OGH 9Ob507/95

OGH9Ob507/9522.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier, Dr.Petrag, Dr.Bauer und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1.) Manfred Ü*****, geboren 19.März 1978, und

2.) Thomas Ü*****, geboren 5.Februar 1980, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Manfred Ü*****, Montagehelfer, ***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Steyr vom 28.November 1994, GZ 6 R 96/94-151, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kremsmünster vom 27.Oktober 1994, GZ P 92/83-148, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß nur in seinem Ausspruch über den Sonderunterhalt für den mj. Thomas dahin abgeändert, daß er zu lauten hat:

"Der Vater ist schuldig, dem mj. Thomas für kieferorthopädische Behandlung (1.Behandlungsjahr) einen Sonderunterhalt von 8.400,-- binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Text

Begründung

Der Vater ist sorgepflichtig für die minderjährigen Kinder Manfred und Thomas, die sich in Obsorge der Mutter befinden. Sie verdient monatlich netto S 17.570. Weitere Sorgepflichten bestehen für die minderjährigen Kinder Sina (nach dem Akteninhalt 3 Jahre), Bianka, geboren am 1.9.1989 und Jennifer, geboren am 18.3.1988. Thomas ist Schüler und benötigt eine kieferorthopädische Behandlung, deren Kostenaufwand für das erste Jahr abzüglich des Kostenzuschusses der Gebietskrankenkasse rund 28.100 S (Sonderunterhalt) erfordert. Der Vater hat einen monatlichen Durchschnittsnettobezug von S 21.943. Auch für die minderjährigen Kinder Bianka und Jennifer besteht ein Sonderaufwand wegen sprachlicher Entwicklungsrückstände psychomotorischer Störungen, neuromotorischer Defizite etc von S

2.520 (Diplomlogopädin), S 4.790 (Tanztherapie) bzw monatliche Kosten je Kind von S 1.200 (Diplomlogopädin) und S 1.300 (Reitschule). Der Vater hat Schulden von ca 500.000 S. Seine Lebensgefährtin ist im Haushalt tätig und bezieht Sondernotstandsunterstützung von S 6.800.

Für das Revisionsrekursverfahren von Bedeutung ist nur mehr der Antrag des minderjährigen Thomas auf Ersatz eines Sonderbedarfes für notwendige kieferorthopäische Behandlung für das erste Jahr im anteiligen Ausmaß von S 14.000.

Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil bei der sehr angespannten finanziellen Situation des Vaters und den Unterhaltspflichten für fünf minderjährige Kinder die Leistungsfähigkeit zur Gänze ausgeschöpft sei. Für die Sonderunterhaltskosten habe die Mutter alleine aufzukommen, wobei zu vermerken sei, daß auch auf Seiten der im Haushalt des Vaters lebenden zwei Kinder Sonderbedarf bestehe, der in gleicher Weise berücksichtigt werden müsse.

Das Rekursgericht gab in diesem Punkte dem Rekurs des Minderjährigen Folge und erkannte den Vater schuldig, dem minderjährigen Thomas einen Sonderunterhaltsbetrag von S 14.000 binnen 14 Tagen zu bezahlen. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Es vertrat die Rechtsansicht, daß auch bei Auftreten eines erhöhten Sonderbedarfes in einer intakten Familie es zu Extremsituationen kommen könne, wo sich die übrigen Familienmitglieder mit ihren eigenen Ansprüchen zurückzuhalten und diese einzuschränken hätten. Es sei nicht einsichtig, weshalb dies im Falle der Trennung der Eltern nicht auch so sein solle. Eine Belastung mit Sonderbedarf sei in speziell gelagerten Fällen auch über die Prozentkomponente hinaus zulässig. Ein solcher Fall liege vor, weil die kierferorthopädische Behandlung des minderjährigen Thomas notwendig sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Frage des Ausmaßes der Belastbarkeit des Einkommens des Unterhaltspflichtigen mit einer größeren Anzahl von Unterhaltspflichten bei der Geltendmachung von Sonderbedarf über den Einzelfall hinausgeht; er ist aber nur teilweise berechtigt.

Für die Unterhaltsbemessung sind die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten und die Lebensverhältnisse der Eltern maßgebend (EFSlg 70.654). Bei besonders atypischen Verhältnissen, wie zahlreichen Sorgepflichten, sind die Prozentsätze nicht immer voll ausschöpfbar. Es ist eine den tatsächlichen Verhältnissen angepaßte individuelle Berücksichtigung der Bemessungskriterien vorzunehmen (EFSlg 70.685 f). In diesem Rahmen haben die Vorinstanzen den Unterhalt des minderjährigen Thomas von S 3.150 monatlich bemessen.

Auch bei Berücksichtigung eines Sonderbedarfes hat sich die Unterhaltsbemessung im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu halten, weil dem Unterhaltspflichtigen ein zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse entsprechender Betrag zu verbleiben hat (Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 12 E 9 = SZ 63/121 = EFSlg 61.850, EFSlg 70.763). Dabei ist auch die fortlaufende Unterhaltsverpflichtung zu beachten (EFSlg 70.763).

Für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners ist es gerechtfertigt, jenen Teil des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Unterhaltsschuldners, der ihm auch im Falle der exekutiven Durchsetzung eines Unterhaltstitels verbleiben muß (§ 291 b Abs 2 EO) - zunächst von der Bemessung des Unterhaltes auszuscheiden und nur den der Pfändung unterliegenden Bezugsteil der Ermittlung der Leistungsfähigkeit in bezug auf den Unterhalt und Sonderbedarf begehrenden Unterhaltsberechtigten zugrundezulegen (Purtscheller/Salzmann aaO Rz 3 E 5 ff mwN; Rz 27 E 4 Rz 246 E 3). Bei Bestimmung der unpfändbaren Beträge ("Existenzminimum") im Sinne des § 291 b Abs 2 EO ist den laufenden Unterhaltsbedürfnissen aller anderen Unterhaltsberechtigten aber auch den Bedürfnissen des Unterhaltspflichtigen ohnehin angemessen Rechnung getragen. Erst wenn auch dieser Teil zur Deckung des laufenden Unterhaltes des im einzelnen Fall andrängenden Unterhaltsgläubigers nicht ausreicht, wäre als absolute Belastbarkeitsgrenze der Freibetrag im Sinne des § 292 b EO maßgeblich. Nach § 292 b Z 1 EO hat nämlich das Exekutionsgericht auf Antrag den für Unterhaltsforderungen geltenden Freibetrag angemessen herabzusetzen, wenn laufende gesetzliche Unterhaltsforderungen durch die Exekution zur Gänze hereingebracht werden. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, daß Unterhaltsforderungen Priorität genießen und daß zugunsten von Unterhaltsforderungen dem Unterhaltsschuldner nur jener Betrag zu verbleiben hat, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (EFSlg 70.818; 2 Ob 569/94 mwN).

Zahnregulierungskosten, die die Gesundheit des Kindes betreffen, gehören nach der Rechtsprechung zum zu deckenden Sonderbedarf (ÖA 1992, 111 f, EFSlg 61.852, 67.886).

Dabei spielt der vom Rechtsmittelwerber geltend gemachte Umstand, daß das Kind die frühere Zahnspange bisher nicht verwendet habe, deshalb keine Rolle, weil die Beseitigung der Fehlstellung der Zähne nun nicht mehr durch die nichtverwendete Zahnspange, sondern durch eine festsitzende und daher vom Kind nicht mehr manipulierbare Behandlungsmethode erfolgt (AS 492).

Die Deckungspflicht des Vaters ist grundsätzlich gegeben (2 Ob 514/94). Dabei ist aber zu beachten, daß die Unterhalts- und Sonderbedarfsansprüche mehrerer Kinder grundsätzlich gleichrangig sind (Schlemmer/Schimann in Schwimann ABGB Anm 58 zu § 140; Purtscheller/Salzmann aaO Rz 259 E 2; EFSlg 70.758).

Die Teilnahme an den Lebensverhältnissen des Unterhaltsschuldner bedeutet für den Unterhalt des minderjährigen Thomas, daß auch die Unterhaltsansprüche aller anderen Unterhaltsberechtigten und der Individualbedarf der minderjährigen Bianka und der minderjährigen Jennifer nicht zu vernachlässigen sind.

Bei Heranziehung der gemäß § 292 f, g EO erlassenen Existenzminimumverordnungen für 1993 (BGBl 1992/877) und für 1994 (BGBl 1994/40) mit den maßgeblichen Tabellen 2 a m (Grundbetrag S 7.000 bzw S 7.500) ergibt sich unter Berücksichtigung des § 291 b Abs 1 und 2 EO ein pfändbarer Betrag von rund S 7.500. Bei Abzug des laufenden Unterhaltsanspruches für den minderjährigen Thomas von S

3.150 verbleibt ein Betrag, der die Sonderbedürfnisse der minderjährigen Bianka und Jennifer von insgesamt monatlich S 5.000 zuzüglich S 530 (= 2.520 + 4.790 : 12) und des minderjährigen Thomas von monatlich rund S 1.160 (der geltend gemachte Betrag von 14.000 ist ein Teil des Jahresbehandlungsbeitrages) nicht mehr deckt.

Im Sinne der Gleichbehandlung aller die Gesundheit der Kinder betreffenden Sonderbedarfsansprüche haben sich alle Unterhaltsberechtigten den Fehlbetrag angemessen zu teilen (EFSlg 70.818). Da der Sonderbedarf durch das Moment der Individualität und Außergewöhnlichkeit bestimmt ist (EFSlg 67.839), ist diesen grundsätzlich dem in § 292 b lit 1 EO genannten laufenden Unterhalt, zu dessen Hereinbringung der Freibetrag angemessen herabgesetzt werden könnte, nicht gleichzusetzen, sodaß vor allem im Hinblick auf die konreten Umstände (der größeren Anzahl von Unterhaltsberechtigten und der angespannten Einkommenssituation des Vaters sowie der Häufung der Sonderbedürnisse) die Differenz zum unpfändbaren Betrag nach § 291 b Abs 2 EO die Belastungsgrenze für den laufenden Unterhalt des minderjährigen Thomas und für sämtliche Sonderbedürfnisse bildet.

Bei der verhältnismäßigen Kürzung des Sonderbedarfes fällt auf das Jahr bezogen ein Betrag von rund je S 1.800 monatlich auf die Sonderbedürfnisse von Bianka und Jennifer und von rund S 700 auf Thomas.

Der Vater hat demnach, ohne daß genaue Berechnungen anzustellen wären, den schon zur Gänze fälligen Sonderbedarf von rund S 8.400 für Zahnregulierungskosten des ersten Behandlungsjahres dem minderjährigen Thomas zu leisten.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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