OGH 2Ob147/06s

OGH2Ob147/06s28.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Henriette O*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Anderle Beets Pilz Kueß Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Anna S*****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 262.118,43 sA, Rente (Streitwert EUR 300.840,98) und Feststellung (Streitwert EUR 3.000; Gesamtstreitwert EUR 565.959,41), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse EUR 475.280,76) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. März 2006, GZ 16 R 32/06b-63, womit das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. November 2005, GZ 7 Cg 70/04x-53, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.788,81 (darin enthalten EUR 464,80 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Anspruchs auf fiktive Pflegekosten für die jederzeitige Erreichbarkeit eines Angehörigen bestehe. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Tatsächlich ist beim vorliegenden Fall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision der Klägerin kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde die damals 76-jährige Klägerin am 8. 11. 2003 vom Hund der Beklagten angesprungen, kam dabei zu Sturz und erlitt einen Bruch des linken Oberschenkelhalses und des linken Oberarms. Die Klägerin leidet seither neben der bleibenden Einschränkung der körperlichen Mobilität auch an den Folgen eines unfallbedingten schweren psychischen Schocks. Dies führte unter anderem dazu, dass die Klägerin der ständigen Erreichbarkeit von Hilfe rund um die Uhr bedarf. Die ständige Erreichbarkeit von Hilfe ist durch den von der Klägerin seit Februar 2004 eingerichteten Caritas-Notruf gewährleistet. Der damit verbundene Kostenaufwand wurde von der Beklagten außer Streit gestellt. Im Lauf des Verfahrens machte die Klägerin - über den von ihr begehrten Kostenersatz für den Caritas-Notruf hinaus - weiters geltend, dass sie zur Gewährleistung der ständigen Erreichbarkeit von Hilfe (auch noch) der Inanspruchnahme der Dienste eines (anderen) Anbieters dieser Leistung bedürfe, dessen Kosten monatlich EUR 4.880 betragen. Die Beklagte bestritt die Notwendigkeit dieses Aufwands. Die Vorinstanzen lehnten einen Zuspruch dieser zusätzlichen Kosten an die Klägerin ab.

Vor diesem Hintergrund geht es somit in dieser Frage nicht um die „Pflege" bzw „Pflegekosten" der Klägerin, sondern um einen Bereitschaftsdienst, der erreichbar sein soll, wenn die Klägerin der Hilfe bedarf. Da die ständige Erreichbarkeit von Hilfe aber laut den bindenden Feststellungen ohnehin bereits durch den von der Klägerin in Anspruch genommenen, eingeklagten und auch zuerkannten Caritas-Notruf gewährleistet ist, liegt das gegenständliche Problem nicht in der Frage der „Fiktion" des Aufwands, sondern vielmehr darin, ob es sich um eine Unfallfolge handelt, dass die Klägerin über den Caritas-Notruf hinaus auch noch der ständigen Erreichbarkeit von Hilfe durch eine zweite Einrichtung bedarf. Dies ist nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen nicht der Fall. Soweit dies die Revisionswerberin in ihren Ausführungen negiert, entfernt sie sich in unzulässiger Weise von den bindenden Feststellungen. Es bedarf hier auch keiner Klarstellung der „interfamiliären Beistandspflicht". Die erforderliche ständige Erreichbarkeit von Hilfe ist bereits durch den von der Klägerin eingerichteten Caritas-Notruf gewährleistet. Das Problem läge nur dann in der vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen „Fiktion", wenn es um die Frage ginge, ob der geltend gemachte Aufwand von monatlich EUR 4.880 nur dann ersatzfähig sei, wenn er tatsächlich aufgelaufen ist, oder auch bereits bloß fiktiv begehrt werden könne (RIS-Justiz RS0030626 ua). Diese Frage stellt sich jedoch letztlich gar nicht, weil dieser Aufwand nach der Lage des Fall, selbst wenn er von der Klägerin getätigt würde, nicht zu ersetzen ist.

Daneben macht die Revisionswerberin - über die Begründung des Zulassungsausspruchs durch das Berufungsgericht hinaus - ihrerseits noch drei weitere Fragen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision geltend. Aber auch insoweit liegt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor:

Zuerst macht die Revisionswerberin - gleichzeitig auch als Nichtigkeit wegen (angeblicher) „Urteilsfällung ohne Antrag" - geltend, dass das Berufungsgericht - entgegen dem „Gebot" (gemeint: Verbot) der reformatio in peius (§ 462 Abs 1 ZPO; Kodek in Rechberger, ZPO³ § 462 Rz 1) - nachträglich die vom Erstgericht festgestellten Pflegestundensätze reduziert habe, obwohl diese von keiner Partei angefochten worden seien. Die Revisionswerberin missversteht offenbar die Begründung des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat insoweit nicht die Feststellungen des Erstgerichts geändert, sondern diese vielmehr - bis auf zwei hier allerdings nicht weiter relevante Ausnahmen - übernommen. Lediglich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hat das Berufungsgericht, abstellend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (5 Ob 50/99k ua), abweichende Überlegungen zum notwendigen und angemessenen Pflegeaufwand der Klägerin angestellt. Hiezu führt die Revisionswerberin im Rahmen der Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision aber nichts Näheres aus. Eine Nichtigkeit infolge einer „Urteilsfällung ohne Antrag" liegt nicht vor.

Auch die Frage der Ausmittlung des Schmerzengelds begründet entgegen der Auffassung der Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Die Vorinstanzen sprachen der Klägerin ein Schmerzengeld von EUR 31.000 zu. Die Revisionswerberin fordert dem gegenüber den Zuspruch eines Schmerzengelds von EUR 90.000. Richtig ist, dass im Fall der Körperverletzung ein „den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld" gebührt (§ 1325 ABGB). Bei der Bemessung des Schmerzengelds ist der Gesamtkomplex der Schmerzempfindung unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der psychischen und physischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands, zu berücksichtigen (vgl Danzl in KBB, § 1325 Rz 26 mwN; RIS-Justiz RS0031040 ua). Dabei ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Rechtsprechung ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (9 Ob 3/06s; RIS-Justiz RS0031075 ua). Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen ausgegangen. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Bemessung des Schmerzengelds um eine Ermessensentscheidung handelt, der regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0042887 ua). Hängt aber die Entscheidung von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, dann ist deren rechtliche Würdigung vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen. Nur bei einer auffallenden Fehlbeurteilung hätte er einzugreifen (9 Ob 3/06s; RIS-Justiz RS0021095 ua). Eine solche liegt jedoch bei der gegenständlichen Bemessung des Schmerzengelds nicht vor. Eine dritte erhebliche Rechtsfrage sieht die Revisionswerberin schließlich im Bereich der Recherche, der Organisation der Spitals- und Rehabilitationsaufenthalte, der Beantragung eines Pflegekostenzuschusses und der behindertengerechten Adaptierung der Wohnung des Verletzten durch Angehörige. Im Fall der Körperverletzung sind nach § 1325 ABGB - neben dem bereits erörterten Schmerzengeld sowie dem Verdienstentgang - auch die Heilungskosten des Verletzten zu ersetzen. Die von der Revisionswerberin angesprochenen „organisatorischen" Leistungen durch Angehörige fanden im Klagebegehren ihren Niederschlag durch die Geltendmachung von monatlichen Honorarnoten in der Höhe von jeweils pauschal EUR 600, die die Tochter der Klägerin im Zeitraum März 2004 bis Juni 2005 für „erbachte organisatorische und juristische Leistungen samt Spesen" regelmäßig an ihre Mutter legte. Eine Subsumtion unter die nach § 1325 ABGB ersatzfähigen Ansprüche war insoweit schon mangels ausreichender Konkretisierung, inwieweit einzelne dieser Leistungen der Heilung, der Verbesserung des Zustands bzw dem Ausgleich von Nachteilen der Klägerin infolge des Unfallgeschehens dienten, nicht möglich. Im Übrigen würde es sich auch hier um eine von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängige Frage handeln, der keine erhebliche Bedeutung zukommt (vgl RIS-Justiz RS0102105 ua). Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist daher die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen (vgl RIS-Justiz RS0035979 ua). Die Bemessungsgrundlage beträgt gemäß der Anfechtung der Berufungsentscheidung lediglich EUR 475.280,76 (EUR 195.852,78 [Leistung] und EUR 279.427,98 [Rente; § 58 Abs 1 JN iVm § 9 Abs 1 RATG]) und nicht EUR 617.675,50 wie in der Revision „sicherheitshalber" bzw in der Revisionsbeantwortung „gemäß Berechnung durch die Revisionswerberin" geltend gemacht.

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