VwGH Ra 2018/22/0309

VwGHRa 2018/22/030928.2.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des A D in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 18. September 2018, VGW- 151/006/28/2018-15, betreffend Entziehung eines Aufenthaltstitels (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §12a;
AuslBG §20d Abs1 Z2;
AVG §58;
AVG §60;
NAG 2005 §28 Abs6;
NAG 2005 §41 Abs2 Z1;
VwGG §41;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §29;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220309.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) vom 6. November 2017 wurde der dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, am 9. März 2017 ausgehändigte Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" als Fachkraft in Mangelberufen (§ 41 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG) gemäß § 28 Abs. 6 NAG aberkannt.

2 Das Verwaltungsgericht Wien (VwG) wies mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde des Revisionswerbers gegen diesen Bescheid - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG - nach Darstellung der Beschwerde, der Befragung des Revisionswerbers in der Verhandlung (insbesondere zu Details der Lohn- und Gehaltsabrechnung wie etwa eine Montagezulage, den "Faktor 167" und Überstundenauszahlungen) und der Rechtsvorschriften - aus, die Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden kurz: AMS) habe mit Schreiben vom 6. März 2018 mitgeteilt, "dass eine Brutto-Entlohnung über 2812 Euro erklärt wurde, dieser Betrag nur im Dezember 2017 erreicht wurde und in allen anderen Monaten unter dem für die Erteilung der Rot-Weiß-Rot-Karte maßgeblichen Betrag liegt und sich somit an dem negativen Ergebnis (gemeint ist offenbar die Mitteilung des AMS an die Behörde vom 28. Juli 2017, wonach die Entlohnung nicht der im Antrag angegebenen Höhe von EUR 2.812,-- entspreche und die Tätigkeit als Elektromonteur nicht in der Fachkräfteverordnung 2016 enthalten sei) nichts ändert." Selbst wenn die Tätigkeit des Revisionswerbers bei der Firma E. entgegen den Angaben in den Lohn- und Gehaltsabrechnungen nicht die eines Elektromonteurs, sondern doch die eines Technikers für Starkstrom gewesen sei, sei die notwendige Höhe des Bruttogrundgehalts von EUR 2.812,-- den Mitteilungen des AMS zufolge nicht erreicht worden. Da das monatliche Einkommen "unbestritten als zu gering festgestellt werden musste, war der Antrag auf Einvernahme eines informierten Vertreters abzuweisen."

3 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Die Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 In ihrer Zulässigkeitsbegründung rügt die Revision ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere hinsichtlich der Ermittlungspflicht (Hinweis auf VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076; 25.4.2017, Ra 2017/18/0049-0051). Das VwG habe aktenwidrig festgestellt, der Revisionswerber erreiche nicht das erforderliche Bruttogehalt von EUR 2.812,--, und habe die dazu angebotenen Beweise außer Acht gelassen.

6 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 7 §§ 28 Abs. 6 und 41 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, lauten:

"Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels

§ 28. (1) ...

(6) Aufenthaltstitel gemäß §§ 41, 42, 43a Abs. 1 Z 1, 58 und 58a sind überdies zu entziehen, wenn die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der Behörde mitteilt, dass die jeweiligen Voraussetzungen gemäß §§ 12 bis 12c, 14 oder 18a AuslBG nicht länger vorliegen. Im Falle der Entziehung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 58 oder 58a ist der Bescheid auch der aufnehmenden Niederlassung gemäß § 2 Abs. 13 AuslBG zuzustellen.

Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte'

§ 41. (1) ...

(2) Drittstaatsangehörigen kann ein Aufenthaltstitel ‚Rot-

Weiß-Rot - Karte' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des

1. Teiles erfüllen und

1. eine schriftliche Mitteilung der regionalen

Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs. 1

Z 2 AuslBG,

2. ...

vorliegt.

(3) ..."

§ 12a und § 20d Abs. 1 Z 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. I Nr. 218/1975 idF BGBl. I Nr. 56/2018, lauten:

"Fachkräfte in Mangelberufen

§ 12a. Ausländer werden in einem in der Fachkräfteverordnung

(§ 13) festgelegten Mangelberuf zu einer Beschäftigung als

Fachkraft zugelassen, wenn sie

1. eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung

nachweisen können,

2. die erforderliche Mindestpunkteanzahl für die in Anlage

B angeführten Kriterien erreichen,

3. für die beabsichtigte Beschäftigung das ihnen nach

Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Mindestentgelt

zuzüglich einer betriebsüblichen Überzahlung erhalten und

sinngemäß die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 mit Ausnahme der

Z 1 erfüllt sind. Die Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall entfällt.

Zulassungsverfahren für besonders Hochqualifizierte, Fachkräfte, sonstige Schlüsselkräfte, Studienabsolventen und Künstler

§ 20d. (1) Besonders Hochqualifizierte, Fachkräfte sowie sonstige Schlüsselkräfte und Studienabsolventen haben den Antrag auf eine ‚Rot-Weiß-Rot - Karte', Schlüsselkräfte gemäß § 12c den Antrag auf eine ‚Blaue Karte EU' und ausländische Künstler den Antrag auf eine ‚Niederlassungsbewilligung - Künstler' gemeinsam mit einer schriftlichen Erklärung des Arbeitgebers, die im Antrag angegebenen Beschäftigungsbedingungen einzuhalten, bei der nach dem NAG zuständigen Behörde einzubringen. Der Antrag kann auch vom Arbeitgeber für den Ausländer im Inland eingebracht werden. Die nach dem NAG zuständige Behörde hat den Antrag, sofern er nicht gemäß § 41 Abs. 3 Z 1 oder 2 NAG zurück- oder abzuweisen ist, unverzüglich an die nach dem Betriebssitz des Arbeitgebers zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Prüfung der jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen zu übermitteln.

Die regionale Geschäftsstelle hat den Regionalbeirat anzuhören und

binnen vier Wochen der nach dem NAG zuständigen Behörde - je nach

Antrag - schriftlich zu bestätigen, dass die Voraussetzungen für

die Zulassung

1. ...

2. als Fachkraft gemäß § 12a,

3. ...

erfüllt sind. ..."

8 Der Verwaltungsgerichtshof sprach zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt aus, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewog, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides führten. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0121, mit Hinweis u.a. auf VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0049).

9 Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Erkenntnis nicht. Zum einen fehlen Feststellungen, ob der Revisionswerber die jeweiligen Voraussetzungen gemäß § 12a AuslBG für die Beschäftigung als Fachkraft erfüllt, zur Gänze. Fallbezogen wurde weder die Höhe des nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Mindestentgelts für Starkstromtechniker zuzüglich einer betriebsüblichen Überzahlung noch das nach Ansicht des VwG vom Revisionswerber bezogene Entgelt festgestellt. Zum anderen setzte sich das VwG überhaupt nicht mit dem Beschwerdevorbringen, der aufgetragenen Vorlage des Jahreslohnkontos 2017, der Stellungnahme des Revisionswerbers vom 30. März 2018 (samt Lohn- und Gehaltsabrechnungen für die Monate August 2017 bis Februar 2018) und dem Vorbringen in der Verhandlung auseinander, sodass unklar ist, aus welchem Grund das VwG seine Entscheidung ausschließlich auf die Ausführungen des AMS stützte. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die beantragte Vernehmung eines konkret namhaft gemachten informierten Vertreters der Firma E. insbesondere zur Einstufung und zur Berechnung des monatlichen Gehaltes des Revisionswerbers zur Ermittlung des relevanten Sachverhaltes nicht zweckdienlich gewesen wäre. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis war nämlich keineswegs unbestritten, dass der Revisionswerber kein für die Einstufung als Fachkraft in Mangelberufen ausreichend hohes Bruttogrundgehalt - was als ausreichend anzusehen ist, wurde jedoch nicht festgestellt - bezieht. Den mit Stellungnahme vom 30. März 2018 vorgelegten Lohn- und Gehaltsabrechnungen zufolge bezog der Revisionswerber im Jänner und Februar 2018 einen Bruttomonatslohn (ohne Montagezulage) von jeweils EUR 2.975,40. Angesichts dessen kann nicht nachvollzogen werden, aus welchem Grund das monatliche Einkommen des Revisionswerbers "unbestritten als zu gering festgestellt werden musste".

10 Das angefochtene Erkenntnis weicht damit von der hg. Rechtsprechung zur Begründungspflicht ab. Mangels ordnungsgemäßer Begründung ist der Verwaltungsgerichtshof gehindert, seine Rechtskontrollaufgabe im Sinn des § 41 VwGG wahrzunehmen. Daher war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

11 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Februar 2019

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