OGH 6Ob245/04d

OGH6Ob245/04d16.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Markus R*****, vertreten durch Saxinger, Chalupsky, Weber & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. K***** Zeitschriften GmbH Nfg & Co KG, und 2. Dr. Jürgen L*****, Journalist, beide *****, beide vertreten durch Dr. Heinrich Kammerlander und andere Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs, über den Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 21. Juli 2004, GZ 6 R 143/04b-16, womit infolge Rekurses der beklagten Parteien die einstweilige Verfügung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 9. Juni 2004, GZ 43 Cg 26/04h-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei sind schuldig, der klagenden und gefährdeten Partei die mit 268,69 EUR (darin 44,45 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung je zur Hälfte binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 78 EO iVm §§ 528a, 510 Abs 3 ZPO).

Der Kläger ist Chefredakteur einer Tageszeitung, in der von ihm verfasste Kommentare und Glossen veröffentlicht werden.

In der Ausgabe Feber 2004/1 der Zeitschrift der Erstbeklagten „K*****" erschien ein vom Zweitbeklagten verfasster Artikel, in dem es wörtlich heißt:

„Als Journalist in einer Tageszeitung lebt es sich am Besten, wenn man das, was man am Vortag geschrieben hat, am nächsten Tag schon vergessen hat. Dieser glücklichen Methode ist Markus R***** (Anm: der Kläger) - Leiter der S***** - verfallen. In seinen Glossen und Kommentaren trieft es vor Eigenlob, wie schonungslos die S***** für Sauberkeit und Transparenz kämpft, wie sie den Filz und die Privilegien ans Tageslicht zerrt und dass sie es ist, die als praktisch einzige Kraft über Sauberkeit und Ordnung im Lande wacht. Manche dieser Kolumnen erwecken den Eindruck, dass es sich um in Auftrag gegebene Leserbriefe aus der Siegmund-Freud-Klinik in Graz handle. Die Zeilen wirken höchst engagiert, es handelt sich dabei auch um eine Wirklichkeit, die Markus R***** wiedergibt, nur die Wirklichkeit, ist nicht immer die Wahrheit, wie wir wissen.

Was man aber Chefredakteur Markus R***** nicht vorwerfen darf. ..."

In der Siegmund-Freud-Klinik werden Patienten mit psychischen Problemen behandelt.

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist nur noch die in diesem Artikel enthaltene Äußerung über den Kläger „manche dieser Kolumnen erwecken den Eindruck, dass es sich um in Auftrag gegebene Leserbriefe aus der Siegmund-Freud-Klinik in Graz handle", deren Unterlassung der Kläger mit Urteils- und mit Sicherungsantrag begehrt. Das Erstgericht trug den Beklagten auf, diese Behauptung zu unterlassen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten, der lediglich das Verbot dieser Behauptung bekämpfte, nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, die beanstandete Äußerung vermittle im Gesamtzusammenhang nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers und auch eines an politischen und wirtschaftlichen Vorgängen überdurchschnittlich Interessierten den Eindruck, der Kläger sei blödsinnig, wahnsinnig, jedenfalls geisteskrank und somit außer Stande, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Der Kläger habe lediglich als kritischer Journalist die Vorgänge um die E*****-Affäre beleuchtet, sodass von keinem Betreten der „politischen Bühne" gesprochen werden könne, weil nicht die Beklagten, sondern nur die im Rahmen der E*****-Affäre handelnden Verantwortlichen kritisiert worden seien. Daher sei unter Beachtung des Grundsatzes, dass in der Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung dem Recht auf zulässige Kritik und wertendes Urteil im geistigen Meinungsstreit aufgrund konkreter Tatsachen nur so lange ein höherer Stellenwert zukomme, als die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten würden, von einem massiven Wertungsexzess auszugehen. Die Beklagten hätten nämlich die Charaktereigenschaften sowie die persönlichen Fähigkeiten des Klägers ohne hinreichenden Grund herabgesetzt und ihn damit auch beleidigt.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil „nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden" könne, dass die in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für die „politische Bühne" entwickelten Grundsätze auch auf den Bereich der „journalistischen Bühne" übertragbar seien.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Die Revisionsrekurswerber gehen mit dem Rekursgericht zutreffend davon aus, dass die inkriminierte Äußerung keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil des Zweitbeklagten über den Kläger ist. Werturteile können als Ehrenbeleidigung gegen § 1330 Abs 1 ABGB verstoßen.

Die Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung und zulässiger Kritik erfordert eine Interessenabwägung, bei der es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses und auch den Zweck der Meinungsäußerung ankommt (SZ 61/210; 6 Ob 250/03p mwN; RIS-Justiz RS0022917). Dabei kommt dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK; Art 13 StGG) in einer demokratischen Gesellschaft ein hoher Stellenwert zu. Solange wertende Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschreiten, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (SZ 74/117; 6 Ob 168/01a; RIS-Justiz RS0054817).

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amtes weiter gesteckt als dies bei Privatpersonen der Fall ist, weil Politiker sich unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen. Politiker müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, im Speziellen, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (EuGRZ 1986, 424 - Lingens; ÖJZ 1991, 681 - Oberschlick I; MR 1997, 196 - Oberschlick II). Der Auffassung des EGMR, dass dieser Grundsatz auch für Privatpersonen und Vereinigungen gilt, sobald sie die politische Bühne (the arena of public debate) betreten (MR 2001, 89 - Jerusalem), hat sich der Oberste Gerichtshof - insbesondere für Journalisten und Medieninhaber - angeschlossen (SZ 74/117; 6 Ob 168/01a; 6 Ob 250/03p). Sie müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, im Besonderen dann, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (6 Ob 168/01a mwN), wie etwa dann, wenn der Verletzte durch eine herabsetzende provokante Schreibweise selbst Kritik seines Werkes ausgelöst hat (6 Ob 47/02h; 6 Ob 250/03p).

Das Rekursgericht hat diese Grundsätze richtig wiedergegeben. Die in der Zulassungsbegründung des Rekursgerichts bezeichnete Rechtsfrage ist bereits in den Entscheidungen SZ 74/117, 6 Ob 168/01a und 6 Ob 250/03p gelöst.

Auch der Revisionsrekurs vermag keine iSd § 528 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

Die Entscheidung des Streitfalls hängt nicht davon ab, dass sich der Oberste Gerichtshof noch nicht „ausdrücklich" festgelegt hat, dass das „Gegenschlagsrecht" auch einem durch die Kritik nicht unmittelbar Verletzten zusteht. Dass der Zweitbeklagte grundsätzlich kein Recht auf Kritik am Kläger und seiner journalistischen Leistung hätte, hat das Rekursgericht nicht vertreten, sondern die Äußerung wegen Wertungsexzesses als Ehrenbeleidigung gemäß § 1330 Abs 1 ABGB gewertet. Im Übrigen sei bloß beispielhaft auf die Entscheidung 6 Ob 22/03h = MR 2003, 225 verwiesen, in der massive kritische Wertungen eines Journalisten in einem Medium an einer mit politischen Kampfparolen geführten Kampagne einer Tageszeitung gegen die Inbetriebnahme eines AKW als zulässig angesehen wurde.

Die Auffassung des Rekursgerichts, der Kläger habe die politische Bühne nicht betreten, weil er nicht die Beklagten, sondern die im Rahmen der E*****-Affäre handelnden Verantwortlichen kritisiert habe, ist nicht zu teilen. Ob jemand die politische Bühne betritt, kann ja nicht davon abhängen, ob er im Rahmen dieses Auftritts Kritik an später ihn Kritisierende übt. An anderen Stellen seiner Entscheidung hielt das Rekursgericht ohnehin fest, dass der Kläger seine Artikel im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung rund um die E*****-Affäre publizierte und dabei in teils herabsetzender, teils provokanter Schreibweise offensive Kritik an der E***** übte. Streitentscheidend ist indes die unzutreffende Auffassung des Rekursgerichts nicht. Die Frage nämlich, ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (6 Ob 123/00g; RIS-Justiz RS0113943), denen - vom hier nicht vorliegenden Fall erheblicher Fehlbeurteilung abgesehen - keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Die der inkriminierten Äußerung zugrunde liegenden Tatsachen werden im Artikel des Zweitbeklagten nicht dargelegt. Es fehlt sogar ein ausdrücklicher Bezug auf Kolumnen des Klägers zur E*****-Affäre. Die Notwendigkeit, die einem Werturteil zugrunde liegenden Tatsachen darzulegen, ist nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil vom 27. 10. 2005, MR 2005, 465 - Wirtschafts-Trendzeitschriften-VerlagsgmbH/Österreich mwN; vgl 6 Ob 47/02h) jedoch weniger zwingend, wenn diese Umstände der Allgemeinheit bekannt sind. Selbst wenn man davon ausgeht, dass für die Leser des Magazins der Zweitbeklagten erkennbar die Kolumnen des Klägers zur E*****-Affäre gemeint sind, so ist die Auffassung des Rekursgerichts, die Äußerung überschreite die Grenzen zulässiger Kritik, - auch bei dem Hintergrund der von den Beklagten in erster Instanz vorgetragenen, aber nicht festgestellten Äußerungen des Klägers - jedenfalls vertretbar. Dass der Kläger die in der beanstandeten Äußerung im Zusammenhang mit dem folgenden Satz implizit enthaltene Behauptung eines geistigen Gebrechens, das ihn die wirkliche Realität nicht erkennen lasse, nicht hinnehmen muss, weil sie ihn lächerlich macht und es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache, sondern nur um die Herabsetzung des Klägers geht, stellt keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 50 Abs 1, 41, 46 Abs 1 ZPO. Weist die gefährdete Partei - wie hier - erfolgreich auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Verfügungsgegners hin, so sind ihr die Kosten der aufgrund einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erstatteten Revisionsrekursbeantwortung bereits im Provisorialverfahren zuzusprechen (1 Ob 33/01m; 5 Ob 2008/96x; RIS-Justiz RS0005677). Der Kläger hat das Unterlassungs-, das Widerrufs- und das Veröffentlichungsbegehren einheitlich mit 19.620 EUR bewertet. Mangels anderer Anhaltspunkte ist im Zweifel davon auszugehen, dass auf das sieben Äußerungen umfassende Unterlassungsbegehren 1/3 von 19.620 EUR und auf die den Gegenstand des Revisionsrekurses bildende Äußerung daher ein 21stel (= 933,33 EUR) als Streitwert und damit als Kostenbemessungsgrundlage entfallen.

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