OGH 7Ob262/04m

OGH7Ob262/04m17.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Kalivoda und Hon. Prof. Dr. Neumayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alexander K*****, vertreten durch den Sachwalter Ing. Hans Jürgen S*****, dieser vertreten durch Mag. Johannes Pfeifer, Rechtsanwalt in Liezen, gegen die beklagte Partei R***** AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Pressl und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 23.182,04 sA, über die außerordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 18. August 2004, GZ 4 R 156/04z-18, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Der Kläger ist bei der beklagten Partei unfallversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1995) zugrunde. Nach deren Art 17 Pkt 8. sind Unfälle von der Versicherung ausgeschlossen, die der Versicherte infolge einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner psychischen oder physischen Leistungsfähigkeit durch Alkohol, Suchtgifte oder Medikamente erleidet.

Am 2. 4. 2002 prallte der Kläger mit einem von ihm gelenkten PKW auf der Pyhrnautobahn (A 9) in Richtung Graz fahrend aus unbekannter Ursache gegen die Mittelleitschiene. Er verließ sein leicht beschädigtes Fahrzeug und überquerte zu Fuß die zweispurige Gegenfahrbahn (Richtungsfahrbahn Linz). Als er anschließend wieder zu seinem PKW zurückkehren wollte, näherte sich auf der Richtungsfahrbahn Linz ein Sattelkraftfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von ca 80 km/h mit Abblendlicht. Obwohl dessen Lenker mehrmals die Hupe betätigte, reagierte der Kläger nicht, sondern lief in gebückter Haltung weiter in Richtung Fahrbahnmitte, sodass ein Zusammenstoß nicht mehr zu verhindern war. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalles stark alkoholisiert; er wies eine Blutalkoholkonzentration zwischen 1,45 und 2 Promille auf. Im Landeskrankenhaus R*****, wo sich der Kläger vom 4. 6. bis 8. 7. 2002 in stationärer Behandlung befand, wurde ein chronischer Alkoholabusus mit Entzugssymptomatik diagnostiziert. Der Kläger erlitt beim Unfall schwerste, lebensgefährliche Verletzungen, die zu einer dauernden Invalidität im Sinne des Art 7 der AUVB 1995 führten.

Mit der Behauptung, nunmehr unfallsbedingt Vollinvalide zu sein, begehrt der Kläger von der Beklagten EUR 23.182,04 sA aus der Versicherung.

Die Beklagte wendete ein, gemäß Art 17 Pkt 8. AUVB 1995 leistungsfrei zu sein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die für den Kläger günstigste Blutalkoholkonzentration von 1,45 Promille reiche alleine für die Annahme einer Bewusstseinsstörung nicht aus. Das Überqueren einer Autobahn bei Dunkelheit und starkem Verkehrsaufkommen sei aber keine alltägliche Tätigkeit, sondern eine, die besondere Anforderungen an die Aufnahme-, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit stelle. Da der Kläger die Autobahn in gebückter Haltung überquert und trotz mehrfachen Hupens nicht auf das Herannahen des Sattelfahrzeuges reagiert habe, sei davon auszugehen, dass er in seiner Aufmerksamkeit gestört und in seiner Reaktion verlangsamt gewesen sei. Der Beklagten sei somit der Anscheinsbeweis gelungen, dass bei ihm zum Zeitpunkt des Unfalles eine wesentliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bestanden habe. Nach der Lebenserfahrung sei auch davon auszugehen, dass diese Bewusstseinsstörung den Unfall kausal verursacht habe. Die vom Kläger vorgebrachte Alkoholgewöhnung würde nur eine bessere Kompensation der Alkoholauswirkungen bei gewohnten Tätigkeiten bewirken, nicht jedoch hinsichtlich der psychischen Leistungsfähigkeit bei neu zu entscheidenden Situationen.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Selbst wenn man die Reaktion des Klägers, sich auf der Überholspur zu Fuß von der Autobahn zu entfernen, als noch keine alkoholtypische Fehlreaktion werte, stelle sein weiterer Versuch, die entgegengesetzte Richtungsfahrbahn noch einmal zu überqueren, um zum Fahrzeug zurückzukehren, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die alkoholbedingte Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit des alkoholisierten Klägers dar, zumal er dabei einen herannahenden LKW trotz mehrmaliger Hupsignale ignoriert und sein Vorhaben reaktionslos fortgesetzt habe. Für eine solche erhebliche alkoholbedingte Beeinträchtigung spreche auch, dass der Kläger in - durch keine sonstigen nachvollziebaren Gründe erklärbarer - gebückter Haltung über die Fahrbahn gelaufen sei. Dieselben Hilfstatsachen, aus denen auf eine solche Bewusstseinsstörung zu schließen sei, würden auch deren Unfallsursächlichkeit beweisen, sodass der Beklagten auch der Anscheinsbeweis für die Kausalität der Beeinträchtigung für den Unfall gelungen sei. Der Kläger habe eine reale Möglichkeit, dass er die konkrete Gefahrenlage auch nüchtern oder mit geringerer Alkoholisierung nicht gemeistert hätte, nicht darlegen können. Insbesondere habe er nicht bewiesen, dass sein Verhalten schockbedingt gewesen sei.

Das Berufungsgericht, das seine Rechtsmeinung auf von ihm zitierte oberstgerichtliche Judikatur stützte, sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei, weil erhebliche Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesstelle im Hinblick auf die angeführte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht zu lösen gewesen seien.

Vom Kläger wird in seiner außerordentlichen Revision als erhebliche Rechtsfrage geltend gemacht, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Risikoausschlusses nach Art 17 Z 8 (gemeint Pkt 8.) AUVB 1995 für den Fall fehle, dass sich der Versicherte nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden vom beschädigten Fahrzeug auf der Autobahn entferne und beim Überqueren der Autobahn von einem herannahenden LKW erfasst und schwer verletzt werde. Auch sei nach bisheriger Rechtsprechung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes der Anscheinsbeweis ausgeschlossen, wenn - wie im vorliegenden Fall - kein Tatbestand mit typisch formelhaftem Geschehensablauf angenommen werden könne.

Damit vermag der Kläger einen tauglichen Grund für die Zulassung der außerordentlichen Revision nicht aufzuzeigen:

Rechtliche Beurteilung

Die vom Berufungsgericht zitierte oberstgerichtliche Judikatur, der die angefochtene Entscheidung folgt, bezog sich auf Versicherungsbedingungen, die mit der gegenständlichen Klausel des Art 17 Pkt 8. AUVB 1995 zum Teil wortgleich, jedenfalls aber vergleichbar sind (Art 3 Pkt III Z 7 AUVB 1965; Art 3 Pkt II Z 6 U/Flug 1975; Art 17 Z 8 USVB 1989). Nach der demnach hier anwendbaren Rechtsprechung hängt der Grenzwert des Alkoholisierungsgrades, ab dem der Ausschlusstatbestand der wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit erfüllt ist, davon ab, ob die vom alkoholisierten Versicherten ausgeübte Tätigkeit besondere Anforderungen an die Aufnahmefähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit stellt oder nicht (7 Ob 11/95, RIS-Justiz RS0081871). Die Grenzwerte der Alkoholisierung werden dementsprechend verschieden sein, ob der Versicherte als Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger usw am Verkehr teilnimmt (7 Ob 57/86, VersR 1988, 531, RIS-Justiz RS0082043 [T 2]). Im Bereich der - im vorliegenden Fall angesichts eines Blutalkoholwertes des Klägers (als Fußgänger) von 1,45 Promille anzunehmenden - relativen Verkehrsuntüchtigkeit, in dem der Blutalkoholgehalt allein für die Annahme des Ausschlussgrundes noch nicht ausreicht (vgl Knappmann in Prölss/Martin VVG27 Rz 14 zu § 2 AUB 94), ist der Begriff der wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit danach zu messen, ob der Versicherte noch in der Lage ist, mit der jeweiligen Situation, in der er sich zur Zeit des Unfalles befindet, einigermaßen zurecht zu kommen (7 Ob 11/95, RIS-Justiz RS0081872). Dies ist nach den festzustellenden, fallspezifischen Gegebenheiten zu beurteilen; der für die Annahme einer Bewusstseinsstörung bzw wesentlichen Beeinträchtigung infolge Alkoholeinwirkung anzunehmende Grenzwert hängt somit von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (7 Ob 1012/94, RIS-Justiz RS0042975). Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit stellt die Beurteilung des Vorliegens einer wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen oder pyhsischen Leistungsfähigkeit ua durch Alkohol keine erhebliche Rechtsfrage dar (vgl RIS-Justiz RS0042975), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die im Sinne der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste. Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu: Die Ansicht des Berufungsgerichtes, nach den festgestellten Umständen sei eine wesentliche Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit des Klägers durch Alkohol iSd Art 17 Z 8 AUVB 1995 zum Unfallszeitpunkt zu bejahen, ist durchaus vertretbar.

In gleicher Weise vertretbar ist auch die Rechtsmeinung der Vorinstanzen, die Alkoholbeeinträchtigung des Klägers sei für den Unfall prima facie kausal gewesen. Damit ist entgegen der Meinung des Revisionswerbers auch diesbezüglich kein tauglicher Grund für die Zulassung der außerordentlichen Revision gegeben. Kommt doch der Lösung der Frage, ob unter bestimmten konkreten Umständen der Anscheinsbeweis geführt werden kann, im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, weil es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofes sein kann, in jedem Fall, in dem behauptet wird, es bestünde ein bestimmter allgemein bekannter Erfahrungssatz, dazu in der Sache Stellung zu nehmen (2 Ob 173/98z, RIS-Justiz RS0022624 [T 4]; 3 Ob 293/00k, RIS-Justiz RS0022624 [T 5]; 2 Ob 151/03z).

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Revision sei mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig, ist daher zutreffend. Das Rechtsmittel des Klägers muss zurückgewiesen werden.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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