OGH 10ObS254/01b

OGH10ObS254/01b25.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef H*****, Elektriker, *****, vertreten durch Dr. Josef Lechner und Dr. Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, wegen Integritätsabgeltung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Mai 2001, GZ 7 Rs 121/01t-18, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionswerber führt zunächst zutreffend aus, dass nur das - ausschließliche - Vorliegen einer grob fahrlässigen Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften durch den Versicherten selbst der Gewährung einer Integritätsabgeltung entgegenstünde (SSV-NF 9/51, 12/150 mwN ua). Insoweit ist aber kein Widerspruch zum Berufungsgericht zu erblicken, dessen ausdrücklich auf die Entscheidung SSV-NF 9/51 bezugnehmenden Ausführungen wohl nur in diesem Sinn verstanden werden können und daher auch diesbezüglich mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Einklang stehen.

Die Entscheidung hängt somit von der Lösung der Rechtsfrage des materiellen Rechtes ab, ob (auch) die Dienstvorgesetzten des Klägers einen grob fahrlässigen Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften zu verantworten haben (§ 213a Abs 1 ASVG). Diese Frage wurde von den Vorinstanzen übereinstimmend verneint. Sie haben dabei die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, insbesondere auch des erkennenden Senates zum Begriff der groben Fahrlässigkeit berücksichtigt (SSV-NF 6/61, 8/64, 8/111, 8/122, 9/9, 9/51, 12/30, 12/150 ua). Bereits in der erstgenannten Entscheidung wurde darauf hingewiesen, dass bei Beurteilung des Verschuldensgrades jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen sind. Dieser Rechtssatz wurde in zahlreichen weiteren Entscheidungen wiederholt (vgl RIS-Justiz RS0089215, RS0105331 ua). Der erkennende Senat hält daran fest, dass das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreicht. Entscheidende Kriterien für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades sind auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die für den Arbeitgeber erkennbare Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Im Wesentlichen ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber als Adressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (RIS-Justiz RS0052197, RS0030644, RS0085332, RS0030272, RS0031127, RS0030510, RS0085228 ua). Bei der Beurteilung der Frage, welcher Fahrlässigkeitsgrad vorliegt, ist auch das Verhalten des Versicherten mitzuberücksichtigen (SZ 40/55 ua).

Der Kläger hat in seiner Klage geltend gemacht, dass seine Dienstvorgesetzten einen grob fahrlässigen Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften (Bauarbeiterschutzverordnung: mangelnde Absturzabsicherung des Baustellenbereiches) zu verantworten hätten. Selbst wenn die Dienstvorgesetzten des Klägers Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung außer Acht gelassen hätten, wäre ihnen die Vernachlässigung dieser Sorgfaltspflicht nach übereinstimmender Ansicht der Vorinstanzen unter den festgestellten Bedingungen nicht schwerstens vorzuwerfen. Eine angeblich mangelhafte Befestigung der Schuttrutsche steht auch nach der eigenen Aussage des Klägers in keinem Kausalzusammenhang mit seinem Sturz von dem im Dachbodenbereich befindlichen Gesimsbalken. Ein vom Kläger bei seiner Einvernahme als Unfallsursache genanntes angebliches Absägen dieses Gesimsbalkens durch einen anderen Arbeitnehmer wurde von den Tatsacheninstanzen nicht festgestellt und vom Kläger im Verfahren erster Instanz auch nicht zu seinem Prozessvorbringen erhoben, sodass sich der Kläger durch das Fehlen weiterer diesbezüglicher Feststellungen nicht beschwert erachten kann. Nach den vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen Feststellungen der Erstgerichtes waren die Arbeiter zum Unfallszeitpunkt nicht im Bereich des Klägers, sondern auf der anderen Seite des Hauses mit dem Abtragen des restlichen Dachstuhles beschäftigt. Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen hätte der Kläger, der zur Unfallszeit einen Kübel mit Bauschutt in die Schuttrutsche leerte, die Schuttrutsche von der oberen Dachgeschossdecke aus bedienen können. Der Kläger bediente auch tatsächlich die Schuttrutsche zunächst von der Geschossdecke aus. Trotz eines ausdrücklichen Verbotes durch seinen unmittelbaren Vorgesetzten und entsprechender Hinweise (auf die bereits beeinträchtigte Stabilität der Dachstuhlkonstruktion) auch durch andere auf der Baustelle anwesende Arbeiter setzte sich der Kläger jedoch in der Folge auf einen Gesimsbalken und stürzte in weiterer Folge mit einem Teil des Dachstuhles und der Schuttrutsche in die Tiefe. Wenn der Kläger die Schuttrutsche entsprechend der Anordnung von der oberen Dachgeschossdecke aus bedient hätte, wäre er nicht abgestürzt. Dass für den Dienstvorgesetzten des Klägers die Nichtbefolgung seiner ausdrücklichen Anordnung durch den Kläger auf Grund irgendwelcher Umstände vorhersehbar gewesen wäre und der Dienstvorgesetzte des Klägers nicht damit rechnen durfte, dass der Kläger die ihm erteilte Anordnung auch tatsächlich befolgt, wurde auch vom Kläger nicht behauptet. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen zu dem Ergebnis gelangten, dass dem Arbeitgeber oder dem Dienstvorgesetzten der Eintritt eines Schadens nicht als wahrscheinlich erscheinen musste, weshalb ihnen eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung und damit eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht vorgeworfen werden könnte, haben sie sich mit ihrer Entscheidung im Rahmen der Grundsätze der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bewegt, die Rechtslage nicht verkannt und ihre Entscheidung nur auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles getroffen (vgl Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 3 zu § 502 mwN ua). Die Vorinstanzen haben jedenfalls den ihnen bei dieser Entscheidung eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten.

Stichworte