OGH 4Ob155/06g

OGH4Ob155/06g28.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Nadine A*****, geboren am ***** 1989, vertreten durch den Vater Jürgen A*****, dieser vertreten durch Dr. Ingrid Stöger und Dr. Roger Reyman, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterhalt, infolge Revisionsrekurses der Mutter Gabriele A*****, vertreten durch Dr. Christian Schubeck, Rechtsanwalt in Salzburg, als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 8. März 2006, GZ 21 R 579/05a-11, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 28. Oktober 2005, GZ 4 P 40/00x-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der Mutter wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die alleinige Obsorge für die Minderjährige steht deren Vater zu, in dessen Haushalt sie auch lebt. Die Mutter hat ein monatliches Einkommen von 678,54 EUR, das sich zusammensetzt aus einer Berufsunfähigkeitspension von 410,18 EUR netto monatlich zuzüglich anteiliger Sonderzahlungen und Unterhaltszahlungen des Vaters der Minderjährigen von 200 EUR monatlich. Es trifft sie - abgesehen von der Minderjährigen - keine weitere Sorgepflicht.

Die Minderjährige begehrt von der Mutter eine monatliche Unterhaltsleistung von 150 EUR.

Die Mutter spricht sich gegen diesen Antrag aus; sie habe monatliche Fixkosten von 388 EUR für Miete, Strom und Heizung zu tragen, dazu kämen Kosten der Lebenshaltung und Futter für einen Hund. Das Erstgericht wies den Antrag ab. Beim festgestellten Einkommen der Mutter und einer Sorgepflicht sei deren Belastbarkeitsgrenze erreicht; ihr habe das gesamte Einkommen zur Deckung der eigenen Bedürfnisse zu verbleiben.

Das Rekursgericht gab dem Antrag statt und verpflichtete die Mutter zur Zahlung eines Unterhalts von 150 EUR monatlich ab 1. 10. 2004; es sprach - auf Antrag der Mutter gem § 63 Abs 1 AußStrG - aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof die Grenze der Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen in jüngsten Entscheidungen mit 600 EUR gezogen habe. Der nach der Prozentwertmethode errechnete Unterhalt für die Minderjährige betrage 22 % des mütterlichen Einkommens, das seien rund 150 EUR. Der der Mutter danach verbleibende Betrag von rund 530 EUR reiche aus, ihren eigenen notwendigen Unterhalt zu decken.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den OGH nicht bindenden - Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ab.

Nach ständiger Rechtsprechung wird Unterhalt bestimmt und nicht berechnet (RIS-Justiz RS0047388 [T12]; RS0047419). Bei der Unterhaltsbemessung sind die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten konkret und individuell mit den Lebensverhältnissen der Eltern in Relation zu setzen (5 Ob 567/90 = EvBl 1990/134; RIS-Justiz RS0047388). Auch in Unterhaltssachen ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofes vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage abhängig (RIS-Justiz RS0007204).

Nach der Rechtsprechung darf der - vom Rekursgericht zutreffend nach der „Prozentkomponente" ermittelte - Unterhaltsbedarf den Unterhaltspflichtigen nicht über Gebühr belasten, weshalb eine Belastungsgrenze gezogen wird: Der Unterhaltspflichtige darf nicht so weit belastet werden, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre; ihm hat ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (RIS-Justiz RS008667; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht³ 27 mwN). Als Richtsatz für die Belastungsgrenze orientiert sich die Rechtsprechung am Unterhaltsexistenzminimum des § 291b EO, ohne dass dieses jedoch eine in jedem Fall gültige starre Untergrenze bildete, sondern bei Bedarf in den Grenzen des § 292b EO noch unterschritten werden darf (RIS-Justiz RS0013458[T2]; RS0047455; Schwimann/Kolmasch aaO 27f mwN). Eine genaue Berechnung der Belastungsgrenze ist nicht möglich, es ist vielmehr im Einzelfall eine nach den gegebenen Umständen für den Unterhaltsschuldner und den Unterhaltsberechtigten noch am ehesten tragbare Regelung zu treffen. Diese Grundsätze eröffnen den Gerichten somit einen Ermessensspielraum (9 Ob 507/95 = SZ 68/38; RIS-Justiz RS008667 [T2]; RS0013458 [T3]). Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Dass - wie die Zulassungsbeschwerde aufzeigt - in anderen Fällen auf Grund der dort gegebenen Umstände die Belastungsgrenze mit einem 530 EUR übersteigenden Betrag angesetzt worden ist (1 Ob 7/04t: 540 EUR; 5 Ob 48/04a und 6 Ob 52/06z: 600 EUR; 1 Ob 229/04i: 595 EUR bzw 630 EUR), zeigt noch keine grobe Fehlbeurteilung im Anlassfall auf.

Zu Unrecht macht die Rechtsmittelwerberin geltend, der angefochtene Beschluss sei qualifiziert mangelhaft iSd § 57 Z 1 AußStrG iVm § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG. Von einem Begründungsmangel im Gewicht des Nichtigkeitsgrundes des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (vgl Fucik/Kloiber, AußStrG § 57 Rz 2) kann nämlich keine Rede sein.

Soweit die Mutter - die sich am Rekursverfahren nicht beteiligt hat - in diesem Zusammenhang erstmals in dritter Instanz vorbringt, ihre Berufsunfähigkeitspension sei bis Ende Oktober 2005 befristet gewesen, der Kindesvater leiste ihr seit Jänner 2006 keinen Unterhalt, sie beziehe derzeit nur Sozialhilfe in Höhe von 414 EUR monatlich zuzüglich eines Zuschusses zu den Wohnungskosten, die Minderjährige verdiene monatlich 300 EUR netto, widerspricht dies dem im Revisionsrekursverfahren geltenden Neuerungsverbot (§ 66 Abs 2 AußStrG 2005; RIS-Justiz RS0119918). In Unterhaltsverfahren müssen besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, sowohl das grundsätzliche Neuerungsverbot des § 49 AußStrG als auch die sich aus § 16 Abs 2 AußStrG ergebenden Parteienpflichten zu unterlaufen (4 Ob 135/05i). Dass im vorliegenden Verfahren solche Umstände gegeben wären, ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Revisionsrekuswerberin entgegen § 49 Abs 2 AußStrG nicht dargetan, weshalb es sich bei der Unterlassung des Vorbringens im Verfahren erster Instanz um eine entschuldbare Fehlleistung gehandelt habe (RIS-Justiz RS0120290).

Der Revisionsrekurs ist daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG als unzulässig zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte