OGH 6Ob131/03p

OGH6Ob131/03p27.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bernhard G*****, vertreten durch Dr. Michael Prager, Rechtsanwalt in Wien, Nebenintervenient auf Seiten der klagenden Partei Dr. Josef F*****, gegen die beklagte Partei Dr. Heinz D*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 96.634,86 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2003, GZ 11 R 221/02d-20, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Juli 2002, GZ 14 Cg 13/02p-16, bestätigt wurde, I. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Soweit sich die Revision gegen die Abweisung eines Teilbegehrens von 12.581,53 EUR (entsprechend 173.125,59 ATS) samt 4 % Zinsen seit 18. 3. 2000 wendet, wird ihr nicht Folge gegeben. In diesem Umfang wird das angefochtene Urteil, das hinsichtlich der Abweisung eines weiteren Teilbetrages von 43.476,89 EUR als unangefochten unberührt bleibt, als Teilurteil bestätigt.

Die Kostenentscheidung bleibt insoweit der Endentscheidung vorbehalten.

II. den Beschluss

gefasst:

Im Übrigen, also soweit sich die Revision gegen die Abweisung weiterer 40.576,44 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 3. 2000 wendet, wird ihr Folge gegeben. In diesem Umfang werden die Urteile der Vorinstanzen samt ihren Kostenaussprüchen aufgehoben und die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind insoweit weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger durfte als "Hobbyreiter" Pferde, die beim Galopprennverein in W***** eingestellt waren, unentgeltlich reiten. Für den Verein, die Pferdebesitzer und die Trainer der Pferde war dies von Vorteil, weil Rennpferde ständig "bewegt" werden müssen. Am 22. 2. 1991 führte der Kläger über Ersuchen eines Trainers ein Rennpferd aus dem Stall und wurde durch einen Hufschlag verletzt (Trümmerbruch des Schienbeinkopfes). Im Vorprozess (15 Cg 213/93s des Landesgerichtes für ZRS Wien) klagte der vom beklagten Rechtsanwalt vertretene Kläger ua auf Schmerzengeld und Verdienstentgang. Das Leistungsbegehren betrug letztlich 1,922.818 S. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen, weil der Unfall ein Arbeitsunfall gewesen sei und dem beklagten Trainer das Haftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG zukomme (vgl dazu aus dem ersten Rechtsgang des Vorprozesses die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 112/99y). Der Kläger hatte erst nach Zustellung der oberstgerichtlichen Entscheidung im zweiten Rechtsgang des Vorprozesses (1 Ob 34/00g) bei der AUVA einen Antrag auf Versehrtenrente gestellt und diese auch mit Bescheid ab 26. 6. 2000 (Antragstag) zugesprochen erhalten, nicht aber schon ab Unfallstag bzw ab Wegfall des Krankengeldes (9. 3. 1992), weil hiefür eine Antragstellung innerhalb von zwei Jahren nach dem Unfall erforderlich gewesen wäre (§ 86 Abs 4 ASVG).

Der Kläger begehrt gestützt auf Schadenersatzrecht (§ 1299 ABGB) den Ersatz der frustrierten Prozessaufwendungen des Vorprozesses (317.178,98 S, 250.543 S und 30.585 S) und die entgangene Versehrtenrente in der Zeit ab Wegfall des Krankengeldes bis zur Beendigung des Vertretungsverhältnisses (9. 3. 1999 bis 17. 3. 1998), nach Einschränkung insgesamt 96.634,86 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 3. 2000. Der Beklagte habe nicht erkannt, dass ein Arbeitsunfall vorliege und den Kläger nicht über die Möglichkeit einer Antragstellung bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) aufgeklärt. Im Vorprozess habe der beklagte Pferdetrainer schon am 8. 11. 1993 den Haftungsausschluss nach § 333 ASVG geltend gemacht und eine betriebliche Eingliederung des Klägers im Reitstallbetrieb behauptet. Der Beklagte habe sich mit der Möglichkeit eines einem Arbeitsunfall gleichzuhaltenden Unfalls (§ 176 Abs 1 Z 6 ASVG) nicht befasst, den Kläger darüber nicht aufgeklärt und nicht zu einer Antragstellung bei der AUVA angeleitet. Mit Bescheid vom 14. 11. 2000 sei der Unfall als Arbeitsunfall qualifiziert, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % festgestellt und beginnend mit 26. 6. 2000 eine Versehrtenrente von monatlich 3.548,60 S zuerkannt worden. Der Antrag auf Zuerkennung einer Rente für die Zeit vom 9. 3. 1992 (Tag des Wegfalls des Krankengeldes) bis zum 25. 6. 2002 sei abgelehnt worden, weil bei einer Antragstellung mehr als zwei Jahre nach Eintritt des Versicherungsfalls kein Anspruch auf rückwirkende Zuerkennung einer Rente bestehe. Bei fristgerechter Antragstellung hätte die Minderung der Erwerbsfähigkeit 50 % betragen, sodass eine Teilrente in Höhe von 50 % der Vollrente zu gewähren gewesen wäre. Der Anspruch des Klägers hätte 8.924 S monatlich betragen. Da der Kläger bis Ende 1992 unverschuldet arbeitslos gewesen sei, wäre ihm eine Vollrente von monatlich 17.848 S gewährt worden, insgesamt sei dem Kläger ein Betrag von 731.469,59 S an Versehrtenrente entgangen. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er sei nach der Sachverhaltsschilderung des Klägers von dessen freiwilliger und unentgeltlicher Tätigkeit ohne Einordnung im Betrieb des Pferdetrainers ausgegangen. Erst nach Auflösung des Vollmachtsverhältnisses sei im Vorprozess aufgrund der Parteienvernehmungen hervorgekommen, dass allenfalls eine kontinuierliche Tätigkeit des Klägers als betriebliche Tätigkeit aufgefasst werden könnte. Zum Haftungsausschluss wegen arbeitnehmerähnlicher Tätigkeit des Geschädigten sei die Judikatur nicht einheitlich. Ein vergleichbarer Fall sei erst mit der in JBl 1998, 790 veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs entschieden worden. Die Rechtsauffassung des Beklagten sei vertretbar gewesen. Ein Antrag auf Versehrtenrente und die Geltendmachung von Schmerzengeld und Verdienstentgang hätten einander ausgeschlossen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Von seinen Feststellungen sind folgende als wesentlich hervorzuheben:

Nach einer Reihe von Vorgesprächen sei im Juni 1993 die Klage gegen den Pferdetrainer eingebracht worden. Der Kläger habe den Beklagten wiederholt gefragt, ob auch gegen andere ersatzpflichtige Personen vorgegangen werden könne. Den im Vorprozess eingewandten Haftungsausschluss nach § 333 ASVG habe der Beklagte mit dem Kläger erörtert. Auch dem Kläger sei es damals nicht nachvollziehbar gewesen, dass er als Dienstnehmer des Pferdetrainers angesehen werden könnte. Der Beklagte habe den Kläger nicht darüber belehrt, dass ein Rentenantrag zur Wahrung der Ansprüche ab Unfallstag innerhalb von zwei Jahren nach dem Unfall gestellt werden müsse. Eine Auskunft der Gebietskrankenkasse habe den Beklagten in seiner Ansicht bestärkt, dass kein Arbeitsunfall vorliege. Der Kläger sei mit der langen Verfahrensdauer unzufrieden gewesen und habe nicht einsehen wollen, dass nur der Trainer als Haftender in Betracht komme. Er habe den Wunsch gehabt, gegen alle vorzugehen, gegen die auch nur möglicher Weise Ansprüche aus dem Unfall geltend gemacht werden könnten. Wenn er gewusst hätte, dass dann, wenn man von einem Arbeitsunfall ausgehe, Ansprüche gegen die AUVA bestünden, hätte er versucht, diese durch eine fristgerechte Antragstellung abzusichern. Dass er dies auch getan hätte, wenn man ihm gesagt hätte, dass er dadurch seine Ansprüche gegen den Pferdetrainer gefährde, könne nicht festgestellt werden. Das Vollmachtsverhältnis zum Beklagten sei am 17. 3. 1998 aufgelöst worden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass im Vorprozess der Unfall des Klägers als ein gemäß § 176 Abs 1 Z 6 ASVG einem Arbeitsunfall gleichgestellter Unfall eingestuft worden sei. Nach der Judikatur liege eine betriebliche Tätigkeit vor, wenn es sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienliche Tätigkeit handle, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspreche, die ihrer Art nach üblicher Weise aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit verrichtet werde und bei der ein enger ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt werde. Dass die Tätigkeit nur für eine kurze Zeit in Anspruch genommen werde, schließe die Anwendung dieser Grundsätze nicht aus. Im Hinblick auf die außerordentliche Kasuistik der Gerichtsentscheidungen und aufgrund einer Reihe hier vorliegender Umstände sei die Rechtsansicht des Beklagten, dass kein Arbeitsunfall vorliege, keine unvertretbare Rechtsansicht gewesen. Hinsichtlich des unterlassenen Antrages auf Zuerkennung einer Versehrtenrente sei dem Beklagten aber eine Verletzung von Belehrungs- und Aufklärungspflichten vorzuwerfen: Er hätte den Kläger darüber belehren müssen, dass für den Fall, dass das Gericht einen Arbeitsunfall annehme, dem Kläger ein Schaden drohe, wenn er nicht innerhalb von zwei Jahren nach dem Unfall eine Rente beantrage. Es sei aber zu berücksichtigen, dass ein Rentenantrag die Behauptung eines Arbeitsunfalls voraussetze, also die Behauptung von Umständen, die Ansprüche gegen den Trainer der Pferde ausschlössen. Die Feststellung eines Arbeitsunfalls durch die AUVA hätte notwendiger Weise zu einem Haftungsausschluss nach § 333 ASVG geführt. Der Kläger hätte sich nicht, nachdem ihm gegenüber bindend festgestellt worden wäre, dass ein Arbeitsunfall vorliege, in einem anderen Verfahren auf dessen Nichtvorliegen berufen können. Eine weitere Verfahrensführung gegen den Pferdetrainer wäre aussichtslos gewesen. Dass sich der Kläger aber dennoch zu einer Antragstellung bei der AUVA entschlossen hätte, habe nicht festgestellt werden können. Für den Kläger seien die Ansprüche auf Schmerzengeld und Verdienstentgang im Vordergrund gestanden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht, dass eine Antragstellung bei der AUVA die Beurteilung des Unfalls als Arbeitsunfall zur Folge gehabt hätte und dass es dann im Vorprozess zur Abweisung der Klage gegen den Pferdetrainer ohne weitere Beweisaufnahmen gekommen wäre, weil dem dort Beklagten das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zugute gekommen wäre. Das Erstgericht habe zutreffend zwar nicht die Antragstellung als anspruchsvernichtend angesehen, sondern den hypothetisch geprüften Verlauf des Leistungsverfahrens der AUVA, unter Umständen auch eines anschließenden Sozialgerichtsverfahrens. Die Antragstellung bei der AUVA hätte konsequenter Weise zum Prozessverlust des Klägers im Vorverfahren führen müssen. Eine Belehrung durch den Beklagten hätte auch enthalten müssen, dass im Falle der Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall die Weiterführung des anhängigen Prozesses aussichtslos gewesen wäre. Hier gehe es im Übrigen nicht um die Anwendung zweier möglicher Rechtsbehelfe, sondern um die ex ante-Beurteilung der Erfolgsaussichten des gegen den Pferdetrainer geführten Prozesses. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

Mit seiner außerordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung dahin, dass dem auf Ersatz der entgangenen Versehrtenrente für den Zeitraum 9. 3. 1992 bis 17. 3. 1998 (53.157,97 EUR) gerichteten Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise die Aufhebung (in diesem Umfang) zur Verfahrensergänzung. Die Abweisung eines Teilbegehrens von 43.476,89 EUR ist damit in Rechtskraft erwachsen.

Der Beklagte beantragt mit der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision als unzulässig, hilfsweise ihr nicht stattzugeben.

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig. Sie ist im Sinne einer teilweisen Bestätigung und einer teilweisen Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen auch berechtigt.

Der Revisionswerber bekämpft im Wesentlichen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dass ein erfolgreicher Antrag bei der AUVA die im Vorprozess gegen den Pferdetrainer geltend gemachten Ansprüche ausgeschlossen hätte, weil das Gericht an die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers zur Frage, ob ein Arbeitsunfall vorlag, gebunden gewesen wäre. Der Beklagte hätte den Kläger aufklären und zu einem "Parallelantrag" auf Zuerkennung einer Versehrtenrente raten müssen. Dazu ist folgendes auszuführen:

Rechtliche Beurteilung

Wohl judiziert der Oberste Gerichtshof ganz allgemein eine Bindung der Gerichte an rechtsgestaltende, präjudizielle Verwaltungsbescheide (SZ 64/98; 10 ObS 25/01a; Walter, Die Bindung der Zivilgerichte an rechtskräftige präjudizielle Bescheide nach AVG im Rahmen der Zivilprozessordnung im Vorfragenbereich, JBl 1996, 601; Fucik in Rechberger ZPO2 Rz 5 zu § 190; Fasching, Zivilprozessgesetze I2 Rz 43 Einleitung; Fasching ZPR2 Rz 95). Er vertrat andererseits aber gerade zur Frage der Bindung an Bescheide eines Sozialversicherungsträgers die Auffassung, dass keine Bindung an Bescheide (also auch stattgebende) über einen Arbeitsunfall bestehe (ZAS 1974, 14; SZ 60/96; SZ 30/53; SZ 34/189; ArbSlg 9562; RZ 1967, 185). Immerhin wurde dies aber schon in der Entscheidung SZ 30/53 nur mit dem vorläufigen Charakter des Bescheides begründet und eine Bindung an die Entscheidung eines Schiedsgerichtes er Sozialversicherung bejaht. Eine Bindung an eine Entscheidung des Sozialgerichtes als Ausfluss der Rechtskraft kann wohl nicht bezweifelt werden. Eine dort (im Spruch der Entscheidung) getroffene Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalles ist (vgl § 65 Abs 2 und § 82 Abs 5 ASGG), erwächst in Rechtskraft. Der Kausalzusammenhang wirkt "auf ein späteres Verfahren (auf Zuerkennung von Leistungen aus der Unfallversicherung) bindend" (10 ObS 327/02i). Zu fragen ist aber, ob dies auch für andere Ansprüche (hier etwa für den Verdienstentgang) gilt.

Das Klagebegehren im Rentenverfahren vor dem Sozialgericht kann ein Feststellungsbegehren sein, das aber nicht auf die Feststellung eines (stattgefundenen) Arbeitsunfalls, sondern auf die Feststellung gerichtet sein muss, dass die Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist (§ 65 Abs 2 ASGG; RIS-Justiz RS0084069). Ein derartiges Feststellungsurteil (vorgelagert: ein Feststellungsbescheid im Sinne des § 367 Abs 1 ASVG) löst dort keine Bindungswirkung aus, wo keine Parteienidentität (Sozialversicherungsträger; Trainer) und keine Begehrensidentität (Versehrtenrente; Verdienstentgang und Schmerzengeld) vorliegt. Ein Zuspruch der Versehrtenrente mit Bescheid oder Gerichtsurteil hätte die anderen Ansprüche nicht zwingend zum Scheitern verurteilt. Bei der ex-ante-Betrachtung hätten für den beklagten Rechtsanwalt zumindest Zweifel an einer Bindungswirkung bestehen müssen. Selbst wenn man auf den Spruch eines Leistungsurteils über eine Versehrtenrente abstellte, wäre mangels Feststellungsurteils über einen Zwischenfeststellungsantrag (§§ 236, 259 ZPO) keine Bindung für andere Ansprüche anzunehmen. Die Entscheidung über die Versehrtenrente kann nicht ohne weiteres als eine in einem Vorverfahren entschiedene Hauptfrage angesehen werden, die im Folgeprozess eine Vorfrage darstellt. Die oberstgerichtliche Judikatur über die Grenzen der Rechtskraft und zum Streitgegenstand ist zwar nicht ganz einheitlich (vgl die Darstellung in 6 Ob 295/00a = JBl 2001, 796 und IPRax 2002, 408 [Oberhammer aaO 424]). Den eine weite Bindung annehmenden, sich auf die Entscheidungsharmonie berufenden Entscheidungen, die gelegentlich auch eine Bindung an im Vorprozess gelöste Vorfragen annehmen, steht aber eine Mehrheit ablehnender Entscheidungen gegenüber (RIS-Justiz RS0041157; 6 Ob 59/99s; RS0102102).

Der Oberste Gerichtshof beschränkt die Rechtskraft auf den im Spruch der Entscheidung entschiedenen Anspruchsteil und verneint eine Bindung an die Begründung der Vorentscheidung bezüglich des Grundes des Anspruchs (RS0041256). Dies gilt sogar bei sogenannten Verschlimmerungsanträgen nach einmal schon anerkannten, aber nicht im Spruch der Entscheidung festgestellten Arbeitsunfällen (SZ 60/113; 10 ObS 33/93, 10 ObS 49/91). Weiters darf nicht übersehen werden, dass auch bei Vorliegen eines Arbeitsunfalls iS der §§ 175 und 176 ASVG Personen, die nicht Dienstgeber oder Gleichgestellte (Aufseher im Betrieb) sind, also etwa Arbeitskollegen des Geschädigten für den ganzen von ihnen verursachten Schaden haften, wobei allerdings die Rückgriffsbeschränkung nach § 332 Abs 5 ASVG beachtet werden muss (Neumayr in Schwimann ABGB Bd 8, 327 Rz 4 zu § 333 ASVG). Wenn einem Rechtsanwalt für seinen Klienten zwei Wege zur Verfügung stehen, hat er den sicheren Weg zu beschreiten (RS0026303; 3 Ob 30/97d). Hier war keiner der beiden Wege ein sicherer. Umso gebotener wären eine umfassende Aufklärung und der Rat gewesen, sicherheitshalber auch eine Versehrtenrente zu beantragen. Zu fragen ist allerdings, ab welchem Zeitpunkt der Beklagte den Kläger über die Möglichkeit einer Antragstellung beim Sozialversicherungsträger aufzuklären und einen Rat in Richtung einer parallelen Anspruchsverfolgung zu erteilen gehabt hätte:

Nach den Feststellungen deutete der vom Kläger dem Beklagten geschilderte Sachverhalt zunächst noch nicht in die Richtung eines Arbeitsunfalls, wie er sich im Vorprozess letztlich aber doch herausstellte. Dies war für den Beklagten zunächst aber noch nicht ohne weiteres vorhersehbar, wie schon die Klagestattgebung durch das Erstgericht im Vorprozess ausreichend indiziert. Der Beklagte musste aber ab dem im Vorprozess Anfang November 1993 in einem Schriftsatz erhobenen Einwand des dort Beklagten, der einen Arbeitsunfall nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG behauptete und sich auf das Haftungsprivileg des Dienstgebers nach § 333 Abs 1 und 4 ASVG berief, den Sachverhalt näher prüfen. Mangels entsprechender Parteibehauptungen und sonstiger Anhaltspunkte ist von angemessenen Prüfungszeitraum von zwei bis drei Monaten auszugehen, in dem der Rechtsanwalt nähere Informationen über ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis des Klägers zum Pferdetrainer einzuholen gehabt hätte. Erst danach - also im Jänner 1994 - setzt die erwähnte Aufklärungspflicht und Beratungspflicht des Rechtsanwalts ein (§ 1299 ABGB).

Der Beklagte hätte den Kläger über die Rechtslage aufzuklären gehabt, also darüber, dass bei Arbeitsunfällen der Versicherungsfall mit dem Unfallereignis als eingetreten gilt (§ 174 ASVG), dass in der Unfallversicherung die Leistungsansprüche von Amts wegen oder auf Antrag festgestellt werden (§ 361 Abs 1 Z 2 ASVG) und dass wegen des schon erfolgten Ablaufs der Zweijahresfrist die Rente erst ab Antragstag zusteht (§ 86 Abs 4 ASVG). Der Rat des Beklagten hätte dahin zu lauten gehabt, dass der Kläger sicherheitshalber auch einen Antrag auf Versehrtenrente stellt:

Die Frage, ob ein konkreter Unfall nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG einem Arbeitsunfall gleichgestellt werden kann (oder muss) und ob gerade bei einem solchen - untypischen - Arbeitsunfall der Schädiger im konkreten Einzelfall als "Aufseher im Betrieb" tätig wurde, ist angesichts des Wortlautes der gesetzlichen Voraussetzungen ("bei einer betrieblichen Tätigkeit, wie sie sonst ein nach § 4 Versicherter ausübt, auch wenn dies nur vorübergehend geschieht") und der nahezu auszuufernden Kasuistik der Rechtsprechung sowohl zu § 176 Abs 1 Z 6 als auch zu § 333 Abs 4 ASVG in den meisten Fällen schwierig zu beantworten; das Ergebnis eines darüber geführten Rechtsstreites ist oft schwer vorherzusagen (und manchmal überraschend: vgl Neumayr in Schwimann ABGB Bd 8, 336 Rz 36 zu § 333 ASVG mwN). Die Vorinstanzen haben übereinstimmend und zutreffend angenommen, dass die Prozessführung des Klägers gegen den Pferdetrainer auf der vertretbaren Rechtsansicht beruhte, es handele sich nicht um einen Arbeitsunfall im definierten Sinn und der Schädiger sei nicht als Aufseher im Betrieb zu qualifizieren. Dem Beklagten ist aber vorzuwerfen, dass er seine anwaltliche Beratungspflicht dadurch verletzte, dass er den Kläger auch dann nicht über die Unsicherheit seines Rechtsstandpunktes belehrte, nachdem der dort beklagte Pferdetrainer ausdrücklich das Vorliegen eines Arbeitsunfalles nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG behauptet und mit durchaus schlüssigem Prozessvorbringen den Haftungsausschluss nach § 333 Abs 1 und 4 ASVG geltend gemacht hatte. Der Beklagte hätte dem Kläger daraufhin nach angemessener Prüfung der näheren Umstände den Rat erteilen müssen, spätestens am 1. 2. 1994 vorsichtshalber einen Antrag auf Zuerkennung einer Versehrtenrente nach §§ 203 ff ASVG bei der AUVA einzubringen. In diesem Antrag hätte auf den bereits anhängigen Schadenersatzprozess und den vom dortigen beklagten Schädiger erhobenen Einwand des Haftungsprivilegs hingewiesen und dargelegt werden können, dass der Rentenantrag vorsichtshalber zur Vermeidung eines allfälligen Rechtsverlustes gestellt werde. Letztlich hätte ein solcher Rentenantrag dazu geführt, dass dem Kläger die Versehrtenrente nicht erst ab 26. 6. 2000 (Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. 1. 2002, 7 Rs 3/02s), sondern bereits ab 1. 2. 1994 zuerkannt worden wäre.

Bei der Verletzung der Aufklärungspflicht durch einen Rechtsanwalt hat der Mandant (anders als der Patient bei ärztlichem Fehlverhalten) den Kausalitätsnachweis, allerdings mit der Erleichterung des "prima-facie-Beweises", zu erbringen (RS0106890), muss also nachweisen, dass der Schaden bei pflichtgemäßer Aufklärung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (RS0022700; 6 Ob 292/00k).

Im Hinblick auf den ohnehin festgestellten Wunsch des Klägers, seine Ansprüche gegen möglichst viele haftpflichtige Personen geltend zu machen, steht schon jetzt mit ausreichender Sicherheit auf dem Boden des festgestellten Sachverhalts fest, dass der Kläger bei entsprechender Beratung durch den Beklagten Anfang Februar 1994 eine Unfallsrente beantragt, aber auch die anhängigen Ansprüche gegen den Pferdetrainer weiter verfolgt hätte. Damit ist die Sache im Sinne einer Abweisung des bis zum 31. 12. 1992 begehrten Rententeilbetrags von 173.125,59 S spruchreif. Das restliche Rentenbegehren für die Zeit ab 1. 1. 1993 ist mangels näherer Aufschlüsselung durch den Kläger und mangels entsprechender Feststellungen der Vorinstanzen zur Höhe der entgangenen Versehrtenrente noch nicht spruchreif. Es steht lediglich fest, dass - wie ausgeführt - bis Ende Jänner 1994 der Rentenanspruch nicht zu Recht besteht, ab 1. 2. 1994 bis zur Beendigung des Vollmachtsverhältnisses am 17. 3. 1998 der noch festzustellenden Höhe zusteht. Nur insoweit wird das Erstgericht das Verfahren zu ergänzen und neuerlich zu entscheiden haben. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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