OGH 12Os65/93

OGH12Os65/9327.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel und Mag. Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kobler als Schriftführerin, in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 23 c Vr 1091/93 anhängigen Strafsache gegen Hermann K***** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3 StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Hermann K***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. April 1993, AZ 26 Bs 124/93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Hermann K*****im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Nachdem Hermann K***** auf Grund eines mündlichen richterlichen Haftbefehles wegen des Verdachtes des Verbrechens des schweren Betruges nach § 146, 147 Abs 3 StGB aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr (§ 175 Abs 1 Z 2 und 4 StPO) um 6,45 Uhr des 19. Jänner 1993 festgenommen und um 19,10 Uhr dieses Tages dem Gericht eingeliefert worden war, wurde gegen ihn auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 21. Jänner 1993 die Voruntersuchung wegen des genannten Verbrechens eingeleitet und über ihn gemäß § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO die Untersuchungshaft verhängt, die mit Beschluß vom folgenden Tag zusätzlich auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 2 StPO) gestützt wurde. Noch am selben Tag (22. Jänner 1993) stellte der Verteidiger des Beschuldigten einen (nicht weiter konkretisierten) Enthaftungsantrag, ersuchte aber am 28. Jänner 1993 fernmündlich, die Haftprüfungsverhandlung erst nach dem 11. bzw. 12. Februar 1993 (nach der Vernehmung von Zeugen) durchzuführen.

Am 18. Februar 1993 wurde seitens der Ratskammer über das Enthaftungsbegehren abschlägig entschieden; der dagegen vom Beschuldigten erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 5. April 1993 keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Verteidiger des Angeklagten dagegen ergriffene Grundrechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Auszugehen ist davon, daß mit einer derartigen Beschwerde nur solche strafgerichtliche Entscheidungen oder Verfügungen bekämpft werden können, welche die Verhängung oder Aufrechterhaltung einer Haft zum Gegenstand haben (siehe dazu den Motivenbericht zu § 1 GRBG, nach dem Beschwerdegegenstand jeder richterliche Akt - wie Verhängung oder Aufrechterhaltung der Haft, darüber hinaus jede andere Art der gerichtliche veranlaßten Freiheitsbeschränkung, wie vorläufige Verwahrung, Beugehaft, Haft als Ordnungsstrafe bis hin zur zwangsweisen Vorführung - sein kann, der für eine Freiheitsbeschränkung im Sinne einer Festnahme oder Anhaltung ursächlich ist). In prozessualer Hinsicht dagegen wird vorausgesetzt, daß in Ansehung der betreffenden Entscheidung der Instanzenzug erschöpft sein muß (§ 1 Abs 1 GRBG) und daß die Beschwerde binnen 14 Tagen ab dem Tag, an dem der Betroffene von der Entscheidung oder Verfügung Kenntnis erlangt bzw. bei schriftlicher Ausfertigung zugestellt erhalten hat, einzubringen ist (§ 4 Abs 1 GRBG).

Daraus folgt, daß die in den Beschwerdepunkten 4. bis 12. und 16. behaupteten unrichtigen Gesetzesanwendungen bzw. Verzögerungen keiner meritorischen Erwiderung bedürfen. Denn soweit die Vorwürfe sich auf untersuchungsrichterliche Handlungen und/oder Unterlassungen beziehen - Nichteinhaltung der 24-stündigen Frist des § 179 StPO und Nichtangabe des Grundes der Verzögerung (4.); Verhängung der Untersuchungshaft durch einen Richteramtsanwärter (5.); Unterlassung der Angabe der Uhrzeit des Beginns der Vernehmung des Beschuldigten nach § 179 Abs 1 StPO (6.); Unterlassung der mündlichen Begründung der Untersuchungshaft (7.); Unterlassung der Einvernahme zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (8.); Unterlassung der Einvernahme zum Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (9.); Nichtausfolgung eines mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehls nach § 176 Abs 1 StPO (10.); Verletzung des § 105 StPO (16 b); Verletzung des § 101 StPO (16 c); Verletzung jeglicher Protokollierungspflicht durch den Untersuchungsrichter am 25.2.1993 (16 c) - ist, weil das Gesetz diesbezüglich eine Beschwerdemöglichkeit an die Ratskammer ermöglicht (§ 113 StPO), der Instanzenzug nicht erschöpft, ganz abgesehen davon, daß zwischen den reklamierten Gesetzesverstößen und der Verhängung oder Aufrechterhaltung der Haft der nach § 2 Abs 1 GRBG geforderte sachkausale Konnex nicht besteht. In Ansehung der der Ratskammer zum Vorwurf gemachten Verzögerung (Punkt 12) hingegen ist die Grundrechtsbeschwerde verspätet (§ 4 Abs 1 GRBG), weil die 14-tägige Beschwerdefrist spätestens mit dem 25. März 1993 - Zustellung des Ratskammerbeschlusses - zu laufen begann.

Das restliche Beschwerdevorbringen, in dem dringender Tatverdacht und das Bestehen von Haftgründen in Abrede gestellt werden, wird zwar den formellen Voraussetzungen für die Erhebung einer Grundrechtsbeschwerde gerecht; in der Sache ist die Beschwerde jedoch auch insoweit nicht begründet.

Da bei mehreren Vorwürfen - wie hier - dringender Tatverdacht auch nur mit Bezug auf ein Faktum ausreicht, genügt es der Beschwerde in Ansehung dieser Haftvoraussetzung zu erwidern, daß der darin als "konstruiert" bezeichnete Bereicherungsvorsatz im Faktum Josef S*****(Verdacht, diesen dolos durch die Vorspiegelung, ihm eine Tabak-Trafik verkaufen zu können, zur Erstellung einer Bankgarantie von 2,5 Mio S - die der Beschwerdeführer dann, ohne S*****in den Besitz der Trafik gesetzt zu haben, realisierte - verleitet zu haben) aus den vom Oberlandesgericht einläßlich dargelegten Prämissen (S 3 in ON 63) mit jenem erhöhten Wahrscheinlichkeitsgrad abgeleitet werden kann, den das Gesetz verlangt. Da es die Beschwerde unterläßt, den diesbezüglichen Schlußfolgerungen des Oberlandesgerichtes substantielle Einwendungen entgegenzusetzen, kann es mit dem Gesagten und dem Beifügen sein Bewenden haben, daß es der Beweiswürdigung des Erkenntnisgerichtes vorbehalten bleiben muß, die Schuldfrage zu lösen.

Keine detaillierte Antwort erheischt die Beschwerde auch mit Bezug auf den (von Anfang an angenommenen und aufrecht erhaltenen) Haftgrund nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO, weil diesbezüglich keine einer sachbezogenen Erörterung zugänglichen Argumente gegen die Annahme des (mit der Ratskammer übereinstimmenden) Oberlandesgerichtes Wien ins Treffen geführt werden, wonach angesichts des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Millionenbetrugs und seiner zerrütteten finanziellen Verhältnisse zu befürchten sei, er werde in Freiheit ungeachtet des gegen ihn geführten Verfahrens eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen.

Angesichts dessen, daß bereits einer der im § 180 StPO normierten Gründe zur Aufrechterhaltung der Haft ausreicht, könnte es im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens mit dem Gesagten sein Bewenden haben. Bloß der Vollständigkeit halber sei aber zusätzlich bemerkt, daß die vom Oberlandesgericht Wien zum Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO) angeführten Tatsachen den daraus gezogenen Schluß, der - sozial nicht integrierte - Beschuldigte werde im Falle seiner Enthaftung flüchten oder sich verborgen halten, durchaus zu tragen vermögen, wobei sich weitere Erörterungen erübrigen, weil die Beschwerde auch hier eine punktuelle Bezugnahme auf die einläßliche Begründung des angefochtenen Beschlusses vermissen läßt.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang dem Oberlandesgericht Wien einen Verstoß gegen das Verschlimmerungsverbot vorwirft, weil es - obwohl die Ratskammer diesen Haftgrund verneinte - Fluchtgefahr als weiterhin bestehend annahm, geht sie vom Ansatz her fehl; denn in Wahrheit hat die Ratskammer - wie der Gerichtshof zweiter Instanz zu Recht betonte - der Sache nach den in Rede stehenden Haftgrund keineswegs negiert, sondern lediglich die Meinung zum Ausdruck gebracht, daß zur Abwendung der (mithin bestehenden!) Fluchtgefahr die Anwendung gelinderer Mittel ausreichte, welche Möglichkeit übrigens auch das Oberlandesgericht als gegeben erachtete (siehe abermals S 5 in ON 63).

Unbegründet ist aber auch der Beschwerdevorwurf, eine weitere Verletzung des Verschlechterungsverbotes sei darin gelegen, daß das Oberlandesgericht - obwohl nur über eine Beschwerde des Beschuldigten zu entscheiden war - einen zusätzlichen Haftgrund in Gestalt der Z 3 lit b des § 180 Abs 2 StPO als gegeben erachtete. Denn abgesehen davon, daß es sich hiebei nur um die (qualitativ gegenüber der lit a mindergewichtige) Spielart eines, nämlich des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr und überdies bloß um die differenzierte Begründung einer bestätigenden Rechtsmittelentscheidung handelt, durch welche der vom Beschuldigten bekämpfte Ratskammerbeschluß nicht geändert wurde (§ 114 Abs 3 StPO), hat bereits die Ratskammer die sachlichen Voraussetzungen dieses Haftgrundes - Verdacht, wiederholte Betrügereien begangen zu haben - ausdrücklich bejaht (siehe S 3f in ON 53) und damit die Basis für den rechtlich modifizierenden Ausspruch der Beschwerdeinstanz bereitet. (Da der Beschuldigte vom Untersuchungsrichter vor der Verhängung der Untersuchungshaft zu mehreren Betrugsvorwürfen vernommen worden war - siehe S 2ff in ON 12 - liegt auch der von der Beschwerde behauptete Verstoß gegen § 180 Abs 1 StPO nicht vor, der ja bloß verlangt, daß der Beschuldigte vor Verhängung der Haft bereits zur Sache und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft - bei § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO also zu den ihm vorgeworfenen wiederholten Betrügereien - vernommen worden ist).

Da mithin nach dem Gesagten der Beschwerdeführer durch den bekämpften Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde, war spruchgemäß zu erkennen.

Demzufolge hatte gemäß § 8 GRBG ein Ausspruch über den Ersatz der Beschwerdekosten zu entfallen.

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