OGH 8ObS11/04g

OGH8ObS11/04g22.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Kuras sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und ADir. Reg. Rat. Winfried Kmenta als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Angelika P*****, vertreten durch Dr. Willibald Rath und andere Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei I***** GmbH, *****1, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen EUR 15.380,40 netto sA, infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse EUR 12.889,60 ) und Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 2.490,80 netto), gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. März 2004, GZ 7 Rs 114/01s-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. Jänner 2001, GZ 33 Cgs 63/00m-6, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision der beklagten Partei Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision sowie ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war an der späteren Gemeinschuldnerin, einer GmbH, zu 24 % als Gesellschafterin beteiligt. Geschäftsführer der GmbH war der Ehegatte der Klägerin. Die Klägerin arbeitete aber auch immer wieder für die GmbH in der Buchhaltung, und zwar ab 1. 1. 1994 mit kürzeren Unterbrechungen häufig nur als geringfügig Beschäftigte, zuletzt aber mit 20 Wochenstunden vom 9. 3. 1998 bis zu ihrem Austritt nach § 25 KO am 30. 9. 1999. Am gleichen Arbeitsplatz arbeitete sie am Nachmittag überwiegend für eine andere Gesellschaft, und zwar eine KEG, bei der ihr Ehegatte persönlich haftender Gesellschafter ist.

Bei der späteren Gemeinschuldnerin waren noch zwei bis drei andere Mitarbeiter tätig, die auf Baustellen arbeiteten. Wegen einer gerichtlichen Auseinandersetzung geriet die spätere Gemeinschuldnerin bereits bis 1998 in so ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten, dass zum Zeitpunkt der Einforderung offener Steuerrückstände durch das Finanzamt im Jänner 1999 bereits klar war, dass eine Insolvenz unvermeidlich sein würde und ein Konkursantrag für März 1999 geplant war. Dienstverhältnisse zu den übrigen Dienstnehmern waren bereits im Herbst 1998 gelöst worden. Die Klägerin war die einzige Dienstnehmerin. Die Gesellschaft entfaltete im Jahr 1999 auch keinerlei Bautätigkeiten. Die Klägerin erhielt ab Jänner 1999 keine Gehälter mehr ausbezahlt und urgierte diese auch nur noch mündlich bei ihrem Ehegatten, da ihr schon ab Jänner 1999 bewusst war, dass weitere Urgenzen im Hinblick auf das geplante Insolvenzverfahren sinnlos gewesen wären. Sie arbeitete jedoch dennoch bis zur Konkurseröffnung, die mit 31. 8. 1999 beantragt wurde und mit 3. 9. 1999 erfolgte, weiter. Sie war mit der Vorbereitung des Insolvenzverfahrens, der Aufarbeitung von Buchhaltungsunterlagen, der Firmenkorrespondenz und Telefonaten sowie dem Zivilprozess, der schließlich am 8. 3. 1999 mit S 700.000,-- statt der eingeklagten S 4,9 Mio verglichen wurde, beschäftigt.

Im Konkursverfahren meldete sie die nachstehenden Forderungen als Konkursforderungen an:

Laufendes Entgelt vom 1. 3. 1999 bis 3. 9. 1999 in Höhe von S 73.015,

aliquote Urlaubszuschüsse und Weihnachtsremuneration vom 1. 3. 1999 bis 3. 9. 1999 in Höhe von S 16.309,- -,

Kündigungsentschädigung vom 1. 10. 1999 bis 11. 11. 1999 im Ausmaß von S 19.384,- -,

Urlaubsentschädigung für 90 Werktage in Höhe von S 50.196,-- sowie

die Abfertigung im Ausmaß von S 52.735,--

insgesamt also S 211.639,-- sA, die vom Masseverwalter auch anerkannt wurden.

Die Beklagte hat jedoch den Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld abgelehnt.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld für die offenen Entgeltansprüche. Sie stützt sich darauf, dass sie keinerlei geschäftsführende Tätigkeit ausgeführt habe und die Zahlungsunfähigkeit erst mit dem Vergleich im Frühjahr 1999 eingetreten sei. Sie habe regelmäßig Arbeitsleistungen erbracht.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass die Klägerin in Wahrheit gar nicht als Dienstnehmerin tätig gewesen sei und keine persönliche Verpflichtung zur Arbeitsleistung bzw zur Einhaltung fixer Dienstzeiten gehabt habe. Schon ein Jahr vor der Insolvenz sei die finanzielle Situation der GmbH bekannt gewesen. Dennoch habe sie die Gehaltsrückstände auf 9 Monaten anwachsen lassen, um die Unternehmensfortführung zu ermöglichen. Es liege ein eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen vor. Ein Abfertigungsanspruch bestehe ohnehin nicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es ging davon aus, dass ein atypisches nicht auf Erzielung von Entgelt für die Bestreitung des Lebensunterhaltes gerichtetes Arbeitsverhältnis vorliege, das nicht in den Schutzbereich des IESG falle. Auch habe die Klägerin durch das Stehenlassen der Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis der Gesellschaft ein eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen gewährt.

Das Berufungsgericht unterbrach das Rechtsmittelverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über das vom Obersten Gerichtshof zu 8 ObS 249/00a eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 11. 9. 2003 in der Rechtssache Walcher zu C-201/01 ging es davon aus, dass bis zu einem Zeitraum von drei Monaten das "Stehenlassen" von Entgelten noch nicht auf eine missbräuchliche Absicht hindeute. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 18. 12. 2003 zu 8 ObS 16/03s sei von einem Sicherungszeitraum von drei Monaten nach dem Zeitpunkt der letzten Entgeltgewährung auszugehen, der sohin im März 1999 ende. Darüber hinaus sei noch die Kündigungsentschädigung bzw die Urlaubsentschädigung aliquot für einen Monat gesichert. Weitere Ansprüche, insbesondere die Abfertigung seien nicht gesichert.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da der Frage, ob die Beendigungsansprüche, insbesondere die Urlaubsentschädigung von der sich aus dem Urteil des EuGH ergebenden Mindestsicherung nicht umfasst seien, von erheblicher Bedeutung sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der klagenden Partei und der beklagten Partei sind aus dem Berufungsgericht genannten Grund zulässig und jene der beklagten Partei ist auch berechtigt.

In ständiger Judikatur geht der Oberste Gerichtshof davon aus, dass die zu § 32 dGmbHG entwickelten Grundsätze über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen in Analogie zu § 74 GmbHG auch im österreichischen Recht anzuwenden sind (vgl zuletzt etwa OGH 16. 7. 2004, 8 ObS 12/04d; SZ 64/53). Der Gesellschafter, der eine notleidend gewordene GmbH durch Gewährung von Darlehen am Leben zu halten versucht, statt ihr Eigenkapital zuzuführen, schmälert den ohnehin schon unzureichenden Haftungsfond für die übrigen Gläubiger und ist zur Darlehensgewährung regelmäßig auch nur deshalb bereit, da er sich von dem Weiterbetrieb der GmbH Vorteile verspricht. Wenngleich die Verantwortung zur ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung den Gesellschafter nicht dazu verpflichtet, in der Krise fehlendes Kapital aus eigenem Vermögen nachzuschießen, kann er aber nicht zum Nachteil der übrigen Gläubiger statt dieser Finanzierungsform auf Darlehen ausweichen und damit das Finanzierungsrisiko auf diese anderen Gläubiger überwälzen (vgl OGH 8 ObS 12/04d mwN etwa OGH 9 ObA 53/00k oder 9 ObA 124/03f). Die Neuregelung des Eigenkapitalersatzgesetzes (BGBl I 92/03) ist im Hinblick auf die Übergangsbestimmung des § 18, der auf nach dem 31. 12. 2003 verwirklichte Sachverhalte abstellt, hier noch nicht anzuwenden.

Dass hier ein solches eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen durch die mangelnde Einforderung der offenen Entgeltansprüche gewährt wurde, kann nicht weiter strittig sein. Nach den Feststellungen wurde die Arbeit ab Ende 1998 im Wesentlichen nur noch zur Vorbereitung der Insolvenz aufrechterhalten und eine andere Tätigkeit der GmbH gar nicht mehr durchgeführt. Damit ist auch von einer Kreditunwürdigkeit auszugehen. Einen gegen den Arbeitgeber im Rahmen des Konkursverfahrens durchsetzbaren Anspruch kann die Klägerin also nicht geltend machen.

Allerdings hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner Entscheidung vom 11. 9. 2003 in der Rechtssache Walcher zu C-201/01 ausgesprochen, dass es gegen die Insolvenzrichtlinie 80/987/EWG (im folgenden nur noch als Richtlinie bezeichnet) verstößt, wenn Arbeitnehmer, die an einer GmbH beteiligt sind, jedoch über keinen beherrschenden Einfluss verfügen, ihren Sicherungsanspruch auf offene Entgelte verlieren, wenn sie diese nicht innerhalb von 60 Tagen ernsthaft einfordern. Gleichzeitig wurde aber auch festgehalten, dass ein Mitgliedstaat grundsätzlich zur Vermeidung von Missbräuchen Maßnahmen ergreifen darf, durch die solchen Arbeitnehmern ein Garantieanspruch für Entgeltforderungen versagt wird, die nach dem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, wegen Vorenthaltens des Entgeltes aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre. Auch kann nachgewiesen werden, dass ein missbräuchliches Verhalten vorliegt. Dabei darf allerdings nicht unterstellt werden, dass ein Arbeitnehmer, der nicht die Stellung eines Gesellschafters hat, in der Regel aus diesem Arbeitsverhältnis ausgetreten wäre, bevor die nicht erfüllten Entgeltansprüche einen Zeitraum von 3 Monaten übersteigen.

Der Oberste Gerichtshof hat unter Berücksichtigung dieser Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften bereits in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, dass ausgehend davon zwar eine Durchsetzung der Ansprüche im Konkurs des Arbeitgebers weiter nicht anzunehmen sei, aber aus europarechtlicher Sicht eine Sicherung der Ansprüche in dem vom EuGH umschriebenen Umfang anzunehmen ist (vgl OGH 18. 12. 2003, 8 ObS 16/03s; OGH 23. 1. 2004, 8 ObS 18/03k und 8 ObS 17/03p).

Bevor nun auf den näheren Umfang der gebotenen Sicherung unter Berücksichtigung der Richtlinie 80/987/EWG einzugehen ist, ist zu prüfen, ob nicht hier einer von der Entscheidung des EuGH nicht berührten Missbrauchsfälle im Sinne der bisherigen Judikatur des OGH vorliegt, wie sie nach Art 10 der Richtlinie und der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Walcher (vgl insb Rz 36 ff) vom Schutz ausgenommen werden können. Dabei ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Ausnahme iSd Art 10 der Richtlinie eng auszulegen ist (vgl EuGH Rechtssache Walcher Rz 38). Art 10 gibt dem Mitgliedstaat nun einerseits allgemein die Möglichkeit zur Vermeidung von Missbräuchen die notwendigen Maßnahmen zu treffen (vgl Art 10 lit a der Richtlinie) und andererseits aber auch eine Einschränkung vorzunehmen, wenn sich herausstellt, dass die Erfüllung der Verpflichtung wegen des Bestehens besonderer Bindungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber und gemeinsamer Interessen, die sich in einer Kollusion zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber ausdrückt, nicht gerechtfertigt ist (vgl Art 10 lit b der Richtlinie).

Betrachtet man nun die konkreten Umstände des vorliegenden Falles, so war die Klägerin über neun Monate hinweg in einem Betrieb beschäftigt, der im Wesentlichen außer der buchhalterischen Vorbereitung der Insolvenz keine Tätigkeiten mehr entfaltete. Sie war als Gesellschafterin an ihrer Arbeitgebergesellschaft beteiligt war und ihr Ehegatte war deren Geschäftsführer. Betrachtet man dieses Naheverhältnis, die wirtschaftliche Beteiligung, die Dauer der Entgeltrückstände, die klare Ausrichtung auf das bevorstehende Insolvenzverfahren, so ist auch unter Bedachtnahme auf die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften und die Vorgaben der Insolvenzrichtlinie nicht davon auszugehen, dass ein Anspruch der Klägerin auf Insolvenz-Ausfallgeld besteht. Bestand doch eine besondere Bindung zwischen Arbeitgebergesellschaft und Arbeitnehmerin und wurde nur noch an der Vorbereitung des Insolvenzverfahrens gearbeitet, wobei nicht ersichtlich ist, warum diese Tätigkeiten nicht vom Geschäftsführer der GmbH - dem Ehegatten der Klägerin - verrichtet wurden (vgl allgemein zur Verpflichtung des Geschäftsführers auch § 69 Abs 3 KO). In diesem Sinne war daher der Revision der beklagten Partei Folge zu geben und das erstgerichtliche Urteil zur Gänze im klagsabweisenden Sinne wiederherzustellen. Darauf ist auch die Klägerin mit ihrer Revision zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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