Normen
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080156.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse (BUAK) stellte gegenüber der Revisionswerberin am 25. Juli 2019 einen Rückstandsausweis aus, in dem offene Zuschläge nach dem Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungsgesetz (BUAG) sowie Nebengebühren für den Zeitraum Juli 2017 von insgesamt 15.015,24 € ausgewiesen wurden.
2 Die Revisionswerberin erhob dagegen Einspruch und bestritt die Anwendbarkeit des BUAG und ‑ aus Vorsichtsgründen, sollte die Anwendbarkeit doch gegeben sein ‑ die Höhe der ausgewiesenen Zuschläge.
3 Mit Bescheid vom 16. Jänner 2020 wies der Bürgermeister der Stadt Graz den Einspruch ab und bestätigte mit näherer Begründung den angefochtenen Rückstandsausweis.
4 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark die Beschwerde ab und änderte den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz dahingehend ab, dass der Einspruch der Revisionswerberin zurückgewiesen werde. Es sprach weiters aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 Das Landesverwaltungsgericht führte ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, der Revisionswerberin seien mit Rückstandsausweis der BUAK vom 25. Juli 2019 gemäß § 25 Abs. 5 BUAG für den Zeitraum Juli 2017 rückständige und vollstreckbare Zuschläge zum Lohn gemäß §§ 21 und 21a BUAG samt Nebengebühren mit einer Gesamtsumme von 15.015,24 € vorgeschrieben worden. Mangels Begleichung dieser Vorschreibung habe die BUAK beim zuständigen Gericht einen Exekutionsantrag eingebracht. Gegen den ergangenen Exekutionsbeschluss sei kein Rechtsmittel eingebracht worden. Aufgrund der ‑ vor Vollzug der Exekution erfolgten ‑ vollständigen Zahlung des ausständigen Betrages durch die Revisionswerberin sei das Exekutionsverfahren eingestellt worden. Der Einspruch der Revisionswerberin gegen den Rückstandsausweis sei „über eineinhalb Monate“ nach Bezahlung der offenen Forderungen und somit nach Wegfall des bekämpften Rückstandes und nach Beendigung des Exekutionsverfahrens eingebracht worden. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides des Bürgermeisters der Stadt Graz seien keine Forderungen mehr offen gewesen.
7 Aufgrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich, dass bei Erhebung eines Einspruchs gemäß § 25 Abs. 5 BUAG mit Bescheid über die Richtigkeit der Vorschreibung abzusprechen sei und zwar über den zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch offenen Anspruch. Mit Abweisung des Einspruchs werde daher ausgesprochen, dass die Beitragsforderungen noch offen (aufrecht) seien. Da die Revisionswerberin die im Rückstandsausweis ausgewiesenen Forderungen beglichen habe, gehe der Einspruch gegen den Rückstandsausweis ins Leere und sei daher zurückzuweisen gewesen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die BUAK und die Bürgermeisterin der Stadt Graz jeweils eine Revisionsbeantwortung erstattet haben, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
9 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision u.a. vor, es fehle an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein offener Anspruch der BUAK Voraussetzung für eine inhaltliche Überprüfung des Rückstandsausweises sei bzw. wie eine Zahlung unter Vorbehalt rechtlich ‑ im Hinblick auf die Frage des Erlöschens der Forderung ‑ zu qualifizieren sei. Zudem sei das Landesverwaltungsgericht von vorhandener ‑ näher angeführter ‑ Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Rückstandsausweisen abgewichen.
10 Die Revision erweist sich im Ergebnis als zulässig und berechtigt.
11 Gemäß § 25 Abs. 5 BUAG hat die Bezirksverwaltungsbehörde nach einem Einspruch gegen einen gemäß § 25 Abs. 3 BUAG ergangenen Rückstandsausweis ‑ der kein Bescheid ist, sondern ein „Auszug aus den Rechnungsbehelfen“, mit dem die Behörde eine sich bereits aus dem Gesetz oder aus früher erlassenen Bescheiden ergebende „Zahlungsverbindlichkeit“ bekannt gibt (vgl. VwGH 13.8.2013, 2011/08/0344; 1.4.2009, 2006/08/0205, jeweils mwN) ‑ mit Bescheid über die „Richtigkeit der Vorschreibung“ zu entscheiden.
12 Der „Einspruch“ im Sinne des § 25 Abs. 5 BUAG ist somit ungeachtet seiner Bezeichnung kein aufsteigendes Rechtsmittel gegen den Rückstandsausweis, sondern ein Antrag an die Bezirksverwaltungsbehörde auf Einleitung des Verwaltungsverfahrens über „die Richtigkeit der Vorschreibung“, d.h. über den dem Rückstandsausweis zu Grunde liegenden materiellen Anspruch (vgl. VwGH 8.9.2010, 2009/08/0115, mwN).
13 In der Begründung der Entscheidung über den Einspruch ist im Fall der Bestreitung die (hier nicht in Rechtskraft erwachsende) Vorfrage zu beantworten, ob der Arbeitgeber den Vorschriften dieses Bundesgesetzes unterliegt oder ob für das in Betracht kommende Arbeitsverhältnis dieses Bundesgesetz Anwendung findet (vgl. VwGH 29.1.2020, Ra 2018/08/0234; 5.12.2019, Ra 2019/08/0124).
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auf Grund eines Einspruchs nach § 25 Abs. 5 BUAG über die Richtigkeit der Vorschreibung zu entscheiden. Ausgehend davon ist die bloße Abweisung des Einspruchs gegen den Rückstandsausweis grundsätzlich als Ausspruch zu deuten, dass die Forderungen in Höhe der im Rückstandsausweis genannten Beträge (noch) offen seien (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2020/08/0029; 6.6.2012, 2009/08/0011). Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings auch ausgesprochen, dass ein vollstreckbarer Rückstandsausweis nicht nur einen gültigen Exekutionstitel darstellt, sondern (ähnlich einer vollstreckbaren Judikatschuld) einen Titel sui generis für das ‑ der Rückforderbarkeit des im Exekutionsverfahren Geleisteten entgegenstehende ‑ „Behaltendürfen“ des auf Grund des vollstreckbaren Rückstandsausweises exekutiv hereingebrachten oder unter exekutivem Druck geleisteten Geldbetrages bedeutet (vgl. erneut VwGH 13.8.2013, 2011/08/0344; 10.6.2002, 2002/17/0063).
15 Bereits aus diesem Grund erweist sich die Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark, wonach im Fall der Einstellung des Exekutionsverfahrens aufgrund der Zahlung ‑ der im Rückstandsausweis ausgewiesenen Forderung ‑ über den Anspruch nicht mehr inhaltlich abzusprechen sei, als unzutreffend. Eine derartige Auslegung hätte schließlich zur Folge, dass bei Begleichung einer im Rückstandsausweis ausgewiesenen Forderung ‑ unabhängig davon, ob diese Zahlung „freiwillig“ (wenn auch ‑ wie im vorliegenden Revisionsfall ‑ allenfalls unter Vorbehalt) erfolgt oder exekutiv hereingebracht wird (vgl. VwGH 10.6.2002, 2002/17/0063, zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Exekutionsgerichtes im Rahmen eines vereinfachten Bewilligungsverfahrens gemäß § 54b EO) ‑ dem zahlungsverpflichteten Arbeitgeber nach dem BUAG kein Rechtsbehelf hinsichtlich des von der BUAK betriebenen Anspruchs zur Verfügung stünde.
16 Bei Erhebung eines Einspruchs gegen den Rückstandsausweis könnte demnach von der zuständigen Behörde nur dann in der Sache entschieden werden, wenn die von der BUAK geltend gemachte Forderung im Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht beglichen worden wäre. Anhaltspunkte für eine derartige Auslegung sind den Bestimmungen des BUAG, das einen anderweitigen Rechtsschutz gegen die Beitragsvorschreibung nicht vorsieht, allerdings nicht zu entnehmen.
17 Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hätte daher ‑ trotz Begleichung der im Rückstandsausweis der BUAK ausgewiesenen Forderung durch die Revisionswerberin ‑ darüber absprechen müssen, ob der geltend gemachte Anspruch auf Zuschläge nach dem BUAG ‑ dem Grunde bzw. der Höhe nach ‑ zu Recht bestand.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat ‑ gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
19 Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. April 2022
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