OGH 1Ob75/02i

OGH1Ob75/02i30.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter K*****, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Wintersportverein R*****, vertreten durch Dr. Josef Michael Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 5.450,46 EUR (= S 75.000) sA und Feststellung (Streitwert 3.633,64 EUR = S 50.000) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. November 2001, GZ 2 R 411/01g‑25, womit das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 27. April 2001, GZ 3 C 55/00t‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 665,66 EUR (darin 110,94 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu bezahlen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei betreibt in den Wintermonaten auf einem ansonsten von einer Gemeinde gehaltenen Forstweg eine Rodelbahn, die von ihr präpariert und abgesichert wird. Diese Rodelbahn ist für jedermann frei benützbar. An drei Tagen der Woche wird nächtliches Rodeln angeboten und dabei die Bahn künstlich beleuchtet. Am Ende der Rodelbahn befindet sich ein Zielhäuschen, in dessen Bereich über die Bahn eine an zwei Bäumen befestigte Kette gespannt wird, sofern keine Rodelveranstaltungen stattfinden. Die Absperrung dient der Verhinderung des Befahrens der Rodelbahn durch Fahrzeuge.

Am Nachmittag des 7. 2. 1999 fand ein von der beklagten Partei veranstaltetes Rodel‑ und Bergschlittenrennen statt, an dem ein Sohn des Klägers teilnahm. Der Kläger war als Zuseher anwesend. Nach Beendigung dieser Veranstaltung (gegen 18,00 Uhr) wurde im Zielgelände - wie üblich ‑ die Eisenkette, in deren Mitte sich als Warnhinweis ein rechteckiges, rot‑weißes Warnschild im Ausmaß von etwa 50 x 30 cm befand, gespannt. Zudem waren im Zielgelände bzw im Bereich der Zielkurve am Rand der Rodelbahn Schilder mit der Aufschrift "gesperrte Rennstrecke" bzw "Rennstrecke gesperrt" angebracht. Gegen 20,00 Uhr begaben sich der Kläger und seine beiden Söhne zur Rodelbahn, und zwar über einen abseits des Zielgeländes gelegenen und oberhalb davon in die Rodelbahn einmündenden Fußsteig. Deshalb nahmen sie die im Bereich des Zielgeländes gespannte Kette nicht wahr. Etwa 100 m vom Zielgelände entfernt begannen sie - voran der Kläger ‑ trotz Dunkelheit und Schneefalls und trotz des Umstands, dass keiner von ihnen eine Beleuchtung mit sich führte, auf der in ihren Umrissen erkenntlichen Rodelbahn zu rodeln. Der Kläger prallte mit dem Oberkieferfrontzahnbereich gegen die von ihm nicht wahrgenommene Eisenkette und zog sich dabei schwere Verletzungen im Gesichtsbereich zu.

Der Kläger begehrte S 75.000 Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Folgen aus dem von ihm erlittenen Unfall. Er habe die hellfarbige und sich von der Schneefahrbahn kaum abhebende Kette infolge der Dunkelheit nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig erkennen können. Diese schon an sich viel zu gefährliche Absperrmaßnahme hätte "nachgiebig" gestaltet oder zumindest deutlich wahrnehmbar sein müssen. Die beklagte Partei habe es unterlassen, im Verlauf der Rodelbahn auf das Vorhandensein dieser Kette durch geeignete Warntafeln hinzuweisen. Es sei ihr eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten anzulasten.

Die beklagte Partei wendete ein, die von ihr vorgenommene Absperrung habe keine atypische Gefahr hervorgerufen. Die Eisenkette sei mit einem gut sichtbaren Warnschild versehen gewesen, Warntafeln hätten auf die Sperre der Rodelbahn hingewiesen. Jedenfalls sei der beklagten Partei keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Der Kläger habe sich hingegen äußerst sorglos verhalten, er sei ohne Zuhilfenahme einer Lichtquelle auf der Rodelbahn ab- und nicht auf Sicht gefahren. Aus der widmungswidrigen Benützung der Rodelbahn könne er keine Ersatzansprüche ableiten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar S 52.000, nicht jedoch S 260.000 übersteige; die ordentliche Revision wurde letztlich für zulässig erklärt. § 1319a ABGB sei auch auf Rodelbahnen anwendbar. Eine Haftung der beklagten Partei läge nur vor, wenn ihr ein objektiv schwerer Verstoß gegen die nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt anzulasten wäre. Der Benützer einer Rodelbahn könne mit dem Fehlen atypischer Gefahrenquellen oder mit deren ausreichender Kennzeichnung rechnen, doch werde auch bei Ausübung des Rodelsports vorausgesetzt, dass der Rodler auf Sicht fahre. Die Absperrmaßnahme in Form einer Eisenkette mit darauf befindlichem Warnschild beruhe auf keiner auffallenden Sorglosigkeit der beklagten Partei, die einen Schadenseintritt geradezu als wahrscheinlich erscheinen habe lassen. Bei Tageslicht wäre diese Absperrvorrichtung jedenfalls deutlich zu erkennen gewesen. Selbst unter der Annahme, dass die beklagte Partei mit einer Benützung der Rodelbahn zur Nachtzeit habe rechnen müssen, hätte sie davon ausgehen dürfen, dass ein Rodler bei unzureichender natürlicher Ausleuchtung entsprechende künstliche Lichtquellen einsetze, um dem Gebot des Fahrens auf Sicht entsprechen zu können. Es liege jedenfalls keine das "leichte Ausmaß" übersteigende Fahrlässigkeit der beklagten Partei vor. Demnach scheide eine Haftung nach § 1319a ABGB aus. Dem Klagebegehren komme auch aus dem Blickwinkel des § 1319 ABGB keine Berechtigung zu, weil von einer mangelhaften Beschaffenheit der Eisenkette nicht die Rede sein könne.

Die Revision des Klägers ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Kläger Feststellungen darüber vermisst, ob das rot‑weiße Warnschild auf der Eisenkette von der Rodelbahn aus wahrnehmbar gewesen sei, ist er darauf zu verweisen, dass der Geschädigte den Beweis eines Verhaltens, das als grob fahrlässig im objektiven Sinn qualifiziert werden könnte, zu führen hat (JBl 1993, 315), er indes im Verfahren erster Instanz ‑ aber auch im Berufungsverfahren ‑ gar nicht behauptet hat, dieses Warnschild wäre nur aus der Gegenrichtung erkennbar gewesen. Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich vorgebracht, er könne nicht angeben, ob die Eisenkette mit einem Warnschild versehen gewesen sei (Seite 2 des Schriftsatzes vom 9. 6. 2000), ja in seiner Parteienvernehmung in der Tagsatzung vom 15. 9. 2000 sogar bekundet, er habe das Warnschild überhaupt nicht wahrgenommen und wisse daher nicht, ob es sowohl vorne wie auch hinten rot‑weiß gewesen sei (Seite 8 f des Protokolls vom 15. 9. 2000). Mangels entsprechender Behauptung ‑ und schon gar mangels irgendeines Beweises - liegt der gerügte Feststellungsmangel keineswegs vor.

Die Behauptung des Klägers, die beklagte Partei hätte - als Betreiberin der Rodelbahn ‑ damit rechnen müssen, dass diese Bahn auch zur Nachtzeit "ohne Beleuchtung" von Rodlern benützt wird, ist nicht nachvollziehbar. Es mag sein, dass sich Nachtfahrten auf Rodelbahnen "immer größerer Beliebtheit erfreuen", doch wohl nur unter der Voraussetzung, dass die Bahnen - durch welche Lichtquellen immer ‑ genügend ausgeleuchtet sind. Mit einer dermaßen leichtsinnigen Verhaltensweise, wie sie der Kläger an den Tag legte, nämlich bei Dunkelheit und Schneefall ohne jedwede Beleuchtung die Rodelbahn talwärts zu fahren, musste die beklagte Partei gewiss nicht rechnen. Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausführen, ist das Gebot des Fahrens auf Sicht auch auf Rodelbahnen zu beachten und die Fahrgeschwindigkeit danach einzurichten. Ein Rodler ist grundsätzlich selbst für seine Sicherheit verantwortlich und hat dem der Sportausübung anhaftenden Verletzungsrisiko durch kontrolliertes und daher bestehenden Gefahren Rechnung tragendes Verhalten zu begegnen (ZVR 2001/18; SZ 69/287; JBl 1991, 652). Daher waren auch die vom Kläger vermissten Feststellungen, mit welcher Geschwindigkeit ein "durchschnittlich fahrtüchtiger Rodler" bei den gegebenen Wetter- und Sichtverhältnissen hätte fahren dürfen, entbehrlich, weil der Kläger jedenfalls dem Gebot des Fahrens auf Sicht aufs Gröbste zuwidergehandelt hat. Bei völliger Dunkelheit ist der Rodler dazu verhalten, die Ausübung des Rodelsports gänzlich zu unterlassen oder äußerstenfalls im Schritttempo talwärts zu fahren, um so sonst unerkannt bleibenden Gefahren begegnen zu können.

Es kommt im jeweils zu prüfenden Einzelfall darauf an, ob der Wegehalter die ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um eine gefahrlose Benützung eines bestimmten Weges (hier: Rodelbahn) zu erreichen (2 Ob 299/01m uva). Durch die Absperrung der Rodelbahn mit einer Eisenkette, an der ein rot‑weiß gefärbtes Warnschild angebracht war, hat die beklagte Partei die gebotene Sorgfalt überhaupt nicht und schon gar nicht in ungewöhnlichem Maß verletzt, konnte und musste sie doch mit einem derart leichtsinnigen Verhalten des Klägers nicht rechnen.

Den Entscheidungen der Vorinstanzen, die eine Haftung gemäß § 1319a ABGB verneinten, haftet daher keine und schon gar keine grobe Fehlbeurteilung, die aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste, an (vgl 2 Ob 299/01m; 2 Ob 327/99y; 2 Ob 293/98x; SZ 53/143). Die beklagte Partei durfte darauf vertrauen, dass die Rodelbahn in dem Bereich, in dem Hindernisse mangels ausreichender Beleuchtung nicht oder nur schlecht wahrgenommen werden konnten, überhaupt nicht oder nur bei entsprechend kontrolliertem Fahren (auf Sicht!) benutzt wird (vgl SZ 69/287; JBl 1991, 652).

Wie der Kläger bei der zum Unfallszeitpunkt herrschenden Dunkelheit einen Hinweis auf das Ende der Rodelbahn hätte erkennen können, führt er nicht aus. Im Übrigen war ein solcher Hinweis in Gestalt der Eisenkette mit dem darauf angebrachten Warnschild ohnehin vorhanden.

Aber auch der Haftungstatbestand des § 1319 ABGB ist nicht verwirklicht: Wie schon weiter oben dargestellt, musste die beklagte Partei keinesfalls mit "Nachtrodlern ohne Beleuchtung" rechnen. Selbst wenn man die von der beklagten Partei vorgenommene Absperrung als Werk im Sinne des § 1319 ABGB beurteilen wollte (vgl JBl 1998, 715; SZ 53/143; vgl dagegen die Glosse Koziols zu ersterer Entscheidung), wurde durch dieses keine "typische Gefahr" geschaffen, denn die Absperrung wäre bei sach‑ und normgerechtem Verhalten des Klägers erkennbar gewesen; dass er sie nicht wahrnahm, hat er einzig und allein seinem Leichtsinn zuzuschreiben. Eine Haftung der beklagten Partei könnte schon deshalb auch aus § 1319 ABGB nicht abgeleitet werden (vgl ZVR 1999/23; JBl 1998, 715). Das "Werk" (Absperrung) war aber nicht nur mängelfrei, sondern die beklagte Partei hat auch alle zur Abwendung von Gefahren erforderliche Sorgfalt aufgewendet, und ist auch daher jeder Haftung entkleidet (ZVR 1997/147).

Der Kläger hat keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung (gemäß § 502 Abs 1 ZPO) aufgezeigt; solche sind auch nicht ersichtlich, weshalb die Revision zurückzuweisen ist. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a ZPO nicht gebunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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