OGH 2Ob514/94

OGH2Ob514/9417.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Thomas H*****, geboren ***** 1980, vertreten durch die Mutter Hildegard S*****, diese vertreten durch Dr.Bernhard Prochaska, Rechtsanwalt in Innsbruck, infolge Revisionsrekurses des Vaters Julius Ernst F*****, vertreten durch Dr.Peter Riedmann und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 28.Oktober 1993, GZ 1 b R 184/93-77, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 27.September 1993, GZ 5 P 295/87-74, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Minderjährige ist der 1980 außer der Ehe geborene Sohn des Rechtsmittelwerbers. Die Obsorge steht der Mutter allein zu. Der Minderjährige ist stark sprechbehindert; seine Lautäußerungen können nur von der Mutter gedeutet werden. Er ist derzeit (noch) nicht in der Lage, selbständig zu gehen. Darüber hinaus leidet er an ständigen Verstopfungen (die Darmspülungen erfordern) und trotz zeitintensiv und umständlich zu bereitender und zu verabreichender spezieller Diät an laufendem Einnässen und Einkoten. Sein herabgesetzer Immunmechanismus führt zu ständig auftretenden und sich wiederholenden, auch schwerwiegenderen Infektionskrankheiten. Dieser Leidenszustand verlangt abgesehen von der laufenden zeitaufwendigen und (zu Hause) von der Mutter sowie (tagsüber) in einem Förderzentrum für körper- und mehrfach behinderte Menschen bewirkten Betreuung von der Mutter zu arrangierende und zu begleitende laufende Arztkonsultationen an einer orthopädischen Universitätsklinik und bei einem Internisten.

Für den Minderjährigen wird erhöhte Familienbeihilfe ausbezahlt. Er erhält Pflegegeld, zuletzt (seit 1.Juli 1993) monatlich S 15.349 nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG; BGBl 1993/110).

Der Rechtsmittelwerber hat ein monatliches Durchschnittseinkommen von S 17.823,11 (inklusive Weggelder von durchschnittlich S 306,51); es bestehen keine weiteren Sorgepflichten.

Aufgrund eines am 15.September 1992 beim Erstgericht eingelangten, mit besonderen Sachaufwendungen für den behinderten Minderjährigen begründeten (AS 239) Erhöhungsantrages erhöhte das Erstgericht die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Rechtsmittelwerbers beginnend mit 17.September 1992 auf S 3.500 und wies das Mehrbegehren von S 1.000 ab. Eine Überschreitung des Prozentsatzbetrages (20 %) sei nicht indiziert, weil der Minderjährige zureichende Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand in Form von Familien- und Pflegebeihilfe erhalte.

Dem vom Minderjährigen wegen der Abweisung des Unterhaltsmehrbegehrens erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht Folge. Es erhöhte den Unterhaltsbetrag auf S 4.500, ließ den Revisionsrekurs nicht zu und führte - soweit es für das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof noch wesentlich ist - folgendes aus:

Die vom Vater des Minderjährigen bezogenen Weggelder seien zur Gänze und nicht bloß zur Hälfte in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Durch die Pflegegeldleistungen solle nur der ausschließlich pflegebedingte Mehraufwand des Pflegebedürftigen abgegolten werden; sie seien bei der Unterhaltsbemessung nicht als Eigeneinkommen anrechenbar. Das (Bundes-)Pflegegeld müsse als zweckgebundener Bezug des Minderjährigen zur Abgeltung des in reichem Maße anfallenden Betreuungsmehraufwandes angesehen werden. Abgesehen davon entstehe durch den Gesundheitszustand des Minderjährigen auch laufend erhöhter, nicht durch den Sozialversicherungsträger gedeckter Geldaufwand für orthopädische Einlagen und Schuhe, Betteinlagen, Matratzen, Bettwäsche, Kleidung, spezielle diätetische Lebensmittel und Mehrbedarf an Wasser und Strom von monatlich S 5.600. Dieser nicht pflege- (betreuungs)orientierte, sondern sachorientierte (sachbezogene) Mehraufwand werde durch die Pflegegeldleistungen aber nicht abgedeckt; es bestehe keine sachliche Kongruenz zwischen diesen Sozialhilfeleistungen (§ 1 BPGG) und den Unterhaltsansprüchen des mj. Leistungsempfängers, sodaß die zu vermeidende Doppelversorgung durch den Sozialhilfeträger und den zivilrechtlichen Unterhaltsschuldner hier nicht zu befürchten stehe. Selbst wenn man also den ermittelten Sonderbedarf des Minderjährigen aufgrund zusätzlichen, außergewöhnlichen, krankheitsbedingten Sachaufwandes in Höhe von monatlich S 5.600 im konkreten Fall anders als bei üblichen Fällen des existenznotwendigen Sonderbedarfs hier deshalb ausnahmsweise zwischen den beiden Eltern nach Köpfen teile, weil der Minderjährige in Form des Pflegegeldes ausreichende Mittel der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt erhalte, um die Pflegeleistungen der Mutter, zu denen sie sonst aufgrund ihrer Naturalunterhaltsverpflichtung verhalten wäre, zu entgelten (wobei es keine Rolle spielen dürfe, ob eine solche Entlohnung tatsächlich stattfinde), verbleibe ein vom Vater in Geld zu deckender Mehrbedarf von S 2.800. Obwohl grundsätzlich auch für existenznotwendigen Sonderbedarf der Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nicht überschritten werden dürfe, solle dem Unterhaltspflichtigen dadurch nur ein zur Deckung seiner Existenzgrundlage ausreichender Einkommensteil auch bei der Ausmessung von Sonderunterhaltsbedarf unangetastet verbleiben. Die Belastungsgrenze eines Unterhaltspflichtigen liege aber erst bei jener Einkommenshöhe, die selbst im Fall der exekutiven Durchsetzung eines Unterhaltstitels im Wege der Lohnexekution unpfändbar verbleiben müsse (früher § 6 LPfG; jetzt §§ 291 a, 291 b EO). Diese klare Untergrenze, die dem Vater jedenfalls ungeschmälert als Einkommen zu erhalten sei, betrage hier nun, ausgehend von einem Nettoeinkommen von S 17.823,11 ab 1.Oktober 1992, zwischen - bei allgemeinen Exekutionstiteln (§ 291 a EO) - S 11.740 und - bei Exekution zugunsten eines Unterhaltstitels (§ 291 b EO) - S 8.805. Unter Berücksichtigung dieser (absoluten) Existenzminima erscheine daher die Festsetzung eines monatlichen Unterhaltsbetrages für den Minderjährigen auch unter Berücksichtigung des durch die Bundespflegegeldleistungen nicht abgedeckten erhöhten Sachaufwandes von monatlich S 5.600 mit einem den Prozentsatzbetrag von S 3.564,62 weit übersteigenden Betrag von monatlich S 4.500 gerade noch als angemessen.

Die Nichtzulassung des Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht damit, daß es sich - wie durch mehrere Zitate belegt - auf eine einheitliche Rechtsprechung des Höchstgerichtes und anderer zweitinstanzlicher, in Unterhaltsfragen befaßter Gerichte (Art XLI Z 9 WGN 1989) habe stützen können.

Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters des Minderjährigen mit dem Antrag, die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, weil Rechtsprechung zur Geltendmachung von krankheitsbedingtem sachbezogenen Sonderbedarf bei Bezug von (Bundes-)Pflegegeld fehlt und die Rechtsprechung zweitinstanzlicher Gerichte zur Einbeziehung von Weggeldern in die Unterhaltsbemessungsgrundlage uneinheitlich ist. Er ist aber nicht berechtigt.

Die im Revisionsrekurs geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 16 Abs 3 AußStrG).

Der Rechtsmittelwerber behauptet, das Erstgericht habe die Mehrkosten für notwendige separate Kost, Wasser, Strom, Anschaffung von neuen Matratzen, Bettwäsche und Kleidung nicht festgestellt, sondern lediglich unbewiesene Behauptungen der Kindesmutter wiedergegeben. Die vom Erstgericht gebrauchte Wendung, der konkrete Mehraufwand für das Kind sei von der Mutter "wie folgt behauptet bzw nachgewiesen" worden, ist im Zusammenhalt mit seiner rechtlichen Beurteilung aber im Sinne von Tatsachenfeststellungen zu verstehen.

Eines gesonderten Ausweises des Sonderbedarfsunterhaltes im Spruch der angefochtenen Entscheidung bedurfte es schon deshalb nicht, weil es sich im vorliegenden Fall um einen dauernden, durch Behinderung laufend anfallenden (durchschnittlichen) Sonderbedarf handelt; im übrigen kann die betragliche Abgrenzung zwischen Normal- und Sonderbedarfsunterhalt der Begründung der Rekursentscheidung entnommen werden.

Soweit der Rechtsmittelwerber die Höhe der Mehraufwendungen bezweifelt und Einsparungen aufgrund der Behinderung des Minderjährigen behauptet, ist er darauf hinzuweisen, daß der Oberste Gerichtshof auch im außerstreitigen Verfahren keine Tatsacheninstanz ist (EFSlg 67.458 ua); Neuerungen sind unzulässig (EFSlg 67.459 ua). Hieran vermag auch die vom Rechtsmittelwerber beklagte Einseitigkeit des Rekursverfahrens nichts zu ändern.

Zutreffend weist der Rechtsmittelwerber darauf hin, daß zweitinstanzliche Gerichte Weggelder in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen (EFSlg 65.365), aber auch schon ausgeschieden haben (EFSlg 65.366). In EFSlg 59.102 (vgl auch EFSlg 47.931) wurde die Meinung vertreten, daß Weggelder zur Hälfte einzubeziehen seien. Für Wegzeitvergütungen wurde ausgesprochen, daß sie einzubeziehen (EFSlg 42.930, 47.932, 53.509, 65.367) bzw zur Hälfte einzubeziehen seien (EFSlg 62.211).

Auszugehen ist von der allgemeinen Regel, daß Zulagen, die nicht der Abgeltung von effektiven Auslagen dienen, zum Nettoeinkommen gehören (Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 230; EFSlg 65.370, 65.371). Im vorliegenden Fall handelt es sich um Weggelder, die keine Fahrtkostenvergütung beinhalten (AS 381 f), somit um die Abgeltung von Fahrzeit und nicht um den Ersatz von tatsächlichen Aufwendungen (vgl auch AS 83 a). Solche Wegzeitvergütungen sind daher zur Gänze in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, wie es das Rekursgericht auch getan hat.

Weiters verweist der Rechtsmittelwerber auf die dem Minderjährigen von der öffentlichen Hand gewährten Unterstützungen, die (zuzüglich des zugesprochenen Unterhalts) das ihm verbleibende Einkommen übersteigen würden, und behauptet, das (Bundes-)Pflegegesetz decke nicht nur Dienstleistungen zur Pflege, sondern selbstverständlich auch jeden Aufwand, der zur Erbringung dieser Leistung durch entsprechende Hilfsmittel notwendig sei. Dem ist folgendes entgegenzuhalten:

Als anrechenbare "eigene Einkünfte" im Sinne des § 140 Abs 3 ABGB ist grundsätzlich alles anzusehen, was dem Kind, sei es als Naturalleistungen oder an Geldleistungen, welcher Art immer, aufgrund eines Anspruchs zukommt. Dieser Grundsatz erleidet nur insoweit eine Ausnahme, als bestimmte Einkünfte aufgrund gesetzlicher Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind (EFSlg 62.653 ua), wie dies § 12 a FLAG für die Familienbeihilfe vorsieht. Allerdings bleiben dabei jene Teile der Einkünfte, die dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwandes dienen, jedenfalls außer Betracht (EFSlg 64.917, 6 Ob 635/93). So wurde zum Hilfslosenzuschuß gemäß § 105 a Abs 1 ASVG (welche Bestimmung mit der Einführung eines Bundespflegegeldes aufgehoben wurde; BGBl 1993/110 2.Teil Art I Z 12) judiziert, daß dieser bei der Unterhaltsbemessung keine Rolle spiele, weil er den an Wartung und Hilfe notwendigen Sonderbedarf abdecken solle (RZ 1992/25 = EFSlg 66.471 mwN).

Gemäß § 1 BPGG hat das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Den Gesetzesmaterialien (RV 776 BlgNR 18. GP, 25) ist zu entnehmen, daß das Pflegegeld dazu dienen soll, Pflegeleistungen "einkaufen" zu können. Für pflegebedürftige Menschen wird dadurch die Wahlmöglichkeit zwischen Betreuung und Hilfe in häuslicher Pflege durch den Einkauf von persönlicher Assistenz und der stationären Pflege erweitert. Das Pflegegeld soll es den Betroffenen ermöglichen, sich die erforderlichen Pflegemaßnahmen selbst zu organisieren. Das Pflegegeld könne nur als Beitrag zu den pflegebedingten Mehraufwendungen verstanden werden.

Soll eine öffentlich-rechtliche Leistung ausschließlich einen bestimmten Sonderbedarf des Unterhaltsberechtigten abdecken, so kann dieser Sonderbedarf dann allerdings von ihm in diesem Umfang gegen den Unterhaltspflichtigen nicht mehr als erhöhter Unterhaltsanspruch geltend gemacht werden (6 Ob 635/93). Das Rekursgericht hat aber richtig erkannt, daß der Minderjährige im vorliegenden Fall keine pflegebedingten Mehraufwendungen geltend macht; für die Finanzierung des "Einkaufs" von Pflegeleistungen - dritter Pflegepersonen und/oder der eigenen Mutter (vgl RZ 1992/25) - steht das Pflegegeld zur Verfügung. Beantragt wurde aber nicht die Berücksichtigung von krankheitsbedingtem Personalaufwand, sondern von krankheitsbedingtem Sachaufwand. Ein solcher Sonderbedarf wird durch das Pflegegeld nicht abgedeckt, weshalb dem Begehren des Minderjährigen der Einwand der Doppelversorgung nicht entgegensteht.

Ob ein zum laufenden Unterhaltsbedarf eines Kindes im Einzelfall hinzutretender Sonderbedarf bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen ist, hängt davon ab, wodurch der Sonderbedarf verursacht wurde. Betrifft der Sonderbedarf die Gesundheit des Kindes, ist er als deckungspflichtig anzuerkennen (EFSlg 61.849). Auch dann hat sich der Unterhalt im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu halten (SZ 63/121 = EFSlg 61.850). Wenn das Rekursgericht unter den festgestellten Umständen dem gesundheitsbedingten Sonderbedarf des Minderjährigen über die Prozentsatzkomponente hinausgehend durch Bemessung des vom Rechtsmittelwerber an seinen behinderten Sohn monatlich zu leistenden Unterhalts mit insgesamt S 4.500 Rechnung getragen hat, so begegnet dies keinen Bedenken. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der dem Rechtsmittelwerber verbleibende Betrag zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse nicht ausreichen würde.

Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

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