VwGH Ra 2020/14/0184

VwGHRa 2020/14/018418.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7‑11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2019, L527 2181042‑1/28E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2
MRK Art8
62011CJ0256 Dereci VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140184.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am 21. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 24. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung, soweit damit die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 beantragt wurde, als unzulässig zurück und im Übrigen als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 24. Februar 2020, E 192/2020‑7, ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 In der Folge wurde die gegenständliche Revision erhoben.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision wendet sich in ihrem Zulässigkeitsvorbringen inhaltlich ausschließlich gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG). Das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Trennung von Ehepartnern und zur Berücksichtigung des Kindeswohls abgewichen. Der Umstand, dass die Ehefrau des Revisionswerbers ursprünglich aus dem Iran stamme, aber ‑ wie auch die gemeinsame Tochter ‑ über die österreichische Staatsbürgerschaft verfüge, rechtfertige alleine keinesfalls die Annahme, es sei zumutbar, ein gemeinsames Familienleben im Iran zu führen. Die Ehefrau habe nur deshalb auch die iranische Staatsangehörigkeit, weil es für iranische Staatsangehörige nicht möglich sei, diese zurückzulegen. Das BVwG habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Tochter des Revisionswerbers tatsächlich auch iranische Staatsangehörige sei.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 23.3.2020, Ra 2020/14/0096; 13.3.2020, Ra 2019/14/0621; jeweils mwN).

11 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 31.3.2020, Ra 2019/14/0417, mwN).

12 Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass es notwendig ist, sich bei der nach § 9 BFA‑VG vorzunehmenden Interessenabwägung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl auseinanderzusetzen (vgl. etwa VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0359 bis 0360; 24.9.2019, Ra 2019/20/0420; jeweils mwN).

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt weiters der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zu, was auch in der Bestimmung des § 9 Abs. 3 letzter Satz BFA‑VG Ausdruck findet. In einem solchen Fall müssen nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat und zur Möglichkeit und Zumutbarkeit der Führung eines Familienlebens außerhalb Österreichs getroffen werden (vgl. VwGH 2.5.2018, Ra 2018/18/0159, mwN).

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274; 20.8.2019, Ra 2019/18/0046; jeweils mwN).

15 Der Revision gelingt es mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht aufzuzeigen, dass das BVwG im Rahmen der Interessenabwägung vorgenommenen Erwägungen die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.

16 Das BVwG traf konkrete Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Revisionswerbers, seiner Ehefrau, die er am 9. Februar 2018 ‑ sohin nach Erlassung des Bescheides des BFA am 24. November 2017 ‑ ehelichte und der am 11. April 2019 geborenen gemeinsamen Tochter, deren Bindungen zum Iran sowie zur Situation, welche die Familie im Iran vorfinden würde. Diese Feststellungen werden in der Revision nicht substantiiert bestritten. Ausgehend davon kam das BVwG zum Ergebnis, dass das Familienleben im Herkunftsstaat des Revisionswerbers aufrechterhalten werden könne. Mit dem allgemein gehaltenen Hinweis auf die österreichische Staatsbürgerschaft und den langjährigen Aufenthalt der Ehefrau in Österreich vermag die Revision eine Unvertretbarkeit dieser Beurteilung nicht aufzuzeigen.

17 Der in der Revision erhobene Vorwurf, das BVwG habe sich im Zuge der Interessenabwägung nicht mit der Frage des Kindeswohls auseinandergesetzt, trifft am Boden des Inhalts der angefochtenen Entscheidung nicht zu. Entgegen den Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung stellte das BVwG fest, dass die zum Entscheidungszeitpunkt etwa acht Monate alte Tochter des Revisionswerbers (auch) über die iranische Staatsangehörigkeit verfüge. Mit dem bloß allgemein gehaltenen Verweis auf Feststellungsmängel vermag die Revision keinen relevanten Verfahrensmangel geltend zu machen (vgl. dazu VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0024, mwN).

18 Zum ebenfalls nur pauschal gehaltenen Hinweis in der Zulässigkeitsbegründung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Verweis auf EuGH vom 8. März 2011, C‑34/09, Zambrano, und vom 15. November 2011, C‑256/11, Dereci), ist darauf zu verweisen, dass das BVwG Feststellungen ‑ wenngleich disloziert im Rahmen der rechtlichen Begründung ‑ zu den Auswirkungen auf die Ehefrau und die Tochter des Revisionswerbers, für den Fall, dass diese Österreich nicht verlassen sollten, getroffen hat. Diese werden in der Revision nicht substantiiert bestritten. Die Revision zeigt vor diesem Hintergrund nicht auf, inwiefern eine Ausnahmesituation im Sinn der Ausführungen des EuGH vorliegen und die Ehefrau und die Tochter des Revisionswerbers de facto gezwungen sein sollten, das Gebiet der Union zu verlassen. Der Wunsch nach einem gemeinsamen Familienleben in Österreich begründet noch keine Ausnahmesituation im Sinn der Rechtsprechung des EuGH (VwGH 19.2.2014, 2013/22/0049; 17.9.2019, Ra 2019/22/0063).

In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 18. März 2021

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