European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:E34519
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 29. Dezember 1992, AZ 25 Bs 558/92, wurde Günter M* in dem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung:
Der Aktenlage ist folgender wesentlicher Sachverhalt zu entnehmen:
Günter und Brunhilde M* wurden am 24. August 1990 auf Grund des Haftbefehles des Landesgerichtes St.Pölten vom 9. August 1990 (ON 2/I) verhaftet; am 27. August 1990 verhängte der Untersuchungsrichter über sie die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht‑ und Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 1 und Z 2 StPO (S 367 iVm ON 29/I). Der dagegen (sogleich) erhobenen Beschwerde gab die Ratskammer des Landesgerichtes St.Pölten ‑ nach Durchführung einer kontradiktorischen Haftprüfungsverhandlung ‑ am 5. September 1990 keine Folge, ordnete vielmehr die Fortsetzung der Untersuchungshaft auch aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 3 lit. a und b StPO an (ON 40 a/I). Die gegen diesen Ratskammerbeschluß ergriffene Beschwerde brachte insoferne einen (Teil‑)Erfolg, als das Oberlandesgericht Wien am 9. Oktober 1990 den Haftgrund der Fluchtgefahr als nicht mehr gegeben erachtete (ON 77 a/IV). Mit den Beschlüssen vom 2. November 1990 (ON 94/IV), vom 5. Februar 1991 (ON 218/VII) und vom 9. August 1991 (ON 305/XXVI) sprach der Gerichtshof zweiter Instanz aus, daß die Untersuchungshaft (zunächst nur in Ansehung der Verdunkelungsgefahr) bis zu drei Monaten, sodann bis zu einem Jahr und schließlich bis zu achtzehn Monaten dauern darf.
Am 25. Oktober 1991 schloß der Untersuchungsrichter die Voruntersuchung gemäß § 112 StPO und übersandte die Akten dem Staatsanwalt (S 1 v verso/I des Antrags‑ und Verfügungsbogens), der am 6. November 1991 gegen Günter und Brunhilde M* Anklage (zu A) wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3, 148 zweiter Deliktsfall StGB sowie (zu B) wegen des Vergehens nach § 24 Abs. 1 lit. a, b und c DevG erhob (ON 333/XXVII). Anläßlich der am 6. bzw. 7. November 1991 erfolgten Anklagekundmachung beantragten beide Beschuldigten die Zustellung der Anklageschrift an ihren Verteidiger (ON 334 und 337/XXVII).
Nach dem Inhalt der Anklageschrift sind Günter und Brunhilde M* verdächtig, von Februar 1989 bis Sommer 1990 in N* und anderen Orten Österreichs im bewußten und gewollten Zusammenwirken
A/ mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren Betrugstaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, vierzehn namentlich genannte Anlageberater, Kreditvermittler und Anleger durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch Vortäuschung ihrer Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit sowie durch Präsentation eines scheinbar effizienten Anlagemodells, teilweise auch durch den Hinweis, bei der "U*‑M*" handle es sich um eine Aktiengesellschaft mit einem Aktienkapital von 100 Millionen S, die bis 1989 872 Millionen S auf Treuhandkonten verwaltete und die Vermögensverwaltung über 672 Millionen S innehatte, zur Ausfolgung von (jeweils über 25.000 S liegenden) Bargeldbeträgen, mithin zu Handlungen verleitet zu haben, welche siebzig namentlich genannte Anleger in einem 500.000 S übersteigenden Betrag, nämlich im Gesamtbetrag von 125,923.778 S schädigten;
B/ vorsätzlich entgegen den Bestimmungen der §§ 2 Abs. 3; 3 Z 1 und Z 2; 4 Abs. 1 DevG und den geltenden Kundmachungen der Österreichischen Nationalbank insbesonders durch Rückzahlungen in Form von Banküberweisungen in das Ausland mit ausländischen Zahlungsmitteln und Forderungen in ausländischen Währungen gehandelt, durch Übergabe von ausländischen Zahlungsmitteln an Ausländer über ausländische Zahlungsmittel und durch Schillingüberweisungen über Forderungen von Ausländern verfügt sowie durch Übergabe inländischer Zahlungsmittel bzw. Schillingschecks als Inländer im Inland Zahlungen an Ausländer geleistet zu haben.
Die gegen diese Anklageschrift erhobenen Einsprüche der Beschuldigten langten am 13. bzw. am 25. November 1991 bei Gericht ein (ON 343 und 357/XXVIII).
Am 26. November 1991 wies die Ratskammer des Landesgerichtes ‑ nach öffentlicher Verhandlung ‑ einen weiteren Enthaftungsantrag der Beschuldigten vom 21. November 1991 (ON 349 und 352/XXVIII) ab und verfügte die Fortsetzung der Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs. 2 Z 3 lit. a und b StPO (ON 355/XXVIII). Die dagegen erhobene Beschwerde langte am 11. Dezember 1991 beim Erstgericht ein (ON 362/XXVIII) und wurde vom Untersuchungsrichter zugleich mit den Einsprüchen am 19. Dezember 1991 dem Oberlandesgericht vorgelegt (ON 368/XXVIII). Am 2. Jänner 1992 entschied der Gerichtshof zweiter Instanz sowohl über die Einsprüche ("Der Anklage wird Folge gegeben") als auch über die Beschwerde (Fortsetzung der Untersuchungshaft bei Günter M*, hingegen Aufhebung der Untersuchungshaft bei Brunhilde M*), worauf der Akt bereits am nächsten Tag wieder beim Erstgericht zurücklangte (ON 376/XXIX).
Am 4. Februar 1992 übersandte der Untersuchungsrichter den aus 29 Bänden bestehenden Strafakt gemäß § 210 StPO dem Vorsitzenden des Schöffengerichtes, der (nach Klärung der Zuständigkeit) am 16. April 1992 die Hauptverhandlung für die Zeit vom 19. Mai bis zum 6. Juni 1992 anberaumte (S 1 ab verso bis 1 ac verso/I des Antrags‑ und Verfügungsbogens), zu der sechzehn ausländische Zeugen im Rechtshilfeweg zu laden waren (ON 408‑422/XXX).
Am 17. Februar 1992 entschied das Oberlandesgericht über Antrag des Vorsitzenden und des Staatsanwaltes, daß die Untersuchungshaft bei Günter M* bis zu zweiundzwanzig Monaten dauern darf (ON 397/XXIX). Am 12. Mai 1992 brachte dieser ein weiteres Enthaftungsgesuch ein, über das die Ratskammer des Landesgerichtes am 18. Mai 1992 in nichtöffentlicher Sitzung negativ entschied (ON 446/XXX). Die dagegen am 25. Mai 1992 erhobene Beschwerde an das Oberlandesgericht blieb erfolglos (Beschluß vom 17. Juni 1992 ‑ ON 14 im Teilakt ON 446/XXX).
Am 11. Juni 1992 verkündete der Vorsitzende des Schöffengerichtes nach fünf Verhandlungstagen das Urteil, mit dem die Angeklagten überwiegend im Sinne der wider sie erhobenen Anklage schuldig erkannt wurden, 66 Geldanleger um insgesamt 37,052.869,46 S gewerbsmäßig betrügerisch geschädigt zu haben (von vier Anklagefakten mit einer Gesamtschadenssumme von 5,758.805 S wurden die Angeklagten hingegen unangefochten freigesprochen); Günter M* wurde hiefür zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt (ON 441/XXX). Gegen dieses Urteil meldeten beide Angeklagten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an.
Im Anschluß daran stellte Günter M* den Antrag auf Enthaftung (S 383/XXX), den der Schöffensenat (nach geheimer Beratung) abwies und die Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht nur wegen Tatbegehungsgefahr, sondern (nunmehr) auch (wieder) wegen Fluchtgefahr anordnete (S 384/XXX iVm ON 12 im Teilakt ON 466/XXX). Die sogleich zu Protokoll genommene, aber erst am 23. Juni 1992 ausgeführte Beschwerde (ON 13 im Teilakt ON 446/XXX) blieb zur Gänze erfolglos (Beschluß des Oberlandesgerichtes vom 14. Juli 1992 ‑ ON 16 im Teilakt ON 446/XXX).
Rechtliche Beurteilung
Die Urteilsausfertigung wurde den Angeklagten am 16. Juli 1992 zugestellt; die Rechtsmittelschriften langten am 10. bzw. am 12. August 1992 beim Erstgericht ein. Am 27. Oktober 1992 gab der Oberste Gerichtshof den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Folge, hob das angefochtene Urteil im Schuld‑ und Strafausspruch auf und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Er erachtete das Schöffenurteil deshalb als nichtig im Sinne des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO, weil aus dem Hauptverhandlungsprotokoll hervorgehe, daß die bei den Akten erliegenden umfangreichen Gendarmerieanzeigen, Urkunden und Schriftstücke anderer Art unter Verletzung des § 252 Abs. 2 StPO nicht verlesen wurden, demgegenüber aber das Schöffengericht ‑ entgegen der Vorschrift des § 258 Abs. 1 StPO ‑ seine die Schuldfrage betreffenden Feststellungen und die Beweiswürdigung im wesentlichen Umfang auf diese Schriftstücke gestützt hat (ON 461/XXXI).
Eine Woche nach Einlangen der Mitteilung des Obersten Gerichtshofes über die erfolgte Urteilsaufhebung beim Landesgericht (5. November 1992) begehrte Günter M* am 13. November 1992 abermals seine Enthaftung gegen Gelöbnis (ON 455/XXXI), worüber die Ratskammer des Gerichtshofes erster Instanz am 25. November 1992 erneut abschlägig entschied (ON 460/XXXI). Nach der am 18. Dezember 1992 erfolgten Zustellung dieses Ratskammerbeschlusses an den Verteidiger ergriff dieser am 21. Dezember 1992 dagegen Beschwerde, der jedoch erneut kein Erfolg beschieden war (Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 29. Dezember 1992 – ON 465/XXXI).
Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Grundrechtsbeschwerde des Günter M* (ON 466/XXXI), in der er geltend macht, in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit in mehrfacher Richtung verletzt zu sein. Es bestehe weder ein dringender Tatverdacht noch seien die angenommenen Haftgründe (Tatbegehungs‑ und Fluchtgefahr) gegeben. Im übrigen sei die Dauer der bisherigen Untersuchungshaft im Verhältnis zu einer allenfalls zu erwartenden Strafe unangemessen; schließlich sei angesichts der Dauer des Verfahrens Art. 5 Abs. 3 MRK verletzt.
Die Beschwerde ist in keinem Punkt berechtigt.
Zum dringenden Tatverdacht:
Der ‑ isoliert betrachtet irrigen ‑ Ansicht des Oberlandesgerichtes zuwider durften zwar, wie die Beschwerde zutreffend moniert, die im kassierten Urteil getroffenen Feststellungen des Schöffengerichtes nicht zur Untermauerung des dringenden Tatverdachtes herangezogen werden. Das kann aber auf sich beruhen, weil sich die bekämpfte Entscheidung der Sache nach schwergewichtig auf die "bisherigen Verfahrensergebnisse" sowie auf die "Aktenlage" stützt, und zwar zu Recht.
Denn auch nach der vom Obersten Gerichtshof vorgenommenen Prüfung vermögen die aktenkundigen Indizien (siehe insbesondere die Vollanzeige der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich in den Bänden XI bis XXV und die Aussagen der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, ON 434 ff im Band XXX) den im § 180 Abs. 1 StPO verlangten höheren Grad von Wahrscheinlichkeit, daß der Beschwerdeführer die ihm angelasteten Straftaten begangen hat, zu bewirken, in welchem Zusammenhang zur Vermeidung allfälliger Mißverständnisse aber ausdrücklich betont wird, daß der Oberste Gerichtshof auch als Grundrechtsbeschwerdegericht keine Tatsacheninstanz und es ihm demnach verwehrt ist, in die Prüfung der Schuldfrage einzutreten, deren Lösung dem zuständigen Schöffengericht vorbehalten bleiben muß.
Zu den Haftgründen:
In Ansehung der Tatbegehungsgefahr verweist der Gerichtshof zweiter Instanz auf die Vorentscheidungen, insbesondere auf den Beschluß vom 14. Juli 1992 (ON 16 im Teilakt ON 446/XXX), welcher wiederum Bezug auf die Vorentscheidung vom 17. Juni 1992 (ON 14 im Teilakt ON 446/XXX) nimmt. Darin wird im wesentlichen ausgeführt, daß im Hinblick auf die angeklagte vielfache und gewerbsmäßige Begehung schwerer Betrugshandlungen sowie unter Berücksichtigung der in der Anklageschrift dargelegten Geschicklichkeit und offensichtlichen Befähigung des Angeklagten, andere Personen relativ leicht in Irrtum zu führen und zu schädigen, nach wie vor zu besorgen sei, Günter M* werde ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens im Falle der Aufhebung der Untersuchungshaft weiter Betrugshandlungen mit schweren Folgen von der Art begehen, wie sie ihm nunmehr in großer Zahl verübt angelastet werden.
Damit hat das Beschwerdegericht jene "bestimmten Tatsachen", die auf die akute Gefahr abermaliger Begehung derartiger Vermögensstraftaten mit zumindest nicht leichten Folgen schließen lassen, zutreffend nicht nur auf äußere (Vielzahl, Art und Hergang der Taten), sondern auch auf innere Umstände (eigentumsschädliche Charaktereigenschaften und Wesenszüge), mithin auf Prämissen gegründet, die ‑ in ihrer Gesamtheit betrachtet ‑ eine ausreichende Grundlage für die Annahme des (nach Lage des Falles durch gelindere Mittel des § 180 Abs. 5 StPO nicht substituierbaren) Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs. 2 Z 3 lit. b StPO bei Günter M* - ungeachtet seiner bisherigen Unbescholtenheit ‑ bilden.
Die dagegen von der Beschwerde ins Treffen geführten Argumente (nachhaltiger Eindruck der bereits zwei Jahre und fünf Monate andauernden Untersuchungshaft; keine Versuche einer strafbaren Handlung während dieser Zeit; wirtschaftliche Handlungsunfähigkeit des in Konkurs verfallenen Beschwerdeführers) vermögen das Gesagte nicht zu entkräften, zumal die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Konkurseröffnung über seine Firma, durch die Einleitung des Strafverfahrens und seine Inhaftierung ganz wesentlich zu seinem Nachteil verändert wurden, sodaß auch unter diesem Aspekt die nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens anzunehmende eigentumsgefährliche Persönlichkeits‑ und Charakterbeschaffenheit des Angeklagten umsomehr befürchten lassen, er werde auf freiem Fuß noch vor Urteilsfällung eine gleichartige Straftat begehen, um seine finanzielle Lage zu bessern.
Da bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Behandlung der Grundrechtsbeschwerde zu prüfen, ob noch weitere Haftgründe (hier nach § 180 Abs. 2 Z 1 und Z 3 lit. a StPO) gegeben sind.
Zur unverhältnismäßigen Dauer der Untersuchungshaft:
Die Dauer der Untersuchungshaft ist im Verhältnis zu den zu erwartenden Strafen dann offenbar unangemessen, wenn sie das zu erwartende Strafausmaß zweifelsfrei und nicht unbeträchtlich überschreitet (Foregger‑Serini StPO7 Anm. I zu § 193). Im Hinblick auf den nach dem Anklagevorwurf anzuwendenden, bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafsatz (vorliegend wegen des Verschlimmerungsverbotes verringert auf die im ersten Rechtsgang von der Staatsanwaltschaft nicht bekämpfte Strafhöhe von acht Jahren) und die enorme, dem Beschwerdeführer angelastete Schadenshöhe (120,164.973 S) einerseits und die bisherige Dauer der Haft von rund zweieinhalb Jahren andererseits kann von deren Unangemessenheit im Sinne des § 193 Abs. 2 StPO ersichtlich keine Rede sein.
Soweit der Beschwerdeführer aus der Diktion des § 193 Abs. 5 StPO ("die zeitliche Beschränkung der ... verhängten Untersuchungshaft entfällt mit dem Beginn der Hauptverhandlung") eine von der herrschenden Ansicht (SSt. 55/39) abweichende, für ihn günstigere Rechtsansicht herauszulesen trachtet, kann ihm nicht gefolgt werden. Vielmehr ist daran festzuhalten, daß bei Rückverweisung einer ‑ in der Hauptverhandlung bereits mit Urteil erledigten ‑ Sache durch das Rechtsmittelgericht an die erste Instanz das Stadium des Vor‑(Ermittlungs‑)Verfahrens endgültig überschritten und die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts (erster Instanz) grundsätzlich gewahrt bleibt. Die Sache wird prozessual also nicht mehr in den ‑ vorwiegend Untersuchungsaufgaben dienenden ‑ Verfahrensabschnitt vor Beginn der Hauptverhandlung zurückversetzt, und zwar auch dann nicht, wenn die Hauptverhandlung (infolge Urteilsaufhebung) neu durchzuführen ist.
Zur behaupteten Verletzung des Art. 5 Abs. 3 MRK:
Gemäß Art. 5 Abs. 3 zweiter und dritter Satz MRK hat jede in Haft angehaltene Person Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.
Der Beschwerde zuwider meint der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Wien, daß angesichts des enormen Umfanges der gegenständlichen Strafsache von einer Unangemessenheit der bisherigen Verfahrensdauer nicht gesprochen werden kann. Der Oberste Gerichtshof konnte sich vielmehr nach sorgfältiger und kritischer Prüfung der Akten ‑ siehe dazu die einleitende Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufs ‑ davon überzeugen, daß den Untergerichten keine nennenswerten Verzögerungen oder Sorgfaltswidrigkeiten zum Vorwurf gemacht werden können. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß die allein 16 Aktenbände umfassende Vollanzeige der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (die unter anderem den Verdacht des gewerbsmäßig schweren Betruges zum Nachteil von 70 vorwiegend im Ausland wohnhaften Geschädigten umfaßt) erst am 7. Mai 1991 bei Gericht einlangte, das Strafverfahren von Anfang an auch gegen die Ehefrau des Beschwerdeführers und zeitweise gegen sieben weitere Beschuldigte geführt wurde, mehrere Bankkonten und Sparbücher zu öffnen und auszuwerten, vor und nach Anklageerhebung eine Vielzahl von Anträgen zu erledigen und Haftprüfungsverhandlungen mit anschließenden Rechtsmittelverfahren samt Einspruchsverfahren in Ansehung beider Beschuldigter durchzuführen waren. Soweit der Gerichtshof zweiter Instanz über Beschwerden, Anträge über Verlängerung der Untersuchungshaft sowie über die Einsprüche zu entscheiden hatte, entstand dadurch keine Verfahrensverzögerung, weil das Erstgericht mit Fotokopien und Teilakten für sich oder das Oberlandesgericht weitergearbeitet hat. Keinerlei Verzögerung kann auch im Hauptverhandlungsstadium konstatiert werden, weil der Vorsitzende nur rund einen Monat (15. 4. bis 19. 5. 1992) zur Vorbereitung der Hauptverhandlung benötigte, am 11. Juni 1992 das Urteil mündlich verkündete und bereits am 16. Juli 1992 die Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung veranlaßte. Daß dieses Urteil wegen eines formellen Begründungsmangels vom Obersten Gerichtshof kassiert wurde und dadurch ‑ als Konsequenz der Zweistufigkeit des Strafprozesses ‑ die Verfahrensdauer verlängert wurde, kann angesichts dessen, daß sie ‑ wie dargelegt ‑ mit Rücksicht auf den Umfang und die Schwierigkeit der Strafsache insgesamt angemessen erscheint, auf sich beruhen. Nur der Vollständigkeit halber sei zusätzlich bemerkt, daß der Oberste Gerichtshof bereits rund 4 1/2 Monate nach Fällung des Urteils erster Instanz über das Rechtsmittel des Angeklagten entschieden hat.
Da sohin durch den angefochtenen Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien keine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit des Beschwerdeführers stattgefunden hat (§ 2 Abs. 1 iVm § 7 GRBG), war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Demzufolge hatte gemäß § 8 GRBG ein Anspruch über den Ersatz der Beschwerdekosten zu entfallen.
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