VwGH Ra 2021/15/0072

VwGHRa 2021/15/007229.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Magistrats der Landeshauptstadt Linz in 4041 Linz, Hauptplatz 1‑5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 11. Mai 2021, Zl. LVwG‑450737/13/Wg, betreffend Kommunalsteuer 2015 bis 2019 (weitere Partei: Bundesminister für Finanzen; mitbeteiligte Partei: X gemeinnützige GmbH in L, vertreten durch die Halpern & Prinz Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsges.m.b.H. in 1100 Wien, Wiedner Gürtel 5/7. OG), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §243
BAO §261 Abs1
BAO §262 Abs1
BAO §262 Abs3
BAO §263 Abs1
BAO §264
BAO §264 Abs3
BAO §265 Abs2
BAO §278
BAO §279 Abs1
BAO §279 Abs2
BAO §300 Abs1
BAO §34
BAO §39 Z5
KommStG 1993 §8 Z2
VwGVG 2014 §14 Abs1
VwGVG 2014 §28
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021150072.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Stadt Linz hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Magistrat der Landeshauptstadt Linz setzte mit Bescheid vom 17. Juni 2020 gegenüber der mitbeteiligten Partei, einer iSd §§ 34 ff BAO gemeinnützigen und nach § 4a Abs. 3 Z 6 EStG 1988 spendenbegünstigten GmbH, Kommunalsteuer für die Jahre 2015 bis 2019 samt Säumnis- und Verspätungszuschlägen fest.

2 Eine gegen den Bescheid vom 17. Juni 2020 gerichtete Beschwerde wies der Magistrat der Landeshauptstadt Linz mit Beschwerdevorentscheidung vom 3. November 2020 als unbegründet ab, woraufhin die mitbeteiligte Partei gemäß § 264 BAO deren Vorlage an das Verwaltungsgericht beantragte.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Beschwerde Folge, hob den Bescheid vom 17. Juni 2020 auf und führte zur Begründung aus, die mitbeteiligte Partei habe sich im Streitzeitraum ausschließlich der Behindertenfürsorge sowie der Alten- und Krankenfürsorge gewidmet und sämtliche Tätigkeiten und Maßnahmen darauf ausgerichtet, Menschen mit lautsprachlicher Behinderung bzw. Menschen ohne Lautsprache mittels computerunterstützter Kommunikation buchstäblich eine Stimme zu geben und Menschen aller Altersstufen mittels assistierender Technologien die Teilhabe an Bildung, Beschäftigung, Kultur und Gemeinschaft zu ermöglichen.

4 Gemäß § 8 Z 2 KommStG seien Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen von der Kommunalsteuer befreit, soweit sie mildtätigen Zwecken und/oder gemeinnützigen Zwecken auf dem Gebiet der Gesundheitspflege, Kinder‑, Jugend‑, Familien‑, Kranken‑, Behinderten‑, Blinden- und Altenfürsorge dienten (§§ 34 bis 37, §§ 39 bis 47 der BAO).

5 In der Beschwerdevorentscheidung habe der Magistrat der Landeshauptstadt Linz eingeräumt, es sei davon auszugehen, dass die mitbeteiligte Partei mildtätige bzw. gemeinnützige Tätigkeiten auf dem Gebiet der Gesundheitspflege ohne anderweitige Betätigungen durchführe. Tatsächlich habe sich die mitbeteiligte Partei in den Jahren 2015 bis 2019 im Einklang mit ihrer Satzung ausschließlich der Behindertenfürsorge gewidmet. Damit habe sie ausschließlich ‑ und nicht nur partiell ‑ eine begünstigte Tätigkeit iSd § 8 Z 2 KommStG ausgeübt. Der vom Magistrat der Landeshauptstadt Linz beanstandete Punkt 13 der Satzung (Anm: wonach das bei Auflösung der mitbeteiligten Partei verbleibende Vermögen nicht nur nach § 8 Z 2 KommStG begünstigten, sondern auch dort nicht angeführten kirchlichen Zwecken gewidmet werden dürfe) stehe der Anwendung des § 8 Z 2 KommStG nicht entgegen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Magistrats der Landeshauptstadt Linz, die zu ihrer Zulässigkeit zunächst vorbringt, das Verwaltungsgericht habe nicht die Beschwerdevorentscheidung vom 3. November 2020 aufgehoben, sondern den nicht mehr dem Rechtsbestand angehörigen Erstbescheid vom 17. Juni 2020. Damit stehe das angefochtene Erkenntnis im Widerspruch zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Beschwerdevorentscheidung an die Stelle des Ausgangsbescheides trete (Hinweis auf VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026; 14.9.2016, Ra 2015/08/0145; 6.5.2019, Ra 2016/11/0091). Da die angeführten Judikate zu Beschwerdevorentscheidungen nach § 14 VwGVG ergangen seien und ‑ soweit überblickbar ‑ keine explizite Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob auch im Verfahren nach der BAO nur die Beschwerdevorentscheidung durch eine Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts aufgehoben, abgeändert oder bestätigt werden könne, werde eventualiter auch ein Fehlen von Judikatur zu dieser Frage im Anwendungsbereich der BAO als Zulässigkeitsgrund geltend gemacht.

7 Weiters wird zur Zulässigkeit der Revision ausgeführt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob eine Kommunalsteuerbefreiung nach § 8 Z 2 KommStG 1993 auch dann Platz greife, wenn die Körperschaft, der die Begünstigung zukommen solle, nach ihrer Rechtsgrundlage nicht ausschließlich der Förderung der in § 8 Z 2 KommStG genannten Zwecke diene.

8 Die mitbeteiligte Partei hat ‑ nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung erstattet.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

11 Dem in der Revision vertretenen Standpunkt, das Verwaltungsgericht habe mit dem angefochtenen Erkenntnis über einen nicht mehr dem Rechtsbestand angehörigen Erstbescheid entschieden, ist Folgendes zu entgegnen:

12 Gemäß §§ 262 Abs. 1 und 263 BAO idF des Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetzes 2012 (FVwGG 2012), BGBl. I Nr. 14/2013, ist die Bescheidbeschwerde, wenn sie weder zurückzuweisen noch als zurückgenommen oder als gegenstandslos zu erklären ist, durch Beschwerdevorentscheidung zu erledigen, es sei denn, eine solche hat aufgrund der in § 262 Abs. 2 bis 4 BAO konkret angeführten Voraussetzungen zu unterbleiben.

13 Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann gemäß § 264 Abs. 1 BAO innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag). Wird ein Vorlageantrag rechtzeitig eingebracht, so gilt ungeachtet des Umstandes, dass die Wirksamkeit der Beschwerdevorentscheidung dadurch nicht berührt wird, gemäß § 264 Abs. 3 BAO die Beschwerde von der Einbringung des Antrages an wiederum als unerledigt.

14 Das Verwaltungsgericht hat auf Grund eines eingebrachten Vorlageantrages über die Bescheidbeschwerde zu entscheiden und ist gemäß § 279 Abs. 1 BAO berechtigt, den mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen. Aus dem Gesetz ergibt sich demnach, dass vom Verwaltungsgericht nicht über die Beschwerdevorentscheidung, sondern über die Beschwerde gegen den bekämpften Erstbescheid abzusprechen ist (vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I BAO3, § 279 Rz 2; sowie ‑ zur vergleichbaren Rechtslage vor dem FVwGG 2012 ‑ VwGH 25.11.2010, 2010/16/0221; und 13.9.1989, 88/13/0245).

15 Die in der Revision zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 2015, Ro 2015/08/0026, 14. September 2016, Ra 2015/08/0145, und 6. Mai 2019, Ra 2016/11/0091, sind zum Beschwerdeverfahren nach dem VwGVG ergangen (vgl. dazu auch VwGH 24.2.2022, Ro 2020/05/0018). Nach dieser Rechtsprechung zum VwGVG (insb §§ 14, 15, 28 VwGVG) kann, wenn in der Beschwerdesache eine Beschwerdevorentscheidung ergangen ist, das Verwaltungsgericht in der meritorischen Beschwerdeentscheidung nur die an die Stelle des Ausgangsbescheides (Erstbescheides) getretene Beschwerdevorentscheidung aufheben, abändern oder bestätigen, weil im Verfahren nach dem VwGVG dem Ausgangsbescheid durch die Beschwerdevorentscheidung endgültig derogiert wird (vgl. auch Ellinger u.a., BAO3 § 278 Rz 3; Zorn, ZVG 2017, 34, 40). Im Anwendungsbereich des VwGVG ist daher in Fällen, in denen die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid (teilweise) berechtigt war, der Beschwerde vom Verwaltungsgericht (teilweise) stattzugeben, indem die Beschwerdevorentscheidung, die der Beschwerde im gebotenen Umfang stattgegeben und den Ausgangsbescheid rechtskonform abgeändert oder behoben hat, bestätigt wird bzw. eine rechtswidrige ‑ den Ausgangsbescheid entweder bestätigende oder in rechtswidriger (etwa nicht weit genug gehender) Weise abändernde ‑ Beschwerdevorentscheidung abgeändert oder ‑ wenn eine Entscheidung in der betreffenden Sache gar nicht hätte ergehen dürfen ‑ ersatzlos behoben wird. Erweist sich die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid hingegen als nicht berechtigt, so ist sie vom Verwaltungsgericht abzuweisen und eine Beschwerdevorentscheidung, die ebenfalls in einer Abweisung bestanden hat, zu bestätigen (wobei ‑ im Anwendungsbereich des VwGVG ‑ ein die Beschwerde abweisendes Erkenntnis so zu werten ist, als ob das Verwaltungsgericht ein mit der Beschwerdevorentscheidung übereinstimmendes Erkenntnis erlassen hätte); sollte in einem solchen Fall der Beschwerdeabweisung eine zu Gunsten der beschwerdeführenden Partei abändernden oder aufhebenden Beschwerdevorentscheidung ergangen sein, ist durch Erlassung des an die Stelle der Beschwerdevorentscheidung tretenden Erkenntnisses zum Ausdruck zu bringen, dass der Spruch des Ausgangsbescheides wiederhergestellt wird.

16 Grundsätzlich anders regelt dies die BAO ‑ in der geltenden Fassung wie auch schon in der Fassung vor dem FVwGG 2012.

17 Wird nach dem Ergehen der Beschwerdevorentscheidung iSd § 262 BAO rechtzeitig ein Vorlageantrag eingebracht, gilt die Beschwerde gemäß § 264 Abs. 3 BAO wiederum als unerledigt. Entscheidet das Verwaltungsgericht sodann in der Sache (teilweise) stattgebend über die Beschwerde ‑ zur bloßen Zurückweisung siehe § 278 BAO ‑ ergibt sich aus § 279 Abs. 1 BAO, dass es den „angefochtenen Bescheid“, also den Erstbescheid (vgl. etwa die §§ 261 Abs. 1, 262 Abs. 1 und 3, 263 Abs. 1, 265 Abs. 2 und 300 Abs. 1 BAO, in denen jeweils zwischen „angefochtenem Bescheid“ und „Beschwerdevorentscheidung“ unterschieden wird), abzuändern oder aufzuheben hat. § 279 Abs. 2 BAO ordnet zudem an, dass durch die Aufhebung des „angefochtenen Bescheides“, also des Erstbescheides, das Verfahren in die Lage zurücktritt, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.

18 Weist das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab, ist dies nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur BAO so zu werten, als ob es eine mit dem angefochtenen Bescheid, also dem Erstbescheid, im Spruch übereinstimmende Entscheidung erlassen hätte (vgl. etwa VwGH 30.3.2006, 2004/15/0048; 24.3.2015, Ro 2014/15/0042; und 15.5.2019, Ra 2018/13/0048). Die Beschwerdevorentscheidung, deren Wirksamkeit gemäß § 264 Abs. 3 BAO durch den Vorlageantrag nicht berührt wird, tritt mit dem Ergehen der abschließenden meritorischen Beschwerdeerledigung des Verwaltungsgerichts aus dem Rechtsbestand (vgl. VwGH 13.9.1989, 88/13/0245; vgl. auch Ritz/Koran, BAO7 § 264 Tz 3).

19 Im gegenständlichen Fall hat das Verwaltungsgericht in Entsprechung der Regelungen der BAO über die auf Grund eines eingebrachten Vorlageantrages wiederum als unerledigt geltende Bescheidbeschwerde entschieden und den mit dieser Beschwerde bekämpften Bescheid vom 17. Juni 2020 aufgehoben (§ 279 BAO). Diese Vorgangsweise stimmt ‑ entgegen der Ansicht der revisionswerbenden Partei ‑ mit dem Gesetz überein, weshalb sich die Revision insoweit als unbegründet erweist.

20 In Bezug auf die Frage, ob eine Kommunalsteuerbefreiung nach § 8 Z 2 KommStG 1993 auch dann Platz greift, wenn die Körperschaft, der die Begünstigung zukommen soll, nach ihrer Rechtsgrundlage nicht ausschließlich der Förderung der in § 8 Z 2 KommStG genannten Zwecke dient, sondern auch anderen Zwecken iSd §§ 34 ff BAO, ist gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das Erkenntnis vom 18. Mai 2022, Ra 2021/15/0084, zu verweisen. Aus diesem Erkenntnis ergibt sich: § 8 Z 2 KommStG regelt eine bloß partielle Abgabenbefreiung, „soweit“ Körperschaften bestimmten, konkret umschriebenen mildtätigen oder gemeinnützigen Zwecke dienen. Das Gesetz normiert aber nicht, dass Abgabepflichtige deshalb von jedweder Befreiung ausgeschlossen sind, weil die von ihnen verfolgte Tätigkeit nicht ausschließlich die in § 8 Z 2 KommStG umschriebenen Tätigkeitsfelder betrifft oder ihre Rechtsgrundlage auch auf andere begünstigte Zwecke iSd § 34 BAO abstellt und sich insbesondere die Zweckbindung des Vermögens (§ 39 Z 5 BAO) nicht nur auf die Zwecke des § 8 Z 2 KommStG, sondern allgemein auf die begünstigten Zwecke iSd § 34 BAO bezieht.

21 Die Revision erweist sich daher insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. Juni 2022

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