OGH 7Ob11/95

OGH7Ob11/9531.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christian N*****, vertreten durch Dr.Rainer Santner, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei D***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Dieter Klien, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen S 51.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 24.Jänner 1995, GZ 2 R 330/94-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 16.September 1994, GZ 7 C 10/94-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin enthalten S 811,84 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist bei der beklagten Partei unfallversichert. Dem (zuletzt abgeschlossenen) Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallschutzversicherung (USVB 1989) zugrunde. Nach Art.17 Z 8 dieser Bedingungen sind Unfälle von der Versicherung ausgeschlossen, die der Versicherte infolge einer Bewußtseinsstörung erleidet oder infolge einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner psychischen Leistungsfähigkeit durch Alkohol, Suchtgifte oder Medikamente.

Am 10.7.1991 führte der Kläger mit zwei Arbeitskollegen verschiedene Arbeiten in der Umgebung von St.Moritz in der Schweiz aus. Um ca. 21 Uhr nahm der Kläger das Abendessen ein. Anschließend besuchte er mit seinen Kollegen verschiedene Restaurants in St.Moritz. Gegen 1 Uhr früh kehrte er in das Hotel, in dem er und seine Kollegen untergebracht waren, zurück und legte sich gemeinsam mit seinen Kollegen um ca. 1,30 Uhr des 11.7.1991 schlafen. Er hatte in der Zeit von 21 Uhr bis 1,30 Uhr mindestens vier bis fünf Flaschen oder Krügel Bier (je ein halber Liter) konsumiert. Das vom Kläger und seinen Kollegen benützte Zimmer befindet sich im zweiten Stock des Hotels. Es ist ca. 3,5 x 5,3 m groß und mit einem ca. 100 cm breiten und ca. 180 cm hohen Fenster versehen. Der Abstand zwischen dem Boden des Zimmers und der Oberkante des Fenstersimses beträgt 90 cm. Das vom Kläger benützte Bett stand ca. 55 cm vom Fenster entfernt. Zwischen 3 Uhr und 4 Uhr früh stürzte der Kläger aus nicht feststellbarer Ursache aus dem Fenster. Er fiel ca. 8,5 m in die Tiefe und prallte dann auf ein Eisengitter eines Oberlichtschachtes. Dabei zog er sich schwere Verletzungen zu. Er kam erst vier oder fünf Tage nach dem Unfall im Krankenhaus zu Bewußtsein und kann sich an den Unfallshergang nicht erinnern. Seine Kollegen schliefen während des Vorfalles. Ein anderer Hotelgast, der den Aufschlag hörte und den Kläger entdeckte, verständigte die Polizei. Diese stellte fest, daß das Fenster des Hotelzimmers offen stand und die Vorhänge nach außen über das Fenstersims hingen. Die Kollegen des Klägers wurden noch schlafend angetroffen. Es ergaben sich keine Hinweise auf ein Fremdverschulden. Die am 11.7.1991 um 6,55 Uhr bei Narkoseeinleitung erfolgte Blutabnahme beim Kläger ergab eine Blutalkoholkonzentration zwischen 0,91 und 1,01 %o und rückgerechnet auf den Unfallszeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,26 %o und höchstens 1,93 %o.

Der Kläger hatte keine Selbstmordabsichten und auch keine Neigung zum Schlafwandeln. Er hatte weder Drogen noch Medikamente eingenommen. Beim Kläger liegt eine gute Alkoholverträglichkeit vor.

Der Kläger begehrte vorerst den Teilbetrag von S 51.000,-- sA aufgrund des bestehenden Unfallversicherungsvertrages.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens und berief sich auf den Ausschlußtatbestand des Art.17 Z 8 USVB 1989.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die wesentliche Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit müsse ihrem Grad nach der Bewußtseinsstörung gleichkommen, weil sich die betreffende Bestimmung aus dem in der Fluggast-Unfall-Versicherung (U/Flug 1975) enthaltenen Ausschlußtatbestand entwickelt habe. Der untere Grenzwert von 1,26 %o, von dem aufgrund der Beweislastverteilung zugunsten des Klägers auszugehen sei, reiche für die Annahme einer Bewußtseinsstörung bzw einer wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit nicht hin, zumal eine besondere, für den Kläger erkennbare Gefahrenlage - anders als beim Lenken eines Kraftfahrzeuges - nicht vorgelegen sei.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die beklagte Partei habe die Ursächlichkeit der Alkoholisierung für den Sturz aus dem Fenster nicht nachweisen können. Ungeachtet dessen sei zwar nach den hier maßgeblichen Bestimmungen der USVG zwischen den Begriffen der Bewußtseinsstörung und der wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit zu unterscheiden. Letztere liege jedoch bei einem 30jährigen, gut alkoholverträglichen Mann dann nicht vor, wenn er sich im festgestellten alkoholisierten Zustand zu Bett begebe und für ihn keinerlei Gefahrenlage erkennbar sei. Der Alkoholisierungsgrad sei auch nicht so groß gewesen, daß der Kläger psychisch nicht in der Lage gewesen wäre, während der Nacht aufzustehen und zB auf die Toilette zu gehen, ohne daß damit die Gefahr verbunden gewesen wäre, aus dem Fenster zu stürzen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Ausschlußtatbestand des Art.17 Z 8 USVB 1989, der hinsichtlich der Alkoholisierung abweichend von den vorangehenden Bestimmungen in den Unfallversicherungsbedingungen formuliert wurde, fehlt.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Nach Art.3 Punkt III Z 7 AUVB 1965 und dem insoweit gleichlautenden Art.3 Punkt II Z 6 der Allgemeinen Bedingungen für die Unfall- und Fluggast-Unfall-Versicherung (U/Flug 1975) sind "Unfälle infolge von Schlaganfällen, von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen (auch durch Alkohol- oder Rauschgifteinfluß) ..." von der Versicherung ausgeschlossen.

Nach der zu diesen Bestimmungen ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes erfordert die Bewußtseinsstörung nicht völlige Bewußtlosigkeit. Es genügt, wenn die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit so gestört ist, daß der Versicherte der Gefahrenlage, in der er sich jeweils befindet, nicht mehr so gewachsen ist, wie die jeweiligen Verhältnisse es erfordern. Nur eine solche Bewußtseinsstörung schließt den Versicherungsschutz aus, die als Ausfallserscheinung dem durch einen Schlaganfall oder eine Geistesstörung herbeigeführten Zustand annähernd gleichkommt. Den Ausschlußgrund nach Art.3 Punkt III Z 7 AUVB stellt somit eine Alkoholeinwirkung dar, welche die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit nicht nur unwesentlich schmälert (VersR 1988, 531 mwN).

Aufgrund der nunmehrigen Trennung der Ausschlußgründe in Art.17 Z 8 USVB einerseits in den Begriff der Bewußtseinsstörung und andererseits in den Begriff der wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit läßt sich zwar die Argumentation, daß die durch den Alkoholgenuß hervorgerufene Bewußtseinsstörung dem durch Schlaganfall oder Geistesstörung ausgelösten Zustand annähernd gleichkommen müsse, nicht aufrecht erhalten. Im übrigen aber wird auch der nunmehrige Begriff der wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit - wie bisher die Frage nach dem Vorliegen einer durch Alkoholgenuß hervorgerufenen Bewußtseinsstörung - danach zu messen sein, ob der Versicherte noch in der Lage ist, mit der jeweiligen Situation, in der er sich zur Zeit des Unfalles befindet, einigermaßen zurechtzukommen. Der Grenzwert des Alkoholisierungsgrades, ab dem der Ausschlußtatbestand erfüllt ist, hängt also weiterhin davon ab, ob die vom alkoholisierten Versicherten ausgeübte Tätigkeit besondere Anforderungen an die Aufnahme-, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit stellt oder nicht.

Für das Vorliegen des Tatbestandsmerkmales, daß der Unfall im Stadium der wesentlichen Beeinträchtigung durch Alkoholeinfluß erfolgte, ist - ebenso wie für die Ursächlichkeit dieser Beeinträchtigung für den Unfall - der Versicherer beweispflichtig (VersR 1985, 352 mwN). Es ist daher zugunsten des Klägers von einem Blutalkoholwert von 1,26 %o im Unfallszeitpunkt auszugehen. Dieser Wert indiziert für sich allein noch nicht die Annahme, daß der Kläger, der nach den Feststellungen eine gute Alkoholverträglichkeit aufwies und in diesem Zustand offenbar keiner Tätigkeit nachging, die besondere körperliche oder geistige Anforderungen gestellt hätte, wesentlich in seiner psychischen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen wäre. Der Grenzwert, ab dem jedenfalls von einer Beeinträchtigung im Sinn des Art.17 Z 8 USVB selbst bei alltäglichen und nicht besonders fordernden Tätigkeiten auszugehen ist, ist bei Menschen, die keine Alkoholunverträglichkeit aufweisen, jedenfalls höher anzusetzen, weil mit der gegenständlichen Ausschlußbestimmung nach ihrem allgemeinen Verständnis ("wesentliche Beeinträchtigung") nicht gemeint sein kann, daß selbstverschuldete Unfälle in alkoholisiertem Zustand - wie etwa Stürze von Fußgängern usw - generell vom Versicherungsschutz ausgenommen sein sollen.

Ab welchem Alkoholisierungsgrad selbst bei einem Alkohol gut vertragenden Menschen der Tatbestand der "wesentlichen Beeinträchtigung" im Sinn des Art.17 Z 8 USVB jedenfalls als erfüllt anzusehen ist, ist eine Rechtsfrage, deren Beurteilung entgegen der Ansicht der Revision ebensowenig in die Kompetenz eines Sachverständigen fällt wie die Frage, ob ein bestimmter Alkoholisierungsgrad den Grad einer Bewußtseinsstörung im Sinn des Art.III Punkt 3. Z 7 AUVB erreicht hat.

Nur für den Fall, daß die Blutalkoholkonzentration so hoch ist, daß sie für sich allein schon zur Annahme einer wesentlichen psychischen Beeinträchtigung ausreichte, wäre nach der Lebenserfahrung und den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zwanglos anzunehmen, daß diese Beeinträchtigung den Unfall auch verursacht hat. Da aber weitere Hilfstatsachen, die im konkreten Fall auf eine wesentliche Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit schließen ließen und die damit auch geeignet wären, deren Ursächlichkeit zu beweisen (vgl. ebenfalls VersR 1988, 531 mwN), nicht vorliegen, hat das Gericht zweiter Instanz zu Recht den Nachweis, daß eine wesentliche Beeinträchtigung durch Alkohol für den Sturz aus dem Fenster ursächlich gewesen sei, verneint. Der Unfall läßt sich insbesondere im Hinblick auf die Beengtheit des Zimmers, in dem der Kläger mit seinen Kollegen untergebracht war, die Nähe seines Bettes zum Fenster, die niedrige Unterkante des Fensters und die Nachtzeit nicht zwangsläufig nur mit einer wesentlich herabgesetzten psychischen Leistungsfähigkeit des Klägers aufgrund seines Alkoholgenusses erklären, auch wenn keine Anzeichen für ein Fremdverschulden vorliegen.

Die angefochtene Entscheidung war daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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