Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der Kläger begehrt von den Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls vom 4.11.1995 ein (weiteres) Schmerzengeld von S 30.000,-- sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen kausalen Schäden aus diesem Unfall. Als Folge des Unfalls seien bei ihm Ohrgeräusche ("Tinnitus") aufgetreten.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es nahm als erwiesen an, daß beim Kläger ca einen Monat nach dem Unfall eine Tinnituserkrankung aufgetreten sei. Dieses Ohrensausen trete auch heute noch des öfteren auf. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, daß diese Erkrankung mit dem Unfall in einem ursächlichen Zusammenhang stehe. Diese Negativfeststellung begründete das Erstgericht damit, daß der Kläger - trotz Erörterung der Beweislastfrage - die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nicht beantragt, sondern lediglich auf das von ihm vorgelegte Privatgutachten verwiesen habe. Für den Beweis der Kausalität des schädigenden Ereignisses für den eingetretenen Schaden komme dem Geschädigten zwar der Anscheinsbeweis zustatten, der Kläger habe aber nicht nachgewiesen, daß seine Erkrankung typischerweise mit dem erlittenen Verkehrsunfall in Zusammenhang stehe. Die Beklagte habe zwar zum Beweis des Gegenteils die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt. Dieser Beweis sei nicht aufzunehmen gewesen, weil der Gegner den Anscheinsbeweis erst dann zu entkräften habe, wenn ein typisch formelhafter Geschehensablauf nachgewiesen worden sei. Im Anwaltsprozeß habe auch nicht die Pflicht bestanden, das für den Nachweis der natürlichen Kausalität erforderliche Gutachten von Amts wegen einzuholen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 52.000,--, nicht jedoch S 260.000,-- übersteigt und die ordentliche Revision zulässig ist. Die bekämpfte Negativfeststellung sei unbedenklich. Aus dem Privatgutachten könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, daß das Ohrensausen beim Kläger unfallsbedingt sei. Der Anscheinsbeweis komme hier nicht zum Tragen, weil ein typischer Geschehensablauf auch nicht aufgrund des ersten Anscheins erwiesen sei. Die Anleitungspflicht habe der Erstrichter nicht verletzt, weil er mit den Parteien die Beweispflicht des Klägers für die Ursächlichkeit erörtert habe. Die Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung könne bei Bedachtnahme auf den Verhandlungsgrundsatz nicht so weit gehen, daß das Gericht von Amts wegen Beweise aufzunehmen habe, um dem klägerischen Begehren möglicherweise zum Durchbruch zu verhelfen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
Das Berufungsgericht hat eine erhebliche Rechtsfrage im Fehlen einer Rechtsprechung erblickt, ob es unter den vorliegenden Voraussetzungen im Rahmen der materiellen Prozeßleistungspflicht erforderlich gewesen wäre, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Verfahrensmangels, der vom Kläger in seiner Berufung dahin gerügt wurde, daß das Erstgericht das für den Kausalitätsbeweis erforderliche medizinische Sachverständigengutachten nicht von Amts wegen eingeholt habe, verneint. Wurde ein Mangel des Verfahrens erster Instanz in der Berufung zwar geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint, dann kann der Mangel nicht mehr in der Revision gerügt werden (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 503 mit Judikaturhinweisen). Das Berufungsgericht hat auch begründet, warum das Unterbleiben der Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens aufgrund des Antrages der beklagten Partei keinen Verfahrensmangel darstellt. Die Ablehnung dieses Beweisantrages kann daher ebenfalls nicht mehr in der Revision geltend gemacht werden. Die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage ist somit vom Obersten Gerichtshof nicht zu lösen.
Die Frage, ob im vorliegenden Fall ein Tatbestand mit typisch formelhaftem Geschehensablauf vorliegt, der eine Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche - mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang stehende - Tatsache zuläßt, ob also der Anscheinsbeweis zulässig ist, ist zwar eine revisible Rechtsfrage (Fasching, LB2 Rz 897; Rechberger in Rechberger, ZPO vor § 266 Rz 22 mwN). Ein Erfahrungssatz, wonach eine Tinnituserkrankung eine typische Folge der Verletzungen ist, die der Kläger durch den Unfall erlitt (Schädel-Hirn-Trauma, Halswirbelsäulensyndrom), ist aber weder allgemein bekannt noch wurde dies festgestellt. Die Lösung der Frage, ob unter diesen Umständen der Anscheinsbeweis geführt werden kann, kommt keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu, zumal es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofes sein kann, in jedem Fall, in dem behauptet wird, daß ein bestimmter allgemein bekannter Erfahrungssatz bestehe, dazu in der Sache Stellung zu nehmen. Daß die Vorinstanzen den Anscheinsbeweis als nicht erbracht angesehen haben, ist ein im Revisionsverfahren unbekämpfbarer Akt der Beweiswürdigung (SSV-NF 2/65; ÖBl 1990, 225; 1 Ob 214/97w ua).
Ungeachtet des gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruchs, daß die ordentliche Revision zulässig sei, war das Rechtsmittel des Klägers daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf das Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage nicht hingewiesen.
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