OGH 9Ob190/99b

OGH9Ob190/99b3.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Staatsanwaltschaft Wien (82 Nst 684/94), Landesgerichtsstraße 11, 1082 Wien, wider die beklagten Parteien 1. Franz H*****, ohne Beschäftigung, *****, 2. Milica H*****, geborene G*****, Raumpflegerin, *****, vertreten durch Dr. Aleksa Paunovic, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigerklärung einer Ehe gemäß § 23 EheG, über die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16. Februar 1999, GZ 45 R 41/99h-61, womit infolge Berufung der zweitbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 27. Oktober 1998, GZ 16 C 26/97t-54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der zweitbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die zweitbeklagte Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit ihrer Klage vom 27. 8. 1996 begehrt die Staatsanwaltschaft Wien die Nichtigerklärung der zwischen den beiden Beklagten am 5. 12. 1990 geschlossenen Ehe gemäß § 23 EheG. Der Erstbeklagte sei österreichischer Staatsbürger, während die Zweitbeklagte die jugoslawische Staatsbürgerschaft besitze. Die Ehe sei ausschließlich deshalb geschlossen worden, um der Zweitbeklagten die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft sei von den Beklagten nie beabsichtigt gewesen und auch nicht erfolgt. Der Erstbeklagte bestritt das Klagevorbringen nicht.

Die Zweitbeklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß es sich um eine Liebesehe gehandelt habe. Sie habe mit dem Erstbeklagten zwar nicht dauernd zusammengelebt, doch habe dieser mehrmals bei ihr übernachtet. Sie hätten auch geschlechtlichen Kontakt miteinander gehabt.

Das Erstgericht erklärte die Ehe gemäß § 23 EheG für nichtig. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest: Der Erstbeklagte ist österreichischer Staatsbürger, die Zweitbeklagte jugoslawische Staatsangehörige. Der Erstbeklagte wohnte vom 28. 6. 1990 bis 6. 3. 1991 in einem Jugendhaus der Caritas. Ein weiterer Bewohner dieses Heimes vermittelte einen jugoslawischen Staatsangehörigen, welcher heiratswillige Männer suchte, die bereit waren, für Geld eine Ehe mit einer Ausländerin einzugehen, an den Kläger. Der Erstbeklagte bejahte die Frage dieses Vermittlers, ob er bereit sei, eine solche Scheinehe einzugehen, weil er Geld benötigte. Er hätte für die Eheschließung mit der Zweitbeklagten S 8.000 erhalten sollen und wollte davon Mietzinsrückstände tilgen. Vor der Eheschließung kam es zu einer der zwei Begegnungen zwischen den Beklagten, an welcher ein Freund der Zweitbeklagten teilnahm, der als Dolmetsch fungierte. Dabei wurde besprochen, daß die Zweitbeklagte die Eheschließung mit einem Österreicher benötigte, um eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Weiters wurde über Vorschlag der Zweitbeklagten vereinbart, daß die Ehe nach einem halben Jahr durch einvernehmliche Scheidung wieder aufgelöst werden sollte. Die Zweitbeklagte hatte sich seit Februar 1988 in Österreich aufgehalten und ohne Arbeitsbewilligung als Kellnerin gearbeitet. Ihr Versuch, eine Arbeitsbewilligung zu erreichen, war gescheitert.

Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft war von den Beklagten von Anfang an ebensowenig beabsichtigt wie ehelicher Beistand und erfolgte auch tatsächlich nicht. Die Beklagten lebten zu keinem Zeitpunkt zusammen; es gab keinerlei geschlechtliche Beziehung, sei es vor oder nach der Eheschließung. Der Erstbeklagte suchte im Jänner 1991 die Zweitbeklagte auf, um das ihm versprochene Geld zu erhalten; dies wurde ihm jedoch verweigert. Bereits im Februar 1991 ging die Zweitbeklagte eine Beziehung mit einem jugoslawischen Staatsangehörigen ein und wurde von ihm schwanger. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 23. 6. 1994, 3 C 20/92p-54, wurde ausgesprochen, daß der Sohn der Zweitbeklagten kein eheliches Kind des Erstbeklagten ist. Am 9. 7. 1993 brachte die Zweitbeklagte beim Bezirksgericht Josefstadt eine Scheidungsklage ein.

Die Zweitbeklagte suchte zwischen 25. und 30. Mai 1997 den Erstbeklagten in seiner Wohnung auf und bot ihm Geld dafür an, wenn er bereit sei, die Aussage, daß es sich um eine Scheinehe handle, zurückzuziehen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß nach nunmehr ständiger Rechtsprechung eine Ehe gemäß § 23 EheG auch dann nichtig sei, wenn sie in der ausschließlichen oder überwiegenden Absicht der Ehegatten geschlossen wurde, für den Ausländer den ungehinderten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erlangen, ohne nach der Erfüllung der Voraussetzungen für die österreichische Staatsbürgerschaft zu streben (8 Ob 577/93; 4 Ob 545/94). Die Ehe der Streitteile sei ausschließlich zu diesem Zweck geschlossen worden und daher nichtig.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung machte die Zweitbeklagte im Rahmen einer Neuerung zwei weitere, in Bosnien aufhältige Zeugen zum Beweis dafür namhaft, daß "die Ehe sowohl vor als auch nach der Eheschließung konsumiert und gelebt worden sei".

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und erachtete das weitere Beweisvorbringen im Sinne des § 179 Abs 1 ZPO für unstatthaft. Dieses Begehren sei eindeutig in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen, nicht früher erstattet worden, obwohl das erstinstanzliche Verfahren dazu ausreichend Möglichkeit geboten hätte. Die Bestimmung des § 179 ZPO, wonach ein offenbar in Verschleppungsabsicht erstattetes Vorbringen als unstatthaft erklärt werden könne, sei auch auf das im Ehenichtigkeitsverfahren zweiter Instanz erstattete neue Vorbringen anwendbar (vgl Fasching ZPR2 Rz 713). Da die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft zwischen den beiden Beklagten niemals beabsichtigt und auch nicht erfolgt, vielmehr die Ehe nur zu dem Zweck geschlossen worden sei, der Zweitbeklagten eine Aufenthaltsbewilligung in Österreich zu verschaffen, seien die Voraussetzungen für die Nichtigerklärung der Ehe der beiden Beklagten gemäß § 23 EheG gegeben (EFSlg 75501 ua).

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO sei die ordentliche Revision nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei aus dem Grunde der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben, zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht, hilfsweise an das Berufungsgericht - zurückzuverweisen -, bzw das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die klagende Staatsanwaltschaft beteiligte sich am Revisionsverfahren ebensowenig wie der Erstbeklagte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil, soweit überblickbar, keine Rechtsprechung besteht, ob und inwieweit die in § 179 Abs 1 zweiter Satz ZPO geregelte Präklusivwirkung wegen Verschleppungs- und Verzögerungsabsicht auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz erfaßten Verfahren über die Nichtigerklärung einer Ehe (§ 23 EheG) anwendbar ist; sie ist aber nicht berechtigt.

Nach der zur früheren Rechtslage ergangenen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0036761) war die Bestimmung des § 179 ZPO, wonach ein in offenbarer Verschleppungsabsicht erstattetes Vorbringen als unstatthaft erklärt werden konnte, auch auf das im Eheverfahren zweiter Instanz erstattete - grundsätzlich mögliche - neue Vorbringen anzuwenden. An diesem Grundsatz ist auch weiterhin festzuhalten, sodaß die Zulässigkeit von Neuerungen im Verfahren zweiter Instanz entgegen der Auffassung der zweitbeklagten Partei eine Anwendung des § 179 Abs 1 ZPO nicht jedenfalls ausschließt. Die vorzitierte Rechtsprechung erging jedoch nur zu Eheaufhebungs- und Scheidungsverfahren, in welchen die Inquisitionsmaxime nur eingeschränkte Geltung hatte. Die Bestimmung des § 460 Z 4 ZPO, welche in Anlehnung an § 13 des Hofdekrets vom 23. August 1819, JGS Nr 1595, und § 10 der JMV RGBl Nr 283/1897 die Untersuchungsmaxime für das Verfahren über die Nichtigkeit oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe vorsieht (AB zu BGBl 1983/566, 78 der Blg NR XVI. GP) legt dem Gericht die Verpflichtung auf, von Amts wegen dafür zu sorgen, daß alle für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Umstände aufgeklärt werden, wobei § 183 Abs 2 ZPO nicht gilt.

Noch vor Inkrafttreten dieser Bestimmung wurde in der Lehre (Holzhammer ZPR2 378 f) die Meinung vertreten, daß in Eheprozessen Klageänderungen innerhalb derselben Klagengruppe nicht beschränkt seien und daher auch neue Klagetatsachen im Rahmen desselben Klagegrundes nicht nach § 179 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden können. Weitergehende Aussagen finden sich zu diesem Themenkomplex weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung.

Grundsätzlich ist festzuhalten, daß auch in einem ansonsten verspäteten Vorbringen gewichtige Gründe liegen können, welche Anlaß für das Gericht sein können, von Amts wegen für weitere Aufklärung zu sorgen. Dennoch ist der Rechtsordnung ein Nebeneinander von amtswegiger Wahrheitsforschung einerseits und Abwehr von Verschleppungshandlungen andererseits nicht fremd. So kennt die Judikatur zur StPO, welche von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird, insbesondere in ergänzender Auslegung des § 199 Abs 2 StPO die Beweispräklusion wegen Verzögerungsabsicht auch in der Hauptverhandlung (RIS-Justiz RS0098272). Insbesondere wurde hiezu ausgesprochen, daß ein Beweisantrag, um im Sinne des § 281 Z 4 StPO erheblich zu sein, grundsätzlich nicht nur das Beweisthema und die Beweismittel, sondern auch die Umstände angeben muß, die erwarten lassen, daß eine Durchführung das behauptete Ergebnis haben werde. Zur Vermeidung der Ablehnung wegen Mutwilligkeit und als nur zur Verfahrenszögerung gestellt muß ein Beweisantrag daher näher begründet sein (RZ 1967, 67; 12 Os 91/69); die bloß abstrakte Möglichkeit einer Förderung der Wahrheitsfindung genügt nicht (12 Os 36/75). Dabei gilt, daß ein neues Beweisvorbringen umso eingehender sein muß, je fraglicher die Brauchbarkeit des geforderten Verfahrensschrittes im Lichte der übrigen Verfahrensergebnisse und der Einlassung des Angeklagten ist (11 Os 38/93). Die Aufnahme aussichtsloser Beweise ist nicht erforderlich (15 Os 93/96). Das Stellen eines Beweisantrages in einem relativ späten Verfahrensstadium bedarf eines konkreten Vorbringens, warum dieser bei der gegebenen Sachlage bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabes eine erfolgsprechende Bereicherung der zur Wahrheitsfindung führenden Prämissen erwarten läßt (15 Os 26/99). Eine Beweisaufnahme ist demgegenüber nach dem Gesetz nur dann geboten, wenn daraus ein in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht derart ins Gewicht fallendes Ergebnis zu erwarten ist, daß die durch die mit der Beweisaufnahme möglicherweise verbundenen Nachteile, die insbesondere einer der Wahrheitsfindung abträglichen Ausweitung des Prozeßstoffes und Verzögerung des Verfahrens liegen können, aufgewogen werden (SSt XXVIII/4 = 11 Os 87/62 ua in RIS-Justiz RS0098547). Eine unerhebliche und offenbar nur auf eine Verzögerung des Verfahrens abzielende Beweisaufnahmen braucht daher auch das Strafgericht nicht durchzuführen (RIS-Justiz RS0098319). Überträgt man diese Grundsätze auf das Ehenichtigkeitsverfahren, wo ebenfalls der Untersuchungsgrundsatz anzuwenden ist, bleibt für eine Anwendung der Beweispräklusion nach § 179 Abs 2 durchaus dann Platz, wenn entweder offensichtlich ist, daß das Gericht auch bei früherem Bekanntwerden dieser Umstände vernünftigerweise keinen Anlaß gefunden hätte, von Amts wegen tätig zu werden oder aber, wenn das in einem späten Verfahrensstadium (hier: im Berufungsverfahren) erstattete Vorbringen nicht so zwingend ist, daß auch ohne nähere Begründung für die Verspätung des Vorbringens eine amtswegige Untersuchung angezeigt ist.

Im vorliegenden Fall besteht die Begründung für die erst im Rechtsmittelverfahren vorgebrachten neuen Beweisanträge darin, daß die Zweitbeklagte "damit gerechnet habe, daß das Gericht ihren Angaben folgen werde". Zutreffend hat schon das Berufungsgericht diesem Argument entgegengehalten, daß die übrigen Verfahrensergebnisse keineswegs so eindeutig waren, um einen solchen Standpunkt ernsthaft aufrecht erhalten zu können. Daß der Zweitbeklagten die nunmehr namhaft gemachten Zeugen erst später bekannt geworden seien, wurde nicht einmal behauptet. Zieht man die Allgemeinheit des Beweisthemas "daß die Ehe sowohl vor als nach der Eheschließung konsumiert als auch gelebt worden sei" mit ins Kalkül, wird nicht nur die vom Berufungsgericht zutreffend angenommene Verschleppungsabsicht offenkundig, sondern zeigt sich auch die Unwahrscheinlichkeit eines Beweiserfolges, zumal durch sexuelle Kontakte oder auch nur zeitweises Zusammenleben der beklagten Parteien das für eine Nichtigerklärung der Ehe ausreichende Überwiegen der Absicht, der Zweitbeklagten hiedurch eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen, nicht widerlegt würde.

Daraus folgt, daß weder die im Berufungsverfahren erstmalig namhaft gemachten Zeugen, noch ein weiterer, erst in der Revisionsschrift angeführter Zeuge ausreichenden Anlaß zu amtswegigem Vorgehen geben, sondern der Beweispräklusion wegen Verschleppungs- und Verzögerungsabsicht unterliegen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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