OGH 3Ob512/80

OGH3Ob512/8018.2.1981

SZ 54/21

Normen

ABGB §1319a
StVO §93 Abs1
StVO §93 Abs5
ABGB §1319a
StVO §93 Abs1
StVO §93 Abs5

 

Spruch:

Ein Liegenschaftseigentümer im Sinne des § 93 Abs. 1 StVO oder eine gemäß § 93 Abs. 5 StVO an seine Stelle tretende Person ist nicht als Halter eines Weges im Sinne des § 1319a ABGB anzusehen und haftet daher auch für leichte Fahrlässigkeit

OGH 18. Feber 1981, 3 Ob 512/80 (OLG Linz 2 R 146/79; LG Salzburg 1 Cg 531/78).

Text

Am 19. Dezember 1976, 16 Uhr, kam der Kläger auf dem vereisten Gehsteig vor dem Haus Salzburg, L-Gasse 27, zum Sturz und wurde schwer verletzt.

Er begehrte von der Erstbeklagten als Eigentümerin des Hauses L-Gasse 27 und vom Zweitbeklagten als Hausbesorger den Ersatz seiner mit 123 795.44 S bezifferten Schäden und die Feststellung der Haftung beider Beklagten für alle (künftigen) Schäden. Beide Beklagten hätten ihre Pflicht, den Gehsteig stets sauber und eisfrei zu halten, gröblichst verletzt. Da der Zweitbeklagte sich bei beruflicher Abwesenheit immer durch seine noch nicht urteilsfähige Tochter vertreten habe lassen, habe sich die Erstbeklagte eines untüchtigen Besorgunsgehilfen im Sinne des § 1315 ABGB bedient. Bei den bestehenden Witterungsverhältnissen sei mit einer Eisbildung zu rechnen gewesen. Beide Beklagten hafteten auch, weil ein Gesims des Gebäudes, von dem Wasser auf den Gehsteig tropfen konnte, über keine Dachrinne verfügt habe. Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens.gemäß § 93 Abs. 5 StVO von einer Haftung befreit, weil der nicht untüchtige Zweitbeklagte als Hausbesorger für die Bestreuung des Gehsteiges zu sorgen hatte. Der Zweitbeklagte habe seine Pflicht immer gewissenhaft erfüllt. Am Unfallstag habe er sich nicht durch seine Tochter vertreten lassen. Eine Bestreuung des Gehsteiges sei nicht erforderlich gewesen. Da § 1319a ABGB anzuwenden sei, hafteten die Beklagten nur für grobe Fahrlässigkeit, die auf keinen Fall vorliege. Den Kläger treffe ein mindestens 70%iges Mitverschulden; der Gehsteig sei nämlich nicht zur Gänze vereist gewesen, so daß der Kläger ohne weiteres ausweichen habe können.

Das Erstgericht, daß das Verfahren auf den Grund des Anspruches eingeschränkt hatte, wies das Klagebegehren hinsichtlich der beklagten Parteien mit Endurteil ab. Es ging im wesentlichen von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:

Am Morgen des 19. Dezember 1976 herrschte eine Lufttemperatur von minus 3.7 Grad C, tagsüber stieg die Lufttemperatur auf plus 1.4 Grad C, am Nachmittag kam es zu einem Temperaturrückgang auf etwa minus 4 Grad C. Bei einer derartigen Wetterlage ist es sehr wahrscheinlich, daß es auf Gehsteigen zu einer Eisbildung kommt. Tatsächlich war der Gehsteig vor dem Haus der Erstbeklagten zur Unfallszeit vereist. Der Kläger bemerkte die Vereisung nicht. Der Zeuge Tomo G hatte die Vereisung schon vor dem Betreten des Gehsteiges wahrgenommen, der Zeuge Wolfgang S bemerkte die Vereisung erst, als er über Ersuchen des Klägers auf den Gehsteig hingriff. In Salzburg waren die Verkehrsflächen an diesem Tag teilweise trocken, örtlich gab es noch Schnee- und Eisreste. Auch umliegende Gehsteige waren zur Unfallszeit nicht bestreut. Der Kläger trug Halbschuhe mit einer guten Gummisohle. Es war schon seit etwa 13 Uhr durch die Stadt spaziert. Der Zweitbeklagte war seit fast 20 Jahren für die Erstbeklagte als Hausmeister tätig und hatte auch die Bestreuung des Gehsteiges immer ordnungsgemäß ausgeübt. Wenn der Zweitbeklagte beruflich verhindert war, erledigte immer seine 15 Jahre alte Tochter anfallende Arbeiten. Am Unfallstag, einem Sonntag, war jedoch der Zweitbeklagte zu Hause. Ein Gesims am Hause der Erstbeklagten, von dem allenfalls Wasser auf den Gehsteig tropfen konnte, das dann gefror, hatte zwar keine Regenrinne, doch entsprach die Beschaffenheit des Gesimses den städtebaulichen Anforderungen im Salzburger Altstadtbereich. Es ist nicht erwiesen, daß überhaupt Wasser von diesem Gesims auf den Gehsteig tropfte.

In rechtlicher Hinsicht war das Erstgericht der Auffassung, daß die Erstbeklagte gemäß § 93 Abs. 5 StVO von der Haftung befreit sei. Die Voraussetzungen einer Haftung nach § 1315 ABGB lägen nicht vor. Der Zweitbeklagte hafte zufolge der Bestimmung des § 1319a ABGB nur fürgrobe Fahrlässigkeit, die zu verneinen sei. Die Anforderungen gemäß § 93 Abs. 1 StVO dürften in diesem Zusammenhang nicht überspannt werden. Für das nicht mit einer Regenrinne versehene Gesims hätten die Beklagten nicht einzustehen, weil es ortsüblich ausgestattet gewesen sei und auch gar nicht erwiesen sei, daß von ihm Wasser auf den Gehsteig getropft sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als das Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer zutreffenden Beweiswürdigkeit und billigte auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, insbesondere auch über die Anwendbarkeit der Haftungsbeschränkung nach § 1319a ABGB. Auch das Bestreuen des Weges gehöre zur Betreuung des Weges gemäß § 1319a Abs. 2 ABGB.

Mit dem Halter eines Weges sei nicht nur der Straßenerhalter nach § 98 StVO oder der Träger der Straßenbaulast gemeint, sondern auch jeder nur für die Betreuung des Weges Verantwortliche sei Halter im Sinne des § 1319a ABGB. Im übrigen liege nicht einmal eine leichte Fahrlässigkeit vor, weil ein nur vorbeugendes Streuen nicht gefordert werden könne.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers in Ansehung der Erstbeklagten nicht Folge. Hingegen gab er der Revision in Ansehung des Zweitbeklagten Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen in Ansehung des Zweitbeklagten auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In ihrer Rechtsrüge bekämpft die klagende Partei die Anwendung des § 1319a ABGB und beharrt auf der Ansicht, daß der Zweitbeklagte ein untüchtiger Besorgungsgehilfe der Erstbeklagten gewesen sei.

Der Revision ist beizupflichten, daß die Haftung der beklagten Partei nicht nach § 1319a ABGB zu beurteilen ist. Es trifft zwar zu, daß auch die Bestreuung eines Weges zur Betreuung desselben im Sinne des § 1319a Abs. 2 ABGB gehört (EvBl. 1979/157; RZ 1979/59; EvBl. 1979/129). Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Sondernorm des § 1319a ABGB ist aber, daß der auf Schadenersatz in Anspruch genommene für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist. Halter eines Weges ist, wer die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt und wer die Verfügungsmacht hat, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen (EvBl. 1979/129 und EvBl. 1980/83, jeweils mit Bezugnahme auf AB 1678 BlgNR, XIII. GP). Zu einer ausdehnenden Auslegung der ohnedies vielfach als problematisch empfundenen Haftungseinschränkung des § 1319a ABGB (vgl. Daghofer, ZVR 1971, 1; Posch, JBL 1977, 281; Wresounig, ZVR 1978, 302) zugunsten aller nur irgendwie an der Betreuung eines Weges beteiligten Personen besteht kein Anlaß, da die hiefür maßgeblichen Gründe (rechtsgeschichtliche Entwicklung bezüglich der Bundesstraßen, Zulässigkeit der allgemeinen Benützung eines Weges, erweiterte Gehilfenhaftung, siehe AB 1678 BlgNR XIII. GP) hier nicht zutreffen (EvBl. 1979/129). Ein Liegenschaftseigentümer im Sinne des § 93 Abs. 1 StVO oder eine gemäß § 93 Abs. 5 StVO an die Stelle des Eigentümers tretende Person sind daher nicht als Halter eines Weges im Sinne des § 1319a Abs. 1 ABGB anzusehen (vgl. Hellbling, ZVR 1976, 166, und Dittrich - Veit - Schuchlenz[3], Anm. 2 a zu § 93 StVO).

Die Haftung der Erstbeklagten wurde jedoch von den Vorinstanzen trotzdem mit Recht verneint, weil die Verpflichtung zum Bestreuen des Gehsteiges dem Zweitbeklagten entweder gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. e HBG oblag (ob er Hausbesorger im Sinne des Gesetzes war, ist der Feststellung, er sei als "Hausmeister" tätig gewesen, nicht zwingend zu entnehmen) oder ihm durch Rechtsgeschäft übertragen war (was in einer 20 jährigen Tätigkeit als Hausmeister jedenfalls zu erblicken wäre; vgl. zum konkludenten Zustandekommen einer Vereinbarung gemäß § 93 Abs. 5 StVO, EvBl. 1972/41), so daß er dem Kläger gegenüber gemäß § 93 Abs. 5 StVO anstelle der Erstbeklagten haftet.

Die Erstbeklagte wäre daher dem Kläger gegenüber nur unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB schadenersatzpflichtig. (JBl. 1955, 360; SZ 20/80; JB 50 neu). Zutreffend haben die Vorinstanzen erkannt, daß Anhaltspunkte für eine Untüchtigkeit des Zweitbeklagten nicht gegeben sind. Eine Unachtsamkeit im einzelnen Falle könnte nur bei einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung oder einem auffallenden Mangel an den für seine Tätigkeit notwendigen Kenntnissen ausnahmsweise eine habituelle Untüchtigkeit erschließen lassen (SZ 41/47; JBl. 1965, 469; SZ 37/92 u. v. a.), was hier nicht der Fall ist.

Hinsichtlich des Zweitbeklagten ist die Sache noch nicht spruchreif. Aus dem oben Gesagten (Ablehnung einer ausdehnenden Auslegung des § 1319a ABGB) ergibt sich, daß er dem Kläger gegenüber auch für leichte Fahrlässigkeit einzustehen hat. Ob eine solche gegeben ist oder nicht, kann nach den bisher getroffenen Feststellungen noch nicht mit Sicherheit beurteilt werden.

Wenn auch nach ständiger Rechtsprechung (EvBl. 1972/41; ZVR 1972/153; ZVR 1976/290 u. a.) die Haftung nach § 93 StVO nicht überspannt werden soll und daher weder ein ständiges Beaufsichtigen des Gehsteiges noch ein ständig zu wiederholendes Streuen gefordert werden kann (vgl. auch die bei Dittrich - Veit - Schuchlenz[3] Anm. 4 zu § 93 StVO, angeführten Entscheidungen), so muß doch dann, wenn auf Grund der herrschenden Witterung mit Glatteisbildung zu rechnen ist (und dies haben die Vorinstanzen unbekämpft festgestellt), vom Zweitbeklagten eine erhöhte Aufmerksamkeit gefordert werden (so ausdrücklich die vom Berufungsgericht in anderem Zusammenhang zitierte Entscheidung ZVR 1976/290; vgl. auch EvBl. 1960/102). Es fehlen aber bisher Feststellungen darüber, wann konkret die Vereisung auf dem Gehsteig vor dem Haus der Erstbeklagten eingesetzt hat und ob und allenfalls wie oft und in welchen Zeitabständen sich der Zweitbeklagte am Unfallstag davon überzeugt hat, ob inzwischen Glatteis entstanden war. Hätte er beispielsweise in zumutbaren Abständen den Zustand des Gehsteiges kontrolliert und wäre die Vereisung erst ganz kurz vor dem Unfall eingetreten, könnte dem Zweitbeklagten keine Fahrlässigkeit angelastet werden. Wenn er freilich bei einer Witterung, wie sie am 19. Dezember 1976 herrschte (plötzlicher Temperaturrückgang am Nachmittag, wobei bisher aber keine Uhrzeit festgestellt ist), den Gehsteig nur morgens und abends einer Prüfung unterzog (was in seiner Parteienaussage anklingt, ohne daß die Vorinstanzen dazu Feststellungen getroffen hätten), dann könnte nicht mehr gesagt werden, daß er seine Pflichten voll erfüllt hat.

Kommt es nach Klärung der aufgezeigten Umstände zur Bejahung einer Haftung des Zweitbeklagten, so sind neben den zu treffenden Feststellungen zur Höhe des Klagsanspruches auch ergänzende Feststellungen zum erhobenen Mitschuldeinwand nötig. Ebenso wie der Zweitbeklagte mußte nämlich auch der Kläger mit Glatteis rechnen. Je nachdem, wie die Umgebung der Unfallsstelle und diese selbst beschaffen waren und seit wann und in welchem Umfang das Glatteis an der Unfallsstelle und anderswo auftrat, wird auch den Kläger ein mehr oder weniger großes Mitverschulden treffen.

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