OGH 11Os58/96

OGH11Os58/9630.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. April 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Hager und Dr. Schindler als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eckert-Szinegh als Schriftführerin, in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 26 d Vr 8.287/95 anhängigen Strafsache gegen Celal B***** und andere wegen des Verdachtes des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278 a StGB und anderer strafbarer Handlungen, über die Grundrechtsbeschwerde des Dr. Wolfgang M***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 4. April 1996, AZ 24 Bs 92/96, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dr. Wolfgang M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht für Strafsachen Wien ist (ua) gegen Dr. Wolfgang M***** ein Strafverfahren wegen des Verdachtes des Verbrechens der versuchten schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen anhängig; im Zuge dieses Verfahrens wurde über Dr. Wolfgang M***** mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 13. Februar 1996 gemäß § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO, mit Ergänzungsbeschluß vom 20. Februar 1996 auch gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO, die Untersuchungshaft verhängt. Am 25. März 1996 wurde nach durchgeführter Haftverhandlung die Fortsetzung der Untersuchungshaft beschlossen (GZ 26 d Vr 8287/95-297).

Mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 4. April 1996, AZ 24 Bs 92/96 (= ON 345 des Vr-Aktes), wurde der dagegen gerichteten Beschwerde des Beschuldigten nicht Folge gegeben und die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit a und b StPO angeordnet. Dieser Haftbeschluß ist bis längstens 4. Juni 1996 wirksam.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diesen Beschluß fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde des Dr. Wolfgang M***** ist nicht berechtigt.

Gemäß § 1 Abs 1 GRBG steht dem Betroffenen nach Erschöpfung des Instanzenzuges die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof wegen Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung zu. Gemäß § 2 Abs 1 GRBG ist das Grundrecht auf persönliche Freiheit insbesondere dann verletzt, wenn die Verhängung oder Aufrechterhaltung einer Haft zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht, die Dauer einer Haft unverhältnismäßig geworden ist, die Voraussetzungen einer Haft, wie Tatverdacht oder Haftgründe, unrichtig beurteilt wurden oder sonst bei einer Festnahme oder Anhaltung das Gesetz unrichtig angewendet wurde.

Keiner der genannten Beschwerdegründe liegt vor.

Nach der zuletzt genannten Gesetzesstelle können nur strafgerichtliche Entscheidungen oder Verfügungen, die für die Festnahme oder weitere Anhaltung ursächlich sind, Gegenstand des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens sein, demnach nicht die von der Beschwerde ins Treffen geführte Verweigerung der Akteneinsicht (siehe 12 Os 68/93, 12 Os 65/93, 11 Os 109/93, 14 Os 129, 130/93 uvam); zudem wurde eine die Bestimmung des § 45 Abs 2 StPO verletzende Vorgangsweise des Untersuchungsrichters in diesem Zusammenhang von der Beschwerde selbst nicht behauptet. Das zuvor Gesagte gilt auch für das Beschwerdevorbringen betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausscheidung des (von der Beschwerde so genannten) "Türkenaktes" gemäß § 57 StPO, weil eine derartige Entscheidung lediglich unter dem Aspekt einer die Frage der Verhältnismäßigkeit auslösenden Verzögerung von Belang sein könnte. Aus den bereits im angefochtenen Beschluß zutreffend dargelegten Gründen konnte eine solche Verzögerung in der gegebenen Verfahrenssituation nicht eintreten.

Soweit die Beschwerde eine Befassung des angefochtenen Beschlusses mit der Frage des dringenden Tatverdachtes hinsichtlich aller strafbarer Handlungen vermißt, deren Dr. Wolfgang M***** verdächtigt wird, übersieht sie, daß es bei Prüfung des dringenden Tatverdachtes im Grundrechtsbeschwerdeverfahren für den - gesetzsystematisch jedweder Sachverhaltsermittlung enthobenen - Obersten Gerichtshof mit Rücksicht auf das aus seiner Position als höchste Instanz in Strafsachen resultierende Gewicht seiner Aussprüche eine wesentliche Maxime sein muß, jeglichen Anschein einer vorwegnehmenden Würdigung der die Verdachtsintensität tragenden Sachverhaltsprämissen zu vermeiden. Da bei gegebenem dringendem Tatverdacht hinsichtlich einer Tat bereits ein damit konnexer Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt sich im Rahmen der Behandlung der Grundrechtsbeschwerde die Prüfung der Frage, inwieweit der Tatverdacht im übrigen dringend ist und ob noch weitere Haftgründe gegeben sind (12 Os 15/93 = AnwBl 1993, 340 uam). Eine solche Untersuchung erübrigt sich vor allem dann, wenn aufgrund eines einzigen dem Beschuldigten zugrundeliegenden Vorwurfes eine durch die (Verwahrungs- und/oder Untersuchungs-) Haft begründete Grundrechtsverletzung auszuschließen ist (14 Os 194/95).

Dr. Wolfgang M***** wird in der (inzwischen - nach Fassung des angefochtenen Beschlusses des Oberlandesgerichtes - in Rechtskraft erwachsenen) Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien vom 21. März 1996, 8 St 21.493/96 (= ON 139 des Vr-Aktes), unter anderem das Verbrechen der versuchten schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB zur Last gelegt. Ob die der rechtskräftigen Anklage zugrundeliegenden Verfahrensergebnisse ausreichen, den Beschwerdeführer der ihm angelasteten strafbaren Handlungen zu überführen, muß nach den Verfahrensgrundsätzen dem erkennenden Gericht überlassen bleiben und darf vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens nicht geprüft werden (12 Os 13/93 = RZ 1993/7, 14 Os 32/93 = EvBl 1993/95 uva). Auf der Grundlage des Akteninhaltes hält der Oberste Gerichtshof die Beurteilung des im angefochtenen Beschluß wiedergegebenen Tatverdachtes durch das Beschwerdegericht als dringend für rechtsrichtig.

Aus den dargelegten Überlegungen ist eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens zu den übrigen dem Beschuldigten zur Last gelegten strafbaren Handlungen ebensowenig erforderlich wie zu den in diesem Zusammenhang behaupteten Verstößen gegen Verfahrensvorschriften.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Annahme des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr wendet, ist das Beschwerdeinteresse mittlerweile durch Ablauf der daraus resultierenden zulässigen (zweimonatigen) Dauer der Untersuchungshaft weggefallen.

Zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr tritt der Oberste Gerichtshof der Auffassung des Oberlandesgerichtes bei, wonach vorliegend aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete strafbare Handlung mit schweren Folgen (§ 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO). Der Beschwerde ist zwar einzuräumen, daß hinsichtlich des dem Beschuldigten angelasteten Verbrechens der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 1 und Abs 3 StGB zufolge der bereits erfolgten Suspendierung vom Dienst die Gefahr neuerlicher Tatbegehung auszuschließen ist. Das von ihr ganz allgemein verwendete Argument bleibt allerdings hinsichtlich des Verdachtes des Verbrechens der schweren Erpressung nach § 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB ohne Bedeutung, legt doch das bisher aktenkundige Verhalten des Beschuldigten nahe, daß er auch in Zukunft sein besonderes Sach- und Fachwissen als Staatsanwalt für gleichartiges deliktisches Verhalten verwenden könnte. Die bestimmten Tatsachen, auf denen diese Befürchtung beruht, sind die aktenkundigen Beziehungen des Beschuldigten zu jenem Personenkreis, gegen den (wie auch gegen ihn selbst) im Verfahren zum AZ 26 d Vr 8287/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien noch ermittelt wird.

Schließlich gibt auch die gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Oberlandesgericht Wien recht. Allein das dem Dr. Wolfgang M***** angelastete Verbrechen der schweren Erpressung läßt Zweifel an der Verhältnismäßigkeit weder in Ansehung der Bedeutung der Sache, noch - im Hinblick auf die Strafdrohung des § 145 Abs 1 StGB von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe - hinsichtlich der im Fall eines Schuldspruchs - zu erwartenden Strafe (§§ 180 Abs 1 letzter Halbsatz, 193 Abs 2 StPO) aufkommen.

Zuletzt kann auch in der gesetzeskonformen Argumentation des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Frage der Möglichkeit der Substituierung der Haft durch gelindere Mittel eine Grundrechtsverletzung nicht erblickt werden.

Da Dr. Wolfgang M***** somit im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt ist, war seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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