Normen
BauO Wr §129 Abs10
BauO Wr §135 Abs1
BauRallg
VStG §19 Abs2
VStG §5 Abs1
VStG §9 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024050088.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnissen der belangten Behörde jeweils vom 3. Oktober 2022 wurde über die Revisionswerber jeweils gemäß § 135 Abs. 1 iVm § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien (BO) eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von € 6.800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag 22 Stunden; betreffend den Erst-, Zweit- und Drittrevisionswerber) bzw. von € 12.250,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage 10 Stunden; betreffend den Viertrevisionswerber) verhängt, weil die Revisionswerber es jeweils als Vorstand und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer näher genannten reg. Gen m b H. zu verantworten hätten, dass diese Gesellschaft als Baurechtsberechtigte einer näher genannten Liegenschaft und Eigentümerin der auf dieser Liegenschaft an einer näher genannten Adresse befindlichen baulichen Anlagen, in der Zeit von 18. November 2021 bis 24. Juni 2022 insofern Abweichungen von den Bauvorschriften nicht behoben habe,
„als a) der ohne baubehördliche Genehmigung an der südseitigen Fassadenfront, im Bereich des Haus [...] angebaute Zubau in Massivbauweise, mit den Maßen von ca. 8,00 m Länge und 4,30 m Breite und einer Höhe von ca. 3,90 m und b) das ohne baubehördliche Genehmigung, an den in Punkt a) beschriebenen Zubau, angebaute Flugdach in Holzbauweise, mit den Maßen von ca. 5,90 m Länge und 4,70 m Breite und einer Höhe von ca. 2,70 m sowie c) das ohne baubehördliche Genehmigung, ca. 2,20 m von der Grundgrenze zur Liegenschaft [...] errichtete Schwimmbecken mit den Maßen 4,5 m Länge und 3,00 m Breite, nicht beseitigt wurden, obwohl diese gemäß § 60 Abs. 1 lit. a (a) Zubau und b) Flugdach) und § 60 Abs. 1 lit. b (c) Schwimmbecken) der Bauordnung für Wien bewilligungspflichtigen Änderungen weder gemäß § 70 oder § 71 BO für Wien rechtskräftig bewilligt waren, noch nach einer Einreichung gemäß § 70a oder 70b BO für Wien infolge der Nichtuntersagung des Bauvorhabens oder durch das Unterbleiben von Einwendungen durch Nachbarn gemäß § 70a Abs. 8 oder § 70b Abs. 8 BO für Wien als gemäß § 70 BO für Wien bewilligt galten und für diese Abweichungen auch kein Ansuchen um Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung bei der Baubehörde eingebracht worden war.“
2 Gemäß § 64 VStG wurde den Revisionswerbern weiters ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens in der Höhe von jeweils € 680,-- betreffend den Erst-, Zweit- und Drittrevisionswerber bzw. von € 1.225,-- betreffend den Viertrevisionswerber vorgeschrieben. Schließlich sprach die Behörde jeweils aus, dass die Gesellschaft gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die jeweils verhängte und genau bezeichnete Geldstrafe, die Verfahrenskosten und die sonstigen in Geld bemessenen Unrechtsfolgen zur ungeteilten Hand hafte.
3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen gab das Verwaltungsgericht den gegen diese Straferkenntnisse erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung insoweit Folge, als die angefochtenen Straferkenntnisse jeweils hinsichtlich „sowie c) das ohne baubehördliche Genehmigung, ca. 2,20 m von der Grundgrenze zur Liegenschaft [...] errichtete Schwimmbecken mit den Maßen 4,5 m Länge und 3,00 m Breite,“ behoben wurden sowie jeweils die Wort- und Zeichenfolge „und § 60 Abs. 1 lit. b (c) Schwimmbecken)“ gestrichen, die Verfahren diesbezüglich gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 und 2 VStG eingestellt und die verhängten Geldstrafen auf jeweils € 5.000,-- und die Ersatzfreiheitsstrafen auf jeweils 30 Stunden herabgesetzt wurden. Im Übrigen bestätigte das Verwaltungsgericht die Straferkenntnisse mit der Maßgabe, dass die Strafsanktionsnorm „§ 135 Abs. 1 Bauordnung für Wien, LGBI. für Wien Nr. 11/1930, idF LGBI. für Wien Nr. 69/2018“ zu lauten habe. Den Beitrag zu den Kosten des Verfahrens bei der belangten Behörde setzte es gemäß § 64 Abs. 2 VStG jeweils mit € 500,-- fest und sprach aus, dass die Revisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu leisten hätten. Gemäß § 9 Abs. 7 VStG hafte die Gesellschaft jeweils für die verhängte Geldstrafe, die Verfahrenskosten sowie für sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen zur ungeteilten Hand (Spruchpunkte I.). Die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG sei jeweils unzulässig (Spruchpunkte II.).
4 Seinen Erwägungen legte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für die vorliegenden Verfahren von Relevanz ‑ jeweils die Feststellungen zugrunde, dass die Gesellschaft aufgrund eines näher genannten Vertrages mit der Stadt Wien Baurechtsnehmerin auf der gegenständlichen Liegenschaft und Eigentümerin der darauf befindlichen baulichen Anlagen sei und die Revisionswerber im Tatzeitraum Vorstände der Gesellschaft gewesen seien. Herr G, Nutzungsberechtigter eines näher bezeichneten Reihenhauses samt Kellerabteil und Zubehör auf der gegenständlichen Liegenschaft, habe den Zubau, das Flugdach und das Schwimmbecken ohne Baubewilligung und ohne Wissen und Zustimmung der Gesellschaft errichtet. Die Gesellschaft habe im Tatzeitraum von 18. November 2021 bis 24. Juni 2022 die ohne baubehördliche Genehmigung errichteten baulichen Anlagen, einen näher bezeichneten Zubau und das an diesen Zubau angebaute näher bezeichnete Flugdach nicht entfernt. Die Innenwanne des Schwimmbeckens sei zum Zeitpunkt des Augenscheins am 24. Juni 2022 bereits entfernt gewesen. Die Gesellschaft habe erst durch die Zustellung des an sie gerichteten baupolizeilichen Auftrags vom 17. November 2021 am 18. November 2021 Kenntnis von den (vom Nutzungsberechtigten) ohne Baubewilligung errichteten Bauwerken auf der beschwerdegegenständlichen Liegenschaft erlangt. In weiterer Folge habe die Gesellschaft den Nutzungsberechtigten zwar über die Hausverwaltung aufgefordert, die Baubewilligungen nachträglich einzuholen bzw. die Bauwerke zu entfernen, habe aber bis zum Ablauf der bescheidmäßigen Frist keine behördlichen oder gerichtlichen Schritte unternommen. Vielmehr habe sie dem Nutzungsberechtigten nach Ablauf der bescheidmäßigen Frist eine weitere Frist zur Einholung der Bewilligungen eingeräumt. Gerichtliche Klagen seien erst am 24. August 2022 (Aufkündigung) und 20. März 2023 (Beseitigung/Wiederherstellung) eingebracht worden. Die Gesellschaft habe keine (nach außen in Erscheinung tretende) gesellschaftsvertragliche Aufteilung der Zuständigkeiten der Vorstände vorgenommen. Es existiere kein verwaltungsstrafrechtlicher Beauftragter. Ein effektives Kontrollsystem sei nicht eingerichtet gewesen.
5 Zur festgestellten Belassungsabsicht hielt das Verwaltungsgericht fest, dass sich diese aus einem vorgelegten Aktenvermerk ergebe, in welchem der Nutzungsberechtigte klar zum Ausdruck gebracht habe, bei Auszug nicht zurückbauen zu wollen. Diese Belassungsabsicht habe bereits bei Bauführung bestanden. Auch sei im Verfahren keine Superädifikatsvereinbarung zwischen der Grundeigentümerin und dem Nutzungsberechtigten hervorgekommen. Die Feststellung zur Selbsteinschätzung der Gesellschaft als Eigentümerin der Anlagen gründete das Verwaltungsgericht auf die von der Gesellschaft dem Nutzungsberechtigten in Aussicht gestellte Mieterhöhung wegen erhöhter Nutzfläche durch den Zubau sowie auf den Nutzungsvertrag zwischen der Gesellschaft und dem Nutzungsberechtigten. Aus diesem gehe hervor, dass alle erd-, mauer-, niet- und nagelfeste mit den baulichen Herstellungen in Verbindung gebrachten Investitionen im Zeitpunkt der Errichtung in das Eigentum der Gesellschaft übergingen. Es sei nicht glaubhaft, dass die Gesellschaft nicht selbst davon ausgegangen sei, Eigentümerin der konsenslos errichteten Bauwerke zu sein. Die Feststellung zur nicht vorhandenen gesellschaftsvertraglichen Aufteilung der Zuständigkeiten der Vorstände und zur Nichtbestellung eines verwaltungsstrafrechtlichen Beauftragten ergebe sich aus den Angaben der Vertreter der Revisionswerber im Verfahren und den Aussagen des Hausverwalters. Das Vorbringen hinsichtlich des Kontrollsystems würdigte das Verwaltungsgericht dahingehend, dass es in der Gesellschaft zwar grundsätzlich ein Informationssystem für die zuständigen Personen gegeben habe, Weisungen an die Rechtsabteilungen erteilt und die Vorstandsmitglieder von entsprechenden Verfahren im Rahmen der Vorstandssitzungen informiert worden seien. Jedoch weise dieses System im Hinblick auf die Kommunikation Schwächen auf. So sei der zuständige Hausverwalter nicht über die Vorgänge in der Rechtsabteilung informiert gewesen und habe sich die Information an die Vorstandsmitglieder auf die vierteljährlichen Vorstand- und Aufsichtsratssitzungen beschränkt. Darüberhinaus habe es keinen regelmäßigen Informationsfluss gegeben. Auch hätten interne Richtlinien ebenso gefehlt wie Kontrollen vor Ort oder die Anforderung von Nachweisen, ob entsprechende Zusagen tatsächlich eingehalten würden.
6 Rechtlich erwog das Verwaltungsgericht, dass es sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts und näher zitierter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bei der Gesellschaft um die Eigentümerin der in Rede stehenden baulichen Anlagen handle. Gebäude seien nach dem Grundsatz „superficies solo cedit“ Bestandteil der Liegenschaft, auf der sie errichtet würden. Gemäß § 6 Abs. 1 Baurechtsgesetz gelte das Baurecht als unbewegliche Sache, das auf Grund des Baurechtes erworbene oder hergestellte Bauwerk als Zugehör des Baurechts. Sei die mangelnde Belassungsabsicht nicht aus dem äußeren Erscheinungsbild ableitbar und errichte ein Bauführer in Kenntnis der Tatsache, dass es sich nicht um seinen Grund handle, ohne Vereinbarung mit dem Grundeigentümer auf dessen Grund ein Bauwerk, könne ein Superädifikat nicht begründet werden. Das Fehlen einer Vereinbarung mit dem Grundeigentümer und das Vorliegen einer Belassungsabsicht, sohin „schlechtgläubige Bauführung“, bewirke ein Zuwachsen des vom Dritten errichteten Bauwerks zum Baurecht.
7 Neben der spruchmäßigen Behebung und Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Schwimmbeckens führte das Verwaltungsgericht aus, dass ein Verwalter nur für Delikte im Rahmen der ordentlichen Verwaltung verwaltungsstrafrechtlich heranzuziehen sei, für die Einhaltung des § 129 Abs. 10 BO sei stets der Eigentümer (jeder Miteigentümer) verantwortlich. Zum Flugdach und zum Zubau erwog das Verwaltungsgericht, dass die Revisionswerber es als zur Vertretung nach außen befugte Organe der Gesellschaft zu verantworten hätten, dass diese als Eigentümerin der baulichen Anlagen die angelastete Verwaltungsübertretung verwirklicht habe. Es liege eine Vergrößerung des bestehenden Gebäudes in waagrechter Richtung und ein Flugdach im Ausmaß von über 27 m2 und einer Höhe von mehr als 2,5 m vor, weshalb es sich auch um ein bewilligungspflichtiges Gebäude handle. Die Gesellschaft habe spätestens ab 18. November 2021 über die konsenslose Bauführung Bescheid gewusst. Dem Nutzungsberechtigten seien zwar rechtliche Schritte angedroht worden, jedoch sei bis 24. Juni 2022 weder ein Ansuchen um nachträgliche Baubewilligung gestellt noch seien die baulichen Anlagen beseitigt worden. Vielmehr sei dem Nutzungsberechtigten eine weitere Frist zur Einholung einer nachträglichen Baubewilligung eingeräumt worden.
8 Das Verschulden der Revisionswerber sei als durchschnittlich anzusehen. Es wäre ihnen zumutbar gewesen, fristgerecht auf die Beseitigung der konsenslos errichteten Bauwerke oder die Einholung einer nachträglichen Baubewilligung hinzuwirken. Die bloß interne Zuständigkeitsaufteilung bewirke keine Exkulpierung der Revisionswerber. Die zur Last gelegte Tat schädige in nicht unerheblichem Maße das Interesse an der Einhaltung baurechtlicher Vorschriften und an der Hintanhaltung von Gefährdungen durch illegale Bauführungen. Die verhängten Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen erwiesen sich als grundsätzlich schuld- und tatangemessen. Die Einstellung der Verfahren hinsichtlich des Schwimmbeckens erfordere jedoch jeweils eine Herabsetzung. Die herabgesetzten Strafen befänden sich im unteren Bereich des Strafrahmens. Die vorgebrachten Milderungsgründe der Tatbegehung aus achtenswerten Motiven ‑ Gemeinnützigkeit und Mitgefühl mit dem Nutzungsberechtigten ‑ seien für das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Vermeidung von negativen Folgen für den Nutzungsberechtigten im Falle des rechtstreuen Verhaltens in keiner Weise erkennbar. Zudem sprächen generalpräventive und spezialpräventive Gründe gegen eine weitere Herabsetzung der Strafen.
9 Die Revisionswerber erhoben zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschlüssen vom 27. Februar 2024, E 3566/2023‑5 zum Erstrevisionswerber, E 3568/2023‑5 zum Zweitrevisionswerber, E 3567/2023‑5 zum Drittrevisionswerber und E 3564/2023‑5 zum Viertrevisionswerber, ablehnte und die Beschwerden jeweils dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
10 Sodann wurden die vorliegenden Revisionen eingebracht.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Revisionen wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Behandlung und Entscheidung zu verbinden.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Die Revisionen bringen zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst zusammengefasst jeweils vor, das Verwaltungsgericht sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, da nicht die Gesellschaft als Bestandgeberin, sondern der Nutzungsberechtigte zur Verantwortung zu ziehen sei. Weiters fehle Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs „Eigentümer des Bauwerks“ in § 129 Abs. 10 BO, wenn ein Bestandnehmer ohne Zustimmung des Bestandgebers Bauwerke auf dem Bestandsobjekt errichtet habe und der Bestandgeber nicht Eigentümer der Liegenschaft sei, sondern nur über ein Baurecht an der Liegenschaft verfüge. Insbesondere fehle Rechtsprechung zur Frage, wer in diesem Fall Eigentümer des Bauwerkes sei sowie zur Frage, ob in § 129 Abs. 10 BO in einer solchen Konstellation teleologisch zu reduzieren sei, zumal diese Konstellation mangels Vergleichbarkeit mit dem typischen, in dieser Bestimmung geregelten Sachverhalt gar nicht von § 129 Abs. 10 BO erfasst sei.
16 Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:
17 Gemäß § 129 Abs. 10 BO ist jede Abweichung von Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften zu beheben. Ein vorschriftswidriger Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung oder Kenntnisnahme einer Bauanzeige nicht erwirkt worden ist, ist zu beseitigen. Gegebenenfalls kann die Baubehörde Aufträge erteilen; solche Aufträge müssen erteilt werden, wenn augenscheinlich eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen besteht. Aufträge sind an den Eigentümer (jeden Miteigentümer) des Gebäudes oder der baulichen Anlage zu richten; im Falle des Wohneigentums sind sie gegebenenfalls an den Wohnungseigentümer der betroffenen Nutzungseinheit zu richten (vgl. VwGH 25.3.2024, Ra 2021/05/0079, Rn. 11).
18 Die Frage, wer Eigentümer einer bestimmten Anlage (hier: des Zubaus und des Flugdaches) ist, ist eine zivilrechtliche Vorfrage. Bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der Verwaltung fallenden Rechtsmaterien kommt dem Verwaltungsgerichtshof keine Leitfunktion zu; er ist zur Fällung grundlegender Entscheidungen auf dem Gebiet des Zivilrechts nicht berufen, sodass die Auslegung zivilrechtlicher Normen auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG begründen kann, solange dem Verwaltungsgericht dabei keine krasse Fehlentscheidung unterlaufen ist. Eine Unvertretbarkeit ist in der Regel dann auszuschließen, wenn das Verwaltungsgericht eine zivilrechtliche Vorfrage im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gelöst hat (vgl. VwGH 29.1.2021, Ra 2020/05/0252, mwN).
19 Eine solche krasse Fehlbeurteilung ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat sich auf den Seiten 27 bis 30 des angefochtenen Erkenntnisses eingehend mit der Frage des Eigentums an den zu entfernenden baulichen Anlagen auseinandergesetzt und dabei auch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes ins Treffen geführt. In den Revisionszulässigkeitsgründen wird auf diese Ausführungen, insbesondere auch auf die vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, nicht eingegangen.
20 Weiters bringen die Revisionen zu ihrer Zulässigkeit vor, dass sich im Falle der Bejahung der Eigentümerschaft der Gesellschaft die Frage stelle, ob diese Konstellation „Baurechtsberechtigter als Bestandgeber des eigenmächtig vorschriftswidrige Bauwerke ‑ auf der nicht zur Bebauung bestimmten Fläche ‑ errichtenden Bestandnehmers“ Auswirkungen auf den in Zusammenhang mit § 129 Abs. 10 BO anzuwendenden Verschuldensmaßstab dahingehend habe, dass ein Verschulden nicht im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG vermutet werden dürfe oder zumindest Milderungsgründe vorlägen; dazu fehle Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang legen die Revisionen jedoch nicht dar, welche konkrete Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG, von der die Entscheidung über die vorliegenden Revisionen abhängt, vom Verwaltungsgerichtshof beantwortet werden sollte (vgl. zu diesem Erfordernis für viele etwa VwGH 27.4.2021, Ra 2021/06/0060, Rn. 8; vgl. zu § 5 VStG etwa VwGH 23.6.2021, Ro 2019/03/0020, Rn. 46, mwN). Soweit sich die Revisionen damit gegen die Strafzumessung durch das Verwaltungsgericht wenden, ist ihnen entgegenzuhalten, dass es sich bei der Strafzumessung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes um eine Ermessensentscheidung handelt, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist. Vom Verwaltungsgerichtshof ist daher (bloß) zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht einzelfallbezogen von dem ihm eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, das heißt, ob die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die Strafbemessungsgründe vertretbar erscheint (vgl. VwGH 4.10.2023, Ra 2023/03/0124, Rn. 43, mwN). Eine Unvertretbarkeit der Strafzumessung durch das Verwaltungsgericht, das sich mit den Strafzumessungsgründen im Einzelnen auseinandergesetzt und Ausführungen zur Angemessenheit der Strafen getätigt hat, legen die Revisionen, die über die Behauptung der Notwendigkeit der Beachtung von Milderungsgründen hinaus kein Vorbringen enthalten, jedoch nicht dar.
21 Schließlich bringen die Revisionen zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, es lägen Verfahrensmängel vor, da das Verwaltungsgericht versäumt habe festzustellen, dass die Mitarbeiter der Gesellschaft keinen Anlass gehabt hätten, an der Zuverlässigkeit des Nutzungsberechtigten zu zweifeln, und deswegen keine weiteren Maßnahmen gesetzt hätten, sowie dass ein effizientes Kontrollsystem eingesetzt gewesen wäre und der Bereich „Hausverwaltung“ in die alleinige Zuständigkeit des Viertrevisionswerbers falle. Auch habe es keine Schwäche in der Kommunikation gegeben. Die Revisionswerber hätten stichprobenartig in den Bereich „Hausverwaltung“ Einblick genommen, bei außergewöhnlichen Sachverhalten würden diese bestens ausgebildeten zuständigen Teamleitern als Aufsichtsorganen vorgelegt. Die Überwachung der Umsetzung der Abhilfemaßnahmen erfolge durch ein dichtes und organisiertes Gefüge von bestens ausgewählten und geschulten Aufsichtsorganen mit jahrelanger bzw. jahrzehntelanger Erfahrung im sozialen Wohnbau. Der zuständige Hausverwalter sei als zuverlässig und gewissenhaft bekannt und sei auch ausreichend informiert gewesen. Das Regelungs- und Kontrollsystem sei geeignet, um nach Kenntniserlangung von einem Eingriff die konkret erforderlichen Schritte gegen eigenmächtig bauende Nutzungsberechtigte bzw. zur Behebung von Vorschriftswidrigkeiten zu setzen. Die Revisionswerber hätten alle in ihren Kräften stehenden Maßnahmen gesetzt, „die unter vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der Wiener Bauordnung mit gutem Grund erwarten lassen haben“, und es treffe sie folglich kein Verschulden an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift. Zudem sei das Verwaltungsgericht aktenwidrig davon ausgegangen, dass das Flugdach eine feste Verbindung mit dem Hauptgebäude aufgewiesen habe. Dieses sei bloß an den Zubau angebaut gewesen.
22 Dazu ist festzuhalten, dass Rechtsfragen des Verfahrensrechtes grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nur dann zukommt, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen bzw. wenn die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte. Hiebei muss die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage des Verfahrensrechtes abhängen, wovon im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden kann, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser Mangel abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen, für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 7.10.2020, Ra 2020/05/0187, Rn. 11, mwN).
23 Dies gelingt den Revisionen, wie im Folgenden näher erläutert wird, nicht:
24 Es ist ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es sich bei einer Verwaltungsübertretung nach § 135 Abs. 1 iVm § 129 Abs. 10 BO um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG handelt; der Täter kann zufolge dieser Bestimmung nur dann straflos bleiben, wenn er glaubhaft macht, dass ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen ist, bzw. wenn er aufzuzeigen vermag, dass er während des ihm angelasteten Tatzeitraumes alles in seinen Kräften Stehende (Ausschöpfung der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten) unternommen hat, um die Konsenswidrigkeit innerhalb kürzester Zeit zu beseitigen (vgl. für viele etwa VwGH 3.4.2023, Ra 2022/05/0199, Rn. 12, mwN).
25 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems liegt ein solches dann vor, wenn dadurch die Überwachung der Einhaltung von Rechtsnormen jederzeit sichergestellt werden kann. Zur Einrichtung von Kontrollsystemen ist es für die Befreiung von der Verantwortlichkeit (zusammengefasst) entscheidend, ob Maßnahmen getroffen wurden, die im Ergebnis mit gutem Grund erwarten lassen, dass die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften gewährleistet ist. Bei Fehlen eines funktionierenden Kontrollsystems zur Verhinderung von Übertretungen kann auch nicht von einem geringfügigen Verschulden gesprochen werden (vgl. VwGH 31.1.2023, Ra 2023/02/0013, Rn. 8, mwN). Anweisungen an Mitarbeiter zur Einhaltung des in Frage stehenden Gesetzes oder stichprobenartige Kontrollen reichen nicht aus, um ein in diesem Sinne wirksames Kontrollsystem darzutun (vgl. VwGH 26.6.2018, Ra 2016/05/0005, Rn. 22, mwN).
26 Die Frage, ob ein konkretes Kontrollsystem eines bestimmten Unternehmens ausreichend wirksam gewesen ist, betrifft nur den Einzelfall und stellt als solche keine grundsätzliche Rechtsfrage dar. Kontrollsysteme gleichen einander in der Regel nicht und unterliegen daher einer einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung läge daher nur dann vor, wenn die entsprechende Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 16.3.2021, Ra 2021/05/0039, Rn. 7, mwN).
27 Die Revisionen bringen dazu vor, es fehlten Feststellungen, dass die Mitarbeiter sich auf die Zuverlässigkeit des Nutzungsberechtigten hätten verlassen können und deshalb keine weiteren Maßnahmen gesetzt hätten. Damit zeigen die Revisionen vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung und unter Beachtung der Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den von der Gesellschaft und ihren Mitarbeitern gesetzten Maßnahmen und deren zeitlicher Abfolge nicht auf, dass dies ein für die Revisionswerber günstigeres Ergebnis gezeitigt hätte. Denn auch mit den behauptetermaßen nachzuholenden Feststellungen könnte im gegenständlichen Fall ein Kontrollsystem, wie von der oben dargestellten Rechtsprechung gefordert, nicht aufgezeigt werden.
28 Ebenso entlastet eine bloß interne Aufgabenverteilung ein einzelnes Vorstandsmitglied noch nicht. Der bloße Rückzug auf eine interne Unzuständigkeit ohne jegliches weitere Vorbringen über irgendwelche, die Einhaltung von Vorschriften gewährleistenden Tätigkeiten stellt kein taugliches Vorbringen zur Dartuung mangelnden Verschuldens dar. Ein Vorstandsmitglied kann sich nicht allein auf die korrekte Geschäftsführung durch die anderen Organmitglieder verlassen (vgl. VwGH 11.9.2015, 2013/17/0485, mwN). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist daher für die Revisionsfälle in diesem Zusammenhang auch nicht zu sehen.
29 Wenn die Revisionswerber schließlich eine Aktenwidrigkeit hinsichtlich der Frage der Verbindung des Flugdaches mit dem Hauptgebäude behaupten, so sind sie darauf hinzuweisen, dass eine Aktenwidrigkeit nur dann vorläge, wenn sich die Behörde bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig wäre, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind (vgl. VwGH 26.9.2022, Ra 2022/05/0130, Rn. 13). Dazu enthalten die Revisionen im Rahmen der Begründung ihrer Zulässigkeit über den bloßen Vorwurf hinaus kein näheres Vorbringen. Auch kommt es im vorliegenden Fall auf die Verbindung des Flugdaches mit dem Hauptgebäude nicht an, zumal sich dadurch weder an der Bewilligungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 lit. a BO für ein Flugdach in der festgestellten Dimension noch am Eigentum der Gesellschaft am Flugdach etwas ändert. Dass es sich bei dem fraglichen Bauwerk um ein bewilligungspflichtiges Flugdach handelt, zweifeln die Revisionen nicht an und diese Beurteilung ist vor dem Hintergrund der Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch nicht zu beanstanden.
30 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 11. Dezember 2024
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