OGH 4Ob55/00t

OGH4Ob55/00t14.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. German B*****, vertreten durch Dr. Clement Achammer und andere Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Dr. Gebhard H*****, vertreten durch Dr. Gottfried Korn und Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 500.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. November 1999, GZ 2 R 232/99f-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 24. Juni 1999, GZ 9 Cg 30/98s-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 21.375 S (darin 3.562,50 S USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Beide Parteien sind Rechtsanwälte in Vorarlberg. Der Kläger brachte im Jahre 1997 beim Bezirksgericht Feldkirch im Auftrag eines Mandanten zahlreiche Besitzstörungsklagen gegen Falschparker ein. In zumindest drei dieser Klagen führte er als Streitwert nach GGG 7.950 S und als Streitwert nach RATG 30.000 S an. In der zu 11 C 616/97x eingebrachten Klage verzeichnete der Kläger seine Kosten wie folgt:

Klage TP 3 A 1.411 S

120 % ES 1.693,20 S

20 % USt 620,84 S

Pauschalgebühr 990 S

Auskunft Zulassungskartei 130 S

Foto 30 S

.875,04 S

In der zu 7 C 1273/97k eingebrachten Klage verzeichnete der Kläger seine Kosten wie folgt:

Klage TP 3 A 1.411 S

120 % ES 1.693,20 S

20 % USt 620,84 S

Pauschalgebühr 590 S

Auskunft Zulassungskartei 130 S

Foto 30 S

4.875,04 S

Im Verfahren zu 7 C 1273/97k nahm der dort Beklagte nach Zustellung der Klage telefonisch Kontakt mit dem Kläger auf, der zu verstehen gab, dass die Sache bei Zahlung eines Kostenbetrags von 3.000 S durch Ruhen des Verfahrens erledigt werden könne. Im Zuge des Gesprächs reduzierte er den geforderten Betrag auf 2.500 S, es kam jedoch zu keiner Einigung. Im Endbeschluss wurden dem obsiegenden Mandanten des Klägers Kosten auf der Basis eines Streitwerts von 8.000 S zugesprochen. Der Kläger hatte in dem vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung gelegten Kostenverzeichnis sein Honorar auf Basis eines Streitwerts von 30.000 S verzeichnet, nicht jedoch den noch in der Klage verzeichneten doppelten Einheitssatz. Ein Kostenrekurs des Klägers blieb erfolglos.

Im Verfahren 11 C 616/97x trat am 30. 9. 1997 Ruhen des Verfahrens ein, nachdem der dort Beklagte den in der Klage verzeichneten Kostenbetrag von 4.875,04 S gezahlt hatte. Trotz Aufforderung leistete der Kläger keine teilweise Rückzahlung der Kosten; er wurde in der Zwischenzeit auf Rückzahlung eines Teilbetrags geklagt. Auch im Verfahren 7 C 1569/97i trat nach Zahlung eines Kostenbetrags von 3.500 S Ruhen des Verfahrens ein; diese Zahlung beruhte auf einer außergerichtlichen Vereinbarung zwischen dem Kläger und der dort Beklagten.

Die vom Kläger für seinen Mandanten eingebrachten Besitzstörungsklagen waren Gegenstand von zwei Artikeln in der "N*****" vom 10. und 12. 9. 1997. In beiden Artikeln war das vom Kläger im Verfahren 7 C 1273/97k gelegte Kostenverzeichnis abgebildet. Im zweiten Artikel wurde dazu ausgeführt, dass der (namentlich genannte) Kläger um 400 S zuviel berechnet habe. Am 12. 9. 1997 setzte sich der Beklagte mit dem zuständigen Redakteur der "N*****" sowohl telefonisch als auch per Telefax in Verbindung. Seine schriftliche Äußerung lautete:

"Ihr neuerlicher Bericht vom 12. 9. 1997 veranlasst mich, auf folgendes hinzuweisen:

1) Die tarifmäßigen Kosten für eine Besitzstörungsklage belaufen sich richtig wie folgt:

Klage TP 3 A 847 S

60 % ES 508,20 S

1.355,20 S

20 % USt 271,04 S

Pauschalgebühr 590 S

Auskunft Zulassungskartei und Foto 160 S

insgesamt 2.376,24 S

Wenn daher Kollege Mag. B*****, wie Sie am 12. 9. 1997 neuerlich berichten, in der Klageschrift insgesamt 4.875,04 S an Kosten verzeichnet hat, so sind diese maßlos überhöht. Gerade in einer so sensiblen Materie wie Besitzstörungsklagen aufgrund Falschparkens gefährdet eine solche Vorgangsweise Ehre und Ansehen des Standes der Rechtsanwälte erheblich. Kollege Mag. B***** hat - neben dem falschen Honoraransatz von 1.411 S anstatt 847 S - für die Klage zu Unrecht den "doppelten Einheitssatz" verzeichnet, der für Besitzstörungsklagen nie zusteht.

2) Wenn hingegen mehrere Leser Ihnen berichten, dass "eine Besitzstörungsklage in der Höhe von 7.950 S" zugestellt worden sei, liegt ein offensichtlicher Irrtum vor. Der auf der ersten Seite der Klage angegebene Betrag "7.950 S" ist die Bemessungsgrundlage für die Gerichtsgebühr, und hat daher mit den Klagskosten direkt überhaupt nichts zu tun."

Im Telefongespräch am selben Tag erläuterte der Beklagte gegenüber dem Redakteur die gesetzlichen Grundlagen des Honoraranspruchs und erklärte, in welchen Punkten die Kostennote des Klägers überhöht sei. Er wies auch darauf hin, dass der Kläger offenbar eine überhöhte Kostenaufstellung in die Klage aufnehme, um diese dann als Ausgangsbasis für Vergleichsgespräche nehmen zu können. Der Beklagte bezeichnete in diesem Gespräch das Verhalten des Klägers als "ein Standesvergehen des höchsten Ranges". Dem Redakteur gefiel diese Formulierung des Beklagten. Er verwendete daher dieses Zitat als Überschrift eines von ihm verfassten, am 19. 9. 1997 erschienenen Artikels. Der Redakteur fragte den Beklagten nicht, ob er dessen Äußerungen zitieren dürfe; dieser verwahrte sich aber auch nicht dagegen.

Der Zeitungsartikel erschien in nachstehender Form:

Der Kläger begehrt das Urteil, der Beklagte sei schuldig, sinngemäße, ähnliche oder gleichlautende Behauptungen des Inhalts zu unterlassen, der Kläger habe ein Standesvergehen höchsten Ranges begangen;

in eventu

sinngemäße, ähnliche oder gleichlautende Behauptungen des Inhalts zu unterlassen, der Kläger habe wegen eines überhöhten Kostenverzeichnisses in einem Besitzstörungsverfahren ein Standesvergehen höchsten Ranges begangen;

in eventu

zu Zwecken des Wettbewerbs sinngemäße, ähnliche oder gleichlautende Behauptungen des Inhalts zu unterlassen, dass der Kläger durch die Wahl eines falschen Honoraransatzes von 1.400 S anstatt 847 S und durch das Verzeichnen des doppelten Einheitssatzes für eine Besitzstörungsklage ein Standesvergehen höchsten Ranges begangen habe (begehe).

Der Kläger begehrt weiters den Widerruf der beanstandeten Äußerung gegenüber der Zeitung sowie die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung.

Der Beklagte habe damit rechnen müssen, dass seine gegenüber einem Journalisten gefallenen Äußerungen wörtlich in einer Zeitung wiedergegeben werden. Für den durchschnittlichen Medienkonsumenten entstehe der Eindruck, der Kläger begehe zu seinem Vorteil auf Kosten seiner Klienten oder der Prozessgegner Standesvergehen höchsten Ranges und setze sich über Standesrichtlinien in grob schuldhafter Weise hinweg. Der Kläger werde damit auf eine Stufe mit Anwälten gestellt, die ihre Klienten betrügen und sich an deren Geldern vergriffen. Der Kläger sei so in der öffentlichen Meinung herabgesetzt worden. Sein Fortkommen und seine Kreditwürdigkeit hätten Schaden genommen. Dem Beklagten stehe weder die Kompetenz noch das Recht zu, einen Kollegen öffentlich in einem Medium wegen eines Rechenfehlers, eines falschen Honoraransatzes und der Verzeichnung des doppelten Einheitssatzes eines Standesvergehen höchsten Ranges zu bezichtigen.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Kostenverzeichnisse in Besitzstörungsklagen hätten eine nicht unerhebliche praktische Bedeutung, weil sie Verhandlungsbasis für allfällige außergerichtliche Regelungen seien. In der Zeitung sei die Kostenproblematik vorerst nicht richtig dargestellt worden, weshalb sich der Beklagte an den Redakteur gewendet und die dem Rechtsanwaltstarif entsprechenden Kosten mitgeteilt habe. Er habe nicht in Wettbewerbsabsicht gehandelt, sondern nur eine inhaltliche Auseinandersetzung über das in der Zeitung abgedruckte Kostenverzeichnis führen wollen. Auch habe er keine Tatsachenbehauptungen aufgestellt, sondern ein Werturteil abgegeben; die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes sei nämlich stets ein Werturteil. Das diesem Werturteil zugrundeliegende Sachverhaltssubstrat, nämlich die Verzeichnung überhöhter Kosten in Besitzstörungsstreitigkeiten durch den Kläger, sei richtig. Unter diesen Umständen sei ein Werturteil im Sinne der Meinungsfreiheit zulässig; es dürfe auch kräftig und drastisch ausfallen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es traf - im Rahmen der Beweiswürdigung - die negative Feststellung, es könne letzlich nicht festgestellt werden, aus welchen Motiven der Kläger überhöhte Kostenverzeichnisse verfasst habe; insoweit könne nur angemerkt werden, dass eine Feststellung im Sinne der Aussage des Klägers, die fehlerhaften Kostenverzeichnisse beruhten auf seiner festen Überzeugung, es dürfe ein Streitwert von 30.000 S zugrundegelegt werden, nicht getroffen werden könne. In rechtlicher Hinsicht sei die beanstandete Äußerung des Beklagten eine Tatsachenbehauptung und kein Werturteil, weil die rechtliche Subsumtion eines Sachverhalts unter einen gesetzlichen Tatbestand mehr oder weniger objektivierbar sei, stehe dafür doch ein vorgegebenes rechtsstaatliches Verfahren zur Verfügung. Der an einen Rechtsanwalt gerichtete Vorwurf, er habe ein Standesvergehen höchsten Ranges begangen, sei geeignet, seinen Erwerb oder sein Fortkommen zu beeinträchtigen. Eine solche Äußerung sei nur zulässig, wenn sie wahr sei. Das Sachverhaltssubstrat, auf das der Beklagte seine Behauptung aufgebaut habe, sei insofern richtig, als der Kläger tatsächlich überhöhte Kostenverzeichnisse gestellt habe. Diese Kostenverzeichnisse habe er auch als Verhandlungsbasis in vorprozessualen Vergleichsgesprächen mit Prozessgegnern verwendet. Ob dieses Verhalten disziplinär sei, müsse das Gericht als Vorfrage prüfen. Nach der Rechtsprechung der OBDK sei die Verrechnung von maßlos (ganz beträchtlich, stark, grob) überhöhten Kosten disziplinär. Für die Kosten einer Besitzstörungsklage bestünden eindeutige rechtliche Grundlagen, von denen der Kläger in nicht vertretbarer Weise abgewichen sei und mehr als das Doppelte der zulässigen Kosten verzeichnet habe. Auf einen Irrtum könne sich der Kläger nicht berufen, weil es Pflicht des Rechtsanwaltes sei, bei Honorarnoten peinlichste Genauigkeit walten zu lassen. Das Verhalten des Klägers sei standeswidrig; dass es der Beklagte als ein Standesvergehen des höchsten Ranges bezeichnet habe, sei im Rahmen der Meinungsfreiheit zu dulden.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehle. Die Äußerung des Beklagten, der Kläger habe ein Standesvergehens begangen, sei als Tatsachenbehauptung im Sinne der §§ 1330 Abs 2 ABGB, 7 Abs 1 UWG zu beurteilen; die Qualifikation dieses Standesvergehens als eines des höchsten Ranges sei hingegen ein Werturteil. Ein solches sei solange zulässig, als kein Wertungsexzess vorliege, also eine völlig unvertretbare und den Betroffenen auf unangemessene Weise bloßstellende Meinungsäußerung, die nicht mehr durch das Recht auf freie Meinungsäußerung und Kritik gedeckt sei. Die Vorfrage, ob der Kläger durch das Verzeichnen und Einfordern überhöhter Kosten ein Disziplinarvergehen nach dem Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter begangen habe, sei zu bejahen. Zwar seien wesentlich schwerere Disziplinarvergehen vorstellbar als das dem Kläger zur Last gelegte; das in die Öffentlichkeit getragene Verhalten des Klägers könne aber den - im vorliegenden Fall nicht näher zu überprüfenden - Verdacht einer planmäßigen rechtswidrigen Bereicherung eines Rechtsanwalts erwecken, somit eines Verhaltens, das geeignet sei, die Ehre oder das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes schwer zu beeinträchtigen. Die beanstandete Äußerung sei daher durch das Recht auf angemessene Kritik auch gegenüber einem Berufskollegen gerechtfertigt. Es bestünden keine Standesvorschriften, die das Recht eines Rechtsanwalts beeinträchtigten, einen Misstand in Medien öffentlich zu kritisieren.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, weil ein gleichartiger Sachverhalt noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs war; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Der Kläger stellt in der Revision nicht mehr in Abrede, dass seine

Honorarnote, die in einer Tageszeitung veröffentlicht worden ist und

den Rechtsstreit ausgelöst hat, das dem Kläger nach dem RATG

zustehende Entgelt unrichtig und damit unkorrekt ausweist, weil

einerseits die Bemessungsgrundlage überhöht ist und andererseits

fälschlich für die Klage der doppelte Einheitssatz verrechnet wird.

Er vertritt aber die Auffassung, die beanstandete Äußerung werde vom

angesprochenen Leserkreis dahin verstanden, er sei objektiv eines

Disziplinarvergehens (und zwar eines solchen "des höchsten Ranges")

für schuldig erkannt und deswegen auch schon verurteilt worden; diese

Tatsachenbehauptung sei aber unwahr. Dieser Argumentation ist nicht

zu folgen.

Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung richtet sich nach dem

Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der

beanstandeten Äußerung für den unbefangenen Durchschnittsadressaten

der Äußerung (MR 1995, 137 - Justizausschussvorsitzender; ÖBl 1996,

134 - Leserverblödung; SZ 71/96 = MR 1998, 269 [Korn] - Schweine-KZ

uva). Wendungen, die bei verkehrsüblicher flüchtiger Kenntnisnahme zu

Missverständnissen führen können, sind dabei immer zum Nachteil

desjenigen auszulegen, der sich ihrer bedient (MR 1997, 170 -

Schwarzhörer willkommen mwN). Bei Mehrdeutigkeit von

Tatsachenbehauptungen muß der Ankündigende stets die für ihn

ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (stRsp ÖBl 1993, 161

= ecolex 1993, 760 = WBl 1994, 31 - "Verhundertfachen Sie Ihr Geld";

MR 1994, 111 - Nazijournalismus; ÖBl 1995, 67 - Führerschein auf

Anhieb; ÖBl 1995, 219 - Klasse statt Masse; WBl 1997, 309 [Schmidt] - staubfrei mwN).

Zur Abgrenzung zwischen Tatsachen und Werturteilen iSd § 1330 Abs 2

ABGB und § 7 UWG im Zusammenhang mit Rechtsfolgenbehauptungen hat der

erkennende Senat erst jüngst den Standpunkt vertreten, dass je nach

der Lage des Einzelfalls Äußerungen über die Rechtsfolgen einer

bestimmten Gesetzeslage einmal Tatsachenbehauptungen, ein anderes Mal

aber auch reine Werturteile sein können. Je weniger die zu beurteilende Rechtsfolgenbehauptung nicht einfach aus dem Gesetz abzulesen ist, sondern auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruht, je eingehender die Grundlagen dieses Erkenntnisprozesses dargestellt werden, und je deutlicher zum Ausdruck kommt, dass eine subjektive Überzeugung im geistigen Meinungsstreit vertreten wird, umso eher wird ein reines Werturteil vorliegen (EvBl 1999/211 = MR 1999, 290 - Inkassobüro).

Im beanstandeten Zeitungsartikel kommt deutlich zum Ausdruck, dass der Beklagte dem Kläger nicht eine bereits erfolgte Disziplinarverurteilung vorhält; der Beklagte legt darin vielmehr detailliert und begründet dar, mit welcher Handlungsweise der Kläger seiner Meinung nach gegen Standesregeln verstoßen und damit Ehre und Ansehen des Standes erheblich gefährdet habe. Den solcherart im Artikel enthaltenen Vorwurf, der Beklagte habe durch das Legen einer inhaltlich unrichtigen, überhöhten Honorarnote ein Standesvergehen begangen, hat das Berufungsgericht zutreffend als Tatsachenbehauptung beurteilt, deren Richtigkeit der Kläger auch nicht mehr bestreitet.

Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich hingegen beim weiteren Vorwurf des Beklagten, es liege ein Standesvergehen "des höchsten Ranges" vor, um ein Werturteil. Das Disziplinarstatut für Rechtsanwälte enthält nämlich keine vertypten Tatbilder, die den Begriff "Standesvergehen" näher konkretisieren und etwa jeweils einem bestimmten Strafausmaß zugeordnet sind. Eine "Hierarchie" von Standesvergehen lässt sich deshalb nicht einfach aus dem Gesetz ablesen, sondern nur als Ergebnis eines Erkenntnisprozesses gewinnen, der auf persönlichen Wertungen beruht.

Auch Werturteile dürfen aber nicht schrankenlos öffentlich verbreitet

werden. Dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf freie

Meinungsäußerung (Art 10 MRK; Art 13 StGG), also dem Recht auf

zulässige Kritik und ein wertendes Urteil im geistigen Meinungsstreit

aufgrund konkreter Tatsachen, kommt in der Interessenabwägung

gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung nur so lange ein

höherer Stellenwert zu, als die Grenzen zulässiger Kritik nicht

überschritten werden und kein massiver Wertungsexzess vorliegt (SZ

71/96 = MR 1998, 269 [Korn] - Schweine-KZ; MR 1998, 331 - Obergauner;

ecolex 1999, 688 = MR 1999, 76 - Abkassierer).

Es entspricht gefestigter Standesauffassung und der Judikatur des

OBDK, dass ein Rechtsanwalt dann ein Disziplinarvergehen begeht, wenn

er maßlos (ganz beträchtlich, stark, grob) überhöhte Kosten

verrechnet, wobei schon eine Überhöhung um ein Drittel genügt (OBDK

in AnwBl 1994, 896 [zust Strigl]; Gebauer, Das Honorar des

Rechtsanwaltes, 77). Eine solche Handlungsweise fügt dem Ansehen des

Anwaltsstandes in der Öffentlichkeit schweren Schaden zu (OBDK in

AnwBl 1974, 129). Das Begehren eines offenkundig überhöhten Honorars

bildet eine empfindliche Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des

Anwaltsstands (OBDK in AnwBl 1985, 91). Hat daher der Beklagte das

Verlangen des Klägers auf Zahlung einer um mehr als die Hälfte

überhöhten Honorarnote als Standesvergehen des höchsten Ranges

bezeichnet, kann diese Äußerung angesichts der bestehenden Rechtsprechung in Disziplinarsachen keinesfalls als unzulässiger Wertungsexzess beurteilt werden.

Der Kläger meint, es stehe dem Beklagten nicht zu, sich über den für die Ahndung von Standesvergehen allein zuständigen Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer hinwegzusetzen und an dessen Stelle ein Disziplinarverdikt sogar in aller Öffentlichkeit zu fällen, wenn es nicht einmal zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Kläger gekommen sei auch dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.

Rechtsanwälte unterliegen als Angehörige eines freien Berufs einer besonderen Standesgerichtsbarkeit, die Verstöße gegen die Berufspflichten und die Pflicht zur Wahrung des Standesansehens mit disziplinären Sanktionen ahndet. Dennoch steht auch ihnen ein aus Art 10 EMRK erfließendes Recht zu, sachliche Kritik in gebotener Form an Standesvertretern oder an Kollegen zu üben (Berka, Die Grundrechte, Rz 570 mit Nachweisen zur Rsp des VfGH). Nach der Rechtsprechung der OBDK hat die Pflicht zur Kollegialiät dann zurückzutreten, wenn der Verdacht einer sehr bedenklichen Handlung eines Standeskollegen vorliegt und dieser den Verdacht nicht entkräftet (Feil/Wennig, Anwaltsrecht, § 1 DSt E 120); herabsetzende und unbegründete Kritik über das berufliche Verhalten eines Standeskollegen ist freilich unzulässig (aaO E 105).

Der erkennende Senat vertritt zur Bildberichterstattung im Zusammenhang mit der nach § 78 UrhG gebotenen Interessenabwägung den Standpunkt, dass im Rahmen eines seriösen "Aufdeckungsjournalismus" eine abgebildete Person einer gerichtlich strafbaren Handlung als verdächtig bezeichnet werden darf, noch bevor (oder ohne dass) staatliche Behörden einschreiten (MR 1998, 126 [Korn] - Ing. P.).

Gleiches hat auch hier zu gelten: Das Recht des Beklagten auf Freiheit der Meinungsäußerung ist nicht dadurch bedingt, dass zuvor der zuständige Disziplinarrat, der nur auf Antrag des Kammeranwalts einschreitet (§ 20 DSt), schon mit einem bestimmten Sachverhalt befasst worden ist und etwa ein Disziplinarverfahren eingeleitet hat. Hat der Beklagte demnach - wie schon oben näher ausgeführt - mit seiner beanstandeten Äußerung die Grenzen zulässiger sachlicher Kritik nicht überschritten, durfte er seine persönliche Meinung darüber, wie die Vorgangsweise eines Standeskollegen zu beurteilen sei, auch dann in die Öffentlichkeit tragen lassen, wenn wegen des kritisierten Sachverhalts kein Disziplinarverfahren gegen seinen Kollegen anhängig gemacht worden ist.

Abschließend argumentiert der Kläger, der Beklagte habe mit seiner Äußerung sich selbst reklamehaft hervorgehoben; dies verstoße gegen die Werberichtlinie für Rechtsanwälte und damit auch gegen § 1 UWG. Es liege eine das Sachlichkeitsgebot verletzende, unzulässige vergleichende Werbung vor.

Dieses Vorbringen überschreitet den vom Kläger in erster Instanz erstatteten Sachvortrag und verstößt deshalb gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO); darüber hinaus findet es auch im Unterlassungsbegehren keine Deckung. Der Revision konnte deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt kein Erfolg beschieden sein.

Die Kostenentscheidung ist in den § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO begründet.

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