Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagenden und gefährdeten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der Erstkläger war Präsident der Zweitklägerin. Der Beklagte war im Wahlkampf zur Nationalratswahl 1999 Spitzenkandidat einer politischen Partei. Er tätigte in einem Interview mit dem Chefredakteur der Wochenzeitung "Kärntner Woche" folgende Äußerungen: "Man muss die Kammer kennen, um zu wissen, wie sich die Falotten bedienen" und "Man muss drinnen gewesen sein, um zu wissen, wie sich die findigen Falotten das Geld zuteilen." Das Interview erschien in einem Artikel in der "Kärntner Woche" Nr 35 vom 22. bis 28. 9. 1999. Erstere Äußerung ist neben dem Lichtbild des Beklagten abgedruckt. Letztere Äußerung steht in dem Artikel in folgendem Zusammenhang: "Sein liebstes Hassobjekt ist freilich die Wirtschaftskammer: Man muss drinnen gewesen sein, um zu wissen, wie sich die findigen Falotten das Geld zuteilen. Die haben ein System der permanenten Irreführung des Wählers entwickelt. Ich bin dafür, dass man die Kammer zuerst einmal von allem entrümpelt, was nicht Arbeitgeberpolitik ist: Also 90 % der heutigen Aktivitäten ausgliedert. Einwurf: Wie soll es dann mit der Kammer weitergehen ? Ich bin der Meinung, dass sich die großen Beitragszahler außerhalb der Kammer zusammentun müssen und die Kammer zwingen, ihre gesamte Gestion offen zu legen. Die Kammer muss neu anfangen, die Beiträge reduzieren, nur die Kerntätigkeiten finanzieren."
Die Kläger begehrten, den Beklagten zur Unterlassung der Äußerungen (oder sinngleicher Äußerungen): "Man muss drinnen gewesen sein, um zu wissen, wie sich die findigen Falotten das Geld zuteilen" sowie "Man muss die Kammer kennen, um zu wissen, wie sich die Falotten bedienen" zu verpflichten. Beide Äußerungen stellten sowohl den Tatbestand der üblen Nachrede als auch der Beschimpfung dar. Betroffen seien die Kammern und deren Spitzenfunktionäre, die als "Falotten" bzw "findige Falotten" beschimpft worden seien. Dadurch werde auch der wirtschaftliche Ruf der Kläger geschädigt. Zugleich stellten die Kläger ein entsprechendes Sicherungsbegehren.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrages. Der Erstkläger sei von der Äußerung nicht betroffen. Der Beklagte habe den Klägern kein rechtswidriges Verhalten vorgeworfen, sondern lediglich darauf verwiesen, dass sich die Funktionäre der Wirtschaftskammern "das Geld zuteilen" bzw "bedienen", womit lediglich ausgesagt werde, dass es diese Personen verstünden, von den Beiträgen der Zwangsmitglieder gut zu leben. Außerdem habe der Beklagte die Äußerung in der Radiosendung "Morgenjournal" am 28. 9. 1999 ausdrücklich zurückgenommen und klargestellt, dass er lediglich von "findigen Burschen sprechen habe wollen". Die Äußerungen seien überdies wahr, weil durch die "Kammerumlage 2" die Betriebe in Bezug auf die damals neu geschaffene Arbeiterabfertigung entlastet werden sollten, tatsächlich aber eine Zweckbindung in diesem Sinne nicht vorgesehen worden sei und die Kammerumlage als allgemeine Finanzierungsquelle, wie etwa für Kammerpensionen, diene. Weiters seien 1998 519 Mio S, die zum Zweck der Exportförderung eingehoben worden seien, völlig überraschend und ohne Zustimmung der Beitragszahler zur Finanzierung der Pensionen der Kammerfunktionäre verwendet worden. Dazu komme, dass vor Kurzem in der Öffentlichkeit durch Presseberichte bekannt geworden sei, dass der Erstkläger 1994 180.000 S entgegengenommen habe, ohne dafür Schenkungssteuer zu zahlen und dafür gesorgt habe, dass der Geldgeber den Titel "Kommerzialrat" erhalten habe.
Das Erstgericht erließ die begehrte einstweilige Verfügung antragsgemäß. Es qualifizierte die zu unterlassenden Äußerungen als Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB. "Falott" sei ein österreichischer Ausdruck für Gauner bzw Betrüger. Die im betreffenden Artikel erhobenen Vorwürfe seien dermaßen pauschal gehalten worden, dass sie einem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich seien. Von den Äußerungen seien nicht nur die Kammern als juristische Personen, sondern es sei jedenfalls auch der Erstkläger als Spitzenfunktionär der Zweitklägerin betroffen. Die behauptete Zurücknahme der Äußerung in der Radiosendung sei nicht als ein den Klägern zustehender Widerruf zu beurteilen, weil sie weder in der vom Gesetz verlangten Form erfolgt noch gegenüber den ursprünglichen Erklärungsempfängern vorgenommen worden sei.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Ansicht des Erstgerichtes sowohl in Ansehung der Betroffenheit auch des Erstklägers als auch der Wertung der Äußerungen als Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB. Auch das Verbreiten wahrer ehrenrühriger Tatsachen erfülle diesen Tatbestand. Mit seinen Äußerungen habe der Beklagte die Kläger offensichtlich schädigen wollen. Ein Informationsbedürfnis an nicht konkreten Vorwürfen und Beschimpfungen sei zu verneinen. Die Interessenabwägung spreche daher für die Kläger. Selbst wenn das Vorbringen des Beklagten hinsichtlich der Verwendung von Kammerumlagen und bezüglich der Spendenaffäre richtig wäre, sei damit die allgemein gehaltenen und unsubstantiiert gebliebenen schädigenden Vorwürfe des Beklagten nicht zu rechtfertigen.
Rechtliche Beurteilung
Der von der zweiten Instanz nachträglich für zulässig erklärte Revisionsrekurs des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichtes mangels erheblicher Rechtsfrage unzulässig.
a) Zur Betroffenheit auch des Erstklägers:
In die Ehre eines Anderen eingreifende Äußerungen sind stets nach dem Zusammenhang, in dem diese Äußerungen fielen und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck zu beurteilen (MR 1995, 16; 6 Ob 212/98i = MR 1998, 273, je mwN). In der Ansicht der Vorinstanzen, dass es hier bei Beachtung dieses Grundsatzes nicht um eine kollektive Beleidigung aller Kammermitglieder oder all jener bei den Kammern in irgendeiner Weise beschäftigten Personen geht, sondern um einen Vorwurf sowohl gegen die (Wirtschafts-)Kammer als auch gegen ihre Funktionäre, und zwar in erster Linie gegen jene, die in Spitzenpositionen tätig sind, kann eine Fehlbeurteilung nicht erblickt werden. Dass die Kammern selbst von den Vorwürfen betroffen sind, stellt der Beklagte nicht in Abrede. Ebensowenig bekämpft er die in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vertretene Ansicht, dass juristische Personen auch zur Klageführung nach § 1330 Abs 1 ABGB legitimiert sind (MR 1993, 57; MR 1998, 273 ua).
Nach dem Leserverständnis bezieht sich der Begriff der "findigen Falotten", die sich "das Geld zuteilen", gerade auch und im Besonderen auf die den maßgebenden Einfluss innerhalb der Kammern ausübenden Personen, die auf Grund ihrer Position und der damit verbundenen Machtfülle und Einflussmöglichkeit überhaupt erst zu derartigen Machenschaften in der Lage sind. Im Angriff steckt eine gezielte Kritik insbesondere des Führungsstils der leitenden Persönlichkeiten, nämlich dahin, dass diese derartige Zustände nicht nur dulden, sondern ihre Position ausnützen, um ein solches Verhalten selbst und zum eigenen Vorteil zu praktizieren.
Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 6 Ob 21/99b = MR 1999, 76 ausgesprochen hat, ist die Betroffenheit zu bejahen, wenn sich der Vorwurf nicht gegen ein gewissermaßen anonymes Kollektiv mit der impliziten Einschränkung, dass es auch vom Vorwurf nicht betroffene Ausnahmen geben könnte, sondern gegen einzelne Personen richtet, die zwar namentlich nicht genannt, aber unschwer identifizierbar sind. Dass dies hier primär auf den Kläger als (damaligen) Präsidenten der zweitklagenden Partei zutrifft, der dem Leserpublikum als Inhaber der höchstmöglichen Führungsposition bekannt ist und dessen Persönlichkeit im Zusammenhang mit der allgemeinen Erwähnung der "(Wirtschafts-)Kammer" nahezu automatisch damit assoziiert wird, haben die Vorinstanzen ohne Rechtsirrtum erkannt. Er ist die für die mit den Vorwürfen kritisierten Vorgänge erkennbar verantwortliche Person (vgl Korn/Neumayr, Persönlichkeitsschutz 51). Ob auch jeder Andere der "über Tausende von Funktionären und Mitarbeitern" der Zweit- bis Elftklägerinnen klagelegimiert wäre - was der Revisionsrekurs mit dem Argument der Unüberschaubarkeit des Kollektivs und der mangelnden Abgrenzbarkeit verneinen will -, steht hier nicht zur Entscheidung an.
b) Zur Qualifikation der Äußerungen nach § 1330 ABGB:
Auch die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Bezeichnung als "findige Falotten, die sich das Geld zuteilen", eine Ehrenbeleidigung im Sinn des § 1330 Abs 1 ABGB darstellt, weicht nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ab, verletzen solche Vorwürfe doch die Personenwürde der Betroffenen, indem sie diese in die Nähe krimineller Machenschaften (Veruntreuung, Betrug) rücken (vgl MR 1995, 137).
Tatsachen im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB sind nach ständiger Rechtsprechung Umstände, Ereignisse und Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm anhand bekannter oder zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit nachprüfbaren Inhalt. Werturteile sind dagegen rein subjektive, einer objektiven Überprüfbarkeit entzogene Aussagen. Sie werden vom § 1330 Abs 2 ABGB nicht erfasst, können aber als Ehrenbeleidigung gegen § 1330 Abs 1 ABGB verstoßen. Bei der Beurteilung der Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder bloß eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, kommt es - ebenfalls - auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung an. Der subjektive Wille des Erklärenden ist nicht maßgeblich; die Äußerung ist so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen bei ungezwungener Auslegung verstanden wird. Der Täter muss stets die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (6 Ob 24/95 = MR 1996, 26 [Korn] mwN uva).
Es ist daher ohne Belang, ob der Beklagte mit den im Rahmen des Interviews getätigten Äußerungen die gegenüber der offiziell vertretenen Linie der Wirtschaftskammern "zweckwidrige" Verwendung von Geldern aus Kammerumlagen und eine "Spendenaffäre" des Erstklägers anprangern wollte, wie er nunmehr in diesem Verfahren behauptet. Ein solches Tatsachensubstrat lässt sich nämlich dem im Zeitungsartikel wiedergegebenen Interview nicht entnehmen. Der Beklagte beschränkte sich vielmehr im hier interessierenden Zusammenhang auf die mehrfache Verwendung des Schimpfwortes "Falott", das er einmal mit dem Eigenschaftswort "findig" versah und damit nichts Konkreteres zum Ausdruck brachte, als dass die Kammern bzw ihre Spitzenfunktionäre - im negativ besetzten Sinn - besonders "schlau" beim Zuteilen der Gelder - an sich selbst oder an ihresgleichen - vorgehen. Aus dem Artikel lässt sich nichts weiter ableiten als der ganz allgemein gehaltene Vorwurf eines geschickt ausgedachten betrügerischen (im weiteren Sinn) Vorgehens. Welche konkreten Umstände den Beklagten zu dieser Wertung veranlassten, kann der Leser nicht nachvollziehen. Die Beurteilung der Äußerungen als unüberprüfbares Werturteil, das einem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich ist, hält sich daher im Rahmen der aufgezeigten Grundsätze.
Der sinngemäße Vorwurf der unrechtmäßigen persönlichen Bereicherung hat - im Gegensatz zu dem der im Rechtsmittel genannten Entscheidung MR 1995, 177 ("politischer Ziehvater des rechtsextremen Terrorismus") - keinerlei politischen Bezug. Damit wird insbesondere nicht zu einer bestimmten politischen Meinung oder zu einem politischen Konzept eines potentiellen Gegners Stellung bezogen. Die Äußerung fiel auch nicht - anders als in dem der Entscheidung MR 1996, 26 ("Süchtlerin") zugrunde liegenden Fall - im Zuge einer von Spontanität geprägten politischen Debatte und nicht als Kommentar zu einer soeben geäußerten politischen Position des Gegners, wenn auch das Interview während eines Wahlkampfes stattfand und Motiv für die Äußerungen wohl auch ein Angriff auf den politischen Gegner gewesen sein mag. Selbst wenn letztere Umstände zu einer großzügigeren Grenzziehung bei der Frage der akzeptablen Kritik von Politikern und im täglichen Widersstreit politischer Parteien Veranlassung geben sollte, liegt in der Ansicht der Vorinstanzen, dass mit der gewählten Ausdrucksweise selbst diese Grenze bei der gebotenen Interessenabwägung im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtswidrigkeit (MR 1996, 26; MR 1998, 269 ua) überschritten ist, zumindest keine krasse Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Die Frage, ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab und stellt im vorliegenden Einzelfall keine erhebliche Rechtsfrage dar.
Gemäß § 393 Abs 1 EO haben die klagenden Parteien, die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung, in der sie auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen und dies auch näher begründet haben, vorläufig selbst zu tragen.
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