OGH 10ObS126/05k

OGH10ObS126/05k17.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Vera Moczarski (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gernot U*****, vertreten durch Dr. Harald Bisanz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2005, GZ 7 Rs 144/05f-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. Juli 2005, GZ 8 Cgs 217/04s-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 5. 5. 1943 geborene Kläger hat den Beruf eines Bäckers erlernt, diesen Beruf in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 5. 2003) aber nicht mehr ausgeübt. Von 1987 bis 1993 war der Kläger als Bürobote tätig; danach ging er keiner geregelten Beschäftigung mehr nach.

Im erstgerichtlichen Verfahren hat der orthopädische Sachverständige im Rahmen der Gutachtenserörterung angegeben, dass mit Ausnahme eines einmaligen Krankenstandes von drei Monaten bei Sanierung des Hüftgelenks (um eine verbesserte Steh- und Gehleistung zu erlangen) keine Krankenstände zu erwarten seien.

Das Erstgericht wies das auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1. 5. 2003 gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger, dessen Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sei, könne als Verweisungstätigkeiten einfache Sortier- und Verpackungsarbeiten sowie Hilfstätigktien in der Werbemittelbranche verrichten. Umstände, die den Kläger vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen würden, seien nicht verifizierbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Selbst dann, wenn sich der Kläger der Hüftgelenksoperation unterzöge, sei mit einem einmaligen dreimonatigen Krankenstand kein Ausschluss vom Arbeitsmarkt verbunden; nur ständig wiederkehrende Krankenstände in einem größeren Ausmaß würden einen Ausschluss vom Arbeitsmarkt bedingen. Im Übrigen seien dem Kläger die vom Erstgericht angeführten Verweisungstätigketen zumutbar.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob ein einmaliger Krankenstand in der Dauer von drei Monaten zu einem Ausschluss vom Arbeitsmarkt führt; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist ein Versicherter vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer Krankenbehandlung leidensbedingte Krankenstände in einer Dauer von sieben Wochen und darüber im Jahr zu erwarten sind (10 ObS 184/92 = SSV-NF 6/82; RIS-Justiz RS0084855 [T7], RS0084898 [T12]). Es kann nämlich nicht damit gerechnet werden, dass krankheitsbedingte Abwesenheiten in einem solchen Ausmaß von den in Betracht kommenden Arbeitgebern akzeptiert werden; ein derart betroffener Versicherter würde in diesem Fall nur bei besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers auf Dauer beschäftigt werden (10 ObS 159/93 = SSV-NF 7/76). Auch in Zukunft zu erwartende Kurbehandlungen, die zur Hintanhaltung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes erforderlich sind, sind bei der Prüfung, ob ein Versicherter wegen leidensbedingter Krankenstände vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, zu berücksichtigen (10 ObS 31/96 = SSV-NF 10/14). Die zuletzt angeführte Entscheidung war dadurch gekennzeichnet, dass zwar die jährliche Gesamtkrankenstandsdauer sechs Wochen nicht überstieg, jedoch im Fall einer anteiligen Berücksichtigung der alle drei bis vier Jahre im Ausmaß von jeweils rund drei Wochen anfallenden Kuraufenthalte die Siebenwochengrenze erreicht wurde. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Fall einen Ausschluss vom allgemeinen Arbeitsmarkt bejaht, weil die regelmäßig zu erwartenden kurbedingten Krankenstände in jedem Jahr anteilig angerechnet wurden. In der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung 10 ObS 303/02k scheiterte die Berücksichtigung von Kuraufenthalten alle zwei bis drei Jahre schon daran, dass diese nur empfohlen und nicht zwingend zu absolvieren waren. Jedenfalls kann aus der Entscheidung 10 ObS 31/96 = SSV-NF 10/14 abgeleitet werden, dass eine anteilige Berücksichtigung der Dauer von Kuraufenthalten nur dann in Betracht kommt, wenn diese mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu erwarten sind, weshalb sie von einem potenziellen Arbeitgeber bei der Entscheidung, ob er mit einem bestimmten Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis eingeht, berücksichtigt werden können und müssen. So wie aber einkalkuliert wird, dass bei jedem Arbeitnehmer nicht-leidensbedingte Krankenstände (zB „normale Erkältungen") auftreten, die dann auch keinen Einfluss auf den Ausschluss vom Arbeitsmarkt haben (siehe Neumayr, Wann steht ein Versicherter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung? ZAS 2003, 196 [200]), muss von einem Arbeitgeber auch bedacht werden, dass bei jedem Arbeitnehmer in unregelmäßigen Abständen mit einmaligen länger dauernden Krankenständen (zB aufgrund eines Unfalles) oder einem Kuraufenthalt gerechnet werden muss. Diese Zeiten einmaliger" Krankenstände" sind daher nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einzubeziehen.

Für dieses Ergebnis spricht im Übrigen auch der - zweifellos auf einer anderen Ebene ansetzende - § 254 Abs 1 Z 1 ASVG. Demnach setzt der Anspruch auf Invaliditätspension voraus, dass die Invalidität voraussichtlich sechs Monate andauert oder andauern würde. Der Gesetzgeber bringt damit (auch) zum Ausdruck, dass Leistungen aus der Pensionsversicherung nur dann eingreifen sollen, wenn eine bestimmte Mindestdauer eines (allenfalls „einmaligen") Leidenszustandes erreicht wird; unterhalb dieser Schwelle sind typischerweise Leistungen aus der Krankenversicherung zu erbringen. Der Kläger ist daher, selbst wenn die Hüftoperation zwingend durchzuführen ist, aufgrund des damit zusammenhängenden Krankenstandes nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Die Frage, ob die Anforderungen in den vom Erstgericht genannten Verweisungsberufen offenkundig sind, betrifft eine mögliche Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens. Ihre Geltendmachung im Revisionsverfahren ist ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0043111).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit sind nicht ersichtlich.

Stichworte