Spruch:
Voraussetzungen für die Annahme habitueller Untüchtigkeit eines Sprengmeisters.
Entscheidung vom 18. April 1968, 2 Ob 77/68.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck: II. Instanz Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Am 21. August 1962 kam es auf dem H. Berg bei I. in T. zu einem Unfall, bei dem Bäckermeister Josef E. getötet und mehrere Personen verletzt wurden. E. fuhr mit seinem PKW auf den H. Berg, auf dem durch die zweitbeklagte Partei Sprengungen vorgenommen wurden. Zu diesen Sprengungen war der Erstbeklagte Ludwig L. von der zweitbeklagten Partei angestellt worden, um den von ihr sonst beschäftigten Sprengmeister zu vertreten, der wegen Krankheit ausgefallen war. Bei der Sprengung wurde ein 6 1/2 kg schwerer Stein auf die von E. befahrene Straße geschleudert. Er durchschlug das Dach des PKWs. Dadurch wurde E. getötet und der Kraftwagen stürzte 30 m tief ab. Der Erstbeklagte wurde vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt.
Mit der vorliegenden Klage begehrte der Sozialversicherungsträger den Ersatz seiner Leistungen an die Hinterbliebenen des Josef E. im bisherigen Umfang von 19.570 S und die Feststellung, daß die beiden Beklagten auch zum Ersatz seiner zukünftigen Leistungen verpflichtet seien. Die klagende Partei behauptete, daß der Erstbeklagte den Unfall grob fahrlässig verschuldet habe, weil er den Streubereich nicht ausreichend festgestellt und sich vor der Sprengung nicht überzeugt habe, daß dieser Bereich frei sei. Er habe auch dem Feuerposten keine genauen Anweisungen gegeben, wo er sich aufzustellen habe, und er habe schließlich auch die Sprenggrube nicht vorschriftsmäßig abgedeckt. Infolge seines Alters und seiner Gebrechlichkeit sei er für diese Tätigkeit überhaupt nicht geeignet gewesen und hätte diese ablehnen müssen. Beim Betrieb der zweitbeklagten Partei handle es sich im Zusammenhang mit den Sprengungen um einen gefährlichen Betrieb. Der Erstbeklagte sei als eine untüchtige Person anzusehen, für die die zweitbeklagte Partei hafte. Sie hätte den Erstbeklagten wegen seiner Gebrechen überhaupt nicht anstellen dürfen, da nach § 2 (1) Sprengarbeiter V., BGBl. Nr. 77/1955, für Sprengarbeiten nur hiezu geeignete Personen herangezogen werden dürfen. Der Erstbeklagte habe keinen Sprengschein besessen und sei der Behörde auch nicht gemeldet worden.
Der Erstbeklagte hat bestritten, Klagsabweisung begehrt und eingewendet, daß er keineswegs gebrechlich sei und daher für die Sprengarbeiten geeignet gewesen sei. Er sei auch nicht als eine untüchtige Person anzusehen. Er habe den Sprengbereich gekannt und durch zwei Feuerposten gesichert, die er entsprechend angewiesen habe. Er habe bereits vorher 15 Sprengungen, davon vier in der letzten Baugrube, in Ordnung durchgeführt. Vor der Sprengung habe er auch dreimal Warnsignale gegeben.
Die zweitbeklagte Partei begehrte ebenfalls Klagsabweisung und wendete ein, daß sie keinen gefährlichen Betrieb habe, daß sie nach § 1315 ABGB. nicht hafte, weil der Erstbeklagte eine tüchtige und taugliche Person für die Sprengarbeiten gewesen sei und daß der Erstbeklagte auch hiezu befugt gewesen sei, weil er über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügt, die Prüfung als Sprengmeister abgelegt und auch einen Sprengschein besessen habe. Es sei ihm auch von der zuständigen Behörde die Eigenschaft eines Sprengbefugten zuerkannt worden. Der Erstbeklagte habe auch durch 40 Jahre Sprengarbeiten ohne Anstand besorgt. Sie hafte für die auf Grund des strafgerichtlichen Urteils festgestellte Fahrlässigkeit des Erstbeklagten nicht.
Bezüglich des Erstbeklagten ist das Verfahren unterbrochen, weil er am 13. Mai 1966 gestorben ist und damit das ihm erteilte Armenrecht und die bestellte Armenvertretung erloschen ist.
Das Erstgericht hat das Klagebegehren gegenüber der zweitbeklagten Partei abgewiesen. Es ist von dem Strafurteil ausgegangen, mit dem der Erstbeklagte wegen des Vergehens nach den §§ 335, 337 StG. schuldig erkannt worden ist, als Schußmeister und Sprengbefugter 1. den Streubereich des weggeschleuderten Steines nicht ausreichend genug festgesetzt und ihn überhaupt nicht beobachtet zu haben, 2. sich vor der Sprengung nicht überzeugt zu haben, ob der Streubereich frei sei, 3. dem Feuerposten keine genauen Anweisungen über dessen Aufstellungsort gegeben zu haben und 4. die unbedingt erforderliche Abdeckung der Sprenggrube (§ 19 BGBl. Nr. 77/1955) unterlassen zu haben. Er habe unter besonders gefährlichen Verhältnissen gehandelt.
Das Erstgericht hat weiter festgestellt, daß der damals 70jährige und bereits in Pension befindliche Erstbeklagte trotz seiner festgestellten Leiden und Gebrechen, wie Staublunge, Asthma und Rheumatismus sowie chronischem Alkoholismus, in der Lage gewesen sei, die ihm als Sprengbefugtem obliegenden Arbeiten zu verrichten. Der Erstbeklagte habe auch die fachliche Eignung für die Sprengarbeiten besessen. Er habe einen Lehrgang absolviert und eine Prüfung abgelegt und darüber auch eine Bescheinigung erhalten, die allerdings ihre Gültigkeit verliert, wenn der Erstbeklagte seine Tätigkeit länger als zwei Jahre praktisch nicht mehr ausübe. Dies sei zwar der Fall gewesen, diese Bestimmung werde aber nicht streng gehandhabt. Der Erstbeklagte habe daher alle Bedingungen des § 2 (1) der SprengarbeiterV., BGBl. Nr. 77/1955, als Sprengbefugter erfüllt. Die Unterlassung seiner Meldung gegenüber der Behörde vor den Sprengungen sei für den Unfall nicht kausal gewesen. Die zweitbeklagte Partei treffe nicht die erweiterte über § 1315 ABGB. hinausgehende Haftung nach einem gefährlichen Betrieb, weil ihr Betrieb nicht als solcher zu werten sei. Es liege auch nicht der Betrieb eines Steinbruches vor. Sie hafte auch nicht nach § 1315 ABGB., weil der Erstbeklagte nicht als eine untüchtige Person im Sinne dieser Gesetzesstelle anzusehen ist. Es habe sich nur um ein einmaliges Versehen des Erstbeklagten, nicht aber um einen habituellen Zustand bei ihm gehandelt. Die zweitbeklagte Partei hafte auch nicht nach § 1311 ABGB. und auch nicht nach § 2 RHG.
Das Berufungsgericht hat die Beweisaufnahmen über die Tauglichkeit des Erstbeklagten wiederholt, hat darüber eigene Feststellungen getroffen und sodann der Berufung der klagenden Partei Folge gegeben. Es hat das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß es dem Erstbeklagten wegen seiner verschiedenen Krankheiten und Gebrechen nicht möglich gewesen sei, ein steiles Gelände zu begehen. Der Erstbeklagte habe auch keine Möglichkeit gehabt, vom Sprengort aus sich mit dem Sicherungsposten Karl. B. zu verständigen und sich Gewißheit darüber zu verschaffen, daß der Sprengbereich frei sei. Er habe es auch bei den vorausgegangenen acht bis neuen Sprengungen unterlassen, die Sprenggrube abzudecken. Das Berufungsgericht war der Meinung, daß der Erstbeklagte in mehrfacher Weise gegen die für Sprengungen geltenden Sicherungsvorschriften verstoßen habe, wie dies bereits durch das strafgerichtliche Urteil bindend ausgesprochen sei. Es handle sich aber nicht um ein einmaliges Versehen des Erstbeklagten. Dieser habe auch bei den vorausgegangenen Sprengungen die wichtigste Sicherungsmaßnahme, nämlich die Abdeckung der Sprenggrube, unterlassen, wodurch das Wegschleudern der Steine verhindert worden wäre. Bei dieser Sachlage könne der Erstbeklagte nicht mehr als tüchtiger Besorgungsgehilfe angesehen werden. Es liege vielmehr bei ihm bereits ein habitueller Hang zur Mißachtung der bei solchen gefährlichen Arbeiten erforderlichen Sicherungsmaßnahmen vor. Auf das Wissen der zweitbeklagten Partei von dieser Untüchtigkeit komme es nicht entscheidend an. Sie hafte daher bereits nach § 1315 ABGB., weshalb auf die weiteren möglichen Haftgrunde nach § 1311 ABGB. oder nach § 2 RHG. nicht weiter einzugehen sei. Die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles und die Zurückverweisung der Sache sei erforderlich, um über die Höhe der Ansprüche der klagenden Partei und über die Berechtigung des Feststellungsbegehrens zu entscheiden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Entgegen der Ansicht der zweitbeklagten Partei ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß der Erstbeklagte als eine untüchtige Person im Sinne des § 1315 ABGB. anzusehen und daher die Haftung der zweitbeklagten Partei aus diesem Gründe anzunehmen ist. Es steht fest, daß der Erstbeklagte nicht nur bei der Sprengung, die zum Unfall geführt hat, sondern auch bei den vorausgegangenen Sprengungen unvorsichtig gehandelt hat, weil er es immer unterlassen hat, die Sprenggrube abzudecken. Es ist dies wohl eine der wichtigsten Sicherungsmaßnahmen bei einer Sprengung, weil dadurch am besten verhindert werden kann, daß das ausgesprengte Material überhaupt oder im weiten Umkreis verstreut wird. Es ist daher offensichtlich nur einem Zufall zuzuschreiben, daß nicht schon bei früheren Sprengungen ein Unfall geschehen ist. Aus dieser Handlungsweise des Erstbeklagten muß zwingend geschlossen werden, daß es sich nicht um eine einmalige Unvorsichtigkeit des Erstbeklagten gehandelt hat, sondern, daß er bei Ausführung dieser Arbeiten leichtsinnig gewesen ist und daß ihm bereits ein Hang zu solchen Unvorsichtigkeiten bei den Sprengarbeiten innewohnte. Ob dies auf den beim Erstbeklagten bereits erkennbaren Abbau der körperlichen und geistigen Kräfte zurückzuführen ist, ist für die Entscheidung nicht ausschlaggebend. Auch außergewöhnliche Verhältnisse müssen bei solchen Sprengungen vom Sprengmeister in Betracht gezogen und die hiefür erforderlichen Sicherungsmaßnahmen getroffen werden. Die zweitbeklagte Partei kann sich daher nicht mit einem Irrtum des Erstbeklagten über die Größe des Sprengbereiches entschuldigen. Es kommt nicht darauf an, was ein Sprengmeister zur Vorbereitung der Sprengung zu tun hat. Wesentlich ist, daß er die für die Sprengung notwendigen Sicherungsmaßnahmen trifft. Wenn der Erstbeklagte schon durch die mannigfaltigen Vorbereitungsarbeiten so in Anspruch genommen worden wäre, daß er sich um die Sicherungsmaßnahmen nicht mehr so hätte kümmern können, wie es notwendig gewesen wäre, dann ergibt sich auch daraus, daß der Erstbeklagte für diese Arbeiten nicht nur ungeeignet, sondern auch untüchtig gewesen wäre. Es kommt auch nicht darauf an, ob auf diesen Fall die Bestimmungen der SprengarbeiterV., BGBl. Nr. 77/1955, anzuwenden sind, weil unter anderem die Abdeckung einer Sprenggrube auch schon für einen Laien als eine erkennbar notwendige und geradezu selbstverständliche Vorsichtsmaßnahme anzusehen ist.
Die Haftung der zweitbeklagten Partei ist daher auf Grund des festgestellten Sachverhaltes auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes gemäß 1315 ABGB. zu bejahen. Auf weitere mögliche Haftgrunde ist daher nicht weiter einzugehen. Diese Beurteilung liegt auch im Rahmen der einschlägigen Rechtsprechung (ZVR. 1959 Nr. 244 u. a.).
Da es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Arbeitsunfall und daher nicht um eine Haftung der zweitbeklagten Partei nach § 334 ASVG. handelt, welcher Haftungsgrund aus der Klage entnommen werden könnte, ist die Frage zu prüfen, in welchem Umfang ein Forderungsübergang nach § 332 ASVG. auf die klagende Partei stattgefunden hat. Trotz des Anerkenntnisses der Leistungen der klagenden Partei für die Hinterbliebenen nach Josef E. der Höhe nach durch die zweitbeklagte Partei, ist daher die Aufhebung und die Rückverweisung der Sache an das Erstgericht notwendig, um den Deckungsfonds festzustellen, über den in der Klage nichts gesagt wurde.
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