OGH 7Ob555/81 (7Ob556/81)

OGH7Ob555/81 (7Ob556/81)11.6.1981

SZ 54/92

Normen

ABGB §1319a
StVO §2 Abs1 Z10
StVO §93
ABGB §1319a
StVO §2 Abs1 Z10
StVO §93

 

Spruch:

Nach § 93 StVO haftet der Grundstückseigentümer ohne Einschränkung auf grobes Verschulden für die Unterlassung der Räumung oder Streuung des Gehsteiges, auch wenn dieser nicht ganz parallel zur Fahrbahn verläuft und durch eine Grasfläche von ihr getrennt ist. Der Wegehalter haftet daneben nur dann nach § 1319a ABGB, wenn er den mangelnden Zustand des Gehsteiges vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht behoben hat

OGH 11. Juni 1981, 7 Ob 555, 556/81 (OLG Graz 6 R 176, 177/80; LG Klagenfurt 23 Cg 413/79)

Text

Der Kläger stürzte am 22. Jänner 1978 nach dem Verlassen des Friedhofes in F auf dem schneebedeckten Weg entlang der Friedhofsmauer und zog sich hiebei einen Oberschenkelhalsbruch links zu. Er begehrt unter Einräumung eines Eigenverschuldens im Ausmaß von einem Drittel von beiden Beklagten den Ersatz eines Betrages von 97 864.60 S (je zwei Drittel eines Schmerzensgeldes von 140 000 S und des Ersatzes eines Aufwandes für Armstützkrücken von 143 S; das sind richtig 93 428.66 S) sowie die Feststellung der Haftung für seine Schäden aus dem Unfall zu zwei Dritteln und macht geltend, die Beklagten seien ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen. Die erstbeklagte katholische Pfarrkirche hafte gemäß § 93 StVO für die Unterlassung der Schneeräumung und Bestreuung; die zweitbeklagte Stadtgemeinde sei als Wegehalterin zur Sicherung verpflichtet gewesen.

Die Erstbeklagte wendet ein, daß das Grundstück, auf dem sich der fragliche Weg befinde, ebenso wie der überwiegende Teil des Friedhofes der Zweitbeklagten gehöre; diese habe auch die Verwaltung des Friedhofes übernommen, so daß ihr auch die Pflege des Weges zufalle. Bei dem Weg neben der Friedhofsmauer handle es sich um keinen Gehsteig oder Gehweg, da er nicht neben der Straße verlaufe, sondern um einen Verbindungsweg; der Weg sei auch nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Das Verschulden an dem Unfall treffe den Kläger, weil er den Weg trotz Kenntnis seiner Vereisung benützt habe, statt einen anderen Weg zu wählen.

Die Zweitbeklagte wendet ein, sie sei nicht zur Säuberung und Bestreuung des Weges verpflichtet; diese Pflicht treffe die Erstbeklagte als Grundstücksanrainerin. Grobe Fahrlässigkeit der Zweitbeklagten liege zudem nicht vor. Das überwiegende Verschulden an seinem Unfall treffe den Kläger.

Das Erstgericht erkannte die Erstbeklagte schuldig, dem Kläger 70 071.50 S (die Hälfte des Schmerzensgeldes von 140 000 S und der Krückenkosten von 143 S) zu bezahlen, und stellte fest, daß die Erstbeklagte für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 22. Jänner 1978 zur Hälfte hafte; das Mehrbegehren gegen die Erstbeklagte und die Klage gegen die Zweitbeklagte wies es ab. Das Erstgericht traf folgende Feststellungen:

Die Kirchgasse verläuft im Ortsgebiet von F im wesentlichen von Süden nach Norden. Am westlichen Fahrbahnrand verläuft entlang des Grundstückes 19/1 ein asphaltierter Gehsteig, der sich nach Norden hin verbreitert. Auf Höhe des Grundstückes 102 (Pfarrhof) befindet sich ein asphaltierter, von Süden nach Norden gestreckter ebener Platz in der Größe von ungefähr 8 x 20 m, an dessen nördlichem Ende der Eingang zum Friedhof ist. Der Friedhof auf dem Grundstück 3 KG F (Eigentümer ist die Erstbeklagte) ist nach Süden hin zum erwähnten Platz sowie nach Südosten zur Kirchgasse hin von einer alten hohen Mauer umgeben. Vom Friedhofsvorplatz führt niveaugleich anschließend in Richtung Nordosten entlang der Friedhofsmauer ein etwa 2 m breiter asphaltierter Weg mit einem Gefälle von etwa 10% bis zur Fahrbahn der Kirchgasse. Von diesem Weg, dem Friedhofsvorplatz und der Fahrbahn der Kirchgasse wird eine langgezogene, dreieckige, von allen Seiten von Bordsteinen umgebene Wiese eingeschlossen, die vom Vorplatz zur Fahrbahn hin abfällt, und zwar im nördlichen Bereich wegen des Gefälles der Fahrbahn gegenüber dem ebenen Platz stärker als im südlichen Bereich. Entlang der Fahrbahn hat die Wiesenfläche eine Länge von ungefähr 44 m, ihre breiteste Stelle befindet sich ungefähr auf Höhe des Friedhofseinganges; vom südlichen Ende der Wiese und von ihrem nördlichen Ende ist der Friedhofseingang jeweils etwa 24 m entfernt. Der Weg entlang der Friedhofsmauer mundet mit einer Trichterbreite von etwa 7 m in die Fahrbahn ein. Der Verkehr auf dem Friedhofsvorplatz, dem Gehsteig südlich davon und dem Weg nordöstlich davon, entlang der Friedhofsmauer, ist durch Verkehrszeichen nicht geregelt. Es ist somit westlich der Fahrbahn der Kirchgasse ein Fußgängerverkehr auf dem Gehsteig entlang des Grundstückes 19/1, dem Friedhofsvorplatz und auf dem nach Nordosten entlang der Friedhofsmauer führenden Weg möglich und zulässig. Nach der Art seiner Ausführung, insbesondere durch die 10 cm hohe Bordsteinkante gegenüber der Fahrbahn der Kirchgasse, ist der Weg entlang der Friedhofsmauer zur Benützung durch Fußgänger gewidmet. Diese Widmung ist für jeden Verkehrsteilnehmer erkennbar. Nördlich der Einmundung des Weges in die Fahrbahn der Kirchgasse, westlich der Fahrbahn, ist ein Fußgängerverkehr nicht möglich; vielmehr müssen die Fußgänger von der Einmundung in Richtung Osten die Fahrbahn überqueren, um auf den Gehsteig östlich der Fahrbahn zu gelangen. Der Gehsteig entlang des Grundstückes 19/1, der Friedhofsvorplatz, der im Nordosten anschließende Weg sowie die Wiesenfläche sind Teile des Grundstückes 19/3, die ebenso wie die Fahrbahn der Kirchgasse öffentliche Verkehrsflächen sind. Wann der Friedhofsvorplatz und der Weg entlang der Friedhofsmauer asphaltiert wurden, kann nicht festgestellt werden; ebensowenig über wessen Veranlassung. Die erstbeklagte Partei hat hiezu jedenfalls keinen Auftrag erteilt. Die zweitbeklagte Partei läßt durch private Unternehmen die Fahrbahn der Kirchgasse, nicht aber auch den Friedhofsvorplatz und die Gehsteige der Kirchgasse und auch nicht den Weg entlang der Friedhofsmauer vom Schnee räumen. Die Schneeräumung und die Streuung auf dem Gehsteig östlich des Grundstückes 19/1 und auf dem Friedhofsvorplatz erfolgte bis 1973 durch den Pfarrer Klemens I, dessen Schwester und den Mesner, anschließend durch den Pfarrer Franz W und die Mesnerin Grete B. Der Weg entlang der Friedhofsmauer wurde weder von Klemens I, zu dessen Amtszeit er nur wenig, erst in den späteren Jahren etwas mehr benützt wurde, noch von Franz W und Grete B vom Schnee gereinigt und bestreut.

Dem Pfarrer Franz W ist bekannt, daß der Weg entlang der Friedhofsmauer von Friedhofsbesuchern und Kirchgängern benützt wird; er rechnet damit, daß der Weg von diesem Personenkreis insbesondere an Sonntagen benützt wird. Franz W hat sich mit der Frage, ob dieser Weg von der Stadtgemeinde F vom Schnee geräumt und bestreut wird, nicht befaßt, da er diesen Weg als öffentliche Straße ansieht und den Standpunkt vertritt, daß die Stadtgemeinde F die Räum- und Streupflicht auf diesem Weg hat. Dem Pfarrer sind die Bestimmungen über die Schneeräum- und Streupflicht der Gründeigentümer entlang der Grundstücksgrenzen bekannt. Er hat der Stadtgemeinde F die Schneeräum- und Streupflicht auf dem Weg entlang der Friedhofsmauer nicht durch Vertrag übertragen. Die Schneeräum- und Streupflicht auf dem östlichen Gehsteig der Kirchgasse trifft die angrenzenden Liegenschaftseigentümer.

Am Sonntag, dem 22. Jänner 1978, waren der Friedhofsvorplatz, der Weg entlang der Friedhofsmauer sowie der gegenüberliegende Gehsteig am östlichen Fahrbahnrand der Kirchgasse vom Schnee nicht geräumt. Am Morgen dieses Tages gab es in F leichten Schneefall bei minus 3 Grad. Der letzte ergiebige Schneefall vor dem 22. Jänner 1978 begann am 17. Jänner 1978 und brachte bis 18. Jänner 1978 früh einen Neuschneezuwachs von 10 bis 15 cm.

Im freien Gelände auf natürlicher Oberfläche war zu diesem Zeitpunkt die Schneedecke etwa 25 cm hoch. Anschließend bis 22. Jänner 1978 gab es an jedem Tag wenig ergiebigen Schneefall. Auf nicht geräumten Verkehrswegen war am 22. Jänner 1978 mit Schnee- und Eisglätte zu rechnen. Der Kläger besuchte an diesem Tag das Grab seiner Schwiegermutter auf dem Friedhof.

Er war von Süden her (aus Richtung Stadtmitte) zum Friedhof gekommen und verließ gegen 12 Uhr mittags den Friedhof auf dem Weg entlang der Friedhofsmauer, um nach Hause zu gehen, da dies die kürzeste Wegverbindung war. Der Kläger kannte den Zustand dieses Weges, da er ihn häufig, fast täglich, benützte. Er wußte, daß dieser Weg im Winter überhaupt nicht geräumt oder gestreut wird, und hatte bei der letzten Begehung am 20. Jänner 1978 festgestellt, daß der Weg weder geräumt noch gestreut war. Am 22. Jänner 1978 stellte der Kläger fest, daß der Weg rutschig war; er war mit matschigem Schnee bedeckt; in diesem waren Spuren. Wegen des Zustandes des Weges ging der Kläger vorsichtig. Er hatte knöchelhohe Gummischuhe mit Profilsohle. Ungefähr 2 1/2 m südlich des nördlichen Endes der dreieckigen Grasfläche rutschte der Kläger etwa in der Mitte des Weges auf einer Eisfläche aus und stürzte. Der Kläger erlitt bei diesem Sturz einen Bruch des linken Schenkelhalses. Er war deshalb insgesamt 45 Tage in Spitalsbehandlung und mußte insgesamt 15 Monate lang mit zwei Armstützkrücken gehen und kann erst seit August 1979 mit einer Krücke gehen. Wegen des Verdachtes örtlichen Gewebstodes im Oberschenkelkopf mußte das Hüftgelenk operativ freigelegt und der Oberschenkelkopf wegen Nekrose durch eine Prothese ersetzt werden. Der Kläger hatte 6 bis 8 Tage starke, 35 bis 40 Tage mittlere und 100 bis 120 Tage leichte körperliche Schmerzen. Das linke Bein ist nun um 1.5 cm kürzer als das rechte. Die Beweglichkeit des Hüftgelenkes ist eingeschränkt. Es besteht die Möglichkeit, daß auch die Hüftgelenkspfanne ersetzt werden muß.

Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß der fragliche Weg als Gehsteig im Sinne des § 2 Z. 10 StVO zu qualifizieren sei; die Erstbeklagte als Eigentümerin des Grundstückes Nr. 3 KG F wäre gemäß § 93 Abs. 1 StVO verpflichtet gewesen, diesen Gehweg entlang der Friedhofsmauer zwischen 6 und 22 Uhr vom Schnee zu säubern und zu bestreuen, weil dieses Grundstück unmittelbar an diesen Weg angrenzt. Die Unterlassung der Gehsteigsäuberung bzw. Bestreuung sei vom Pfarrer im Sinne des § 1319a ABGB grob fahrlässig unterlassen worden, zumal der Pfarrer gewußt und damit gerechnet habe, daß der Gehsteig insbesondere am Sonntag von Kirchgängern und Friedhofsbesuchern benützt werde. Den Kläger treffe allerdings ein wesentliches Mitverschulden, weil er den abschüssigen Gehsteig trotz Kenntnis seines gefährlichen Zustandes benützt und nicht den Weg über den Friedhofsvorplatz zurück zur Straße und dann den am östlichen Fahrbahnrand der Kirchgasse liegenden, weniger steilen Gehsteig benützt habe. Die Zweitbeklagte hafte für den Schaden des Klägers nicht, weil durch § 93 StVO in Ansehung der Schneeräumung und Streupflicht auf den dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteigen und Gehwegen in Ortsgebieten die Haftung für den ordnungsgemäßen Zustand vom Halter auf den Anrainer übertragen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Klagebegehrens gegen die Zweitbeklagte und wies auch das gegen die Erstbeklagte gerichtete Klagebegehren ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß der Weg neben der Friedhofsmauer nach einer Außerstreitstellung der Parteien in der Berufungsverhandlung ein Gefälle von "jedenfalls mehr als 10%" habe. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, daß der Weg neben der Friedhofsmauer weder ein Gehweg, da er als solcher nicht gekennzeichnet sei, noch ein Gehsteig sei, da er nach den gegebenen örtlichen Verhältnissen nicht ein durch Randsteine, Bodenmarkierungen o. dgl. abgegrenzter Teil der Straße, sondern ein von der Straße deutlich abgesetzter, mit dieser in der Längsrichtung nicht organisch verbundener selbständiger Weg sei. Da die Erstbeklagte auch nicht Halterin des Weges sei (denn sie trage weder die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges noch auch habe sie die Verfügungsmacht, die entsprechenden Maßnahmen zur Erhaltung und Sicherung des Weges zu treffen), treffe sie keine Haftung für den Schaden des Klägers. Die Zweitbeklagte treffe die Wegehalterpflicht gemäß § 1319a ABGB. Habe die Zweitbeklagte den Weg nicht vom Schnee gesäubert und nicht bestreut und auch keine Hinweiszeichen angebracht, daß das Begehen des Weges bei winterlichen Bedingungen auf eigene Gefahr erfolge, liege darin eine fahrlässige Unterlassung. Grobe Fahrlässigkeit der Zweitbeklagten sei jedoch nicht gegeben, weil die Gefährlichkeit des ziemlich steil abfallenden Weges unter winterlichen Bedingungen bei Schneelage für jeden Benützer offenkundig sei und die Möglichkeit bestehe, einen anderen, weniger gefährlichen und nur geringfügig längeren Weg zu benützen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers teilweise Folge. Er bestätigte das Berufungsurteil im Ausspruch über die Abweisung des Klagebegehrens gegen die zweitbeklagte Partei und änderte es gegen die erstbeklagte Partei im Sinne eines Zuspruches von 93 428.66 S samt Anhang und Feststellung der Schadenshaftung zu zwei Dritteln ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zur Haftung der Erstbeklagten führt der Kläger - nach dessen Ansicht eine Solidarhaftung beider Beklagter gegeben ist - aus, der Weg neben der Friedhofsmauer stelle zwar keinen Gehsteig im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 10 StVO, aber doch einen Gehweg im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 11 StVO dar; aber auch dann, wenn die fragliche Wegverbindung als Straße anzusehen sein sollte, wäre doch gemäß § 93 StVO die Reinigungs- und Säuberungspflicht des Anrainers zumindest bis zu einer Breite von 1 m gegeben, so daß auch in diesem Fall die Haftung der Erstbeklagten gegeben sei.

Nach § 2 Abs. 1 Z. 11 StVO gilt als Gehweg "ein für den Fußgänger bestimmter und als solcher gekennzeichneter Weg"; die Kennzeichnung eines Gehweges erfolgt durch das Gebotszeichen im Sinne des § 52 lit. b Z 17 StVO. Nach den Feststellungen ist der Verkehr auf dem Friedhofsvorplatz, dem Gehsteig südlich davon und dem Weg nordöstlich davon entlang der Friedhofsmauer durch Verkehrszeichen nicht geregelt; daraus ergibt sich, daß auch eine Kennzeichnung des Weges als "Gehweg" nicht vorhanden ist, so daß der Weg nicht als Gehweg angesehen werden kann.

Ein Gehsteig ist nach § 2 Abs. 1 Z. 10 StVO ein für den Fußgängerverkehr bestimmter, von der Fahrbahn durch Randsteine, Bodenmarkierungen o. dgl. abgegrenzter Teil der Straße. Das Berufungsgericht hat den Weg neben der Friedhofsmauer nicht als Gehsteig angesehen, weil er von der Straße deutlich abgesetzt und mit dieser in der Längsrichtung nicht organisch verbunden sei. Der OGH vermag sich dieser Ansicht nicht anzuschließen. Die 44 m lange, "langgezogen-dreieckige", mit Gras bewachsene und einigen Bäumen bestandene Böschung zwischen dem Weg neben der Friedhofsmauer und der Fahrbahn der Kirchgasse trennt den Weg, auf dem sich der Unfall des Klägers ereignete, im wesentlichen nicht anders von der Fahrbahn als jene teils grasbewachsenen, teils mit Blumen besetzten oder mit Baumreihen bestandenen Flächen, die sich in Ortsgebieten vielfach zwischen dem für den Fahrzeugverkehr (Fahrbahn, § 2 Abs. 1 Z. 2 StVO) und dem für den Fußgängerverkehr bestimmten Teil der Straße befinden. Daß der gegenständliche Weg für den Fußgängerverkehr bestimmt ist, wurde festgestellt. Die in die Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z. 10 StVO aufgenommenen Worte "von der Fahrbahn durch Randsteine, Bodenmarkierungen o. dgl. abgegrenzter Teil der Straße" gestatten es durchaus, den aus südlicher Richtung kommenden, links der Fahrbahn der Kirchgasse gelegenen, für den Fußgängerverkehr bestimmten Teil der Straße (in den Feststellungen als Gehsteig bezeichnet) auch nach dessen platzartiger Erweiterung vor Pfarrhof und Friedhof in seiner Fortführung in nördlicher Richtung ungeachtet der beschriebenen Böschung als Gehsteig zu qualifizieren. Auch Nebenfahrbahnen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 4 StVO werden von der Hauptfahrbahn im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 3 StVO durch Rasenflächen, Baumreihen u. dgl. getrennt (MGA StVO[6], § 2 FN 8), ohne hiedurch ihre Eigenschaft als Teil der Straße, ihre Zugehörigkeit zu dieser, zu verlieren.

Da es sich sohin bei dem Weg neben der Friedhofsmauer, den der Kläger benützte, um einen Gehsteig der Kirchgasse handelt, ist die Erstbeklagte als Eigentümerin der angrenzenden Liegenschaft (als Liegenschaft sind sowohl bebaute als auch unbebaute Grundstücke anzusehen; MGA StVO[6], § 93 FN 2) gemäß § 93 Abs. 1 StVO verpflichtet, dafür zu sorgen, daß dieser Gehsteig in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut ist. Sie ist dieser Verpflichtung seit vielen Jahren und insbesondere auch am 22. Jänner 1978 nicht nachgekommen und hat sie auch nicht etwa gemäß § 93 Abs. 5 StVO durch ein Rechtsgeschäft übertragen. Die Erstbeklagte haftet daher dem Kläger für den diesem durch die Vernachlässigung ihrer Sorgepflicht im Sinne des § 93 Abs. 1 StVO entstandenen Schaden. Die Haftung der Erstbeklagten für die Übertretung dieser Schutznorm ist dabei nach den §§ 1295, 1311 ABGB zu beurteilen und nicht etwa, wie das Erstgericht meint, nach § 1319 a ABGB. Es trifft zwar zu, daß auch die Säuberung und Bestreuung eines Weges zur Betreuung im Sinne des § 1319a Abs. 2 ABGB gehört (EvBl. 1979/157 u. a.). Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 1319a ABGB ist aber, daß der auf Schadenersatz in Anspruch Genommene für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist. Halter eines Weges ist, wer die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt und wer die Verfügungsmacht hat, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen (EvBl. 1980/83). Zu einer ausdehnenden Auslegung der Haftungseinschränkung des § 1319a ABGB zugunsten aller nur irgendwie an der Betreuung eines Weges beteiligten Personen besteht kein Anlaß. Ein Liegenschaftseigentümer im Sinne des § 93 Abs. 1 StVO oder eine gemäß § 93 Abs. 5 StVO an die Stelle des Eigentümers tretende Person sind daher nicht als Halter eines Weges im Sinne des § 1319a Abs. 1 ABGB anzusehen (Dittrich - Veit - Schuchlenz[3], Ausgabe September 1980, Anm. 2 a zu § 93 StVO; 3 Ob 512/80). Die Haftung der Erstbeklagten ist daher nicht auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit eingeschränkt. Bei Übertretung einer Schutznorm hat der Schädiger zu beweisen, daß das Schutzgesetz unverschuldet übertreten worden ist (vgl. ZVR 1975, 111; ZVR 1980, 33). Es hätte daher die Erstbeklagte beweisen müssen, daß sie die Schutznorm des § 93 StVO (6 Ob 75/65; 6 Ob 550/80) ohne ihr Verschulden übertreten hat. Einen derartigen Beweis hat sie nicht erbracht.

Wie der Kläger nicht verkennt, fällt auch ihm selbst ein Verschulden zur Last, auf das gemäß § 1304 ABGB Bedacht zu nehmen ist.

Auf dieses Verschulden, das darin besteht, daß der Kläger, der den Weg fast täglich, zuletzt zwei Tage vor dem Unfall, benützt hatte und dem daher bekannt war, daß dieser Weg, wie auch sonst, nicht geräumt und auch nicht bestreut war, den Weg ungeachtet seines Gefälles und seiner Beschaffenheit benützte, obwohl er die Benützung (durch Wählen eines geringfügigen Umweges) leicht hätte vermeiden können, hat jedoch der Kläger - der nach den Feststellungen vorsichtig ging und knöchelhohe Gummischuhe mit Profilsohle trug - durch die Einschränkung seines Begehrens in ausreichender Weise Bedacht genommen.

Eine Haftung der Zweitbeklagten ist nicht gegeben, selbst wenn die Voraussetzungen ihrer Haltereigenschaft hinsichtlich des Weges zu bejahen wären. Durch § 93 StVO sind die Pflichten des Grundstückseigentümers in dem dort beschriebenen Umfang den Anrainern übertragen. Die Gemeinde hätte sich deshalb grundsätzlich darauf verlassen können, daß die Anrainer ihrer Verpflichtung zur Säuberung und Bestreuung der dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege nachkommen. Zwar könnte unter Umständen zusätzlich zur Haftung des Anrainers eine Haftung des Wegehalters im Sinne des § 1319a ABGB dann eintreten, wenn diesem im konkreten Fall wegen des mangelhaften Zustandes des Gehsteiges (Gehweges) der Vorwurf des Vorsatzes oder einer groben Fahrlässigkeit gemacht werden müßte. Im vorliegenden Fall hat der Kläger lediglich geltend gemacht, es sei der Zweitbeklagten bekannt gewesen, daß der Weg neben der Friedhofsmauer schon einige Tage ungestreut gewesen sei; eine derartige Behauptung reicht zum Vorwurf grober Fahrlässigkeit des Wegehalters mit Rücksicht auf die Bestimmungen des § 93 StVO nicht hin.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte