OGH 6Ob47/02h

OGH6Ob47/02h16.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Colin G*****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz/Senoner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. U***** GmbH, ***** und 2. Univ. Prof. Dr. Peter R*****, beide vertreten durch Korn/Frauenberger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 1. Dezember 2001, GZ 4 R 221/01a-32, mit dem das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 21. August 2001, GZ 38 Cg 49/00t-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die - in ihrem abweisenden Teil unangefochtenen - Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass auch folgendes Begehren:

"Die beklagten Parteien seien schuldig, es ab sofort zu unterlassen, über den Kläger zu behaupten, sein klinisch-psychologischer Blick sei eindeutig rassistisch und so wie die Nazis die Juden verunglimpfen und nichts, aber schon gar nichts Menschliches und Liebenswertes an ihnen ließen, gehe der Kläger mit den Tibetern um, oder inhaltsgleiche Behauptungen über den Kläger aufzustellen und/oder zu verbreiten; die beklagten Parteien seien schuldig, gegenüber den Klägerinnen und Lesern der Zeitschrift "U*****" diese Behauptungen zu widerrufen und diesen Widerruf unter der Rubrik "U & W Medienservice" auf eigene Kosten zu veröffentlichen",

abgewiesen wird.

Der Kläger hat den beklagten Parteien die in allen Instanzen mit insgesamt 3.784,63 EUR (darin enthalten 471,22 EUR Umsatzsteuer und 957,32 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Journalist und Autor des 1999 erschienenen Buches "Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs". Die Erstbeklagte ist Medieninhaberin der periodischen Druckschrift "Ursache und Wirkung", in deren Ausgabe Nr 31/1/2000 eine vom Zweitbeklagten verfasste kritische Besprechung dieses Buches veröffentlicht wurde. Die Buchkritik trägt die Überschrift "Speichellecken und Scheißefressen" und lautet auszugsweise:

".... (der Kläger) rechnet damit, dass nicht alle seine Sicht

akzeptieren. Er nimmt an, dass diejenigen, die seine Ansichten nicht

teilen, also ich, ihm unterstellen, er wolle Chinas Militärdiktatur

stärken. Nein, Herr ............ (Kläger), auch wenn Sie sehr

engagiert die chinesische Sache vertreten, ich glaube nicht nicht, dass Sie vom Politbüro in Beijing Geld erhielten. Ich bin überzeugt, Sie glauben, was Sie schreiben. Wenn ich Sie lese, sehe ich einen verblendeten Fanatiker. Sie schreiben über die Probleme Tibets, wie ein überzeugter Neonazi wohl über die Probleme Israels schreiben würde. Mit solchen Vorurteilen kann man komplexen Themen nicht gerecht werden".

Es folgen Beispiele anhand konkreter Buchzitate, in denen der Dalai Lama und der tibetische Buddhismus mit abfälligen Bemerkungen abqualifiziert werden. Der Zweitbeklagte verweist unter anderem darauf, dass der Kläger in seinem Buch immer wieder den "Feldforscher Schäfer" zitiere, der 1938/39 mit einer SS-Expedition unter der Schirmherrschaft Himmlers in Tibet gewesen sei.

In einem Absatz mit dem Titel "Über den tibetischen Buddhismus" heißt

es unter anderem: "Der klinisch-psychologische Blick .... (des

Klägers) ist eindeutig rassistisch. So wie Nazis die Juden

verunglimpften und nichts, aber schon gar nichts Menschliches und

Liebenswertes an ihnen ließen, geht .... (der Kläger) mit den

Tibetern um. Sie sind ausschließlich "menschenverachtend, gewalttätig, frauenfeindlich, raffgierig und skrupellos". Ihre ganze Religion hat den einzigen Zweck, "geistes- und seelenverkrüppelte Menschen heranzuzüchten".

Der Kläger begehrte, die Beklagten zur Unterlassung folgender oder inhaltsgleicher Behauptungen und/oder deren Verbreitung zu verpflichten: Der Kläger sei ein "verblendeter Fanatiker", er schreibe über die Probleme Tibets wie ein überzeugter Neonazi über die Probleme Israels schreiben würde, sein klinisch-psychologischer Blick sei eindeutig rassistisch und so wie die Nazis die Juden verunglimpften und nichts, aber schon gar nichts Menschliches und Liebenswertes an ihnen ließen, gehe der Kläger mit den Tibetern um. Weiters stellte der Kläger ein entsprechendes Widerrufs- und Veröffentlichungsbegehren. Das vom Kläger verfasste Buch zeichne sich durch Sachlichkeit und kritische Analyse aus. Die zu unterlassenden Behauptungen seien in ihrer Gesamtheit Tatsachenbehauptungen, die falsch, abfällig und diffamierend seien. Die Tibeter würden an keiner Stelle des Buches diskreditiert. Der Kläger übe vielmehr eine differenzierte und durch Literaturzitate gestützte Kritik an Vertretern des tibetischen Lamaismus. Der Kläger verwahre sich dagegen, auf Grund historisch kommentierter Zitate der Notizen Schäfers in eine rassistische Ecke gestellt zu werden. Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Äußerungen seien als subjektive Wertungen des Zweitbeklagten des im Artikel mitgeteilten Sachverhaltssubstrats zu qualifizieren. Die Medienadressaten seien ausschließlich Personen mit einschlägigem Vorwissen auf dem Gebiet des Buddhismus und bereit, sich mit dem Dargebotenen kritisch auseinanderzusetzen. Die Werturteile seien im Hinblick auf das provozierende und beleidigende Buch des Klägers zulässig. Die Erstbeklagte habe im Übrigen keine Ingerenz auf den Inhalt der Druckschrift und sei nicht passiv legitimiert. Das Erstgericht gab dem Unterlassungs-, Widerrufs- und Veröffentlichungsbegehren hinsichtlich der aus dem Spruch ersichtlichen Behauptung gegen beide Beklagte statt und wies das Klagebegehren hinsichtlich der anderen Behauptungen (der Kläger sei ein "verblendeter Fanatiker", er schreibe über die Probleme Tibets, wie ein überzeugter Neonazi über die Probleme Israels schreiben würde) ab. Der abweisende Teil betreffe ein bloßes Werturteil, das angesichts bestimmter, im kritisierten Buch enthaltenen Formulierungen und dessen vulgär vereinfachenden Ausführungen keinen Wertungsexzess darstelle. Die Art und Weise, wie der Kläger die Persönlichkeit des Dalai Lama beschreibe, rechtfertige außerdem die Beurteilung des Autors als "verblendeten Fanatiker". Hingegen fänden jene Behauptungen, hinsichtlich deren dem Klagebegehren stattgegeben worden sei, keine Entsprechung im Text des Buches. Der Kläger lasse keine negative Einstellung zum tibetischen Volk an sich erkennen. Seine Kritik und seine Angriffe würden ausschließlich dem (religiösen) Regime und dessen Wirtschaftspolitik sowie dem geistigen und weltlichen Oberhaupt der Tibeter selbst, dem Dalai Lama gelten. Die Erstbeklagte sei als "intellektuelle" Verbreiterin zu qualifizieren. Sie hafte sowohl als Mittäterin als auch im Rahmen der Repräsentantenhaftung für das Verschulden ihres Herausgebers, des Zweitbeklagten.

Der die Klage abweisende Teil dieses Urteiles blieb unbekämpft. Der gegen dessen stattgebenden Teil gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge. Die noch strittige Passage könne nur als Tatsachenbehauptung einer Person verstanden werden, die das Buch des Klägers gelesen habe und über seinen Inhalt referiere. Für die betreffenden Behauptungen würden keine Belegstellen aus dem Buch des Klägers angeführt. Durch den Vergleich mit den Nazis werde die strittige Aussage noch in ihrem Gewicht gesteigert. Die Beklagten seien den Nachweis eines Tatsachensubstrates, das für die Annahme eines Werturteiles erforderlich sei, schuldig geblieben. Sie könnten sich daher nicht auf Art 10 MRK berufen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil sich das Erstgericht im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gehalten habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist jedoch aus den folgenden Erwägungen zulässig und auch berechtigt.

Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung wie auch die Frage, ob Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung nach dem Verständnis des angesprochenen Leserkreises. Werturteile können als Ehrenbeleidigung gegen § 1330 Abs 1 ABGB verstoßen, aber auch unter § 1330 Abs 2 ABGB fallen, wenn sie als sogenannte "konkludente" Tatsachenbehauptungen auf entsprechende Tatsachen schließen lassen, wenn somit dem eine rein subjektive Auffassung wiedergebenden Werturteil entnommen werden kann, dass es von bestimmten Tatsachen ausgeht (SZ 68/97 mwN). Dem Recht auf zulässige Kritik und wertendes Urteil auf Grund konkreter Tatsachen kommt in der Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung ein höherer Stellenwert zu, wenn die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden und kein massiver Wertungsexzess vorliegt (4 Ob 55/00t).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) lehnt jedoch die Ansicht ab, ein Werturteil sei nur zu berücksichtigen, wenn es sich zumindest an Tatsachen anlehne. Die Notwendigkeit eines Zusammenhanges zwischen einem Werturteil und Tatsachen, die diese stützen, könne von Fall zu Fall, je nach den Gegebenheiten des Einzelfalls, verschieden sein (Urteil vom 12. 7. 2001 - Feldek gegen die Slowakei, ÖIMR - Newsletter 2001/4, 149). Für die Qualifizierung der noch strittigen Äußerungen des Beklagten als bloßes Werturteil spricht in diesem Sinne schon der Umstand, dass sie im Rahmen einer kritischen Buchbesprechung formuliert wurden, in die naturgemäß subjektive Wertungen des Kritikers einfließen. Der Zweitbeklagte untermauerte seine kritsche Stellungnahme mit zahlreichen Buchzitaten, deren korrekte Wiedergabe vom Kläger gar nicht bestritten wurde. Schon allein aus diesen Zitaten ergibt sich, dass der Kläger in seinem Buch nicht nur die geistige Führungsschicht des tibetischen Buddhismus und deren Lehren mit kraftvollen Ausdrücken herabwürdigte, sondern auch die Tibeter selbst mit einer Reihe ausschließlich negativer Eigenschaften belegte ("menschenverachtend, gewalttätig, frauenfeindlich, raffgierig und skrupellos") und sich nicht scheute, - wenn auch im Zusammenhang mit ihrer Religion - von "geistes- und seelenverkrüppelten Menschen" zu sprechen. Zudem berief sich der Kläger unwidersprochen in seinem Buch mehrfach auf einen an einer SS-Expedition beteiligten "Feldforscher", der in menschenverachtender Weise über Tibet und die Tibeter berichtete. Der EGMR vertrat in seiner zitierten Entscheidung (Feldek gegen die Slowakei) die Auffassung, dass der dort zu beurteilende Begriff "faschistische Vergangenheit" nicht restriktiv, sondern extensiv auszulegen und im Hinblick auf die bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannten Informationen über die betreffende Person als Werturteil zu qualifizieren sei, das bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und des Rechtes auf freie Meinungsäußerung sowie des Interesses der Öffentlichkeit an der Diskussion von Fragen allgemeinen öffentlichen Interesses zulässig sei. In seiner Entscheidung vom 26. Februar 2002 -Unabhängige Initiative Informationsvielfalt gegen Österreich (Newsletter 2002/1, 29) qualifizierte der EGMR auch die Unterstellung einer "rassistischen Hetze" als zulässiges Werturteil. Die Äußerung sei im politischen Kontext zu sehen, in dem sie gemacht worden sei. Sie stelle keine grundlose persönliche Attacke dar, sondern sei Teil einer politischen Diskussion gewesen, die von den damit Angegriffenen selbst hervorgerufen worden sei. Auch in früheren Fällen seien ähnliche Äußerungen als Werturteile angesehen worden, deren Wahrheit einer Beweisführung nicht zugänglich sei. Unter den gegebenen Umständen verneinte der EGMR auch das Vorliegen eines Wertungsexzesses.

Im Sinn dieser von innerstaatlichene Gerichten zu beachtenden Rechtsprechung des EGMR ist im vorliegenden Fall hervorzuheben, dass der Kläger durch seine herabsetzende und provokante Schreibweise selbst die Kritik seines Buches ausgelöst hat, mit der er insbesondere von Seiten der Anhänger der buddhistischen Lehre bzw des Dalai Lama rechnen musste. Die Ausdrucksweise des Beklagten, der sich selbst zum Buddhismus bekennt, geht über die stilistischen Derbheiten des Klägers nicht hinaus. Auf der Basis der unstrittigen Fakten sind auch die hier noch strittigen Äußerungen reine Werturteile, die einem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich sind. Der Begriff des Rassismus ist nicht klar und eindeutig abzugrenzen (vgl Brockhaus-Enzyklopädie, Band 18, 69 ff) und ruft wohl bei jedem Betrachter andere Vorstellungen hervor. Auch wenn die Schreibweise des Klägers mit jener der "Neonazis über die Probleme Israels" verglichen wird, ist der Vorwurf des Rassismus in dem Zusammenhang, in dem er erhoben wird, als noch adäquate Reaktion auf die massive Attacken des Klägers auf den tibetischen Buddhismus, dessen Führer und Anhänger und - teils direkt, teils indirekt - auf das ganze Volk der Tibeter zu qualifizieren. Dieses Werturteil stellt einen angemessenen Kommentar zu einem Thema von öffentlichem Interesse dar (vgl EGMR Urteil vom 26. 2. 2002 - Dichand ua gegen Österreich, Newsletter 2002/1, 26 = MR 2002, 84). Ein Wertungsexzess liegt nicht vor. Die von den Vorinstanzen verfügte Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im bekämpften Umfang im Sinn einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Über die Kosten der Beklagten im Sicherungsverfahren wurde bereits rechtskräftig entschieden, sodass das Kostenverzeichnis der Beklagten insoweit zu kürzen war. Die verzeichneten Barauslagen für Kopien wurden nicht belegt und waren schon deshalb nicht zuzuerkennen. Die Schriftsätze vom 18. 9. 2000 und 14. 11. 2000 waren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig, weil die Urkunden auch mit dem nächsten Schriftsatz oder in der Verhandlung vorgelegt hätten werden können. Der Schriftsatz vom 19. 1. 2001 war nicht nach TP 3, sondern nach TP 1 RAT zu entlohnen. Für den Vertagungsantrag vom 10. 5. 2001 stehen ebenfalls nur Kosten nach TP 1 RAT zu.

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