OGH 6Ob171/03w

OGH6Ob171/03w11.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des 6. Dezember 1990 geborenen mj Michael R*****, wohnhaft im Haushalt der Mutter Radostina R*****, vertreten durch den Unterhaltssachwalter (§ 9 Abs 1 UVG) Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Mai 2003, GZ 43 R 306/03y-42, womit über den Rekurs des Kindes der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 6. Februar 2003, GZ 7 P 203/01g-35, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das eheliche Kind und seine Eltern sind italienische Staatsbürger. Der Vater ist unbekannten Aufenthaltes. Für ihn wurde ein Abwesenheitskurator bestellt. Das Kind und die Mutter wohnen in Wien. Über Antrag des Kindes wurde der Vater mit einstweiliger Verfügung vom 29. 11. 2002 zu einem vorläufigen monatlichen Unterhalt von 123,60 EUR verpflichtet. Der Unterhaltssachwalter beantragte mit dem am 14. 1. 2003 beim Erstgericht eingelangten Antrag, auf Grund der einstweiligen Verfügung und gemäß den §§ 3, 4 Z 5 UVG Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe zu gewähren.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es stellte fest, dass nach den eingeholten negativen Hauptverbandsanfragen weder der Vater noch die Mutter in einem aufrechten, versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis aufscheinen. Die Mutter bezieht Sozialhilfe. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass Kinder mit der Staatsbürgerschaft eines Mitgliedslandes der Europäischen Union nach den europarechtlichen Vorschriften zwar Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse wie österreichische Kinder hätten, dies gelte aber nur für Kinder von EU-Bürgern, die Arbeitnehmer oder Selbstständige seien. Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis der Eltern habe nicht festgestellt werden können.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge. Der Europäische Gerichtshof habe entschieden, dass Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG Familienleistungen im Sinne von Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. 6. 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, seien. Daher hätten die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnenden Personen, für die diese Verordnung gilt, gemäß deren Art 3 unter denselben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf eine solche im Recht dieses Mitgliedstaates vorgesehenen Leistung. Daraus sei abzuleiten, dass alle "EWR-Bürger" mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich Ansprüche wie Inländer haben, soweit sie unter den persönlichen Anwendungsbereich der zitierten Verordnung fallen. Eine Person, die zumindest einen Elternteil habe, der selbstständiger oder tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne des Art 2 Abs 1 iVm Art 1 lit a und f der VO 1408/71 sei, falle in den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung. Hier seien beide Elternteile nicht Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung. Sie seien auch nicht selbstständig erwerbstätig. Der Vater sei unbekannten Aufenthaltes. Die Mutter beziehe Sozialhilfe und habe keinen Anspruch auf "Arbeitslosenunterstützung". Sie sei demnach weder selbstständige, noch tätige oder arbeitslose Arbeitnehmerin im Sinne der Verordnung. Der Umstand, dass das Kind Staatsbürger eines Mitgliedslandes des europäischen Wirtschaftsraumes ist, genüge für eine Vorschussgewährung nicht.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Ein Sozialhilfeempfänger könne allenfalls unter den Begriff "arbeitsloser Arbeitnehmer" fallen.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt das durch den Unterhaltssachwalter vertretene Kind die Abänderung dahin, dass für die Zeit vom 1. 1. 2003 bis 30. 4. 2003 die beantragten monatlichen Unterhaltsvorschüsse gewährt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionsrekursausführungen begnügen sich mit der nicht weiter begründeten Rechtsansicht, "dass die Mutter, die Sozialhilfe bezieht, eine arbeitslose Arbeitnehmerin im Sinne der VO 1408/71 ist". Dem ist aus folgenden Gründen nicht zuzustimmen.

Das Kind hat nach der österreichischen Rechtslage keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, weil es zwar im Inland aufhältig ist, aber weder die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt noch staatenlos ist (§ 2 Abs 1 UVG). Ein Anspruch könnte aber dann bejaht werden, wenn die angeführten Anspruchsvoraussetzungen mit europarechtlichen Vorgaben in Widerspruch stehen. Kinder von Wanderarbeitern haben nach der Judikatur des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften (EuGH) unter den Voraussetzungen der vom Rekursgericht zitierten Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (Wanderarbeitnehmerverordnung) Anspruch auf die Familienleistungen, die der Staat für Inländer vorsieht. Dies soll die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sicherstellen. Nach dem vom Rekursgericht richtig zitierten Tenor des Urteiles des EuGH vom 15. 3. 2001, C-85/99 - Offermanns, (Slg 2001, I-2261), ist der Unterhaltsvorschuss nach dem österreichischen UVG eine Familienleistung im Sinne der Wanderarbeitnehmerverordnung, auf die auch die Kinder Anspruch haben, die nicht österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind (ebenso Urteil des EuGH vom 5. 2. 2002, C-255/99 - Humer, Slg 2002, I-1205).

Im Anschluss an diese Judikatur des EuGH hatte der Oberste Gerichtshof schon mehrfach Fragen nach dem persönlichen Geltungsbereich der Wanderarbeitnehmerverordnung zu prüfen (RIS-Justiz RS0115509) und darauf verwiesen, dass Art 1 lit a Z 1 der Verordnung unter Arbeitnehmer jede Person versteht, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbstständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Kinder haben Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, wenn zumindest ein Elternteil selbständiger, tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung ist (9 Ob 157/02g; 1 Ob 289/01h). Art 2 Abs 1 legt den persönlichen Geltungsbereich dahin fest, dass die Verordnung für Arbeitnehmer gilt, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind oder als staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

Der Oberste Gerichtshof hat dazu schon ausgesprochen, dass es für den Anspruch eines Kindes auf Unterhaltsvorschuss nicht genüge, dass ein Elternteil beschäftigungslos ist. Für die Qualifikation eines arbeitslosen Arbeitnehmers im Sinne der Verordnung müsse auch feststehen, dass der Elternteil Arbeitslosengeld bezieht (1 Ob 289/01h). Dieser Ansicht ist zu folgen. Die Sozialhilfe (hier offenkundig nach dem Wiener Sozialhilfegesetz) zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfes ist keine Leistung auf Grund einer Pflichtversicherung oder einer freiwilligen Weiterversicherung, auf die die zitierten Vorschriften der Verordnung abstellen. Im Revisionsrekurs werden keine Argumente für eine andere rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes vorgetragen. In den nicht vom Anwendungsbereich der Verordnung erfassten Fällen ist der nationale Gesetzgeber grundsätzlich frei, an welche Tatbestände er die Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen knüpft (4 Ob 260/02t). Das vom Revisionsrekurswerber allein herangezogene Argument, dass die Mutter Sozialhilfe bezieht, ist aus dem dargelegten Grund nicht stichhältig.

Auch der Vater kann nach seinen bislang bekannten und ermittelbaren Lebensumständen nicht als Wanderarbeitnehmer im Sinne der Verordnung qualifiziert werden. Es steht wegen seines unbekannten Aufenthaltes nicht fest, ob er einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht oder Anspruch auf Arbeitslosengeld hat und ein solches auch bezieht. Im außerstreitigen Verfahren herrscht zwar der Untersuchungsgrundsatz (§ 2 Abs 2 Z 5 AußStrG), dies hat aber keineswegs zur Folge, dass es für die Parteien keine Beweislast gibt. Die subjektive Beweislast, das ist die Verpflichtung der Parteien, den Beweis der für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu erbringen, wird nur durch die Verpflichtung des Gerichtes ergänzt, auch ohne Parteienbehauptungen die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen zu erheben. Wird aber trotz des Untersuchungsgrundsatzes der Beweis für erhebliche Tatsachen nicht erbracht, gelten die allgemeinen Beweislastregeln (so schon SZ 53/54; RIS-Justiz RS0008752). Auch im Unterhaltsfestsetzungsverfahren gilt der Grundsatz, dass jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen hat (4 Ob 583/95). Da es hier um die erstmalige Gewährung von Unterhaltsvorschüssen geht, also nicht etwa um eine Änderung von gewährten Unterhaltsvorschüssen auf Grund geänderter Verhältnisse, fallen die Voraussetzungen der Vorschussgewährung in die Beweislast des antragstellenden Kindes. Auf eine allfällige Wanderarbeitnehmereigenschaft seines Vaters beruft sich der Revisionsrekurswerber aber gerade nicht.

Stichworte