OGH 6Ob22/03h

OGH6Ob22/03h21.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden (gefährdeten) Parteien 1. K***** GmbH & Co KG, 2. Hans D*****, vertreten durch Fiebinger, Polak, Leon & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei St***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 12.420 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 22. November 2002, GZ 3 R 85/02w-8, womit der Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 5. März 2002, GZ 18 Cg 24/02x-3, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien haben der beklagten Partei die mit 824,68 EUR (darin 137,45 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) Ausspruch des Rekursgerichtes nicht zulässig:

Rechtliche Beurteilung

Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung wie auch die Frage, ob Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung nach dem Verständnis des angesprochenen Leserkreises. Werturteile können als Ehrenbeleidigung gegen § 1330 Abs 1 ABGB verstoßen, aber auch unter § 1330 Abs 2 ABGB fallen, wenn sie als sogenannte "konkludente Tatsachenbehauptungen" auf entsprechende Tatsachen schließen lassen, wenn somit dem eine rein subjektive Auffassung wiedergebenden Werturteil entnommen werden kann, dass es von bestimmten Tatsachen ausgeht (SZ 68/97; MR 2002, 213 - Dalai-Lama II mwN). Dem Recht auf zulässige Kritik und wertendes Urteil aufgrund konkreter Tatsachen kommt bei der zur Abgrenzung zur ehrenbeleidigenden Rufschädigung erforderlichen Interessenabwägung ein höherer Stellenwert zu, wenn die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden und kein massiver Wertungsexzess vorliegt (MR 2002, 213 mwN).

In seiner von den innerstaatlichen Gerichten zu beachtenden Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits die Auffassung vertreten (Urteil vom 12. 7. 2001 - Feldek gegen die Slowakei, ÖJZ 2002, 814 = ecolex 2002, 396 = ÖIMR - News Letter 2001/4, 149), der dort zu beurteilende Begriff "faschistische Vergangenheit" sei nicht restriktiv, sondern extensiv auszulegen und im Hinblick auf die bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannten Informationen über die betreffende Person als Werturteil zu qualifizieren, das bei der vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und dem Recht auf freie Meinungsäußerung sowie dem Interesse der Öffentlichkeit an der Diskussion von Fragen allgemeinen öffentlichen Interesses zulässig sei. In seiner weiteren Entscheidung vom 26. Februar 2002 (Unabhängige Initiative Informationsvielfalt gegen Österreich - TATblatt, MR 2002, 149) beurteilte der EGMR auch den Vorwurf einer "rassistischen Hetze" als zulässiges Werturteil. Unter Berücksichtigung der Äußerung in ihrem politischen Kontext stelle sie keine grundlose persönliche Attacke dar, sondern sei Teil einer politischen Diskussion gewesen, die von den damit Angegriffenen selbst hervorgerufen worden sei. Unter den dort gegebenen Umständen verneinte der EGMR auch das Vorliegen eines Wertungsexzesses.

Der Senat hat in seiner Entscheidung 6 Ob 47/02h (MR 2002, 213 - Dalai-Lama II) den dort beanstandeten Vergleich der Schreibweise eines Autors mit jener der "Neonazis über die Probleme Israels" als adäquate Reaktion auf die vom so kritisierten Autor zuvor verbreiteten massiven Attacken beurteilt: Der Kläger habe durch seine herabsetzende und provokante Schreibweise selbst die Kritik ausgelöst und mit dieser Kritik von Seiten der in seinem Buch Kritisierten auch rechnen müssen. Der dort erhobene Vorwurf des Rassismus sei im gegebenen Zusammenhang als noch adäquate Reaktion auf die massiven Attacken des Klägers zu qualifizieren, ein Wertungsexzess liege nicht vor.

Das Rekursgericht hat in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des EGMR und des Obersten Gerichtshofes die hier beanstandeten Äußerungen als - wenngleich massive, so doch - sachbezogene kritische Wertung der vom Medium der Kläger mit politischen Kampfparolen geführten Kampagne gegen Temelin beurteilt und - nach Interessenabwägung - einen Wertungsexzess verneint. Es hat anders als der Revisionsrekurs auch die Auffassung vertreten, der Leser verstehe den in Bezug auf den Presserat formulierten Vorwurf nicht im Sinn eines aggressiven, diesen in seiner Existenz bedrohenden Angriff. Ein Fall erheblicher Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen.

Dass der Oberste Gerichtshof zu einer den hier beanstandeten Äußerungen vergleichbaren Kritik an einer Zeitungskampagne noch nicht Stellung bezogen hat, vermag eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu begründen. Infolge der Einzelfallbezogenheit solcher Äußerungen lassen sich allgemein gültige Aussagen, wann ein gegen eine Zeitungskampagne erhobener Vorwurf eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil darstellt und dabei ein Wertungsexzess vorliegt, nicht treffen. Die Frage, ob bestimmte im Gesamtzusammenhang stehende Äußerungen eine Ehrverletzung darstellen, betrifft ebenso eine Entscheidung im Einzelfall wie die Frage, in welche Richtung die Interessenabwägung ausfällt. Für beide Fragen sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl 6 Ob 75/00y; RIS-Justiz RS0031869; RS0111733), denen - vom hier nicht vorliegenden Fall erheblicher Fehlbeurteilung abgesehen - keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Da die Entscheidung über die Revision somit nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO abhängt, wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat zutreffend auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen, sodass ihre Rechtsmittelbeantwortung der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente.

Stichworte