OGH 2Ob151/03z

OGH2Ob151/03z10.7.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ulrich T*****, vertreten durch Dr. Peter Wasserbauer und andere Rechtsanwälte in Weiz, gegen die beklagten Parteien 1.) Rupert W*****, 2.) H. ***** GmbH & Co KG, *****, und 3.) A***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Helmut Weinzettl, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen EUR 33.460,90 sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 27. März 2003, GZ 3 R 29/03i-49, womit das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 2. Jänner 2003, GZ 5 Cg 91/01y-43, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.078,88 (darin EUR 179,81 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision auf Antrag der beklagten Partei gemäß § 508a Abs 1 ZPO für doch zulässig erklärt, weil weder zur Frage der Zulässigkeit des Anscheinsbeweises (für die Kausalität der Unterlassung der Betätigung der Alarmblinkanlage) noch zur Frage der besonderen Gefährlichkeit eines wegen Reifendefekts teilweise auf dem Pannenstreifen einer Schnellstraße mit nur ca 10 km/h fahrenden LKW-Zuges eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat in jüngerer Zeit mehrmals ausgesprochen, dass ein auf einem Fahrstreifen einer Autobahn auch nur zum Teil zum Stillstand gebrachtes mehrspuriges Fahrzeug eine äußerst gefährliche Situation schafft, die weit über die vom gewöhnlichen Betrieb ausgehende Gefahr hinausgeht, und dass für eine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Verhältnis zu einem groben Verschulden (hier: stark verspätete Reaktion 2,5 Sekunden vor der Kollision trotz Sicht von 17 Sekunden auf den gegnerischen LKW-Zug) mit einer Quote von einem Viertel einzustehen ist (2 Ob 359/99d = ZVR 2000/62 mwN; 2 Ob 314/00s = ZVR 2002/40 mwN; die möglicherweise abweichende Entscheidung ZVR 1995/95 stammt hingegen von einem zweitinstanzlichen Gericht). Die vom Berufungsgericht im vorliegenden Einzelfall ausgesprochene Schadenstragung durch die Beklagten im Umfang eines Viertels bewegt sich im Rahmen der Grundsätze dieser Rechtsprechung. Es macht für die Bejahung einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr und für die Schadensteilung keinen entscheidenden Unterschied, ob sich ein mehrspuriges Fahrzeug zum Teil auf einem Fahrstreifen einer Autobahn im Stillstand befindet, oder ob es - wie hier - wegen eines Reifenplatzers mit einer Geschwindigkeit von unter 10 km/h und mit 2 Meter seiner Breite auf dem ersten Fahrstreifen einer Schnellstraße und mit 0,5 m seiner Breite auf dem Pannenstreifen fährt. Auch in einem solchen Fall ist ein Fahrstreifen im Wesentlichen blockiert und besteht eine fast genauso große Geschwindigkeitsdifferenz zu nachfolgenden Fahrzeugen wie bei Stillstand. Demgegenüber ist der in 2 Ob 151/89 = ZVR 1990/157 beurteilte Fall eines mit langsamer Geschwindigkeit (von 30 km/h aus beschleunigend) aus einem Beschleunigungsstreifen in die Autobahn einfahrenden LKW-Zuges anders gelagert.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist somit durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gedeckt und enthält keine gravierende Fehlbeurteilung des Einzelfalles, weshalb keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vorliegt.

Ergibt sich aber schon aus der Gefährdungshaftung des EKHG die in dritter Instanz noch strittige Schadensquote von einem Viertel zu Lasten der beklagten Parteien, so kann es hinsichtlich des zweitbeklagten Halters und des drittbeklagten Haftpflichtversicherers auf sich beruhen, ob darüber hinaus auch eine Verschuldenshaftung bestünde; die Haftungshöchstbeträge des EKHG spielen im vorliegenden Fall keine Rolle. Was eine Verschuldenshaftung des erstbeklagten Lenkers anlangt, hat das Berufungsgericht die Frage der Zulässigkeit des Anscheinsbeweises als erheblich angesehen. Der Lösung der Frage, ob unter bestimmten konkreten Umständen der Anscheinsbeweis geführt werden kann, kommt aber im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu, weil es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofes sein kann, in jedem Fall, in dem behauptet wird, es bestünde ein bestimmter allgemein bekannter Erfahrungssatz, dazu in der Sache Stellung zu nehmen (2 Ob 173/98z = RIS-Justiz RS0022624 T4 und 5). Wenn das Berufungsgericht hiezu ausgeführt hat, nach den Erfahrungen des täglichen Lebens hätte der Betrieb der Warnblinkanlage (Alarmblinkanlage) die Auffälligkeit der Gefahrenlage erhöht und den Kläger zu größerer Sorgfalt veranlasst, die Unterlassung des Betriebes dieser Anlage sei daher prima facie unfallskausal, so ist diese Ansicht durchaus vertretbar; sie beinhaltet jedenfalls keine auffallende Fehlbeurteilung, die der Oberste Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit wahrnehmen müsste.

Auch in der Revision wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt, weshalb das Rechtsmittel - ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden abgeänderten Zulässigkeitsauspruches des Berufungsgerichtes - als unzulässig zurückzuweisen war. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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