Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird als nichtig aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung des Klägers an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Die Parteien betreiben Bäckereien. Der Beklagte liefert auch am Sonntag Backwaren aus. Er verwendet dafür Fahrzeuge mit Firmenaufschrift und setzt auch Dienstnehmer ein; die Ware ist in typischen Backwarenbehältnissen verstaut.
Im ersten Rechtsgang begehrte der Kläger vom Beklagten das Unterlassen der Auslieferung von Brot- und Backwaren an Kunden unter Verwendung von Fahrzeugen, die erkennbar einem Bäckereibetrieb zugeordnet werden können (sohin Fahrzeuge mit Firmenaufschrift, Firmenlogo etc) und/oder unter Verwendung von Brot- und Backwarenbehältnissen, die erkennbar einem Bäckereibetrieb zugeordnet werden können (sohin Behältnisse mit Firmenaufschriften, Firmenlogo etc), und/oder unter Einsatz von Dienstnehmern, wobei als Dienstnehmer alle Personen mit Ausnahme des Beklagten zu gelten hätten. Weiters beantragte er die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung. Er stützte sich dafür auf § 1 UWG iVm § 2 Abs 1 Z 1 lit a BZG. Weder das Bäckereiarbeiter/innengesetz 1996 (BäckAG) noch das Arbeitsruhegesetz (ARG) und die dazu ergangene Verordnung (ARG-VO) erlaubten eine Auslieferung am Sonntagmorgen. Der Beklagte wandte ein, gegen keine Rechtsvorschriften verstoßen zu haben. Im Rahmen seines Gastgewerbes sei er berechtigt, auch an Sonn- und Feiertagen Brot und Gebäck herzustellen und auszuliefern. Erst- und Berufungsgericht gaben dem Unterlassungsbegehren eingeschränkt auf Sonn- und Feiertage statt und ermächtigten den Kläger zur beantragten Veröffentlichung. Der Beklagte könne sich nicht auf Ausnahmebestimmungen des Arbeitszeitrechts berufen. Der Oberste Gerichtshof hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück (4 Ob 173/06d). Aus näher dargestellten Gründen trug er dem Erstgericht auf, Feststellungen zur überwiegenden Tätigkeit der bei der Auslieferung eingesetzten Dienstnehmer zu treffen. Fielen sie unter das BäckAG, so wäre ihre Tätigkeit an Sonn- und Feiertagen zu verbieten. Abgesehen von dieser (möglichen) Verletzung des BäckAG habe der Beklagte jedoch die Auslieferung im Rahmen seiner Gastgewerbeberechtigung in vertretbarer Weise für zulässig halten können.
Im zweiten Rechtsgang schränkte der Kläger sein Begehren im Schriftsatz ON 21 zunächst wie folgt ein:
„Die beklagte Partei ist schuldig, an Sonn- und Feiertagen das Ausliefern von Brot- und Backwaren an Kunden unter Einsatz von Dienstnehmern, die überwiegend als Bäcker im Betrieb der beklagten Partei beschäftigt sind, zu unterlassen."
Diesen Schriftsatz trug der Kläger in der Verhandlung vom 19. Februar 2007 vor. Danach erstattete er jedoch ein umfangreiches Neuvorbringen, zog die „Modifikation" des Klagebegehrens zurück und formulierte es wie folgt neu:
„Die beklagte Partei ist schuldig zu unterlassen,
a) das Ausliefern an Kunden von Brot- und Backwaren, welche während der Wochenendruhe gemäß § 9 BäckAG (im Zeitraum jeweils zwischen Samstag 13.00 Uhr bis jeweils Sonntag 20.00 Uhr) von Dienstnehmern des Beklagten gebacken werden, und zwar
- unter Einsatz von Dienstnehmern (als Dienstnehmer in diesem Sinne gelten alle Personen mit Ausnahme des Beklagten),
- und/oder unter Verwendung von Fahrzeugen, welche erkennbar einem Bäckereibetrieb zugeordnet werden können (sohin Fahrzeuge mit Firmenaufschrift, Firmenlogo, etc),
- und/oder unter Verwendung von Brot- und Backwarenbehältnissen, welche erkennbar einem Bäckereibetrieb zugeordnet werden können (sohin Behältnisse mit Firmenaufschrift, Firmenlogo, etc) an Sonntagen,
in eventu
b) das Backen von Brot- und Backwaren während der Wochenendruhe gemäß § 9 BäckAG (im Zeitraum zwischen jeweils Samstag 13.00 Uhr bis Sonntag 20.00 Uhr) durch Dienstnehmer,
in eventu
c) das Ausliefern von Brot- und Backwaren an Kunden unter Einsatz von Dienstnehmern, die überwiegend als Bäcker im Betrieb des Beklagten beschäftigt sind, während der Wochenendruhe gemäß § 9 BäckAG (jeweils zwischen Samstag 13.00 Uhr bis Sonntag 20.00 Uhr) und während der Feiertagsruhe gemäß § 14 BäckAG (nach 6.00 Uhr an Feiertagen)."
Er brachte dazu insbesondere vor, dass der Beklagte nicht nur zur Auslieferung, sondern auch zur Herstellung der Backwaren Bäckereiarbeiter eingesetzt habe. Das sei jedenfalls unzulässig. Gleiches gelte für das Ausliefern von Backwaren, die an Sonntagen entgegen den Vorschriften des BäckAG hergestellt worden seien. Der Beklagte beantragte, das in der Verhandlung erstattete Vorbringen zurückzuweisen und die Klageänderung nicht zuzulassen. In der Sache bestritt er, Bäckereiarbeiter zur Herstellung oder Auslieferung der Backwaren eingesetzt zu haben.
Das Erstgericht wies das in der Verhandlung erstattete Vorbringen nach § 179 ZPO zurück. Nach Verkündung dieses Beschlusses nahm es Beweise auf und wies das eingeschränkte Klagebegehren ab. Dabei traf es eine Negativfeststellung zur Frage, ob der Kläger an Sonntagen Bäckereiarbeiter zum Ausliefern oder Backen beschäftigt habe. Zusammen mit dem Urteil fertigt es einen Beschluss auf Nichtzulassung der Klageänderung aus.
Der Kläger focht mit seiner Berufung auch die Beschlüsse auf Zurückweisung des Vorbringens und Nichtzulassung der Klageänderung an.
Das Berufungsgericht behob den Beschluss auf Zurückweisung des Vorbringens und ließ die Klageänderung zu. In der Hauptsache verwarf es die Berufung wegen Nichtigkeit, gab dem Rechtsmittel im Übrigen nicht Folge und wies das geänderte Klagebegehren samt den Eventualbegehren ohne Durchführung einer - nicht beantragten - Berufungsverhandlung ab. Es bewertete seinen Entscheidungsgegenstand mit über 20.000 EUR und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs und die ordentliche Revision nicht zulässig seien. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen reichten auch für die Beurteilung des geänderten Klagebegehrens aus. Das erstinstanzliche Verfahren sei weder nichtig noch mangelhaft gewesen, da sich aus dem Verhandlungsprotokoll nicht ergebe, dass das Erstgericht - wie behauptet - Fragen des Klägers zurückgewiesen habe. Da das Erstgericht nicht habe feststellen können, dass der Kläger an Sonntagen Dienstnehmer zur Herstellung von Backwaren eingesetzt habe, scheiterten das Haupt- und das erste Eventualbegehren. Das zweite Eventualbegehren sei nicht begründet, da der Beklagte zum Ausliefern keine Dienstnehmer verwende, die überwiegend in der Backwarenerzeugung tätig seien.
In seiner Revision macht der Kläger Nichtigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Der Beklagte beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsverfahren am Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO leidet, sie ist aus diesem Grund im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Das Berufungsgericht hat nach Zulassung der Klageänderung sogleich mit Urteil über das geänderte Klagebegehren entschieden. Lehre und Rechtsprechung sehen diese Vorgangsweise grundsätzlich als zulässig an.
Nach Fasching (in Fasching1 III § 235 Anm 11) und Klicka (in Fasching/Konecny2 III § 235 Rz 43) kann das Berufungsgericht sogleich in der Sache über die Berufung entscheiden, wenn es aufgrund eines Rekurses eine Klageänderung zugelassen hat. Reichten jedoch die Entscheidungsgrundlagen - wie das meist der Fall sein werde - nicht aus, so sei das Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die Entscheidung über die geänderte Klage aufzutragen.
Vergleichbare Formulierungen finden sich auch in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts über das geänderte Klagebegehren lag dem allerdings, soweit ersichtlich, nur in ZBl 1926/43 zugrunde. Sonst hatte der Oberste Gerichtshof nur Fälle zu beurteilen, in denen das Berufungsgericht die angefochtene Entscheidung aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen hatte (1 Ob 146/75 = RZ 1976/55; 2 Ob 236/00w). Die Aussprüche über die Zulässigkeit einer Sachentscheidung durch das Berufungsgericht waren dort daher obiter dicta. Die von Fasching und Klicka zitierte Entscheidung GlUNF 4826 betraf überhaupt einen anderen Fall.
2. An der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Sachentscheidung über das geänderte Klagebegehren ist festzuhalten. Sie setzt allerdings voraus, dass darüber mündlich verhandelt wurde.
2.1. Es gehört zu den tragenden Grundsätzen des österreichischen Zivilprozessrechts, dass das Erstgericht über einen Urteilsantrag - von Ausnahmefällen abgesehen (§ 396 ZPO) - nur nach und aufgrund einer mündlichen Verhandlung sachlich entscheiden darf (vgl ua §§ 390 Abs 1, 412 Abs 1, 414 Abs 1 ZPO; Fasching in Fasching/Konecny2 II/1 Einl Rz 26; Fucik in Rechberger3 Vor § 171 Rz 5, Rechberger/Simotta, Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts6 [2003] Rz 274 f). Das Unterbleiben einer gesetzlich vorgesehenen Verhandlung begründet Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO. Ausdrücklich ausgesprochen wurde diese Rechtsfolge bisher unter anderem für die Verhandlung über eine Prozesseinrede (RIS-Justiz RS0115767), die - beantragte - Berufungsverhandlung (RIS-Justiz RS0042118, RS0042212, RS0041428, RS0042245, RS0042208), das außerstreitige Aufteilungsverfahren (RIS-Justiz RS0112399) und bestimmte Fallgestaltungen im Sicherungsverfahren (RIS-Justiz RS0005625, RS0005188). Um so mehr muss die Nichtigkeit bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung über das Klagebegehren selbst eintreten.
Unter Verhandeln ist dabei jedenfalls das Erstatten von Vorbringen und das Stellen von Anträgen sowie die Stellungnahme zu Vorbringen und Anträgen des Prozessgegners zu verstehen (RIS-Justiz RS0042221). Weiters müssen die Parteien Gelegenheit haben, zu Beweisergebnissen Stellung zu nehmen (RIS-Justiz RS0074920, RS0005915).
2.2. Im vorliegenden Verfahren hat das Erstgericht in der Sache nur über das (eingeschränkte) ursprüngliche Begehren verhandelt. Beide Parteien konnten und mussten daher annehmen, dass der Prozessstoff nur zu diesem Begehren gesammelt würde. Sie hatten aus diesem Grund keinen Anlass, die Zeugen (auch) im Hinblick auf das geänderte Klagebegehren näher zu befragen oder die Ergebnisse des Beweisverfahrens auch insofern zu bewerten und auf dieser Grundlage (weitere) Anträge zu stellen. Insbesondere musste (auch) der Kläger nicht damit rechnen, dass Aussagen zur Frage, ob der Beklagte am Sonntag Mitarbeiter zur Herstellung von Backwaren herangezogen habe, zu einer rechtlich erheblichen Feststellung führen würden.
2.3. Eine mündliche Verhandlung zum geänderten Klagebegehren fand somit in erster Instanz nicht statt. Will das Berufungsgericht in einem solchen Fall nach Zulassung der Klageänderung selbst in der Sache entscheiden, wird es funktional als erstinstanzliches Gericht tätig. Aus diesem Grund muss es auch ohne darauf gerichteten Antrag eine Berufungsverhandlung durchführen, um das erstinstanzliche Verfahren - zumindest - durch Erörterung des geänderten Klagebegehrens (§ 182a ZPO) zu ergänzen. Das Unterbleiben dieser Verhandlung begründet Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO.
3. Das Berufungsurteil ist daher als nichtig aufzuheben. Das Berufungsgericht wird, soweit es die Voraussetzungen des § 496 Abs 3 ZPO für gegeben erachtet, das Verfahren in einer Berufungsverhandlung selbst zu ergänzen haben. Ansonsten wird es die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen haben.
Allgemein gilt: Lässt das Berufungsgericht eine in erster Instanz nicht zugelassene Klageänderung zu, so darf es nur dann selbst in der Sache über das geänderte Klagebegehren entscheiden, wenn es eine Berufungsverhandlung durchgeführt hat; dies bei sonstiger Nichtigkeit des Berufungsurteils nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO. Da nur die Entscheidung des Berufungsgerichts, nicht aber ein vorausgegangenes Verfahren aufgehoben wurde, ist § 51 ZPO nicht anzuwenden (4 Ob 183/06z mwN).
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