OGH 8ObS5/06b

OGH8ObS5/06b19.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Glawischnig sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Rudolf Vyziblo als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Marianne M*****, vertreten durch Dr. Paul Sutterlüty und andere, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Dornbirn, gegen die beklagte Partei IAF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenzausfallgeld (EUR 47.086), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Februar 2006, GZ 25 Rs 70/05p-11, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. April 2005, GZ 34 Cgs 291/04k-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit EUR 1.784,52 (darin EUR 297,42 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 1. 11. 1976 bis 30. 4. 2003 mit einer Karenzunterbrechung aus Anlass der Geburt ihres Kindes vom 10. 1. 1979 bis 15. 1. 1980 bei der Firma M***** GmbH (in der Folge: GmbH) mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt EUR 3.450 beschäftigt. Die GmbH war zuständig für die Geschäftsführung der Firma M*****gmbH & Co KG (in der Folge: KG). Einzige Arbeitnehmer der GmbH waren die Klägerin als für das Personalwesen und die Buchhaltung zuständige Mitarbeiterin sowie deren Ehegatte als Geschäftsführer. Gesellschafter der GmbH waren der Gatte der Klägerin mit 25 % der Anteile, die Klägerin mit 24 % Anteilen und ihre drei Kinder mit jeweils 17 %. Der Klägerin kam aufgrund der Mehrheits- und vertraglich festgelegten Abstimmungsverhältnisse kein beherrschender Einfluss zu. An der Kommanditgesellschaft waren die Klägerin, ihr Ehegatte und ihre Kinder mit einer Einlage von je ATS 60.000 auch als Kommanditisten beteiligt.

Mit Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 22. 10. 2002, wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der KG eröffnet und Rechtsanwalt Dr. Bernhard Kessler zum Masseverwalter bestellt. Im Zug der Eröffnung des Konkurses beendeten die mehr als hundert Dienstnehmer der KG ihr Beschäftigungsverhältnis; die Betriebsschließung erfolgte am 12. 12. 2002. Zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung waren eine Reihe von Großprojekten, insbesondere eine Veranstaltungshalle noch nicht fertiggestellt worden. Für den Fall der nicht rechtzeitigen Fertigstellung waren vertragliche Schadenersatzansprüche in Millionenhöhe zu befürchten. Um solche Ansprüche abzuwehren und eine relevante Quote für die Konkursgläubiger zu erreichen, entschloss sich der Masseverwalter, mit einem Teil der Dienstnehmer die in diese Projekte involviert gewesen waren, neue befristete Arbeitsverträge abzuschließen. Zur Fertigstellung der laufenden Projekte war der Masseverwalter auch auf die Mitarbeit der Klägerin und ihres Ehegatten angewiesen. Sowohl die Klägerin als auch die Mitarbeiter der KG hatten ihre letzten Gehaltszahlungen im August 2002 erhalten. Der Masseverwalter sicherte der Klägerin von Anfang an zu, dass sie ihre laufenden Bezüge aus der Masse erhalten werde. Da der Masseverwalter entgegen seiner Zusage zunächst keine Zahlungen leistete, übte die Klägerin Druck aus und beabsichtigte das Dienstverhältnis Ende 2003 aufzulösen. Der Masseverwalter wirkte jedoch auf sie ein, noch bis zur Fertigstellung der Großprojekte insbesondere der Veranstaltungshalle weiter zu arbeiten. Am 13. 2. 2003 zahlte er ihr aus der Masse einen Betrag von EUR 4.855 aus, womit ihr Nettolohn vom Zeitpunkt der Konkurseröffnung bis einschließlich November 2002 beglichen war. Auch der Gatte der Klägerin erhielt an diesem Tag für seine Leistungen vom Masseverwalter eine Akontozahlung von EUR 9.888. Während die Klägerin weiterhin ihren Aufgaben im Rahmen der Buchhaltung, Lohnverrechnung und Personalwesen nachkam, waren es bei Franz M***** vor allem dessen technische und organisatorische Kenntnisse, die zur Abwicklung der Großprojekte notwendig waren. Letztlich gelang es auch eine mehrstellige Quote im Konkurs der KG zu erzielen, wozu das große Engagement der Klägerin und ihres Ehegatten wesentlich beigetragen haben.

Bis zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses mit 30. 4. 2003 erhielt die Klägerin keine weiteren Zahlungen. Am 27. 5. 2004 beglich der Masseverwalter mit der Bezahlung von EUR 12.996,96 die restlichen laufenden Lohnansprüche der Klägerin. Unberichtigt blieben die - der Höhe nach unstrittigen - anteiligen Sonderzahlungen für den Zeitraum 1. 1. bis 30. 4. 2003 sowie die Beendigungsansprüche. Die GmbH verfügte an Vermögen ausschließlich über Wertpapiere in Höhe von EUR 68.779 und EUR 114.449, die vom Masseverwalter unter Hinweis auf die Haftung der GmbH für die Verbindlichkeiten der KG angesprochen wurden. Am 21. 2. 2003 unterfertigten der Masseverwalter und der Ehegatte der Klägerin folgende von Letzterem verfasste Aktennotiz:

„Der Ausfolgung der Vermögenswerte der GmbH an den Masseverwalter der KG erteile ich unter der Bedingung die Zustimmung, dass die Ansprüche von Frau Marianne M***** aus dem Dienstverhältnis einschließlich der Beendigungsansprüche über den Insolvenzausfallfonds befriedigt werden."

Im Konkursantrag vom 3. 7. 2003 führte die Klägerin an, dass die laufenden Ansprüche durch den Masseverwalter bis Februar 2003 beglichen worden seien und machte Insolvenzausfallgeld ab März 2003 geltend. Dies aufgrund einer Rechtsberatung, wonach nur zwei Monate gesichert seien.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 15. 7. 2003, wurde der Antrag der Klägerin auf Eröffnung eines Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels kostendeckenden Vermögens abgelehnt. Die Klägerin meldete am 15. 7. 2003 die bis zu diesem Zeitpunkt offenen Entgeltansprüche sowie die Beendigungsansprüche zuzüglich Kosten für den Konkursantrag und Zinsen im Gesamtbetrag von EUR 56.065 netto an Insolvenzausfallgeld an.

Mit Bescheid vom 29. 9. 2004 lehnte die beklagte Partei die geltend gemachten Ansprüche im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass unter Berücksichtigung der Beteiligung der Klägerin an der GmbH im Ausmaß von 24 % die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Eigenkapitalersatz anzuwenden sei und der Klägerin nach nationalem Recht kein Anspruch auf Insolvenzausfallgeld zustehe. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin zuletzt (den der Höhe nach unstrittigen eingeschränkten) Nettobetrag von EUR 47.086 an anteiligen Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung und Abfertigung, Pauschalgebühr für den Konkursantrag und Zinsen bis 16. 7. 2003; die laufenden Entgeltansprüche seien bis 30. 4. 2003 beglichen. Ungeachtet ihrer 24 %igen Beteiligung könne nicht von einem offenkundigen Stehenlassen von Entgelten im Sinn des eigenkapitalersetzenden Darlehens zugunsten des damaligen Dienstgebers gesprochen werden.

Die beklagte Partei bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die objektiven Angaben der Klägerin im Konkursantrag und im Verwaltungsverfahren differierten beträchtlich. Darüber hinaus seien die Klagsbehauptungen nicht mit den persönlichen Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren in Einklang zu bringen. Im Hinblick auf ihre Beteiligung mit 24 % an der GmbH habe sie nach der Rechtsprechung zum Eigenkapitalersatzrecht im nationalen Recht keinen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld. Die Mindestsicherung nach der Insolvenzrichtlinie erstrecke sich aber nur auf rückständig laufendes Entgelt und umfasse (unvorgreiflich der bis 8. 10. 2005 umzusetzenden Richtlinie 2002/74/EG) nicht Beendigungsansprüche. Das Verhalten der Klägerin halte ungeachtet dessen einem Fremdvergleich nicht stand. Auch im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtliche Mindestsicherung bestehe die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Missbräuchen notwendige Maßnahmen treffen zu dürfen. In diesem Sinn sei vor allem bei einer Kollusion eine gänzliche Versagung des Insolvenzausfallgeldes berechtigt. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin gegeben. Die für ihre Zahlung zuständige KG sei seit 22. 10. 2002 in Konkurs verfallen gewesen. In Kenntnis dieses Umstandes habe die Klägerin objektiv damit rechnen müssen, dass an sie grundsätzlich keine Zahlungen mehr fließen würden. Trotzdem habe sie ihr Arbeitsverhältnis aufrecht erhalten. Selbst zu dem Zeitpunkt, als es bereits um die Ausfolgung der Vermögenswerte der GmbH ging, sei sie nicht ausgetreten, sondern habe ihr Arbeitsverhältnis weiter fortgesetzt und damit den Entgeltrückstand auch noch erhöht. Aus der Aktennotiz vom 21. 2. 2003 ergebe sich, dass es die Klägerin in Kollusion mit ihrem Gatten sogar bewusst darauf angelegt habe, mit den entsprechenden Ansprüchen für weitere sechs Monate einschließlich der Beendigungsansprüche nicht die Gemeinschuldnerin zu belasten, sondern diese Ansprüche auf den Insolvenzausfallgeldfonds abzuwälzen. Zu berücksichtigen sei, dass es sich beim Firmenkonstrukt um ein „Familienimperium" handle, der Gatte der Klägerin alleiniger Gesellschaftergeschäftsführer der KG gewesen sei und die Klägerin in Lohnverrechnung und Post den gesamten Geldverkehr erledigt und Bankvollmacht gehabt habe.

Dass Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Umstände, die für eine missbräuchliche Überwälzung der Entgeltansprüche auf den IAF-Fonds sprächen, seien die Stellung der Klägerin als Gesellschafterin der Arbeitgeberin, die Tatsache dass weitere Gesellschafter ausschließlich Familienmitglieder waren und überdies der Ehegatte Geschäftsführer der Gesellschaft war. Ferner habe die Klägerin genaue Kenntnis über die finanzielle Situation des Unternehmens gehabt und ab August 2002 keinerlei Entgeltzahlungen, am 13. 2. 2003 jedoch nur eine unzureichende Akontozahlung erhalten. Für eine Kollusion ergebe sich dennoch kein Anhaltspunkt. Im Rahmen des Fremdvergleichs seien auch jene Kriterien zu beurteilen, die gegen einen Missbrauchsvorsatz sprechen würden. Die Klägerin weise ein derart langes und ununterbrochenes Dienstverhältnis auf, dass dem Aspekt der Betriebstreue besondere Bedeutung zukomme. Ferner habe sie auf die Zusage des Masseverwalters vertraut, die er letztlich auch eingehalten habe. Sie habe auch auf die Zusage vertrauen dürfen, da es infolge der Abwicklung von Großprojekten zu einem Geldfluss in die Masse gekommen sei. In Abwägung all der Umstände sei von einer missbräuchlichen Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenzausfallgeldfonds nicht auszugehen.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Beklagten das Ersturteil im gänzlich klagsabweisenden Sinn ab.

Nach ständiger Rechtsprechung werde die Überwälzung des Finanzierungsrisikos für Arbeitslöhne auf den IAGF, wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein müsse, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht mehr vom Arbeitgeber, sondern vom Fonds bekommen werde und er deshalb weiter arbeite, als unzulässig und sittenwidrig angesehen. Ausreichend dafür sei schon der bedingte Vorsatz. Wenn ein Arbeitnehmer trotz längerer Nichtzahlung des Lohns im Unternehmen tätig bleibe und nicht versuche, sein Entgelt ernstlich einbringlich zu machen, indiziere dies in der Regel, dass er beabsichtige oder zumindest in Kauf nehme, in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den IAGF geltend zu machen. Inwieweit aus dem langen Stehenlassen der Entgelte der zumindest bedingte Vorsatz der Verlagerung des Risikos erschlossen werden könne, sei im Rahmen des sogenannten Fremdvergleichs zu beurteilen. Dabei sei zu prüfen, ob ein unbeteiligter Arbeitnehmer im Unternehmen verblieben wäre oder nicht. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ergebe sich, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer nicht als ungewöhnlich angesehen habe, wenn das nicht bezahlte Arbeitsentgelt einen Zeitraum von weniger als drei Monaten betreffe. Im Fall eines bewusst missbräuchlichen Zusammenwirkens von Arbeitnehmer und Arbeitgeber wäre sogar eine gänzliche Versagung von Insolvenzausfallgeld gerechtfertigt. Ausgehend von der hier anzuwendenden Rechtslage könne aus der zeitlichen Komponente des Stehenlassens von Entgeltansprüchen allein nicht darauf geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenzausfallgeldfonds abwälzen wolle. Allerdings könne im Einzelfall eine solch missbräuchliche Überwälzung angenommen werden, wenn zum Stehenlassen der Entgeltansprüche noch weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den diesbezüglichen Vorsatz des Arbeitnehmers schließen ließen. Insgesamt sei die Klägerin nicht schutzwürdig. Zu ihren Lasten spreche, dass sie sowohl in der KG als auch in der GmbH als Gesellschafterin involviert gewesen sei, ihr Ehegatte Geschäftsführer der KG gewesen sei und sie aufgrund ihrer an sich umfassenden Tätigkeit in der GmbH ausreichenden Einblick in die gesamte Situation des Unternehmens gehabt habe. Dies seien gewichtige Gesichtspunkte, die für eine Überwälzung des Finanzierungsrisikos entscheidend seien. Dazu komme, dass die Klägerin von August 2002 bis Februar 2003 effektiv keinen Lohn erhalten habe. Ab Konkurseröffnung über die KG am 22. 10. 2002 und Betriebsschließung am 12. 12. 2002 habe für die Klägerin klar sein müssen, dass sie in nächster Zeit mit Zahlungen nicht rechnen könne, war doch ihre Arbeitgeberin Komplementärin bei der KG. Mittel, die im Transferweg an die Klägerin hätten gelangen können, seien nicht vorhanden gewesen. Dennoch habe sich die Klägerin - möge es auch auf Andringen des Masseverwalters erfolgt sein - entschlossen das Arbeitsverhältnis nicht zu beenden. Daran ändere nichts, dass der Masseverwalter der Klägerin zugesichert habe, sie werde ihren Lohn bekommen. Diese Zusicherung habe der Masseverwalter ungeachtet erbrachter Leistungen der Klägerin in weiterer Folge nicht eingehalten, sodass die Klägerin ihrerseits initiativ habe werden müssen, um ihre erste Zahlung im Februar 2003 zu erhalten. Selbst, wenn man von der Teilzahlung und der Abdeckung der Löhne bis einschließlich November 2002 im Februar 2003 ausgehe, habe die Klägerin wiederum mit einem Entgeltrückstand von mehr als drei Monaten bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ausgeharrt. Daran ändere auch der Aspekt der Betriebstreue nichts. Der bedingte Vorsatz im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Höchstgerichtes sei zu bejahen. Nach der Rechtsprechung des Höchstgerichtes sei eine Trennung von laufendem Entgelt und Beendigungsansprüchen nicht vorzunehmen; vielmehr sei dann, wenn eine solche missbräuchliche Überwälzung des Finanzierungsrisikos festgestellt sei, sämtlichen Ansprüchen die Anerkennung und Sicherung zu versagen. Dies bedeute auch keine Benachteiligung der Klägerin aus dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts, weil auch danach eine Sicherung der Ansprüche der Klägerin zu verneinen sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin. Diese ist zulässig, weil das Berufungsgericht teilweise von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

Vorweg ist klarzustellen, dass im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der beklagten Partei in ihrer Revisionsbeantwortung von einem eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen der Klägerin nicht gesprochen werden kann. Ein solches liegt dann vor, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensgewährung kreditunfähig war, wenn sie also von dritter Seite zu marktüblichen Bedingungen keinen Kredit mehr hätte erhalten können und ohne die Zuführung von Eigenkapital oder Gesellschafterdarlehen hätte liquidiert werden müssen (SZ 64/160; SZ 69/208; SZ 70/232; 8 ObS 11/04g; RIS-Justiz RS0060065 uva). Die Grundsätze über die Nichtrückforderbarkeit von eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen im Konkurs gelten auch für jene Gesellschafter, die als Arbeitnehmer, nachdem sie die Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft erkennen konnten, weiter ihre offenen Geldforderungen stehen lassen (9 ObA 9/05x = ARD 5641/6/2005; 8 ObA 14/004y mwN; RIS-Justiz RS0054372; RS0060076 je mwN). Dabei ist nicht auf die konkrete subjektive Kenntnis des Gesellschafter-Arbeitnehmers abzustellen, sondern ob er als Gesellschafter den eigenkapitalersetzenden Charakter seiner Zuwendungen erkennen musste.

Die Klägerin erhielt ihre letzte laufende Entgeltzahlung im August 2002. Ein Anhaltspunkt dafür, dass bereits vor der Fälligkeit des Septembergehaltes, das nicht mehr bezahlt wurde, Kreditunfähigkeit der Arbeitgeberin GmbH bestand, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Die Konkurseröffnung über das Vermögen der KG erfolgte am 22. 10. 2002. Gemäß § 83 Abs 1 KO ist der Masseverwalter (mit der Ausnahme der Fälle des § 117 KO) befugt, alle Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen vorzunehmen, die die Erfüllung der Obliegenheiten seines Amts mit sich bringt, soweit nicht das Konkursgericht im einzelnen Fall eine Beschränkung seiner Befugnisse verfügt und dem Dritten bekannt gegeben hat. Der Masseverwalter ist auch berechtigt, Dienstverträge abzuschließen (Arb 8712 uva). Im vorliegenden Fall war der Masseverwalter im Konkurs der KG nach den Feststellungen auf die Mitarbeit der Klägerin und ihres Ehegatten zur Abwicklung diverser Großprojekte und Abwendung von Pönalforderungen angewiesen. Angesichts der (verbindlichen) Zusage des Masseverwalters, der Klägerin ihre laufenden Bezüge aus der Masse zu bezahlen, kann von dem, einer Darlehensgewährung an die Arbeitgeber-GmbH gleichwertigen „Stehenlassen" der Entgeltansprüche nicht gesprochen werden, durfte die Klägerin doch auf die Zahlung durch einen Dritten - wodurch die allenfalls bereits in der Krise befindliche Arbeitgeber-GmbH von ihrer Zahlungsverpflichtung befreit werden sollte - vertrauen. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Klägerin letztlich erst über Androhung ihr Dienstverhältnis Ende 2003 auflösen zu wollen, eine Akontozahlung und die Abgeltung ihrer bis zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung (30. 4. 2003) offenen Gehaltsansprüche erst in Form einer Nachzahlung am 27. 5. 2004 erhielt, bestand doch aufgrund der Vereinbarung mit dem Masseverwalter ein durchsetzbarer Anspruch der Klägerin.

Im Übrigen gewährt die Judikatur dem Arbeitnehmer nach Eintritt der für ihn erkennbaren Krise eine „sechzig Tage nicht übersteigende" Frist, in der der Arbeitnehmer seine Forderungen ernsthaft einfordern oder wegen Entgeltvorenthaltung austreten kann. Wie bereits dargestellt musste - ausgehend vom Sachverhalt - der Klägerin die „Krise" ihrer Arbeitgeberin GmbH ab dem Zeitpunkt des Ausbleibens der Gehaltszahlungen, daher mit Ablauf des Monats September bekannt sein. Wäre die Klägerin innerhalb der sechzig Tage Frist, also noch im November vorzeitig ausgetreten, hätte sie aufgrund ihres (selbst unter Berücksichtigung der Karenzzeit) länger als fünfundzwanzig Jahre dauernden Dienstverhältnisses gemäß § 20 Abs 2 AngG Anspruch auf Kündigungsentschädigung jedenfalls bis zum 30. 4. 2003 gehabt. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte aber ohnehin die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung 8 ObS 20/04f ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der erheblichen Dauer des Arbeitsverhältnisses und der daraus resultierenden erheblichen Kündigungsfristen ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung bis zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses anzunehmen gewesen wäre, weshalb ein Vorsatz hinsichtlich einer missbräuchlichen Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenzausfallgeldfonds nicht angenommen werden könne. Da vorliegend der Fonds durch die einvernehmliche Auflösung (30. 4. 2003) gegenüber einem Austritt innerhalb der sechzig Tage Frist nicht stärker belastet wäre, besteht keine Veranlassung der Klägerin die „Beendigungsansprüche" (die auch die aliquoten SZ zur KE umfasst hätten), zu versagen. Selbst unter Heranziehung der zur Rechtslage nach der IESG-Novelle BGBl I 142/2000 ergangenen Rechtsprechung des erkennenden Senats zum „Stehenlassen" laufenden Entgelts (vgl etwa 8 ObS 195/02p; 8 ObS 15/05x; 8 ObS 23/05y uva) erweist sich die Geltendmachung von Insolvenzausfallgeld durch die Klägerin nicht als sittenwidrig. Eine Auseinandersetzung mit der von der beklagten Partei aufgeworfenen (und verneinten) Frage einer allfälligen gemeinschaftsrechtlichen Sicherung im Sinn der Insolvenzrichtlinie (80/987/EWG) erübrigt sich daher. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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