OGH 2Ob21/05k

OGH2Ob21/05k21.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Petra P*****, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner und Mag. Werner Diebald, Rechtsanwälte in Köflach, wider die beklagte Partei Gemeinde E*****, vertreten durch Dr. Dieter Zaponig, Rechtsanwalt in Graz, wegen EUR 9.126,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 1. September 2004, GZ 17 R 99/04k-40, womit das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 9. März 2004, GZ 24 C 1216/02k-36, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 665,66 (darin EUR 110,94 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen geriet die Klägerin, die am 30. 12. 2001 mit dem PKW ihres Ehegatten die Gemeindestraße Greith-Rein befuhr, im Freilandgebiet auf eisglatter, nicht gestreuter Fahrbahn ins Schleudern, wodurch der PKW von der Fahrbahn abkam und im Straßengraben zum Stillstand gelangte. Der Unfall, bei dem die Klägerin Verletzungen erlitt und am PKW wirtschaftlicher Totalschaden entstand, ereignete sich um 5.45 Uhr. Ca 15 Minuten davor hatte leichter Nieselregen eingesetzt, der rasch zu Glatteisbildung führte. Nachdem die Klägerin mit einer Geschwindigkeit von ca 50 km/h auf zunächst feuchter Fahrbahn gefahren war, wurde die Fahrbahnoberfläche plötzlich „spiegelglatt", sodass sie, ohne einen Fahrfehler begangen zu haben, keine Möglichkeit mehr hatte, unfallverhindernd zu reagieren. Die Tage vor dem Unfallstag waren frei von Niederschlag gewesen. Die Prognosen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik lauteten für die Nacht vom 29. auf den 30. 12. 2001 jedoch dahin, dass es südlich des Mur/Mürztales zu Niederschlägen in abgeschwächter Form und - dadurch bedingt - möglicherweise zu Glatteisbildung kommen werde. Die Regionalstellen für die Steiermark und für Wien wiesen noch am 29. 12. 2001 auf die Gefahr von gefrierendem Regen, vor allem in der Steiermark südlich der Alpen, hin, da hier noch Kaltluft am Boden lagerte und diese Wetterlage für Niederschläge geradezu typisch ist. Am 28. und 29. 12. 2001 wurde in den Wetternachrichten der diversen Radio- und Fernsehsender des österreichischen Rundfunks sowie in den Regionalnachrichten mehrfach vor der Glatteisgefahr in der Nacht auf den 30. 12. 2001 im Süden Österreichs gewarnt. In diesem Zusammenhang wurde erwähnt, dass in den Becken der Alpensüdseite kurzzeitig mit gefrierendem Regen zu rechnen sei. Ab 30. 12. 2001, 00.00 Uhr, wurde in den allgemein für Österreich gültigen Nachrichtentexten auf die Glatteisgefahr im Süden Österreichs ausdrücklich hingewiesen.

Die beklagte Gemeinde beschäftigt für die Besorgung des Winterdienstes zwei Mitarbeiter, denen die Beobachtung des Wetters und die je nach Wetterprognose und Wetterlage selbständig zu treffende Entscheidung obliegt, ob, wann und wie die Straßen zu streuen sind. Am dienstfreien Sonntag besteht ein Bereitschaftsdienst. Im Falle eines Streueinsatzes ist nach einem auf den Erfahrungen der vorangegangenen Jahre beruhenden Streuplan vorzugehen, der die vorrangige Betreuung der Krankenhauszufahrten und von „Steilstücken", wochentags auch der Schulbusstrecken, vorsieht. Den beiden verantwortlichen Gemeindebediensteten stehen zur Streuung zwei „Unimogs" zur Verfügung. Im Bedarfsfall „wenn mit einem Einsatzfahrzeug zu streuen ist", beauftragen sie überdies ein Unternehmen. Insgesamt hat die beklagte Partei über 100 km Straße zu betreuen.

Am Unfallstag, einem Sonntag, stand der den Bereitschaftsdienst verrichtende Bedienstete der beklagten Partei zwischen 3.30 Uhr und 4.00 Uhr auf und beobachtete das Wetter. Er stellte fest, dass es hell und sternenklar war und dass die Außentemperatur einige Grad unter Null lag. Tatsächlich war um 4.00 Uhr früh „die Hälfte des Himmels" bewölkt „die andere Hälfte" sternenklar. Obwohl er „oft" Radio hört und die Wettervorhersage verfolgt, schätzte der Bedienstete der beklagten Partei die Wettersituation als „ungefährlich" ein und ging wieder zu Bett. Als er um 5.45 Uhr aufstand, um seine Landwirtschaft zu versorgen, bemerkte er, dass es feucht war. Er begab sich auf dem schnellsten Weg in das Gemeindegebäude, um den Streueinsatz in die Wege zu leiten. Mittlerweile hatte sich auf der eisglatten Gemeindestraße schon ein zweiter Unfall ereignet. Bei rechtzeitigem Beginn der Streuung mit dem richtigen Streusalz hätte die Glatteisbildung vermieden werden können.

Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei Schmerzengeld und machte die ihr zum Inkasso abgetretenen Schadenersatzansprüche (Totalschaden, Ummeldespesen, Fahrt- und Telefonspesen) ihres Ehegatten geltend. Die beklagte Partei habe ihre Pflichten als Wegehalter grob fahrlässig missachtet und trotz vorhersehbarer Glatteisbildung nicht für eine ordnungsgemäße Streuung der Fahrbahn gesorgt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ausgehend von den übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes vertrat es die Rechtsansicht, die beklagte Partei habe auf Grund der Wetterprognosen in Rundfunk und Fernsehen eine erhöhte Sorgfaltspflicht getroffen, die jedoch nicht überspannt werden dürfe. Die Vorgangsweise des verantwortlichen Mitarbeiters der beklagten Partei habe den Anforderungen entsprochen. Der beklagten Partei sei keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 1319a ABGB vorwerfbar. Auf Antrag der Klägerin änderte das Berufungsgericht mit Beschluss vom 13. 12. 2004 seinen Ausspruch, mit dem es die ordentliche Revision nicht zugelassen hatte, dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Zur Begründung führte es aus, im Hinblick auf die von der Klägerin zitierte Entscheidung 7 Ob 34/88 könnte doch davon auszugehen sein, „dass im konkreten Fall ein Sachverhalt vorlag, der auch bei weitester Auslegung nicht mehr für eine nur leichte Fahrlässigkeit spricht, sodass die Beurteilung des Einzelfalles in ihrer Bedeutung über diesen hinausgeht."

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Das Berufungsgericht zeigt in der Begründung seines abändernden Ausspruches nach § 508 Abs 3 ZPO nicht einmal ansatzweise eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Eröffnet eine bereits vorhandene Grundsatzjudikatur des Obersten Gerichtshofes einen Wertungsspielraum, so darf das Berufungsgericht seinen Ausspruch nur dann nachträglich abändern, wenn es zur Überzeugung gelangt, dass ihm bei der Würdigung des Anlassfalles eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlief, weil der Oberste Gerichtshof andernfalls in jedem in den Zulassungsbereich fallenden Einzelfall in letzter Instanz die Sachentscheidung zu treffen hätte (EvBl 2001/52; 1 Ob 221/03m; RIS-Justiz RS0114180).

Auch in der Revision der Klägerin werden keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dargetan. Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

Der Umfang der Streupflicht richtet sich nach dem Verkehrsbedürfnis und der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen (RIS-Justiz RS0029997). In Freilandgebieten dürfen daher an die Streupflicht keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (ZVR 1979/316; ZVR 1986/11; 2 Ob 51/89; 2 Ob 314/99m; RIS-Justiz RS0023431). In der Regel ist auch eine vorbeugende Streuung nicht zu verlangen (2 Ob 51/89; 2 Ob 314/99m). Das Merkmal der Zumutbarkeit erfordert die Berücksichtigung dessen, was nach allgemeinen und billigen Grundsätzen erwartet werden kann. Welche Maßnahmen ein Wegehalter im Einzelnen zu ergreifen hat, richtet sich danach, was nach Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, seiner geografischen Situierung in der Natur und dem Verkehrsbedürfnis angemessen und nach objektiven Maßstäben zumutbar ist. Es kommt im jeweils zu prüfenden Einzelfall darauf an, ob der Wegehalter die ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um eine gefahrlose Benützung gerade dieses Weges zu erreichen (2 Ob 191/97w mwN; 2 Ob 314/99m; 2 Ob 226/02b). Dabei ist kleinen Gemeinden weniger zuzumuten als großen (ZVR 1979/316), doch wird generell der öffentlichen Hand als Wegehalterin gegenüber der Allgemeinheit mehr Verantwortung aufgebürdet als Privaten (2 Ob 191/97w; 2 Ob 226/02b). Eine abschließende Umschreibung der Pflichten des Wegehalters ist infolge der Einzelfallbezogenheit nicht möglich, weshalb auch die Frage nach dem Umfang der Streupflicht keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft (2 Ob 299/01m; 2 Ob 226/02b). Dies gilt insbesondere für die für eine Haftung nach § 1319a ABGB entscheidende Frage, ob dem Wegehalter grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (2 Ob 79/04p). Grobe Fahrlässigkeit ist eine auffallende Sorglosigkeit, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlichem Maß verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Der objektiv besonders schwere Verstoß muss auch subjektiv schwer anzulasten sein (ZVR 1980/46; ZVR 1986/11; ZVR 1990/15 uva; RIS-Justiz RS0030171).

Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung, die aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit wahrzunehmen wäre, ist dem Berufungsgericht bei der Lösung dieser Rechtsfrage nicht unterlaufen. Aus der Tatsache, dass die Unfallstelle zur Unfallszeit in der von den Vorinstanzen festgestellten Weise vereist war, ist noch kein der beklagten Partei anzulastendes Verschulden ableitbar. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie es in bei Anwendung durchschnittlicher Sorgfalt vorwerfbarer Weise unterlassen hätte, für eine ihr zumutbare Streuung der Unfallstelle zu sorgen (vgl 2 Ob 51/89). Auf Grund der zahlreichen Hinweise in den Wettervorhersagen „für die Becken der Alpensüdseite", musste auch im Gemeindegebiet der beklagten Partei für die Nacht auf den 30. 12. 2001 mit kurzzeitigem, Glatteisbildung begünstigendem Niederschlag gerechnet werden, sodass die Beobachtung der Wetterlage geboten war. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht aus den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes hervorgehoben, dass der mit der Besorgung des Winterdienstes betraute Gemeindebedienstete das Wetter zwischen 3.30 Uhr und 4.00 Uhr beobachtet, hiebei aber hellen und sternenklaren Himmel wahrgenommen hat, weshalb er sich - in der Gewissheit, um 5.45 Uhr ohnedies wieder aufzustehen - zur Fortsetzung seiner Nachtruhe entschloss. Aus der weiteren Feststellung, „die Hälfte des Himmels" sei etwa um 4.00 Uhr bewölkt gewesen, „die andere Hälfte" sternenklar, ist nicht ableitbar, dass der Bedienstete der beklagten Partei selbst unter Berücksichtigung der vor Glatteis warnenden Prognosen in Rundfunk und Fernsehen kurz bevorstehenden Niederschlag und die drohende Vereisung der konkreten Unfallstelle leicht erkennen hätte können (vgl 2 Ob 314/99m). Die seiner Entscheidungsbegründung immanente Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, eine schadensträchtige Verschlechterung der Wetterlage im Zeitraum zwischen 4.00 Uhr und 5.45 Uhr sei zwar auch nach Beobachtung der um 4.00 Uhr herrschenden Wetterlage noch als möglich, aber nicht als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar gewesen, hält sich im Rahmen seines Ermessensspielraumes. Es begründet auch keine erhebliche Rechtsfrage, ob im konkreten Einzelfall ausnahmsweise eine vorbeugende Streuung vorzunehmen gewesen wäre oder ob die beklagte Partei für eine durchgehende Beobachtung der Wetterlage während der gesamten Nacht zu sorgen gehabt hätte. Es stellt ferner keine auffallende Fehlbeurteilung dar, wenn das Berufungsgericht in dem Umstand, dass die von der Klägerin befahrene Gemeindestraße in einem vom Streuplan nicht bevorzugten Freilandgebiet 15 Minuten nach Einsetzen des gefrierenden Nieselregens noch nicht gestreut war, den Verschuldensgrad der groben Fahrlässigkeit (im objektiven Sinn) - auch unter dem Gesichtspunkt eines allfälligen Organisations- und Überwachungsverschuldens der beklagten Partei - nicht verwirklicht sah. Schließlich vermag die Klägerin auch durch die Wiedergabe verschiedener Judikaturzitate zur Abgrenzung grober von leichter Fahrlässigkeit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darzutun, richtet sich doch die Anwendung dieser Grundsätze stets nach den Umständen des Einzelfalles. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Klägerin daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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