VwGH Ra 2020/09/0036

VwGHRa 2020/09/003616.9.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich, Außenstelle Mistelbach, vom 31. März 2020, LVwG‑S‑1453/001–2019, betreffend Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg; mitbeteiligte Partei: A B in C; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
AVG §66 Abs4
VStG §24
VStG §27 Abs1
VStG §31 Abs1
VStG §31 Abs2
VStG §32 Abs2
VStG §44a Z1
VStG §9
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §38
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020090036.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 18. Juni 2019 wurde der Mitbeteiligte als gemäß § 9 VStG Verantwortlicher einer näher bezeichneten Gesellschaft der zweifachen Übertretung des § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG iVm § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) schuldig erkannt, weil er es zu verantworten habe, dass diese Gesellschaft zwei indische Staatsangehörige am 8. Jänner 2019 beschäftigt habe, obwohl für diese keine der im Einzelnen aufgezählten arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen erteilt oder Bestätigungen ausgestellt gewesen sei. Über den Mitbeteiligten wurden zwei Geldstrafen in der Höhe von je EUR 1.000,‑ ‑ (im Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen von je 33 Stunden) verhängt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 31. März 2020 wurde der von dem Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt. Weiters wurde ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Die Einstellung des Verfahrens begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass im Sinne des § 44a Z 1 VStG die Notwendigkeit bestehe, die Merkmale, denen zufolge der Mitbeteiligte die Eigenschaft als „Verantwortlicher“ habe, im Spruch des Straferkenntnisses anzuführen, ansonsten würde dem Konkretisierungsgebot nicht Rechnung getragen. Es sei innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist keine ausreichende Verfolgungshandlung gesetzt worden, weswegen die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung des Verfahrens zu verfügen gewesen sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der revisionswerbenden Partei, die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1 a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Im Zulässigkeitsvorbringen der Revision wird zutreffend geltend gemacht, dassdem Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall einer mangelnden Konkretisierung des Bescheidspruches im Verwaltungsstrafverfahren die Pflicht zur entsprechenden Korrektur bzw. nachträglichen Konkretisierung zukomme und es mit seiner Vorgangsweise von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, womit sich die Revision als zulässig erweist; sie ist auch begründet:

8 Es ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht eines Verwaltungsgerichts ‑ wie auch der Berufungsbehörde vor der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ‑ einen allenfalls fehlerhaften Abspruch der ersten Instanz richtig zu stellen oder zu ergänzen. Dies gilt allerdings nur, wenn innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist rechtzeitig eine alle der Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente enthaltende Verfolgungshandlung durch die Behörde gesetzt wurde (vgl. u.a. VwGH 13.12.2019, Ra 2019/02/0184, VwGH 30.1.2018, Ra 2017/01/0409, VwGH 20.5.2015, Ra 2014/09/0033, und VwGH 16.9.2010, 2010/09/0155).

9 Die nach § 32 Abs. 2 VStG erforderliche Verfolgungshandlung ist zwar nur dann im Sinne einer Unterbrechung der Verjährungsfrist ausreichend, wenn dem Beschuldigten das vorgeworfene Verhalten hinsichtlich aller maßgeblichen Tatbestandselemente vorgehalten wird, es kommt aber in diesem Stadium des Verfahrens auf eine (zutreffende) rechtliche Qualifikation des Verhaltens im Zusammenhang mit der Verfolgungshandlung (noch) nicht an; die Verfolgungshandlung bezieht sich nur auf die Tat selbst, nicht auf deren rechtliche Wertung. In diesem Sinne ist es auch ohne Belang, ob der Beschuldigte die Tat in eigener Verantwortung oder als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer Gesellschaft oder als verantwortlicher Beauftragter zu verantworten hat, weil diese Fragen nicht Tatbestandselement der ihm zur Last gelegten Übertretung, sondern ein die Frage der Verantwortlichkeit der von Anfang an als beschuldigt angesprochenen Person betreffendes Merkmal ist, das aber auf die Vollständigkeit der Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 VStG ohne Einfluss ist (vgl. VwGH 14.10.2016, Ra 2016/09/0093).

10 Da es für die Vollständigkeit der Verfolgungshandlung ohne Belang ist, in welcher Eigenschaft der Mitbeteiligte die Taten zu verantworten hatte, ist ‑ entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ‑ gegenständlich mit dem Strafantrag, worin dem Mitbeteiligten als gemäß § 9 VStG Verantwortlichen die unrechtmäßige Beschäftigung des Ausländers durch die genannte Gesellschaft vorgeworfen wird, eine ausreichende Verfolgungshandlung gesetzt worden. Insofern trifft damit das Verwaltungsgericht grundsätzlich auch die Pflicht den fehlerhaften Abspruch richtig zu stellen. Dabei darf es die Tat aber nicht auswechseln (vgl. hierzu auch VwGH 18.11.2019, Ra 2019/08/0050).

11 Soweit das Verwaltungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung mit Zitierung von höchstgerichtlicher Judikatur (und zwar VwGH 12.12.1988, 88/10/0080, VwGH 16.3.1987, 87/10/0024, und VwGH 19.9.1983, 81/10/0141) auf die iSd § 44a lit. a VStG bestehende Notwendigkeit einer näheren Präzisierung der Merkmale, denen zufolge der Mitbeteiligte die Eigenschaft „als Verantwortlicher“ hat, im Spruch des Erkenntnisses hinweist, verkennt es somit, dass nach der zuvor dargelegten Judikatur im vorliegenden Fall ‑ zumal auch innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist eine ausreichende Verfolgungshandlung gesetzt wurde ‑ es gerade ihm obliegen würde, diese Konkretisierung vorzunehmen, die keinen unzulässigen Austausch der Tat dargestellt hätte.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 16. September 2020

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