OGH 10ObS108/05p

OGH10ObS108/05p22.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Günther Schön (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dietmar S*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwältin in Berndorf, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juli 2005, GZ 9 Rs 74/05a-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Dezember 2004, GZ 3 Cgs 111/03f-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit das Klagebegehren auf Gewährung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum vom 1. November 2002 bis 31. Dezember 2003 abgewiesen wurde, als Teilurteil bestätigt.

Die Kostenentscheidung bleibt insoweit der Endentscheidung vorbehalten.

Im Übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Sozialrechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind insoweit weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19. 2. 1958 geborene Kläger erlernte den Lehrberuf Werkstoffprüfer Physik und absolvierte am 2. 7. 1976 erfolgreich die Lehrabschlussprüfung. Anschließend war er vom 3. 7. 1976 bis 2. 5. 1994 als Werkstoffprüfer und - im Nachfolgebetrieb seines ersten Arbeitgebers - vom 1. 6. 1994 bis 20. 11. 2001 als Qualitätskontrollor beschäftigt. Er erwarb insgesamt 334 Beitragsmonate der Pflichtversicherung.

Beim Kläger besteht eine geburtstraumatische Verletzung des rechten Armnervengeflechtes sowie eine Schwäche- und Gefühlsstörung am rechten Arm. Sein rechter Arm ist daher seit Geburt nur als Hilfsarm (Hilfshand) verwendbar. Diese vom Kläger in das Berufsleben eingebrachte Beeinträchtigung wirkte sich auf sein psycho-physisches Leistungsvermögen nicht aus. Dem Kläger waren bei Eintritt in das Berufsleben auch Arbeiten unter jedem Zeitdruck möglich. Erst nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes im Jahr 2001 kam es durch das Auftreten einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion zu einem Herabsinken seines psychischen Leistungskalküls.

Derzeit ist der Kläger noch in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen zu verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten an höhenexponierten Stellen, wie auf Leitern und Gerüsten, wobei aber das Besteigen einiger Sprossen einer trittsicheren Zimmerleiter möglich ist. Tätigkeiten unter ständig besonderem Zeit- und Leistungsdruck (Akkord- und Fließbandtätigkeiten) sind nicht zumutbar. Halbzeitig ist aber besonderer Zeitdruck möglich. Der Kläger bedarf einer cholesterinarmen, fettfreien Diabetes-Diät, die aber an den Arbeitsplatz mitgebracht werden kann. Aufsichtstätigkeiten sind zumutbar. Die Einordenbarkeit ist gegeben. Der Kläger ist für Arbeiten mit durchschnittlichem psychischen Anforderungsprofil umschulbar und verweisbar. Die Fingerfertigkeit der linken Hand ist für Feinst- bis Grobmanipulation ausreichend. Es besteht keine Einschränkung der Anmarschwege. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung.

Das psychische Anforderungsprofil des Werkstoffprüfers übersteigt nicht das medizinische Leistungskalkül des Klägers. Bei Außerachtlassung der von ihm in das Berufsleben eingebrachten funktionalen Einarmigkeit wäre eine Arbeitskraft mit den Leistungseinschränkungen des Klägers daher weiterhin in der Lage, die Tätigkeit eines gelernten Werkstoffprüfers in allen dabei in Betracht kommenden Bereichen vollwertig auszuüben.

Im Hinblick auf die vom Kläger in das Berufsleben eingebrachte funktionelle Einarmigkeit ist eine Tätigkeit als Werkstoffprüfer nur mit dem besonderen persönlichen Entgegenkommen eines Arbeitgebers möglich, wobei auch hier nur eine Teiltätigkeit des Lehrberufes in bestimmten Bereichen der Qualitätskontrolle ausgeübt werden kann, wofür österreichweit 100 Arbeitsplätze nicht zur Verfügung stehen.

Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt lehnte den Antrag des Klägers vom 17. 10. 2002 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension mit Bescheid vom 8. 8. 2003 ab, weil Invalidität im Sinn des § 255 ASVG nicht vorliege.

Das Erstgericht wies die dagegen vom Kläger erhobene und auf die Gewährung der beantragten Leistung ab dem Stichtag gerichtete Klage ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass beim Kläger während der Dauer seiner Beschäftigung keine Verschlechterung seiner Leistungsfähigkeit eingetreten sei. Erst nach Beendigung des letzten Dienstverhältnisses sei es zu einem Absinken der psychischen Leistungsfähigkeit gekommen. Auch dieser Umstand stehe jedoch einer Ausübung des Berufes des Qualitätsprüfers nicht entgegen, weil die Anforderungen dieses Berufes die derzeitige psychische und intellektuelle Leistungsfähigkeit des Klägers nicht überschritten. Der Kläger könne demnach die von ihm in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag ausgeübte Tätigkeit weiterhin ausüben, sodass er nicht invalide im Sinn des § 255 ASVG sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht Folge. Es trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg auf die mit 1. 1. 2004 in Kraft getretene Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG stützen, da diese Bestimmung nur für Versicherte in Betracht komme, die bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge von Krankheit oder anderen körperlichen Gebrechen oder Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande gewesen seien, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hätten. Es bestehe kein Anlass für die Annahme, dem Kläger wäre aufgrund seines Leidens im genannten Zeitpunkt jegliche regelmäßige Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwehrt gewesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil - soweit überblickbar - zur gegenständlichen Problematik der Auslegung der Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG keine Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch teilweise berechtigt.

Der Kläger bekämpft inhaltlich nicht die Abweisung seines Begehrens auf Gewährung der Invaliditätspension für den Zeitraum vom 1. 11. 2002 bis 31. 12. 2003. Er vertritt aber weiterhin den Standpunkt, es sei ihm auf Grund der Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG eine Invaliditätspension ab 1. 1. 2004 zu gewähren. Diese Bestimmung sei dahin auszulegen, dass ein Versicherter, der eine Behinderung in das Berufsleben eingebracht habe, einen Anspruch auf eine Invaliditätspension erwerbe, wenn er trotz dieser Behinderung mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben habe. Eine vor Eintritt in das Berufsleben bestehende Arbeitsunfähigkeit sei nicht im Hinblick auf die Verhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt sondern im Hinblick auf die vom Versicherten tatsächlich aufgenommene Tätigkeit zu beurteilen. Auch der Kläger sei auf Grund seines körperlichen Gebrechens zur Ausübung seines konkreten Berufes auf ein Entgegenkommen seines Dienstgebers angewiesen gewesen. Es sei ihm trotz seiner ins Berufsleben eingebrachten funktionellen Einarmigkeit möglich gewesen, die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Werkstoffprüfer erfolgreich abzulegen und diesen Beruf in den letzten 15 Jahren zumindest in Form einer berufsschutzerhaltenden Teiltätigkeit auch überwiegend auszuüben. In diesem Zusammenhang liege ein sekundärer Feststellungsmangel vor, da es das Erstgericht verabsäumt habe, festzustellen, dass er auch zum Stichtag 1. 1. 2004 in den letzten 15 Jahren die Tätigkeit des Werkstoffprüfers in der berufsschutzerhaltenden Form des Qualitätsprüfers überwiegend ausgeübt habe. Im Übrigen bedürfe es nach dem Wortlaut des § 255 Abs 7 ASVG in dessen Anwendungsbereich auch nicht mehr des Hinzutretens einer weiteren Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Versicherten oder einer Verschlechterung der von ihm in das Berufsleben eingebrachten Behinderung.

Der erkennende Senat hat dazu folgendes erwogen:

Sowohl bei der Invaliditätspension aus der Pensionsversicherung der Arbeiter (§ 254 ASVG) als auch bei der Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung der Angestellten (§ 271 ASVG) handelt es sich um Leistungen aus Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit (§ 222 Abs 1 Z 2 lit a und b ASVG). Gemeinsam ist beiden Pensionsleistungen der beabsichtigte Schutz vor den Auswirkungen einer körperlich oder geistig bedingten Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit. Verschieden ist jeweils die Vergleichsgröße, an der das Ausmaß der Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit gemessen wird. Während § 255 Abs 1 und § 273 Abs 1 ASVG darauf abstellen, dass die Arbeitsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, stellt § 255 Abs 3 ASVG auf die Fähigkeit ab, durch eine auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete und zumutbare Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erzielen, das ein gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Während es somit bei überwiegend als Hilfsarbeiter tätig gewesenen Arbeitern nur auf die Erzielbarkeit der sogenannten „Lohnhälfte" ankommt, ist bei überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesenen Arbeitern oder bei Angestellten entscheidend, ob ihre Arbeitsfähigkeit mindestens noch die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnisses und Fähigkeiten erreicht. Es besteht daher ein Anspruch auf Invaliditätspension bzw Berufsunfähigkeitspension, wenn die (individuelle) Arbeitsfähigkeit eines in der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der Angestellten Versicherten, auf weniger als die Hälfte der einer körperlich und gesunden Vergleichsperson herabgesunken ist. Diese voll arbeitsfähige (typisierte) Vergleichsperson ist bei Facharbeitern und Angestellten ein Versicherter von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten (§ 255 Abs 1 und § 273 Abs 1 ASVG), bei Hilfsarbeitern ein Versicherter, der eine auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete und dem Pensionswerber zumutbare Tätigkeit ausübt (SSV NF 9/46). Unter „Arbeitsfähigkeit" im Sinn der §§ 255, 273 ASVG ist daher grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, sich durch Ausnützen seiner Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt einen Erwerb zu erschaffen. Damit ein Pensionsanspruch begründet ist, muss die Resterwerbsfähigkeit des Versicherten geringer als die Hälfte der Vollerwerbsfähigkeit einer gesunden Vergleichsperson sein. Maßstab für die Ermittlung der Resterwerbsfähigkeit ist regelmäßig der Arbeitsverdienst, den der Versicherte mit seinem körperlichen und geistigen Zustand noch zu erzielen in der Lage ist (SSV-NF 9/46).

Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage hat der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach ständiger Rechtsprechung zur Voraussetzung, dass eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte der eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreicht haben muss, durch nachfolgende Entwicklungen beeinträchtigt wurde. Ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand kann bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalles führen. Die Bestimmungen der §§ 255 Abs 1 und 3 sowie 273 ASVG stellen somit immer darauf ab, dass der Versicherte zu einem bestimmten Zeitpunkt arbeitsfähig war, bevor diese Fähigkeit durch nachfolgende Entwicklungen ganz oder teilweise verloren gegangen ist (SSV-NF 1/33, 2/60, 4/160, 5/14, 6/26, 15/62, 16/1 ua; RIS-Justiz RS0084829, RS0085107). Auch die Versicherungsfälle der Erwerbsunfähigkeit in § 124 Abs 1 BSVG und § 133 Abs 1 GSVG haben zur Voraussetzung, dass zuvor Erwerbsfähigkeit bestand und diese durch eine nachfolgende Entwicklung beeinträchtigt wurde (SSV-NF 2/87, 13/30 ua).

Nach der mit 1. 1. 2004 in Kraft getretenen Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG idF 2. SVÄG 2003, BGBl I 2003/145, gilt der Versicherte auch dann als invalid im Sinne der Absätze 1 bis 4, wenn er bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat. In den Gesetzesmaterialien (abgedruckt in Teschner/Widlar, MGA, ASVG 87. Erg-Lfg § 255 Anm 15) wird einleitend auf die bereits oben dargestellte Gesetzeslage verwiesen, wonach der Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität/Berufsunfähigkeit eine Änderung, nämlich eine Verschlechterung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit des Versicherten im Laufe seines Erwerbslebens, also seit dem Zeitpunkt des erstmaligen Eintritts in die Pflichtversicherung, voraussetze und die Arbeitsfähigkeit des Versicherten auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig Gesunden von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken sein müsse. Es wird unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die bereits erwähnte ständige Rechtsprechung, wonach ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis eingebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht bedingen könne, weiters ausgeführt, dass diese Rechtslage nach Ansicht der Volksanwaltschaft nicht verständlich erscheine, wenn eine Person viele Jahre hindurch trotz gerichtlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit aktiv dem Arbeitsmarkt und damit der Versicherungsgemeinschaft angehöre und Versicherungszeiten erworben habe. Durch die Gesetzesänderung solle - einer Anregung der Volksanwaltschaft folgend - nunmehr auch Menschen, die bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit auf Grund ihrer starken gesundheitlichen Einschränkungen „arbeitsunfähig" gewesen seien, dennoch über lange Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen seien und im Fall einer weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zum Ausscheiden aus ihrer Tätigkeit gezwungen seien, ermöglicht werden, einen Anspruch auf Leistungen aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit zu erwerben. Voraussetzung hiefür solle sein, dass diese Personen 10 Beitragsjahre der Pflichtversicherung erworben habe. Diese Maßnahme solle auch einen Anreiz für Behinderte darstellen, sich in den regulären Arbeitsmarkt aktiv zu integrieren und auf diese Weise einen Anspruch auf eine Pension aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit zu erwerben. Nach § 273 Abs 2 ASVG gilt die Regelung des § 255 Abs 7 ASVG entsprechend auch für den Begriff der Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG. Entsprechende Regelungen finden sich weiters in § 133 Abs 6 GSVG und § 124 Abs 4 BSVG für den Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinne dieser Gesetze.

Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 255 Abs 7 ASVG einen Anspruch auf Invaliditätspension auch bei originärer Invalidität geschaffen. Er ist damit für den Anwendungsbereich dieser Bestimmung ganz bewusst von der in § 255 Abs 1 und 3 ASVG normierten Voraussetzung abgegangen, wonach eine bei Beginn der Erwerbstätigkeit bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson erreicht haben muss, durch nachfolgende Entwicklungen auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson herabgesunken sein muss. Der Gesetzgeber wollte damit auch Menschen, deren Arbeitsfähigkeit bereits bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit auf Grund ihrer starken gesundheitlichen Einschränkungen auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson beschränkt war und die somit im Sinne der pensionsrechtlichen Bestimmungen (§§ 255, 273 ASVG) „arbeitsunfähig" waren, den Erwerb eines Anspruchs aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit unter der Voraussetzung, dass sie dennoch über lange Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, ermöglichen. Damit sollte für behinderte Menschen ein Anreiz geschaffen werden, sich in den regulären Arbeitsmarkt aktiv zu integrieren und auf diese Weise einen Anspruch auf eine Pension aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit zu erwerben.

Invalidität im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG liegt dann vor, wenn ein Versicherter überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war und seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnisses und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Damit die Rechtsfolge des § 255 Abs 1 ASVG eintreten konnte, musste der Versicherte nach bisheriger Rechtslage eine Arbeitsfähigkeit aufweisen, die zumindest der Hälfte derjenigen einer entsprechenden Vergleichsperson entsprach, weil sie andernfalls nicht unter diese Hälfte herabsinken konnte. Seit Inkrafttreten des § 255 Abs 7 ASVG ist jedoch auch diese Bestimmung zu berücksichtigen, da in dieser Bestimmung ausdrücklich auch auf den Begriff der Invalidität nach § 255 Abs 1 ASVG und nicht nur auf jenen nach § 255 Abs 3 ASVG Bezug genommen wird. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes hat daher die Anwendung der Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG nicht zur Voraussetzung, dass der Betreffende bereits bei Beginn seiner Erwerbstätigkeit außer Stande war, einer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewerteten Tätigkeit nachzugehen (§ 255 Abs 3 ASVG). Die Erweiterung des Invaliditätsbegriffes durch die Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG kann nach Ansicht des erkennenden Senates daher insbesondere auch dann zur Anwendung gelangen, wenn die Invalidität des Versicherten nach § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen ist. Es würde nämlich im Hinblick auf den mit der Gesetzesänderung ausdrücklich verfolgten Zweck, für Behinderte einen Anreiz zu schaffen, sich in den regulären Arbeitsmarkt aktiv zu integrieren und auf diese Weise einen Anspruch auf eine Pension aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit zu erwerben, einen kaum überbrückbaren Wertungswiderspruch bedeuten, einem Versicherten, der trotz einer in das Berufsleben eingebrachten Behinderung einen Beruf erlernt und diesen Beruf trotz festgestellter „Arbeitsunfähigkeit" in diesem Beruf auf Grund des besonderen Entgegenkommens eines Dienstgebers über einen längeren Zeitraum auch tatsächlich ausgeübt hat, einen Anspruch auf Invaliditätspension nach § 255 Abs 7 ASVG von vornherein zu versagen, während für einen Versicherten, der eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter trotz festgestellter Arbeitsunfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf Grund des besonderen Entgegenkommens eines Dienstgebers über einen längeren Zeitraum auch tatsächlich ausgeübt hat, unbestritten die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Invaliditätspension nach § 255 Abs 7 ASVG besteht.

Zutreffend macht der Kläger geltend, dass die Frage, ob ihm Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG zukommt, noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Voraussetzung dafür wäre, dass der Kläger seinen erlernten Beruf als Werkstoffprüfer - entsprechend seinen Behauptungen - auch im maßgebenden Zeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 1. 2004) im Rahmen einer berufsschutzerhaltenden Teiltätigkeit als Qualitätskontrollor überwiegend ausgeübt hat (RIS-Justiz RS0084497 ua). Für die Beantwortung dieser Frage liegen jedoch keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen vor, sodass sich das Verfahren insoweit als ergänzungsbedürftig erweist.

Führt die notwendige Verfahrensergänzung zu dem Ergebnis, dass der Kläger Berufsschutz als gelernter Werkstoffprüfer im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG genießt, würde auch der Umstand, dass ihm nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Hinblick auf seine funktionelle Einarmigkeit die Ausübung seines erlernten Berufes nur mit dem besonderen Entgegenkommen seines Arbeitgebers möglich war, einem Anspruch auf Invaliditätspension im Hinblick auf die durch die Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG vorgenommene Erweiterung des Invaliditätsbegriffes nicht mehr grundsätzlich entgegenstehen. Der Gesetzgeber verlangt für eine Anwendung der Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG auch nicht, dass bei dem Versicherten bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit eine bestimmte „Restarbeitsfähigkeit" vorhanden gewesen sein muss, sodass auch Versicherte, die auf Grund ihrer starken gesundheitlichen Einschränkungen praktisch vollständig „arbeitsunfähig" waren, jedoch aus besonderem Entgegenkommen eines Dienstgebers über lange Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen. Voraussetzung für einen Anspruch auf Invaliditätspension nach § 255 Abs 7 ASVG ist lediglich, dass der Versicherte bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat. Im Falle des Klägers wäre daher unter Annahme eines Berufsschutzes als gelernter Werkstoffprüfer entscheidend, ob seine Arbeitsfähigkeit aufgrund seiner funktionellen Einarmigkeit bei Eintritt in das Erwerbsleben bezogen auf den Beruf eines gelernten Werkstoffprüfers bereits auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson eingeschränkt war.

Eine zusätzliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Invaliditätspension nach § 255 Abs 7 ASVG dahingehend, dass der Versicherte durch eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zum Ausscheiden aus seiner bisherigen Tätigkeit gezwungen gewesen sein musste, ist dem Gesetzestext nicht zu entnehmen. Es wird zwar in den bereits zitierten Gesetzesmaterialien auf den Fall Bezug genommen, dass der Versicherte durch eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zum Ausscheiden aus seiner Tätigkeit gezwungen wird. Dabei handelt es sich allerdings nur um einen möglichen - in der Praxis vermutlich auch häufig auftretenden - Grund für die Beendigung der Tätigkeit des Versicherten und es könnte ein weiterer möglicher Grund für das Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis beispielsweise auch darin bestehen, dass der Arbeitgeber des Versicherten, der diesen trotz der unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes festgestellten Arbeitsunfähigkeit aus Entgegenkommen beschäftigt hat, sein Unternehmen aufgibt und der Versicherte wegen seiner unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bestehenden Arbeitsunfähigkeit für eine zumutbare andere Tätigkeit von Vornherein nicht in Betracht kommt. Im Übrigen ist bei der Auslegung der Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG zu berücksichtigen, dass die Gesetzesmaterialien weder das Gesetz selbst sind, noch eine authentische Interpretation des Gesetzes darstellen. Ein Rechtssatz, der nur in den Gesetzesmaterialien steht und im Gesetz keinen Niederschlag gefunden hat, kann daher auch nicht im Wege der Auslegung Geltung erlangen (Posch in Schwimann ABGB³ § 6 Rz 17 mwN).

Die Notwendigkeit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten im Anwendungsbereich des § 255 Abs 7 ASVG kann auch nicht aus der in dieser Gesetzesstelle enthaltenen Verweisung auf die Absätze 1 bis 4 abgeleitet werden, da, wie bereits dargelegt, das insbesondere den Absätzen 1 und 3 des § 255 ASVG zu Grunde liegende „Herabsinken" der Arbeitsfähigkeit ein Herabsinken der Arbeitsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson zum Inhalt hat und ein solcher Maßstab im Anwendungsbereich des § 255 Abs 7 ASVG aus den bereits dargelegten Gründen nicht in Betracht kommt. Da sich der Anwendungsbereich des § 255 Abs 7 ASVG nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers auf Menschen erstreckt, die bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit bereits „arbeitsunfähig" waren, wäre auch nicht nachvollziehbar, welche Kriterien für die Beurteilung einer weiteren Verminderung der „Arbeitsfähigkeit" durch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten heranzuziehen wären. Auch der Frage, ob der Versicherte noch in der Lage ist, die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit weiterhin zu verrichten, kommt im Anwendungsbereich des § 255 Abs 7 ASVG keine maßgebende Bedeutung zu. Dem Umstand, dass ein Versicherter über die Arbeitskraft verfügt, die ihn befähigt, die bisher ausgeübte Tätigkeit ohne Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes weiterhin auszuüben, kommt nämlich nur insoweit Bedeutung zu, als dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass seine Arbeitsfähigkeit nicht unter die Hälfte derjenigen eines zum Vergleich heranzuziehenden „gesunden" Versicherten gesunken sein kann, weil auch dieser nur über eine solche Arbeitskraft verfügen muss (SSV-NF 1/37). Die Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG setzt jedoch, wie bereits mehrfach erwähnt, voraus, dass der Versicherte bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Eine Verweisung des Versicherten auf andere Tätigkeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes kommt daher in diesem Fall von Vornherein nicht in Betracht.

Die dargelegten Erwägungen führen zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger inhaltlich nicht mehr bekämpfte Abweisung seines Begehrens auf Gewährung einer Invaliditätspension für den Zeitraum vom 1. 11. 2002 bis 31. 12. 2003 als Teilurteil zu bestätigen ist. Da es zur Abklärung der Frage, ob dem Kläger im Hinblick auf die Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG eine Invaliditätspension ab 1. 1. 2004 zusteht, einer Verhandlung erster Instanz bedarf, sind die Urteile der Vorinstanzen insoweit aufzuheben. Die Sache ist an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren im Sinne der dargelegten Ausführungen zu klären haben, ob dem Kläger Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG zukommt und ihm in diesem Fall unter Bedachtnahme auf die zur Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG erörterten Kriterien ein Anspruch auf Invaliditätspension ab 1. 1. 2004 zusteht.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Stichworte