OGH 12Os118/07f

OGH12Os118/07f18.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Juan B***** und weitere Angeklagte wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Juan B***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 14. Juni 2007, GZ 151 Hv 158/07t-183, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden

das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Umfang der Schuldsprüche I A und I C, II und III 1 und III 2, demgemäß auch in den Juan B***** und Krista M***** betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) sowie der Krista M***** betreffende Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wird der Angeklagte Juan B***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch rechtskräftige Schuld- und Freisprüche betreffend Anthony E***** enthält, wurden unter anderem Juan B***** (richtig:) der (teils beim Versuch [§ 15 StGB] gebliebenen) Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (I A) sowie (richtig:) der Vergehen nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster und zweiter Fall) SMG (III 1), Krista M***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (I B), (richtig:) der Vergehen nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: sechster Fall), Abs 2 (richtig:) Z 2 erster Fall SMG (II) und (richtig:) der Vergehen nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) erster und zweiter Fall SMG (III 2) verurteilt.

Soweit für das Rechtsmittelverfahren von Bedeutung haben Juan B***** und Krista M***** in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider

I. gewerbsmäßig Suchtgift, nämlich Kokain in großen Mengen in Verkehr gesetzt, indem

A. von Juni bis Anfang Dezember 2006 Juan B***** ca 330 g Kokain brutto mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 11 % an Krista M***** verkaufte sowie am 6. Dezember 2006 weitere 34,98 g Kokain brutto mit einem Reinhaltsgehalt von ca 11 % +/- 5,3 % in Verkehr zu setzen suchte;

C. von Juni bis Anfang Dezember 2006 Krista M***** ca 240 g Kokain brutto mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 11 % an verschiedene im Spruch namentlich angeführte Abnehmer verkaufte;

II. Krista M***** teilweise gewerbsmäßig Suchtmittel, nämlich Marihuana, anderen überlassen, und zwar

1) 2006 dem abgesondert verfolgten Reinhard Z***** 2 - 3 g durch Schenkung;

2) zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten dem Thomas H***** ca 12 g brutto;

III. von Ende Juli bis 6. Dezember 2006 wiederholt Suchtmittel zum Eigenkonsum erworben und besessen, und zwar

  1. 1) Juan B***** zumindest 1,5 g Marihuana;
  2. 2) Krista M***** zumindest 90 g Kokain und 5 g Marihuana.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10 gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Juan B*****, auf die jedoch nicht weiter Bedacht zu nehmen war, weil dem Urteil mehrere von Amts wegen (§ 290 Abs 1 StPO) wahrzunehmende und sich auch zum Nachteil der Mitangeklagten Krista M***** auswirkende Nichtigkeitsgründe nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO anhaften.

Das Erstgericht ging davon aus, dass der Angeklagte Juan B***** 330 g Kokain mit einem Reinheitsgrad von 11 % in Verkehr setzte (US 12 f) und 34,98 g Kokain mit einem Reinheitsgrad von 5,7 % in Verkehr zu setzen versuchte (US 14). Rechnet man diese Mengen zusammen, ergäbe sich mehr als die zweifache große Menge iSd § 28 Abs 6 SMG. Damit würde der Angeklagte - entgegen der Auffassung des Schöffengerichtes - nicht bloß ein Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG, sondern zwei derartige Verbrechen verantworten. Hinsichtlich der über der zweifachen großen Menge liegenden Restmengen wären hingegen die Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG verwirklicht (vgl RIS-Justiz RS0117463; Kirchbacher/Schroll RZ 2005, 142 ff).

Für eine solche (offenbar vom erkennenden Gericht intendierte) Zusammenrechnung fehlen indessen die bei einem Verkauf von Suchtmitteln in kleinen Teilmengen für die Annahme des Tatbestands nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG notwendigen Konstatierungen zu einem Vorsatz auf kontinuierliche Tatbegehung und zu einem daran geknüpften und auf das Erreichen großer Mengen gerichteten Additionseffekt (vgl Kirchbacher/Schroll, RZ 2005, 142; RIS-Justiz RS0088096 und RS0112225).

Des weiteren ging das Schöffengericht davon aus, dass sowohl B***** als auch M***** jeweils in der Absicht handelten, „sich durch den wiederholten Kokainverkauf eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen" (US 12, 13). Voraussetzung für die Annahme einer Qualifikation nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG ist aber, dass der Täter die in § 28 Abs 2 SMG genannte Tat (= das Invekehrsetzen großer Mengen) in der Absicht vornimmt, sich durch deren wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (vgl RIS-Justiz RS0109694 und RS0113686; Kirchbacher/Schroll, RZ 2005, 144 f; Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 28 Rz 56). Unerheblich ist dabei, ob die von der Absicht des Täters auf fortlaufende Einnahmegewinnung umfassten großen Suchtgiftmengen auf einmal oder bewusst kontinuierlich in Teilmengen in Verkehr gesetzt werden sollen. Es kann daher auch ein fortlaufendes - der Zielsetzung des § 70 StGB entsprechendes - Tatgeschehen, bei dem die Grenzmenge überschritten wurde, nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG qualifiziert sein, sofern der Vorsatz des Täters bei Vornahme der die Grenzmenge erreichenden Teilakte darauf gerichtet war, die Tat durch weitere Teilakte, die jeweils zur Summierung des Suchtgiftes zu großen Mengen führen sollen, zu wiederholen (vgl RIS-Justiz RS0114843). Konstatierungen zu einer Absicht, durch die Weitergabe jeweils großer Mengen eine Einnahmequelle zu erzielen, fehlen jedoch, sodass das Urteil auch insoweit mit einem Mangel an Feststellungen behaftet ist. Ein weiterer Rechtsfehler mangels Feststellungen betrifft den Schuldspruch I A. Danach hat Juan B***** am 6. Dezember 2006 versucht, 34,98 g Kokain mit einem Reinheitsgrad von 5,7 % in Verkehr zu setzen (vgl US 4, US 13 f und US 19). Diese Menge konnte anlässlich der Hausdurchsuchung in der vom Erstangeklagten benutzten Wohnung der Zweitangeklagten in einem Herrensocken sichergestellt werden, wobei diese Substanzen laut Urteilsannahmen Juan B***** gehörten, der vorhatte, diese Menge „unmittelbar" an Krista M***** oder andere interessierte Abnehmer zu verkaufen (US 13, 16 und 19). Da Juan B***** fernab der Wohnung festgenommen wurde (S 431 ff/II), in welcher dieses Suchtgift eine Stunde danach sichergestellt wurde, fehlen Konstatierungen zu einer angesichts dieser Verfahrensergebnisse gebotenen zeitlichen wie örtlichen Determinierung des geplanten Inverkehrsetzens, zumal die bloße Absicht eines in der Zukunft liegenden Verkaufs von Suchtgift nicht ausreicht, um eine Ausführungsnähe iSd § 15 Abs 1 StGB iVm § 28 Abs 2 vierter Fall SMG zu begründen (vgl RIS-Justiz RS0119078; Kirchbacher/Schroll RZ 2005, 121; Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 28 Rz 84 mwN).

Überdies wird das Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG dadurch ausgeführt, dass eine große Menge eines Suchtgiftes (§ 28 Abs 6 SMG), über welche der Täter tatsächlich verfügt, in Verkehr gesetzt wird. Geschieht das Inverkehrsetzen mehraktig, liegt eine solche Ausführungshandlung - unter der Prämisse eines fallbezogen aber nicht festgestellten Additionsvorsatzes - erst dann vor, wenn sich diese tatsächliche Verfügungsgewalt über eine insgesamt große Menge zur Gänze realisiert hat. Entscheidend für die Ausführungsnähe beim mehraktigen Inverkehrsetzen einer insgesamt großen Menge Suchtgift ist demnach jenes Geschehen, welches beim in Verkehr gesetzten Suchtgift zum Erreichen der Grenzmenge führt, gleichsam „das Fass zum Überlaufen bringt" (vgl Kirchbacher/Schroll RZ 2005, 121; RIS-Justiz RS0119084). Nach den Urteilsannahmen über den unterschiedlichen Reinheitsgrad der tatsächlich bereits weitergegebenen Suchtgiftmengen und der zu Hause aufbewahrten Kokainkugeln würde selbst bei Annahme einer unmittelbar bevorstehenden Übertragung des Gewahrsams an den 34,98 g Kokain eine weitere Grenzmenge nicht erreicht werden und damit kein Versuch eines zusätzlichen Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG vorliegen.

Im zweiten Rechtsgang wird daher nicht nur der Reinheitsgrad der inkriminierten Suchtgiftmengen als Ausgangspunkt der Annahme eines Inverkehrsetzens mehrerer großer Mengen erneut festzustellen, sondern - nur im Fall anderer Gesamtmengenkonstatierungen - auch zu prüfen sein, ob hinsichtlich dieser in der Wohnung der Zweitangeklagten sichergestellten, gleichwohl dem Erstangeklagten zugerechneten Suchtgiftmenge die in Aussicht genommene Übergabe an Krista M***** bzw eine andere konkretisierbare Person vom Ort und Zeitpunkt her so nahe lag, dass einem sofortigen Gewahrsamswechsel nichts mehr im Wege stand (vgl 14 Os 34/04; 14 Os 71/04) oder ob insoweit nicht doch bloß ein Erwerb und Besitz iSd § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG verwirklicht wurde.

In Anbetracht der Krista M***** betreffenden Schuldsprüche II - zu denen abermals keine Feststellungen betreffend einen Vorsatz auf kontinuierliche Tatbegehung und einen daran geknüpften Additionseffekt getroffen wurden - fehlen wiederum zur angenommenen „teilweisen" (offensichtlich bloß bezogen auf II 2) gewerbsmäßigen Überlassung von einmal 2 - 3 g (II 1) und einmal 12 g (II 2) Marihuana Konstatierungen iSd § 70 StGB, weil das erkennende Gericht dem § 27 Abs 2 Z 2 erster Fall SMG entsprechende (für eine Qualifikation nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG aber nicht ausreichende) Urteilsannahmen lediglich zur Faktengruppe (I C) traf (vgl US 13 iVm US 14).

Auf die überdies einer Subsumtion der zum Schuldspruch II 1 angeführten Taten unter Abs 2 Z 2 erster Fall leg cit entgegenstehende Undeutlichkeit auf der Feststellungsebene (inwiefern sich nämlich die Zweitangeklagte durch die wiederkehrende Begehung derartiger Schenkungen eine fortlaufende Einnahmequelle erschließen sollte) brauchte daher nicht weiter eingegangen zu werden. Im zweiten Rechtsgang wäre bei Konstatierung eines auch bei diesen Tathandlungen vorhandenen Additionsvorsatzes eine dann gebotene Zusammenrechnung der inkriminierten Suchtmittelquanten vorzunehmen. Bei dieser Konstellation wären die von den Schuldsprüchen I C und II erfassten Tatmodalitäten insgesamt einem oder mehreren Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG zu unterstellen. Nur im Fall des Verbleibs einer Restmenge iSd oben genannten Judikatur wäre auf ein zusätzliches Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall SMG zu rekurrieren.

Nach ständiger Rechtsprechung sind nämlich die von einer einheitlichen Tatmodalität (im vorliegenden Fall gegebenenfalls das Überlassen bzw Inverkehrsetzen nicht die große Menge erreichender Suchtgiftquantitäten mit Additionsvorsatz) betroffenen verschiedenen Suchtgifte zusammenzurechnen, weil es nach dem Gesetz nur darauf ankommt, ob die verschiedenen Suchtstoffe insgesamt eine große Menge darstellen (vgl Kirchbacher/Schroll RZ 2005, 142; Kodek/Fabrizy SMG § 28 Anm 1.2; 15 Os 83/02, EvBl 2002/232, 907; EvBl 1988/127; 13 Os 59/97; 15 Os 87/94; aA Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 28 Rz 35 f; Flora, AnwBl 2000 12 ff). Denn auch in einem solchen Fall wird das durch die Suchtgift-Grenzmengenverordnung für jede einzelne dort aufgezählte Substanz determinierte, strafbestimmend erhöhte Gefährdungspotential in Summe erreicht. Im Hinblick auf die nach dieser Judikatur gebotene prozentuelle Berücksichtigung der unterschiedlichen Reinsubstanzmengen der einzelnen Suchtgifte macht es keinen Unterschied, ob dieses im Sinne von § 28 Abs 6 SMG maßgebliche Gefährdungspotential durch eine einzige Wirkstoffmenge oder aber durch die Summe mehrerer Reinsubstanzmengen erreicht wird. Daher wäre im Fall eines im zweiten Rechtsgang feststellbaren Additionsvorsatzes im Hinblick auf die einzelnen (für sich allein genommen die große Menge im Sinne von § 28 Abs 6 SMG nicht erreichenden) Suchtgiftquantitäten jener Prozentanteil zu errechnen, mit dem diese Substanz die jeweilige Grenzmenge erreicht. Die Anteile sind sodann zu addieren (15 Os 83/02, EvBl 2002/232, 907; 11 Os 114/00; 13 Os 107/00; 11 Os 109/97; 13 Os 91/97 ua). Diese mehrfachen Mängel an Feststellungen, die sich zum Nachteil dieser beiden Angeklagten auswirken, zwingen zur Aufhebung der Schuldsprüche I A, I C und II.

Darüber hinaus waren gemäß § 289 StPO auch die Schuldsprüche III 1 und III 2 aufzuheben, weil sie im Hinblick auf die zwingende Diversionsbestimmung des § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG nur dann Bestand haben könnten, wenn im zweiten Rechtsgang neuerlich eine Verurteilung nach dem SMG erfolgen würde, die nicht nur im Erwerb und Besitz geringer Mengen Suchtmittel besteht (vgl RIS-Justiz RS00119278). Die Schuldsprüche I A und I C, II und III 1 und III 2, die Strafaussprüche betreffend Juan B***** und Krista M***** (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) sowie der hinsichtlich Krista M***** ergangene Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben und die Sache insoweit an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 285e StPO). Juan B***** war mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung auf dieses kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

Einer Entscheidung über eine das Rechtsmittelverfahren betreffende Kostenersatzpflicht des Erstangeklagten bedurfte es nicht (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).

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