OGH 7Ob175/06w

OGH7Ob175/06w11.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martin K*****, vertreten durch die Sachwalterin Brigitte K*****, diese vertreten durch Dr. Gabriele Schubert, Rechtsanwältin in Baden, gegen die beklagten Parteien 1.) L*****, und 2.) Martin S*****, beide vertreten durch Hain Rigler Grünling-Schopf, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wegen EUR 53.416,73 sA, monatliche Rente von EUR 400,-- und Feststellung, über den Rekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 25. April 2006, GZ 12 R 291/05k-33, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 11. Oktober 2005, GZ 27 Cg 116/04b-25, infolge Berufung des Klägers aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Erstbeklagte ist eine Vereinigung, die sich um geistig behinderte Menschen kümmert. Sie betreibt cirka 80 Wohneinrichtungen für geistig behinderte Menschen in Niederösterreich. Die Behinderten werden mit Bescheid des Landes Niederösterreich auf Basis des NÖ Sozialhilfegesetzes (NÖ SHG) in eine Einrichtung der Erstbeklagten eingewiesen. Am 15. 9. 1997 schloss die Erstbeklagte mit dem Amt der NÖ Landesregierung eine Vereinbarung, wonach sie die Betreuung der behinderten Menschen im Wohnhaus P***** übernahm. Es wurde vereinbart, dass die Erstbeklagte für jeden dieser behinderten Menschen die Pflichten übernehme, sie intern unterzubringen, zu betreuen und zu verpflegen, erzieherisch auf sie zur Hebung der Fähigkeit zur sozialen Einordnung Einfluss zu nehmen und für die notwendige ärztliche Betreuung vorzusorgen. Weiters wurde vereinbart, dass der Erstbeklagten für jeden vom Amt der NÖ Landesregierung eingewiesenen Behinderten S 220.500,-- brutto jährlich als Pauschale für die Unterbringung im Wohnhaus zustünden. Durch diesen Betrag würden die Aufwendungen für die Leistungen und Maßnahmen der Erstbeklagten, die Aufwendungen für Verbandsstoff für Erste-Hilfe-Maßnahmen, eine allfällige private Unfallversicherung, qualitätsverbessernde Maßnahmen wie Therapien für die Betreuten, Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie Supervision für die Mitarbeiter des Rechtsträgers abgegolten. Weiters wurde vereinbart, dass die Erstbeklagte nicht berechtigt sei, von den eingewiesenen Behinderten selbst oder von deren unterhaltspflichtigen Angehörigen für die Erfüllung der im Übereinkommen übernommenen Verpflichtungen Kostenbeiträge zu verlangen.

Der Kläger ist geistig behindert; er weist einen IQ von 35 auf. Es handelt sich um das Zustandsbild eines hypoton-hyperton-astatischen Syndroms mit Entwicklungsrückstand im seelisch-geistigen Bereich, Neigung zu zerebralen Krampfanfällen und Verlangsamung der motorischen Funktionen. Seit seinem zweiten Lebensjahr wird der Kläger fachärztlich behandelt und kontrolliert. Durch gezielte Maßnahmen gelang es, ihn zum freien Gehen zu bringen. Er besuchte eine Sonderschule für Schwerstbehinderte. Danach wurde er im Rahmen einer Beschäftigungstherapie in der Einrichtung „Wohnhaus P*****" betreut. Der dortige Aufenthalt sowie der Besuch der Tagesheimstätte ab 1. 8. 1997 wurde ihm mit Bescheid des Amtes der NÖ Landesregierung vom 30. 7. 1997 bewilligt, wobei ausgesprochen wurde, dass die monatlichen Kosten der Wohnpauschale von S 18.375,-- und S 8.386,-- für die Tagesbetreuung vorerst vom Land Niederösterreich getragen würden. Der Behinderte und die unterhaltspflichtigen Angehörigen hätten dem Land zu diesen Kosten einen Beitrag zu leisten, der von der örtlichen Bezirksverwaltungsbehörde vorgeschrieben werde. Der Kläger bezieht eine Waisenpension, eine Ausgleichszulage und ein Pflegegeld. Für seinen Aufenthalt in P***** und den Besuch der Tagesheimstätte werden ca 80 % seines Einkommens einbehalten und an die örtliche Bezirksverwaltungsbehörde überwiesen.

Am 6. 12. 2002 fuhr der bei der Erstbeklagten als Behinderten-Betreuer beschäftigte Zweitbeklagte mit dem Kläger und zwei weiteren behinderten Menschen nach Wiener Neustadt in das Einkaufszentrum F*****, um dort einzukaufen. Während der Zweitbeklagte mit einem anderen Betreuten eine Krampusmaske kaufte, konnte sich der Kläger entfernen. Er verließ das Einkaufszentrum, lief in ein Auto und wurde schwer verletzt.

Mit der Behauptung, der Zweitbeklagte habe seine Aufsichtspflicht gröblich vernachlässigt, begehrt der Kläger von den Beklagten seine unfallskausalen Schäden ersetzt. Neben dem Zuspruch von EUR 53.416,73 sA (Schmerzengeld, Besuchskosten, zusätzlicher Pflegeaufwand etc) begehrt er für zusätzlich erforderliche Betreuungsleistungen eine wertgesicherte monatliche Rente von EUR 400,-- sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Folgen aus dem Unfall vom 6. 12. 2002. Die Erstbeklagte habe für das schadensstiftende Verhalten des Zweitbeklagten einzustehen. Der Zweitbeklagte hafte deliktisch. Er hätte den Kläger, der einem dreijährigen Kind gleichzuhalten und mit dem Straßenverkehr nicht vertraut gewesen sei, nicht unbeaufsichtigt lassen dürfen. Die Haftung der Erstbeklagten ergebe sich auch auf Grund des zwischen dieser und dem Land Niederösterreich geschlossenen Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter. Der Kläger sei zum Unfallszeitpunkt nicht unfallversichert gewesen.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Der Zweitbeklagte sei seit 15. 6. 2001 als Behindertenbetreuer im Wohnhaus P***** beschäftigt und zur umfassenden Betreuung bestens geeignet gewesen. Er habe den Kläger von Anbeginn an in einer Gruppe betreut. Einkaufstouren habe er manchmal mit dem Kläger allein, meistens aber gemeinsam mit einem oder zwei weiteren Behinderten durchgeführt. Der Kläger habe wie die übrigen Betreuten in der Gruppe alle Anweisungen immer strikt und uneingeschränkt befolgt. Der Zweitbeklagte habe sich daher darauf verlassen können, dass seinen Anordnungen entsprochen werde. Der Kläger sei mit dem Straßenverkehr - auch zur Nachtzeit - vertraut gewesen. Die Beaufsichtigung einer Dreier-Gruppe durch einen Behindertenbetreuer reiche aus, um Einkaufstouren und sonstige Ausflüge gefahrlos durchführen zu können. Zwischen dem Kläger, der unfallversichert sei, und der Erstbeklagten bestehe keine wie immer geartete Rechtsbeziehung, sodass auch eine Haftung gemäß § 1313a ABGB ausscheide. Die Beklagten treffe kein wie immer geartetes Verschulden; es sei vielmehr dem Kläger das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalles anzulasten. Die begehrten Ersatzansprüche seien überhöht. Hinsichtlich des Rentenbegehrens habe der Kläger seine Schadensminderungspflicht verletzt. Ein Feststellungsinteresse bestehe nicht.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Zwischen dem Kläger, dem gemäß dem NÖ SHG Ansprüche zustünden, und dem Land Niederösterreich bestehe eine öffentlich-rechtliche Sonderverbindung. Zur Erfüllung der Aufgaben habe das Land Niederösterreich mit der Erstbeklagten eine Vereinbarung geschlossen. Zwischen dem Kläger und der Erstbeklagten bestehe keine Rechtsbeziehung, insbesondere kein Betreuungsvertrag. Auch liege kein Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten des Klägers vor. Ein schutzwürdiges Interesse werde nämlich verneint, wenn der Gläubiger kraft eigener rechtlicher Sonderverbindung mit seinem Vertragspartner, der seinerseits den späteren Schädiger vertraglich als Erfüllungsgehilfen beigezogen habe, einen deckungsgleichen Anspruch auf Schadenersatz habe. Eine deliktische Haftung des Zweitbeklagten bestehe nicht. Das Haftungsprivileg des Dienstgebers sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Unfall habe sich nicht während der Arbeitszeit ereignet; es stehe nicht fest, dass der Kläger überhaupt unfallversichert sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes lassen sich wie folgt zusammenfassen: Dass der Vertrag zwischen der Erstbeklagten und dem Land Niederösterreich zumindest Schutzwirkungen zu Gunsten des Klägers begründe, sei nicht strittig. Das Erstgericht habe eine Haftung der Erstbeklagten dennoch verneint, weil es - dem betreffenden Einwand der Beklagten folgend - angenommen habe, dass dem Kläger gegenüber dem Land Niederösterreich (als seinem „Vertragspartner") ein deckungsgleicher Anspruch auf Schadenersatz zustehe. Die zwischen dem Land Niederösterreich und dem Kläger bestehende öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung schließe aber einen Anspruch aus dem Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten des Klägers nicht aus. Die Sonderbeziehung erschöpfe sich darin, dass das Land Niederösterreich gesetzlich verpflichtet sei, Leistungen aus der Sozialhilfe an den Kläger zu erbringen. Diese öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung sei mit der Beziehung zwischen Sozialversicherungsträgern und Sozialversicherten vergleichbar. Den Sozialversicherungsträger treffe nur die Pflicht, die Ermöglichung der Leistungen durch fachlich geeignete Dritte sicherzustellen, ohne aber für die fachgerechte Leistung selbst zu haften. Gleiches sei auch im Rahmen der Sozialhilfe anzunehmen. Das Land Niederösterreich erfülle seine Pflicht zur Erbringung von Sozialhilfeleistungen dadurch, dass es Vereinbarungen mit Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege oder anderen Einrichtungen schließe, die sich zur direkten Erbringung der Leistungen an die Behinderten verpflichteten. Ein vertraglicher Anspruch des Klägers gegenüber dem Land Niederösterreich bestehe nicht. Es bestehe lediglich ein gesetzlicher Anspruch, der durch den Bescheid, der dem Kläger den Aufenthalt im Wohnhaus der Erstbeklagten und den Besuch der Tagesheimstätte bewilligt habe, konkretisiert worden sei. Ansprüche gegen das Land Niederösterreich bei nicht sachgemäßer Erbringung bescheidmäßig bewilligter Leistungen durch den Leistungserbringer könnten daraus nicht abgeleitet werden. Demnach würden Ansprüche aus der Schutzwirkung des Vertrages zwischen dem Land Niederösterreich und der Erstbeklagten zu Gunsten des Klägers nicht durch Ansprüche des Klägers gegenüber dem Land Niederösterreich ausgeschlossen. Somit liege der vom Erstgericht angenommene Grund zur Abweisung der Klage nicht vor. Dass die Haftung auf Grund einer Unfallversicherung des Klägers entfallen solle, sei aus dem festgestellten Sachverhalt mangels vorliegender Unfallversicherung sowie mangels Arbeitsunfalles nicht ableitbar. Aus dem Bezug einer Waisenpension sei nur eine Krankenversicherung, nicht aber eine Unfallversicherung ableitbar. Damit seien aber weitere Feststellungen dazu erforderlich, wie es dazu kommen habe können, dass sich der Kläger anlässlich des Einkaufes im F***** vom Zweitbeklagten entfernen habe können. Ein allfälliges Verschulden des Zweitbeklagten sei der Erstbeklagten gemäß § 1313a ABGB zuzurechnen.

Auch hinsichtlich des Zweitbeklagten sei das Verfahren noch nicht spruchreif. Dieser hafte zwar nur deliktisch. Seine - allfällige - Haftung ergebe sich aus § 1309 ABGB. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren Feststellungen auch darüber zu treffen haben, ob der Kläger den Anweisungen des Zweitbeklagten in vergleichbaren Situationen bisher stets nachgekommen sei und ob der Zweitbeklagte - ex ante betrachtet - davon habe ausgehen können, dass der Kläger seinen Anweisungen auch diesmal nachkommen werde. Zu klären werde allenfalls auch sein, ob es sachgerecht gewesen sei, einen Einkauf mit drei Behinderten und (nur) einem Betreuer durchzuführen. Sollte nach den Beweisergänzungen - allenfalls auch durch Zuziehung eines Sachverständigen - der Anspruch dem Grunde nach zu bejahen sein, werde das Erstgericht auch die Beweise zur Höhe der Ansprüche aufzunehmen haben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter durch eine gesetzliche Verpflichtung zu Gunsten dieses Dritten, die durch einen Bescheid konkretisiert worden sei, ausgeschlossen würden.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der Beklagten, die unrichtige rechtlicher Beurteilung geltend machen und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Der Kläger beantragt in seiner „Revisionsrekursbeantwortung" (richtig Rekursbeantwortung), das Rechtsmittel seiner Prozessgegner entweder als unzulässig zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben. Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat erachtet die Ausführungen der Rekurswerber für nicht stichhältig, die damit bekämpfte, hier (etwas zusammengefasst) wiedergegebene Begründung des angefochtenen Beschusses hingegen für zutreffend. Gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz iVm § 528a ZPO reicht es daher aus, auf die Richtigkeit der Ausführungen des Gerichtes zweiter Instanz hinzuweisen und diese, auf die Rechtsrüge der Rekurswerber bezugnehmend, lediglich wie folgt zu ergänzen:

Alle Beteiligten gehen zutreffend davon aus, dass zwischen den Streitteilen kein vertragliches Verhältnis besteht und eine vertragliche Haftung der Erstbeklagten gegenüber dem Kläger nur auf Grund einer Schutzwirkung des zwischen dem Land Niederösterreich und der Erstbeklagten abgeschlossenen Vertrages in Betracht kommt. Nach der vom Obersten Gerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung (6 Ob 146/04w; RIS-Justiz RS0020884; RS0022814; RS0023168; RS0021681) angewendeten Lehre vom Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter wird die vertragliche Schadenersatzhaftung auf Dritte erstreckt, die der vertraglichen Hauptleistung nahestehen, weil sie ein Vertragspartner erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigt oder an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er zur Fürsorge verpflichtet ist (SZ 64/76 mwN; 6 Ob 250/01k uva; Reischauer in Rummel ABGB2 § 1295 Rz 30 ff mwN; Harrer in Schwimann, ABGB3 VI, § 1295 Rz 108 mwN). Dem Geschädigten wird das Recht zuerkannt, den eigenen Schaden aus fremdem Vertrag geltend zu machen (RIS-Justiz RS0037785). Hauptursache für die Anerkennung der Schutzwirkung von Verträgen auf dritte Nichtvertragsparteien war die Unzulänglichkeit der Deliktshaftung, insbesondere der ungenügende Schutz des § 1315 ABGB (Koziol/Welser, Bürgerliches Recht II12, 135; 6 Ob 146/04w). Die Annahme eines erweiterten Schutzbereiches wurde zunächst mit einer objektiven ergänzenden Vertragsauslegung nach einem zu unterstellenden Vertragswillen der Parteien begründet (JBl 1997, 315), im Schrifttum zuletzt aber auf den jeweiligen Schutzbereich des im Gesetz geregelten Schuldverhältnisses (Erstreckung objektiv-rechtlicher Pflichten) gestützt (Koziol/Welser aaO 137 mwN; Karner in KBB, § 1295 Rz 19 mwN; RIS-Justiz RS0020884; RS0023168; RS0037785). Ausgehend von diesen grundsätzlichen Erwägungen liegen, wie die Rekurswerber selbst einräumen, die Voraussetzungen für die Annahme, dass der Vertrag zwischen dem Land Niederösterreich und der Erstbeklagten Schutzwirkungen zu Gunsten von der Sozialhilfe bedürftigen Menschen, insbesondere also auch zu Gunsten des Klägers, entfaltet, unzweifelhaft vor.

Ein Vertrag mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter wird allerdings nach einhelliger Meinung dann nicht angenommen, wenn der Dritte gegen einen der beiden Vertragspartner Ansprüche aus einem von ihm selbst geschlossenen Vertrag hat (SZ 51/176 = EvBl 1979/101; JBl 1990, 376;

RdW 1999, 468; 6 Ob 146/04w uva; Koziol/Welser aaO 135; Karner aaO;

Harrer aaO; Reischauer aaO Rz 30, jeweils mwN). Daran anknüpfend wird von den Rekurswerbern - ebenso wie vom Erstgericht - die Meinung vertreten, auch auf Grund der zwischen dem Land Niederösterreich und dem Kläger bestehenden öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung sei eine vertragliche Haftung der Erstbeklagten zu verneinen. Dem wäre aber nur dann zuzustimmen, wenn der Kläger, dem der Aufenthalt im Wohnhaus P***** vom Land Niederösterreich bescheidmäßig - durch hoheitliches Handeln - bewilligt wurde, im Rahmen dieser öffentlich-rechtlichen Beziehung zum Land einen Anspruch auf Schadenersatz gegen dieses hätte. Dies ist aber aus den schon vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen nicht der Fall:

Die Beziehung des Klägers zum Land Niederösterreich als Sozialhilfeträger wird durch das NÖ SHG bestimmt und geregelt. Die Sozialhilfe hat jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen (§ 1 NÖ SHG), wobei diese Hilfe in der Regel durch Geld- bzw Sachleistungen und durch ambulante, teilstationäre und stationäre Dienste erfolgt (§ 3 NÖ SHG). Die Hilfe für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, zu denen der Kläger auf Grund seiner geistigen Behinderung zählt, umfasst gemäß § 26 NÖ SHG unter anderem auch Hilfe durch soziale Betreuung und Pflege, auf die gemäß Abs 2 leg cit ein Rechtsanspruch besteht und die „nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Einrichtungen zu gewähren" ist. Im § 48 NÖ SHG, der die Beziehungen des Landes zu den Leistungserbringern regelt, wird unter anderem normiert, dass das Land als Träger der Sozialhilfe „zur Erfüllung seiner Aufgaben Träger der freien Wohlfahrt und andere Träger einzuladen hat, die dazu geeignet sind und deren Mitwirkung der Erreichung des damit angestrebten Zieles dient." Abs 3 leg cit sieht vor, dass die regelmäßige Betrauung eines Trägers der freien Wohlfahrt oder einer anderen Trägerorganisation mit Aufgaben der Sozialhilfe auf Grund der Sozialplanung des Landes erfolgt und den Abschluss schriftlicher Vereinbarungen voraussetzt, die bestimmten in Abs 4 leg cit normierten Voraussetzungen zu entsprechen haben. Abschnitt 7 „Bewilligung /Aufsicht" des NÖ SHG (§§ 49 bis 53) legt fest, dass Trägerorganisationen einer Errichtungs- und Betriebsbewilligung bedürfen und regelt im Detail die Aufsicht des Landes über Sozialhilfeeinrichtungen, die nicht vom Land selbst betrieben werden. Das Land kann demnach innerhalb eines gesetzlich streng geregelten Rahmens gegen finanzielle Abgeltung andere öffentlich-rechtliche oder private Rechtsträger mit der Erbringung der Sozialhilfeleistungen betrauen (vgl Lachmayer, Rechtsverhältnisse in der Sozialverwaltung der Bundesländer. Am Beispiel besonderer Institutionalisierungen in der Behindertenhilfe, JRP 2003, 268 [272]).

Dies ist in Ansehung des Klägers geschehen; die Verpflichtung zu dessen Betreuung im Wohnhaus P***** obliegt zufolge vertraglicher Vereinbarung der Erstbeklagten. Diese und nicht das Land Niederösterreich, das selbst keine „Erfüllungsverantwortung" trifft (vgl Schober, Soziale Dienste. Staatliche Bereitstellungsverantwortung und Ansprüche pflegebedürftiger Personen, JRP 2005, 63 [65]), hat allfällige Fehler in der täglichen Betreuung des Klägers daher zu verantworten. Auf Grund der geschilderten Gesetzeslage besteht kein Anlass, aus der sich aus dem NÖ SHG ergebenden öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung für (sozial-)hilfebedürftige Menschen wie den Kläger privatrechtliche Schutzwirkungen abzuleiten. Mit dem Berufungsgericht ist daher eine Haftung des Landes Niederösterreich aus dem Titel des Schadenersatzes zu verneinen, zumal mangels eines erkennbaren Gesetzesverstoßes des Landes ein Amtshaftungsanspruch nicht in Betracht kommt. Ob dies anders wäre, wenn das Land etwa seine Aufsichtspflichten gegenüber der Erstbeklagten verletzt hätte, ist hier nicht weiter zu erörtern, weil eine solche Pflichtverletzung weder vom Kläger noch von den Beklagten behauptet wurde.

Kann der Kläger aber demnach vom Land Niederösterreich keinen Schadenersatz erlangen, ist dem - mit einem solchen Schadenersatz begründeten - Einwand dagegen, dass der Vertrag zwischen dem Land und der Erstbeklagten Schutzwirkungen zu Gunsten des Klägers entfaltet, der Boden entzogen.

Um eine vertragliche Haftung der Erstbeklagten im Wege der erwähnten Schutzwirkung abschließend prüfen und verlässlich beurteilen zu können, erachtet das Berufungsgericht allerdings den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt noch nicht für ausreichend; es seien noch Feststellungen dazu erforderlich, wie es dazu kommen habe können, dass sich der Kläger aus dem Einkaufszentrum entfernt habe. Ob eine derartige Verbreiterung der Sachverhaltsbasis notwendig ist, kann vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüft werden. Zweck des Rekurses ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz durch den Obersten Gerichtshof; ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrundeliegende Rechtsansicht richtig - was hier hinsichtlich der Voraussetzungen einer Haftung der Erstbeklagten der Fall ist -, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (Kodek in Rechberger2 Rz 5 zu § 519 ZPO mwN; RIS-Justiz RS0042179; RS0042333 [T1]; RS0043414 [T8]; RS0113643 [T2] ua).

Dasselbe gilt auch hinsichtlich des Zweitbeklagten. Wenn das Berufungsgericht zur Prüfung einer allfälligen deliktischen Haftung des Zweitbeklagten nach § 1309 ABGB eine Ergänzung der Feststellungen für notwendig hält, kann dies vom Obersten Gerichtshof ebenfalls keiner Überprüfung unterzogen werden. Schon jetzt sei aber darauf hingewiesen, dass der im erstinstanzlichen Verfahren von den Beklagten erhobene Einwand eines Allein- oder Mitverschuldens des Klägers jedenfalls keiner weiteren Erörterung bedarf; dieser Einwand müsste schon deshalb versagen, weil eine im Sinne des § 1309 ABGB wegen Verletzung der Aufsichtspflicht haftende Person sich nicht auf ein Selbst- oder Mitverschulden des zu beaufsichtigenden Beschädigten berufen kann (SZ 17/126; EvBl 1956/274; Wolff in Klang2 VI 76; Koziol, Haftpflichtrecht II2 310 ua).

Der Rekurs muss erfolglos bleiben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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