OGH 5Ob567/90

OGH5Ob567/9010.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Andreas B***, geboren am 27. Oktober 1972, Au an der Donau, Sebern 36, vertreten durch den Vater Siegfried B***, Kraftfahrer, ebendort, infolge Revisionsrekurses des Vaters gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 19. Februar 1990, GZ 18 R 751/89-36, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Perg vom 6. Oktober 1989, GZ. P 54/85-33, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der am 27.10.1972 geborene Andreas B*** entstammt der Ehe des Siegfried B*** mit Monika B***. Die Ehe wurde rechtskräftig geschieden, der Minderjährige befindet sich in der Obsorge des Vaters. Die Mutter wurde zu einer Unterhaltsleistung für den Minderjährigen verpflichtet, und zwar zuletzt auf Grund eines Beschlusses des Bezirksgerichtes Perg vom 4.8.1989 in der Höhe von monatlich 1.500 S.

Seit 22.8.1989 befindet sich der Minderjährige im 2. Lehrjahr seiner Ausbildung zum Maschinenschlosser. Er bezieht seither eine monatliche Lehrlingsentschädigung von rund 4.580 S einschließlich Sonderzahlung. Die Ausbildungskosten für den Besuch der internatsmäßig geführten Berufsschule betragen 6.000 S. Die Mutter bezieht ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von rund

13.600 S, der Vater ein solches von rund 12.000 S. Die Mutter hat keine weiteren Sorgepflichten.

Im Hinblick auf die vom Minderjährigen bezogene Lehrlingsentschädigung begehrt die Mutter die Herabsetzung des ihr auferlegten monatlichen Unterhalts auf höchstens 200 S, während der Vater sich lediglich mit einer Herabsetzung auf 1.000 S monatlich einverstanden erklärt hat.

Das Erstgericht hat den von der Mutter zu bezahlenden Unterhalt ab 1.9.1989 mit 1.000 S festgesetzt, während das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß diesen Betrag auf 600 S monatlich reduzierte. Es hat hiebei ausgeführt, bei der Bemessung des Unterhaltes Minderjähriger sei ein fixer Regelbedarf oder Prozentsatz des Einkommens des Unterhaltspflichtigen abzulehnen. Vielmehr müsse auf den jeweiligen Einzelfall abgestellt werden. Von einer Lehrlingsentschädigung des Unterhaltsberechtigten seien die Ausbildungskosten abzuziehen. Der verbleibende Restbetrag müsse für die Deckung der Bedürfnisse des Minderjährigen herangezogen werden. Im allgemeinen könne man davon ausgehen, daß mit einem monatlichen Betrag von ca. 4.700 S die Selbsterhaltungsfähigkeit erreicht sei. Ziehe man von der Lehrlingsentschädigung des Minderjährigen die Ausbildungskosten ab, so erreiche man den für die Selbsterhaltungsfähigkeit erforderlichen Betrag bereits unter Hinzurechnung eines Unterhaltes von 600 S.

Das Rekursgericht hat unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung und die Rechtsprechung eines Senates des Landesgerichtes für ZRS Wien den Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend verweist der Vater in seinem Revisionsrekurs auf die bezüglich Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung bei der Unterhaltsfestsetzung divergierende Rechtsprechung der Rekursgerichte. Ähnlich wie das Rekursgericht vertreten verschiedene Gerichte die Rechtsansicht, für die Beurteilung der Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung seien grundsätzlich die Umstände des Einzelfalles maßgebend (EFSlg 56.565, 56.567 ua.). In anderen Entscheidungen der letzten Zeit wird ausgesprochen, daß der Durchschnittsbedarf des Lehrlings grundsätzlich anders zu beurteilen sei als bei anderen Kindern (EFSlg 56.563, 56.564, 53.820 ua.). In weiteren Entscheidungen wird die Lehrlingsentschädigung grundsätzlich als Eigeneinkommen des Minderjährigen behandelt, soweit sie nicht der Deckung der Berufsausbildungskosten dient (EFSlg 56.571, 56.572 ua.). Schließlich wird, was die Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung anlangt, in einzelnen Entscheidungen auch eine Beziehung zu ASVG-Mindestpensionen hergestellt (EFSlg 56.569 ua.). Da im Revisionsrekurs auf diese Differenzen hingewiesen worden ist, liegen gemäß Art. XLI Z 9 i.V.m. Art. II Z 1 (§ 14 AußStrG) der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Revisionsrekurses vor. Die Frage der grundsätzlichen Behandlung der Lehrlingsentschädigung bei der Unterhaltsbemessung ist auch für den konkreten Fall von Bedeutung.

Darüber hinaus wird im Revisionsrekurs die Rechtsansicht vertreten, bei der Unterhaltsbemessung und insbesondere bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit sei grundsätzlich auf Umstände abzustellen, denen eine eigene Haushaltsführung zugrundeliegt. Auch hier handelt es sich um eine grundsätzliche Rechtsfrage, deren Lösung über den konkreten Fall hinaus von Bedeutung ist.

Der Oberste Gerichtshof erachtet daher den Revisionsrekurs für

zulässig.

Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.

Nach § 140 Abs 3 ABGB mindert sich der Anspruch auf Unterhalt insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Ob durch ein eigenes Einkommen des Kindes, wie dies der Gesetzeswortlaut nahelegen würde, der Unterhaltsanspruch oder ob dadurch der konkrete Bedarf (Pichler in Rummel, Rz 11 zu § 140 ABGB) vermindert wird, ist eine rein theoretische Frage, die hier nicht gelöst werden muß, weil man bei der Frage der Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung mit beiden Argumentationen zu demselben Ergebnis kommt.

Als "eigene Einkünfte" ist grundsätzlich alles anzusehen, was dem Kind, sei es als Naturalleistungen oder an Geldleistungen, welcher Art immer, auf Grund eines Anspruches zukommt. Dieser Grundsatz erleidet nur insoweit eine Ausnahme, als bestimmte Einkünfte auf Grund gesetzlicher Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind (Schwind, Familienrecht, 159). Da ein solches gesetzliches Verbot der Anrechnung auf den Unterhalt bezüglich der Lehrlingsentschädigung nicht besteht, fällt also auch diese Entschädigung unter jene Einkünfte, die nach § 140 Abs 3 ABGB zu berücksichtigen sind. Die Lehrlingsentschädigung ist also, soferne sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht bleibt, Eigeneinkommen des Kindes (Pichler in Rummel, Rz 11 a zu § 140 ABGB). Da die Ausbildungskosten und damit auch die Kosten einer der Ausbildung dienenden Internatsunterbringung der Deckung jener Bedürfnisse dienen, die nach § 672 ABGB durch den Unterhalt gesichert werden sollen, hat das Rekursgericht mit Recht diese Kosten von der Lehrlingsentschädigung in Abzug gebracht und diese Entschädigung nur mehr mit dem Differenzbetrag der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegt. Daß ein anderer berufsbedingter Mehraufwand oder ein spezieller Aufwand für Bedürfnisse, die durch den Unterhalt gesichert werden sollen, im konkreten Fall erforderlich wäre, ergibt sich aus der Aktenlage nicht. Wie bereits oben dargelegt wurde, hat die Judikatur der Rekurssenate zum Teil bezüglich der Lehrlingsentschädigung die Rechtsansicht vertreten, daß diese bei der Unterhaltsbemessung nicht zur Gänze berücksichtigt werden dürfe, vielmehr dem Lehrling ein gewisser Prozentsatz von dieser Entschädigung verbleiben müsse. Hiebei wurde unter anderem auch ausgeführt, daß der Durchschnittsbedarf des Lehrlings anders zu beurteilen sei als bei anderen Kindern. In einer theoretischen Abhandlung wurde diese Rechtsansicht von Knoll ("immer wieder: Lehrlingsentschädigung in der Unterhaltsrechtsprechung" ÖA 1988, 35 ff.) vertreten. Sie wird damit gerechtfertigt, daß es sich bei der Lehrlingsentschädigung um das erste selbst verdiente Geld eines weitgehend noch kindlich geprägten Menschen handelt (Knoll aaO, 36 f.). Sowohl aus pädagogischen als auch aus sozialpolitischen Gründen sei darauf Bedacht zu nehmen, daß sich die Lebensverhältnisse des ins Berufsleben eintretenden Lehrlings in ihrer Gesamtheit verändern, daß die Berufstätigkeit Mehrauslagen erfordere und daß der Jugendliche nunmehr auch gewisse höhere Ansprüche an eine seinem gehobenen Sozialprestige entsprechende Lebensführung stellen dürfe. Dem Lehrling solle ein Teil seiner Entschädigung auch als Anreiz für seine weitere Berufstätigkeit verbleiben.

Die oben angestellten Erwägungen sind sicher nicht von der Hand zu weisen, treffen jedoch, worauf insbesondere Pichler (aaO) zutreffend hinweist, nicht nur auf Lehrlinge, sondern auf sämtliche Einkommensbezieher im jugendlichen Alter zu. Das Gesetz macht grundsätzlich keinen Unterschied zwischen einzelnen Berufs- oder Altersgruppen. Allenfalls könnte den aufgezeigten Erwägungen dadurch Rechnung getragen werden, daß man unter Berücksichtigung des altersbedingt noch stark ausgeprägten Spieltriebes Jugendlicher gewisse Unterhaltungsbedürfnisse zu den "sonstigen Bedürfnissen" im Sinne des § 672 ABGB rechnet. Es wäre auch denkbar, daß aus psychologischer Sicht Jugendliche einer bestimmten Altersgruppe überfordert wären, würde man von ihnen die Verwendung ihres gesamten ersten Einkommens für die unbedingten Lebensnotwendigkeiten fordern. Schließlich könnte man auch durchaus dem Gedanken nähertreten, daß durch die Befriedigung bescheidener "Luxusbedürfnisse" (Schallplattenkauf, Besuch von Veranstaltungen u.dgl.) mit dem ersten selbstverdienten Geld auch über einige Monate hinweg Bedürfnisse befriedigt werden, die unter Berücksichtigung der Psyche Jugendlicher den in § 672 ABGB genannten Bedürfnissen gleichzuhalten sind. Nur unter diesem Aspekt wäre eine zeitlich befristete teilweise Herausnahme des Einkommens Jugendlicher (nicht nur der Lehrlingsentschädigung) aus der Unterhaltsbemessung gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall wurden besondere über das übliche Ausmaß hinausgehende Bedürfnisse des Minderjährigen nicht behauptet. Auch der Revisionsrekurs führt in dieser Richtung nichts aus. Es erübrigt sich daher im vorliegenden Fall darauf einzugehen, ob tatsächlich über die Ausbildungskosten hinaus bei der Unterhaltsfestsetzung die für die Befriedigung weiterer Bedürfnisse erforderlichen Kosten von dem eigenen Einkommen des Jugendlichen abzuziehen sind. Der Abzug der hier konkret festgestellten Ausbildungskosten war jedenfalls gerechtfertigt.

Zu Unrecht will der Revisionsrekurs bei der Unterhaltsbemessung grundsätzlich auf die Bedürfnisse eines außerhalb des elterlichen Haushalts wohnenden Selbsterhaltungsfähigen abstellen. Die Unterhaltsbemessung hat immer nach den Umständen des konkreten Einzelfalles zu erfolgen und nicht an Hand hypothetischer Fälle, mögen sie auch häufig vorkommen. Selbstverständlich schließt dies nicht aus, daß das Gericht bei der Unterhaltsfestsetzung als ganzer, oder bei der Beurteilung der einzelnen hiefür erforderlichen Faktoren (Bedarf, Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und dergleichen) von Pauschalbeträgen ausgeht, die entweder generell, örtlich oder für bestimmte Berufs- oder sonstige Personengruppen den Erfahrungssätzen entsprechen. Eine derartige Vorgangsweise würde nicht gegen das Gesetz verstoßen. Voraussetzung wäre allerdings, daß das Gericht hier nicht absolut verbindliche Sätze annimmt. Den Parteien muß es offen bleiben, Abweichungen vom Normalfall zu behaupten und zu beweisen. Solche bewiesene Abweichungen sind selbstverständlich bei der Unterhaltsbemessung entsprechend ins Kalkül zu ziehen.

Im übrigen übersieht der Rekurswerber mit seiner Argumentation, daß der Minderjährige in seinem Haushalt lebt, könne nicht zu einer Verminderung der Unterhaltspflicht der Mutter führen, den Umstand, daß er gemäß § 140 ABGB selbst gegenüber dem Minderjährigen unterhaltspflichtig ist und daß er gemäß § 140 Abs 2 ABGB durch seine Haushaltsführung und Unterkunftsgewährung selbst Unterhalt für den Minderjährigen leistet. Würde er diesen Beitrag nicht leisten, so wäre er ebenfalls verpflichtet, einen Ausgleich in Geld zu erbringen.

Wie bereits oben dargelegt wurde, ist bei der Unterhaltsbemessung stets von den Umständen des Einzelfalles auszugehen. Aus diesem Grunde liegt es in der Natur der Unterhaltsbemessung, daß der für die Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit erforderliche Geldbetrag oder auch sonstige für die Unterhaltsbemessung wesentliche Faktoren in verschiedenen Entscheidungen verschieden angenommen werden. Derartige Differenzen in der Judikatur gehen auf den Umstand zurück, daß der konkrete Einzelfall zu beurteilen ist. Es handelt sich demnach nicht um eine divergierende Rechtsprechung, die nach § 14 Abs 1 AußStrG einen Revisionsrekurs rechtfertigen könnte. Die Zulässigkeit eines derartigen Rechtsmittels wäre nur dann gegeben, wenn das Rekursgericht erkennbar nach dem Gesetz zu beachtende Faktoren für die Unterhaltsbemessung nicht oder klar gegen die Absicht des Gesetzes berücksichtigt hätte. Derartiges wird hier vom Revisionsrekurs nicht aufgezeigt.

Der Oberste Gerichtshof billigt demnach die Entscheidung des Rekursgerichtes.

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