OGH 10ObS31/96

OGH10ObS31/966.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Patzold (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margaretha K***** Raumpflegerin,***** vertreten durch Dr.Klaus Kollmann, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.November 1995, GZ 8 Rs 126/95-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 28.März 1995, GZ 34 Cgs 89/93d-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:

Der Anspruch der Klägerin auf Invaliditätspension ab dem 1.7.1993 besteht dem Grunde nach zu Recht.

Der beklagten Partei wird aufgetragen, der Klägerin vom 1.7.1993 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 5.000,-- monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Zustellung dieses Urteils fälligen vorläufigen Zahlungen binnen vierzehn Tagen, die weiteren jeweils am Monatsersten im vorhinein.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 3.381,12 (hierin enthalten S 563,52 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 4.058,88 (hierin enthalten S 676,48 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Für die rechtliche Beurteilung ist von folgenden Feststellungen der Vorinstanzen auszugehen:

Die zum Stichtag 1.7.1993 53-jährige Klägerin hat keinen Beruf erlernt und arbeitete von 1977 bis 1981 sowie von 1990 bis 1992 als Hilfsarbeiterin bzw als Raumpflegerin. Der Klägerin können ganztägig leichte und im Ausmaß eines halben Arbeitstages auch mittelschwere Tätigkeiten zugemutet werden, welche im Sitzen, Gehen und Stehen, im Freien sowie in geschlossenen Räumen unter Einhaltung der üblichen Ruhepausen ausgeübt werden können, wobei auch Tätigkeiten mit Fingergeschicklichkeit eingeschlossen sind. Überkopfarbeiten sowie Bück- und Hebearbeiten sind um die Hälfte eines Arbeitstages zu verkürzen und gleichmäßig auf diesen zu verteilen. Arbeiten an exponierten Stellen scheiden aus. Die Benutzung von Steighilfen ist jedoch möglich. Akkord- und Fließbandarbeiten können nicht mehr zugemutet werden, einem forcierten und normalen Arbeitstempo ist die Klägerin halbtägig, einem normalen Arbeitstempo ganztägig gewachsen. Eine Gesamtkrankenstandsdauer von sechs Wochen jährlich ist zu erwarten. Darüber hinaus sind bei ihr alle drei bis vier Jahre zusätzlich zu diesen leidensbedingten Krankenständen von sechs Wochen pro Jahr Rehabilitationsmaßnahmen durch Kuraufenthalte von rund drei Wochen erforderlich, um eine Verschlimmerung der bestehenden Krankheit zu verhindern.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 20.1.1993 wurde ihr Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension abgewiesen. Mit der hingegen erhobenen Klage begehrt sie die Verurteilung der beklagten Partei zur Gewährung einer solchen ab dem 1.7.1993 (AS 79).

Sowohl das Erstgericht (im ersten wie im zweiten Rechtsgang) als auch das Berufungsgericht haben dieses Begehren der Klägerin abgewiesen. Beide Instanzen gingen dabei übereinstimmend davon aus, daß auch unter Einbeziehung der nur alle drei bis vier Jahre erforderlichen Kuraufenthalte die leidensbedingt erwartbare Krankenstandsdauer von sechs Wochen nicht das von der Rechtsprechung den Ausschluß vom Arbeitsmarkt begründende Mindestmaß von sieben Wochen erreiche.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, das dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Das nicht beantwortete Rechtsmittel ist gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässig; es ist auch berechtigt.

Die Beurteilung, ob Invalidität im Sinne des § 255 ASVG vorliegt, ist eine Rechtsfrage (MGA ASVG Anm 2 Z 1 zu § 255). Es entspricht der ständigen (von der Revisionswerberin in ihrem Rechtsmittel auch zustimmend zur Kenntnis genommenen) Rechtsprechung des erkennenden Senates, daß in Zukunft trotz zumutbarer Krankenbehandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende leidensbedingte Krankenstände von jährlich sieben Wochen und darüber einen Versicherten und Rentenwerber vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen (SSV-NF 6/70 und 82 [jeweils sieben Wochen]; SSV-NF 3/152, 4/40, 6/3 [jeweils acht Wochen]). Hiebei sind auch in Zukunft zu erwartende Kurbehandlungen, die zur Hintanhaltung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes erforderlich sind, bei der Prüfung, ob der (die) Versicherte vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, zu berücksichtigen (SSV-NF 7/76). Bei Krankenständen von sechs Wochen im Jahr hat der Oberste Gerichtshof hingegen den Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt abgelehnt (SSV-NF 3/45), wobei es genügen kann, bezüglich der Begründungen der einzelnen Entscheidungen zur Vermeidung von Wiederholungen auf die jeweiligen Fundstellennachweise zu verweisen. Der vorliegende Fall ist nun durch die Besonderheit charakterisiert, daß zwar die jährliche Gesamtkrankenstandsdauer sechs Wochen nicht übersteigt (insofern also das Begehren auf Invaliditätspension tatsächlich abzuweisen wäre), jedoch im Fall der - auch nur anteiligen - Berücksichtigung der alle drei bis vier Jahre im Ausmaß von jeweils rund drei Wochen anfallenden Kuraufenthalte die Siebenwochengrenze erreicht bzw unter Umständen überschritten würde. Das Berufungsgericht hat dabei der Klägerin hiefür - grundsätzlich zutreffend (ausführlich SSV-NF 4/40) - die Beweislast insoweit auferlegt, als ihr der Wahrscheinlichkeitsbeweis für einen solchen Kuraufenthalt nur für den längeren Intervall von vier Jahren gelungen sei (in welchem Fall die anteilige Aufteilung pro Jahr rein rechnerisch weniger als eine Woche ausmacht und damit die Siebenwochengrenze tatsächlich geringfügig nicht erreicht wird). Der Oberste Gerichtshof hat jedoch in der bereits zitierten Entscheidung SSV-NF 4/40 ausgesprochen, daß es zwar grundsätzlich Sache des Versicherten sei, eine Verschlechterung für die Zukunft (hier wie dort die Frage des Ausschlusses vom Arbeitsmarkt betreffend) zu beweisen, hiefür jedoch ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit genügt. Diese Voraussetzung erachtet der erkennende Senat im vorliegenden Fall für erbracht. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte daher das Berufungsgericht - in Ergänzung der von ihm durchaus zutreffend als knapp bezeichneten Beurteilungsergebnisse des Erstgerichtes - zum rechtlichen Schluß kommen müssen, daß für die Klägerin unter Einrechnung der in Abständen von drei bis vier Jahren indizierten Kuraufenthalte mit Krankenständen in der Dauer von sieben Wochen jährlich zu rechnen ist, was sie aber nach der eingangs wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt, daher invalid im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG macht und demgemäß ihr Begehren auf Zuerkennung der Invaliditätspension nach dieser Gesetzesstelle ab dem (unstrittigen Stichtag) 1.7.1993 rechtfertigt. Die Entscheidung steht damit auch nicht in Widerspruch zu SSV-NF 6/82, in welcher die Bildung eines arithmetischen Mittels aus Mindest- und Höchstdauer von Krankenständen abgelehnt wurde, weil ja hier - abweichend vom dort zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt - unbekämpft und für den Obersten Gerichtshof als bloße Rechtsinstanz bindend einerseits feststeht, daß die Gesamtkrankenstandsdauer der Klägerin pro Jahr jedenfalls sechs Wochen ausmacht, und andererseits, daß die zu erwartenden Kuraufenthalte erforderlich sind, um eine Verschlimmerung ihrer bestehenden Krankheit zu verhindern, also ausschließlich leidensbedingt anfallen werden (SSV-NF 7/76).

In Stattgebung der Revision war daher das angefochtene Urteil wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern, wobei unter Bedachtnahme auf § 89 Abs 2 ASGG sowie in Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO auch eine vorläufige Zahlung bis zur Erlassung des die Höhe der begehrten Leistung festsetzenden Bescheides aufzuerlegen war. Die beklagte Partei hat dabei den maßgeblichen Stichtag 1.7.1993 bereits mit Schriftsatz vom 27.8.1993 (ON 7) ausdrücklich anerkannt und damit außer Streit gestellt.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Im Verfahren erster Instanz hat die (damals noch unvertretene) Klägerin keine Kosten verzeichnet; die Kostenverzeichnungen für ihre Berufung und die Revision entsprechen den tariflichen Ansätzen.

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