OGH 9Ob13/07p

OGH9Ob13/07p22.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mehmet C*****, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagte Partei Cavit K*****, vormals *****, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen EUR 7.240 sA und Feststellung (Streitwert EUR 1.000; Gesamtstreitwert und Revisionsinteresse EUR 8.240), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. November 2006, GZ 2 R 174/06i-71, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 28. Juni 2006, GZ 9 Cg 149/04b-57, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 665,66 (darin enthalten EUR 110,94 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ließ über Antrag des Klägers nach § 508 ZPO nachträglich die ordentliche Revision auf Grund der auf 8 Ob 608/92 gestützten Ausführungen des Klägers zum Unaufklärbarkeitsrisiko zu. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Tatsächlich ist beim vorliegenden Fall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision des Klägers kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Der vorliegende Fall ist entgegen der Behauptung des Revisionswerbers nicht „völlig identisch" mit dem Fall, der vom Obersten Gerichtshof zu 8 Ob 608/92 zu beurteilen war. In beiden Fällen waren Schlägereien und ihre Folgen zu beurteilen; die Rollen der beteiligten Protagonisten sind jedoch umgekehrt verteilt. Dort klagte die Person, die die Schlägerei begonnen hatte, wegen erlittener Verletzungen; hier klagte die Person, die ursprünglich angegriffen worden war. Der Revisionswerber stützt sich vor allem auf die Aussage des Obersten Gerichtshofs in 8 Ob 608/92, dass der Schaden zwischen dem Geschädigten und dem möglichen Schädiger zu teilen sei, wenn ein Schädiger mehrere Schadensursachen gesetzt habe, aber nur für eine dieser Ursachen hafte, während die andere (wegen gerechter Notwehr des Schädigers) in die Risikosphäre des Verletzten falle, und nicht festgestellt werden könne, welches der Ereignisse für den Schaden tatsächlich kausal gewesen sei (alternative Kausalität). Hieraus ist jedoch nach der Lage des vorliegenden Falls für den Standpunkt des Klägers nichts zu gewinnen. Richtig ist, dass die Unsicherheit der Verursachung eher die möglichen Täter als der Geschädigte tragen sollen (8 Ob 608/92 ua). Das Unaufklärbarkeitsrisiko soll bei alternativer Kausalität zu Lasten derjenigen gehen, die im „Kausalitätsverdacht" stehen (RIS-Justiz RS0107245 ua). Wie aber der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 175/01v (unter Bezugnahme auf 6 Ob 36/01i) ausgeführt hat, gilt dies nur dann, wenn beide Schadensursachen mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit zur selbständigen Schadensherbeiführung geeignete Ursachen waren (RIS-Justiz RS0026663 ua). Ein derartiger Fall liegt jedoch hinsichtlich der streitgegenständlichen Verletzung des linken Zeigefingers des Klägers - im Gegensatz zu anderen Verletzungen, in denen eine Schadenersatzverpflichtung des Beklagten bejaht wurde - nicht vor. Zur Fingerverletzung stellte das Erstgericht - zum Teil in der rechtlichen Beurteilung, aber als Tatsachenfeststellung erkennbar - ausdrücklich fest, dass ihre Verursachung durch den Beklagten nicht feststellbar ist und dass es überwiegend wahrscheinlich ist, dass sich der Kläger diese Verletzung durch eigenes tätliches Handeln gegen den Beklagten selbst zugezogen hat. Dies räumt auch der Revisionswerber ein, wenn er auch darin eine Verletzung der Bindung des Zivilgerichts an den Freispruch des Klägers im Strafverfahren erblickt.

Die Auffassung des Revisionswerbers, dass es sich bei der Frage, ob Abwehrhandlungen, die vom befassten Strafgericht als gerechtfertigte Notwehr iSd § 3 StGB beurteilt worden seien, vom Zivilgericht als Notwehrüberschreitung beurteilt werden dürfen, um eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO handle, ist jedoch ebenfalls unbegründet. Hiezu ist der Revisionswerber zunächst darauf zu verweisen, dass die Bindung des Zivilgerichts nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur insoweit besteht, als davon auszugehen ist, dass der Beklagte die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich begangen hat und dass die tatsächlichen Handlungen des Beklagten für den Schadenserfolg kausal waren (1 Ob 81/00v mwN; RIS-Justiz RS0074219 ua). Eine strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten wegen der Verletzung des linken Zeigefingers des Klägers ist jedoch gerade nicht erfolgt. Was die dem Revisionswerber vorschwebende Bindung des Zivilgerichts an das Vorliegen einer Notwehr des Klägers betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der Freispruch des Klägers im Strafverfahren nach ständiger Rechtsprechung eine selbständige Beurteilung seines Verhaltens durch das Zivilgericht nicht hindert (2 Ob 264/97f; RIS-Justiz RS0031554 ua).

Nach den Verfahrensergebnissen ist dem Beklagten die Verletzung des linken Zeigefingers des Klägers nicht zurechenbar. Die Abweisung des Feststellungsbegehrens, dass der Beklagte für Spät- und Dauerfolgen aus der Verletzung des linken Zeigefingers zu haften habe, erfolgte daher durch die Vorinstanzen ohne Rechtsirrtum. Der Versuch des Revisionswerbers, in Abweichung von seinem erstinstanzlichen Vorbringen die allfälligen Folgen erlittener Zahnschäden (möglicherweise schlecht sitzende Zahnprothese) in das Feststellungsinteresse einzubeziehen, widerstreitet dem im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO). Zusammenfassend steht die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger wegen der Fingerverletzung mangels Verursachung durch den Beklagten keinen Schadenersatzanspruch hat, mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht im Widerspruch. Die Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO - ungeachtet der nachträglichen Zulassung durch das Berufungsgericht - zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung ausdrücklich und zutreffend auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen (vgl RIS-Justiz RS0035979 ua). Die Kostenbemessungsgrundlage beträgt jedoch nicht wie vom Beklagten verzeichnet EUR 10.625, sondern lediglich EUR 8.240.

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