS0073091; VwGH vom 25. 11. 2005, 2005/02/0208; Dittrich/Stolzlechner StVO I § 2 StVO Rz 4). Auch eine - wie hier - ausschließlich für den Fußgängerverkehr bestimmte Landfläche fällt unter die Legaldefinition der Straße im Sinn des § 2 Abs 1 Z 1 StVO VwGH vom 31. 10. 1990, 90/02/0081;
Dittrich/Stolzlechner aaO), ausgenommen es handelt sich um einen Feldweg (2 Ob 769/53 = RIS-Justiz RS0073141; vgl RS0073142). Die Wachtbergstiege zweigt rechtwinkelig von der (an der südlichen Grenze des Grundstückes des Beklagten vorbeiführenden) Alauntalstraße ab und verbindet diese Straße mit einer anderen, nördlich gelegenen Straße. Es ist vertretbar, diesen für Fußgänger benutzbaren Verbindungsweg als „eigene" Straße (§ 2 Abs 1 Z 1 StVO) zu qualifizieren, und nicht als baulich abgegrenzten Teil der Alauntalstraße (Gehsteig nach § 2 Abs 1 Z 10 StVO) bzw als im Zuge eines Gehsteiges befindliche Stiegenanlage. Damit ist die Frage nach einer Haftung des Beklagten mit Hilfe von § 93 Abs 1 Satz 2 StVO zu beantworten, der eine Reinigung und Säuberung des Straßenrandes in einer Breite von 1 m vorschreibt. Ist die Wachtbergstiege nur 1 m breit, wie der Beklagte in seinem Rekurs selbst behauptet, muss sich die Räumungs- und Streuungsverpflichtung schon nach dem eindeutigen Gesetzestext des § 93 Abs 1 Satz 2 StVO auf die gesamte Breite erstrecken (vgl Dittrich/Stolzlehner StVO III § 93 StVO Rz 27; vgl Grundtner StVO II § 93 StVO E 19).
Entgegen der im Rekurs vertretenen Meinung stellt die Anrainerpflicht des § 93 Abs 1 Satz 1 StVO nicht auf die bauliche Gestaltung des zu betreuenden Straßenrandes ab. Für die entsprechende Anrainerpflicht des Beklagten ist daher nicht relevant, ob die Wachtbergstiege ein gepflasterter (damit nicht asphaltierter) steiler, aus unterschiedlich hohen Stufen bestehender Steig ist. Im Übrigen sind Bestimmungen über die Streupflicht nach § 93 Abs 1 StVO nach der ständigen Judikatur Schutznormen zugunsten der die in der zitierten Bestimmung genannten Verkehrsflächen bestimmungsgemäß benutzenden Fußgänger (2 Ob 59/05y = ZVR 2005/112; 2 Ob 286/05s; 2 Ob 86/06w; RIS-Justiz RS0075581).
Voraussetzung für die Qualifikation einer nach § 93 Abs 1 StVO vom Anrainer zu betreuenden Fläche ist jedenfalls, dass es sich um eine Straße mit öffentlichem Verkehr handelt (§ 1 Abs 1 StVO). Hält das Berufungsgericht in diesem Punkt zusätzliche Feststellungen für erforderlich und verweist es aus diesem Grund die Rechtssache an das Erstgericht zurück, begründet diese Vorgangsweise keinesfalls die im Rekurs wegen Abgehens von den erstgerichtlichen Feststellungen gerügte Nichtigkeit.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Rekursbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen. Ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO findet nicht statt (2 Ob 155/06t, 8 Ob 57/07a).
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