OGH 5Ob168/02w

OGH5Ob168/02w3.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann, Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Julius Ernst F*****, vertreten durch Dr. Klaus Herke, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 33, gegen die beklagte Partei Thomas S*****, vertreten durch Dr. Klaus Vergeiner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9, wegen Unterhaltsherabsetzung (Reststreitwert im Revisionsverfahren EUR 2.092,98 = ATS 28.780,--), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. März 2002, GZ 4 R 471/01w-26, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 29. Juni 2001, GZ 36 C 46/00s-22, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Berufungsgericht die erstgerichtliche Abweisung eines Unterhaltsherabsetzungsbegehrens des Klägers bestätigt, die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung jedoch für zulässig erklärt, weil eine mit dem vorliegenden Fall zur Gänze vergleichbare Rechtsprechung des OGH zur Unterhaltsbemessung bei einem schwerstbehinderten Unterhaltsberechtigten fehle und die Frage, ob die Anrechnung von Transferleistungen bei getrennten Haushalten iSd Erkenntnisses des VfGH vom 27. 6. 2001, B 1285/00, im vorliegenden Fall (auch im Hinblick auf die mittlerweilige Überprüfung des § 12a FLAG auf seine Verfassungskonformität) Bedeutung hat, als maßgebliche Rechtsfrage (iSd § 502 Abs 1 ZPO) zu werten sei.

Rechtliche Beurteilung

Die in § 502 Abs 1 ZPO normierten Voraussetzungen für die Anrufung des OGH liegen jedoch nicht vor.

Die Besonderheit der gegenständlichen Unterhaltsbemessung liegt darin, dass der Kläger für seinen am 29. 9. 1980 geborenen unehelichen Sohn Thomas S***** monatlich S 5.700,-- zahlen soll, obwohl sich sein nach Meinung der Vorinstanzen für die Unterhaltsbemessung veranschlagbares Einkommen (eine Invaliditätspension) unter Berücksichtigung eigener Krankheitskosten (des Selbstbehaltes für notwendige Therapien) nur auf S 15.600,-- monatlich beläuft. Der Kläger hatte die Herabsetzung seines monatlichen Unterhaltsbeitrages ab Juli 2000 auf zunächst S 2.500,-- beantragt und strebt nunmehr (nach rechtskräftiger Teilabweisung seines Begehrens) die Herabsetzung auf S 3.300,-- an, weil er durch höhere Krankheitskosten als von den Vorinstanzen angenommen belastet sei und nach der Judikatur nur 22 % seines verfügbaren Einkommens für den Unterhalt des Beklagten aufzuwenden habe. Dem sind die Vorinstanzen nicht gefolgt, weil der Beklagte auf Grund seiner schweren Körperbehinderung (ihm fehlen wesentliche Querverbindungen zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte, außerdem bestehen mehrfache Fehlbildungen im Bereich des Gesichtes, des Kopfes und der Gliedmaße) einen weit über das normale Ausmaß hinausgehenden finanziellen Unterhaltsbedarf habe. Dieser Sonderbedarf resultiere ua aus einem enormen Sachaufwand für Windeln, Bettwäsche, Flüssignahrung etc, der durch das dem Beklagten gewährte Pflegegeld der Stufe 6 nicht gedeckt sei, weshalb der Unterhaltsanspruch nicht nach der sonst üblichen Prozentsatzmethode bemessen werden könne; dem Kläger sei vielmehr zuzumuten, wenigstens für den Regelbedarf eines Selbsterhaltungsunfähigen im Alter des Beklagten aufzukommen. Auf der anderen Seite sei den krankheitsbedingten Mehraufwendungen des Klägers mit monatlich S 400,-- ausreichend Rechnung getragen worden; soweit er damit nicht das Auslangen zu finden behauptet (es geht dem Kläger in dritter Instanz noch um die Kosten einer Gebisssanierung von ca S 15.800,--), wurden seine Argumente vor allem deshalb als nicht stichhältig erkannt, weil er den Aufwand aus seinen Ersparnissen (ein Bausparguthaben von ca S 40.000,--) decken könne. In der jetzt vorliegenden Revision argumentiert der Kläger einerseits damit, dass ihm die Auflösung seines Bausparvertrages zur Bestreitung der Zahnarztkosten nicht zugemutet werden könne, weil er ja dann die bezogenen Prämien zurückzahlen müsste; die wesentliche (vom Berufungsgericht unrichtig gelöste) Frage sei aber, ob er tatsächlich zur Leistung des Regelbedarfsunterhalts verpflichtet werden könne, obwohl dieser den nach der Prozentsatzmethode berechneten Anspruch weit übersteigt und der Unterhaltsberechtigte ohnehin wegen seiner Behinderung umfangreiche Unterstützungen der öffentlichen Hand beziehe. Darüber hinaus spricht der Revisionswerber noch das Problem des § 12a FLAG an; es könne bei einem nach der Prozentsatzmethode bemessenen Unterhaltsbeitrag noch angehen, dass die Familienbeihilfe den Unterhaltsanspruch nicht mindert, bei Verpflichtung zu einer weit darüber hinaus gehenden Unterhaltsleistung müsse aber die Familienbeihilfe auf den Unterhaltsanspruch angerechnet werden. Der Beklagte hat sich dazu in einer Revisionsbeantwortung geäußert und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Wie schon eingangs erwähnt wurde, ist die Revision unzulässig. Dass die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage - konkret die Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Gebisssanierungskosten - keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwirft, hat schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Ob der Unterhaltspflichtige zur Befriedigung der angemessenen Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten sein Vermögen heranzuziehen hat, richtet sich nach der Zumutbarkeit einer solchen Maßnahme (vgl RIS-Justiz RS0047494). Deren Beurteilung ist einzelfallbezogen und letztlich Ermessenssache (vgl RIS-Justiz RS0047470). Der OGH könnte daher in dieser Frage nur angerufen werden, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit eine grobe Fehlbeurteilung korrigiert werden müsste; eine solche ist jedoch nicht zu erkennen.

Ähnliches gilt für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs. Auch bei ihr ist immer auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen (RIS-Justiz RS0053263). Dass vom Kläger verlangt wird, dem Beklagten einen höheren Unterhaltsbeitrag zu leisten, als er sich bei Anwendung der üblichen Prozentsatzmethode ergäbe, könnte daher beim festgestellten Sonderbedarf des Beklagten nur dann die Anrufung des OGH rechtfertigen, wenn der Bemessung des Unterhalts nach der Prozentsatzmethode auch im konkreten Fall unbedingter Vorrang einzuräumen oder in unvertretbarer Weise die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bzw der Bedarf des Unterhaltsberechtigten verkannt worden wäre. Nichts davon trifft zu.

Schon das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen (und dies durch zahlreiche Judikaturzitate belegt), dass die Unterhaltsbemessung nach der Prozentkomponente zwar für durchschnittliche Verhältnisse ein brauchbare Handhabe bietet, bei atypischer Sachlage jedoch eine Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse erforderlich ist (vgl RIS-Justiz RS0047419 ua). Ein solcher Sonderfall liegt hier vor. Dass die Vorinstanzen den Kläger im Ergebnis zur Leistung des Regelunterhalts verpflichteten, hat nichts mit der Verkennung grundsätzlicher Bemessungskriterien zu tun, sondern erklärt sich daraus, dass versucht wurde, die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Klägers und den überaus hohen Unterhaltsbedarf des Beklagten angemessen zu berücksichtigen.

Dass dem Kläger bei Erfüllung seiner Geldunterhaltspflicht gegenüber dem Beklagten monatlich nur rund S 10.000,-- zur Deckung der eigenen Lebensbedürfnisse bleiben, hat das Berufungsgericht ohnehin berücksichtigt und durchaus plausibel dargelegt, dass damit die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Klägers zwar erreicht, aber nicht überschritten sind. Der Kläger hält diese Beurteilung vor allem deshalb für verfehlt, weil sich bei Berücksichtigung der tatsächlichen Bedürfnisse des Beklagten - er könne beispielsweise nicht wie andere Jugendliche seines Alters einen teuren Sport betreiben - und des von ihm bezogenen Pflegegelds ein eklatantes Missverhältnis zu den mit weniger als S 10.000,-- monatlich zu deckenden Bedürfnissen eines Pensionisten ergebe, doch wird auch damit kein korrekturbedürftiger Bemessungsfehler aufgezeigt. Dass dem Beklagten trotz Bezug eines Pflegegelds der Stufe 6 ein Sonderbedarf zuerkannt wurde, der durch Unterhaltsleistungen abzudecken ist, entspricht der Judikatur. Das Pflegegeld steht nämlich lediglich zur Finanzierung des pflegebedingten Mehraufwands zur Verfügung; soweit für den dadurch nicht gedeckten behinderungsbedingten Sachaufwand keine sonstigen öffentlich-rechtlichen Leistungen gewährt werden, bleibt ein Sonderbedarf des behinderten Kindes bestehen (vgl RIS-Justiz (RS0013477). Genau davon aber sind die Vorinstanzen ausgegangen. Die Feststellungen, die diesen Sonderbedarf plausibel machen, sind für den OGH nicht überprüfbar.

Zu erörtern bleibt damit nur, ob nicht der Bezug der Familienbeihilfe durch die Mutter des Beklagten dessen Unterhaltsanspruch mindert, wie es das Berufungsgericht mit dem Hinweis auf die bei seiner Entscheidung noch offene Frage der Verfassungskonformität des § 12a FLAG für möglich hielt. Diese Rechtsfrage ist jedoch trotz der mittlerweile erfolgten Aufhebung der Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" in § 12a FLAG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 19. 6. 2002, G 7/02 ua (veröffentlicht in JBl 2002, 781), im konkreten Fall nicht entscheidungsrelevant. Richtig ist, dass nach dem zitierten VfGH-Erkenntnis die steuerliche Entlastung desjenigen, der Unterhaltsleistungen für ein nicht seinem Haushalt angehöriges Kind zu erbringen hat und selbst keine Familienbeihilfe bezieht, auch dadurch erfolgen kann (und erforderlichenfalls zu erfolgen hat), dass die dem betreuenden Elternteil zufließende Familienbeihilfe den Unterhaltsanspruch des Kindes (im Ausmaß der ausgebliebenen Steuerentlastung) mindert. Es kann insoweit auf die dazu bereits ergangene Judikatur des OGH verwiesen werden (7 Ob 175/02i; 1 Ob 79/02b; 4 Ob 52/02d ua). Die Anwendung dieser Judikaturgrundsätze zeigt jedoch, dass im konkreten Fall gar kein Bedarf für eine (zusätzliche) Entlastung des Klägers durch die Anrechung der Familienbeihilfe (oder sonstiger Transferleistungen) besteht.

Nach der Sachlage (es kann in diesem Punkt sogar auf die Ergebnisse der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2000 zurückgegriffen werden) unterliegt das vom Kläger bezogene Einkommen dem Grenzsteuersatz von 31 %. Folgt man den Vorgaben der zitierten Judikatur müssen demnach von den Unterhaltsleistungen des Klägers jährlich S 8.550,-- (Euro 621,35) steuerlich unbelastet bleiben (5.700,-- mal 12 = 68.400,-- geteilt durch 2 = 34.200,--; davon 25 % sind 8.550,--). Zieht man davon den Unterhaltsabsetzbetrag nach § 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG von monatlich S 350,-- (jetzt Euro 25,50), jährlich also S 4.200,-- (jetzt Euro 306,--) ab, blieben für den über Transferleistungen herzustellenden Ausgleich S 4.350,-- jährlich bzw S 362,50 monatlich. Ein solcher Ausgleich ist jedoch nur notwendig, soweit er nicht über das Steuerrecht hergestellt werden kann. Letzteres - die Möglichkeit einer ausreichenden steuerlichen Entlastung des Unterhaltspflichtigen - trifft auf den gegenständlichen Fall zu.

Nach § 20 Abs 1 Z 1 EStG dürfen zwar die für den Unterhalt von Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften des Steuerpflichtigen nicht abgezogen werden, doch sind hievon nach § 34 Abs 6 leg cit Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen ausgenommen, für die gemäß § 8 Abs 4 FLAG erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen. Derartige Aufwendungen können ohne Berücksichtigung eines Selbstbehalts als außergewöhnliche Belastungen vom Einkommen des Steuerpflichtigen abgezogen werden. Im gegenständlichen Fall liegen diese Voraussetzungen in Ansehung jenes Unterhaltsbeitrages vor, den der Kläger über den sich nach der Prozentsatzmethode ergebenden Betrag von S 3.500,-- monatlich hinaus leisten muss, weil ihm ja dieser zusätzliche Beitrag (monatlich S 2.200,--) nur wegen eines vom Pflegegeld des Beklagten nicht gedeckten Mehraufwands abverlangt wird. Auch die zweite Voraussetzung der nach § 34 Abs 6 EStG abzugsfähigen außergewöhnlichen Belastung - der Bezug der erhöhten Familienbeihilfe für den Beklagten - ist erfüllt. Demnach kann der Kläger unter der Annahme eines Grenzsteuersatzes von 31 % durch die ihm abverlangten Unterhaltsleistungen eine steuerliche Entlastung von jährlich S 8.184,-- (S 2.200,-- mal 12 = 26.400,--; davon 31 %) und bei einem Grenzsteuersatz von 21 % jährlich S 5.544,-- (21 % von 26.400,--) erreichen.

Damit entfällt jeglicher Grund einer zusätzlichen Entlastung durch Transferleistungen. Die durch die Teilaufhebung des § 12a FLAG geänderte Rechtslage wirkt sich auf die gegenständliche Unterhaltsbemessung gar nicht aus.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung auf die Gründe, die zur Zurückweisung der Revision geführt haben, gar nicht eingegangen ist.

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