VwGH Ra 2018/18/0121

VwGHRa 2018/18/01216.9.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer‑Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der T T, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Jänner 2018, Zl. L512 1435232‑2/24E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §58
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180121.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine iranische Staatsangehörige, beantragte im Oktober 2012 internationalen Schutz. Zu den Gründen für ihre Flucht brachte sie ‑ zusammengefasst ‑ vor, als Tochter eines vom iranischen Regime ermordeten Oppositionspolitikers, die auch selbst politisch aktiv sei, im Herkunftsstaat von Verfolgung bedroht zu sein. Für diese Gefährdung spreche auch, dass sie mit einem (exil‑)politisch aktiven Kurden in Lebensgemeinschaft lebe und persönlichen Kontakt zu einem namentlich genannten herausragenden und führenden iranischen Oppositionspolitiker im Exil habe. Hinzu komme, dass sie sich vom Islam abgewandt habe und einen ‑ näher umschriebenen ‑ Lebensstil pflege, der von ihrer konservativ‑religiösen Familie im Iran nicht akzeptiert werde, weshalb sie auch deshalb bei Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsse.

2 Diesen Antrag wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ‑ im Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 6. Mai 2016 ‑ zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen die Revisionswerberin eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei. Gleichzeitig setzte es eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3 Begründend stellte das BVwG in dem Erkenntnis den Geburtsort der Revisionswerberin im Iran, ihre Ausbildung, ihren Familienstand (ledig), ihren Glauben (moslemisch-schiitisch) und die kurdische Volksgruppenzugehörigkeit fest. Auch hielt es fest, dass die Revisionswerberin in Österreich mit einem anerkannten Flüchtling zusammenlebe. In Bezug auf die behaupteten Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat führte das BVwG aus, es könne nicht festgestellt werden, dass die Revisionswerberin im Falle der Rückkehr von staatlichen Stellen oder seitens ihres Bruders oder anderer Privatpersonen einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

4 Zur Lage im Herkunftsstaat Iran traf das BVwG umfangreiche Länderfeststellungen. In seiner Beweiswürdigung setzte sich das Verwaltungsgericht mit dem Fluchtvorbringen der Revisionswerberin auseinander und gelangte zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die von der Revisionswerberin vorgebrachte Verfolgung unglaubwürdig sei und in dieser Form aufgrund der vagen und unschlüssigen Aussagen nicht nachvollzogen werden könne. Der Revisionswerberin sei es nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache mit näherer Begründung insbesondere geltend macht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ermittlungspflicht des Verwaltungsgerichts in Asylsachen, zum gebotenen Eingehen auf das Parteivorbringen und zur Begründungspflicht abgewichen.

6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist im Sinne ihres Zulassungsvorbringens zulässig und begründet.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche, konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, daran anschließend etwa VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0049-0051, mwN).

9 Die Revision macht im Einzelnen geltend, dass das angefochtene Erkenntnis diesen Anforderungen nicht gerecht werde und das zugrundeliegende Verfahren nicht mängelfrei geführt worden sei. Sie führt aus, es sei unstrittig, dass es sich bei der Revisionswerberin um die Tochter eines mutmaßlich vom iranischen Regime ermordeten Oppositionspolitikers handle, die darüber hinaus regelmäßigen Kontakt zu einer weiteren ‑ namentlich genannten ‑ zentralen Figur der (exil‑)politischen Opposition im Iran pflege und eine Lebensgemeinschaft mit einem gebürtigen iranischen Kurden, der exilpolitisch tätig sei und welchem daher in Österreich der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, führe. Bereits auf der Grundlage dieser Fakten hätte das BVwG bei gesamtheitlicher Würdigung des Sachverhaltes ‑ unter Bedachtnahme auf die Länderfeststellungen zum Iran ‑ zur Einschätzung gelangen müssen, dass der Revisionswerberin im Iran asylrelevante Verfolgung drohe; dies unabhängig davon, ob ihr eine eigene oppositionelle politische Tätigkeit geglaubt werde. Außerdem spreche die Lebensweise der Revisionswerberin bei objektiver Betrachtung für die Richtigkeit ihrer Behauptung einer atheistischen Grundeinstellung und einer „westlichen Orientierung“. Beides werde vom BVwG zu Unrecht in Abrede gestellt, obwohl dazu in der mündlichen Verhandlung keine (relevante) Befragung stattgefunden habe.

10 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision Begründungsmängel der angefochtenen Entscheidung auf, die zu ihrer Aufhebung führen müssen.

11 Im vorliegenden Fall beschränken sich die Sachverhaltsfeststellungen des BVwG auf die zuvor wiedergegebenen persönlichen Umstände der Revisionswerberin. Im Übrigen erschöpfen sich die Erwägungen des Gerichtes in der Prognose, eine Verfolgung der Revisionswerberin bei Rückkehr in den Iran sei nicht glaubhaft.

12 Für diese (negative) Gefährdungsprognose reichen die getroffenen Feststellungen jedoch nicht aus.

13 Dabei braucht auf die Frage, ob die Revisionswerberin glaubhaft machen konnte, eigene (oppositionelle) politische Tätigkeit entfaltet zu haben, nicht weiter eingegangen zu werden.

14 Zutreffend weist die Revision nämlich darauf hin, dass die Revisionswerberin ‑ ungeachtet der behaupteten eigenen politischen Aktivitäten ‑ drei Risikofaktoren geltend gemacht hat, die nach ihren Behauptungen ihre Rückkehrgefährdung begründen. Sie sei nach ihrem Vorbringen die Tochter eines im Auftrag des iranischen Regimes ermordeten Politikers, lebe ‑ wie im Iran bekannt sei ‑ mit einem exilpolitisch aktiven Kurden zusammen und pflege Kontakt zu einem hochrangigen iranischen Exilpolitiker, was sie in den Augen der iranischen Behörden verdächtig mache.

15 Zu all diesen Behauptungen hat das BVwG keine Feststellungen getroffen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der Beweiswürdigung lassen nur erkennen, dass sowohl die verwandtschaftliche Beziehung der Revisionswerberin zu einem (ermordeten) iranischen Oppositionspolitiker, ihre Kontakte zu einem hochrangigen iranischen Exilpolitiker und ihre Lebensgemeinschaft zu einem in Österreich asylberechtigten iranischen Staatsbürger nicht in Zweifel gezogen werden.

16 Wenn das BVwG meint, die Ereignisse rund um die politische Tätigkeit ihres Vaters und dessen Tod begründeten für die Revisionswerberin keine Rückkehrgefährdung, weil im Iran keine Sippenhaftung bestehe, vermag es für diese Einschätzung keine hinreichenden Belege zu bieten, zumal das mit dieser Frage befasste deutsche Auswärtige Amt ausdrücklich erklärt hatte, es lägen dazu gegensätzliche Informationen vor, sodass belastbare Aussagen nicht möglich seien. Auch die Annahmen des Gerichts, die behaupteten Kontakte der Revisionswerberin zu einem hochrangigen iranischen Exilpolitiker könnten nicht als regimekritisches Verhalten angesehen werden, das sie bei Rückkehr in den Iran gefährde, bzw. sei nicht erwiesen, dass iranische Behörden über ihre Lebensgemeinschaft zu einem exilpolitisch tätigen iranischen Staatsangehörigen Bescheid wüssten, sind nicht ohne Weiteres nachvollziehbar.

17 Derartige Überlegungen hätten eine Auseinandersetzung mit der Frage vorausgesetzt, welche Rolle der genannte hochrangige iranische Exilpolitiker in der (aktuellen) iranischen Politik (noch) spielt, ob er in Konfrontation mit dem herrschenden Regime im Iran steht und welche Bedeutung bzw. welchen politischen Einfluss die iranische Regierung seiner Person zubilligen könnte. Erst auf dieser Grundlage ließe sich beurteilen, ob Kontakte zu ihm ‑ wie sie von der Revisionswerberin behauptet werden ‑ die Revisionswerberin in den Augen der iranischen Sicherheitsbehörden als Regimegegnerin verdächtig machen und sie bei Rückkehr in den Iran möglicherweise asylrelevant gefährden könnten. Auch die potentielle Verfolgungsgefahr für die Revisionswerberin wegen ihrer Lebensgemeinschaft zu einem exilpolitisch aktiven iranischen Staatsangehörigen kann nicht beurteilt werden, ohne sich mit der Person dieses Lebensgefährten und mit seinen exilpolitischen Aktivitäten zu beschäftigen. Erst dann ließe sich einschätzen, ob diese Person in das Blickfeld der iranischen Sicherheitsbehörden gelangt sein konnte, sodass diesen auch die Lebensgemeinschaft zur Revisionswerberin bekannt wäre und für sie ‑ wie von ihr behauptet ‑ eine Rückkehrgefährdung vorliegen könnte.

18 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass einer Asylwerberin der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 dann zuzuerkennen ist, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss demnach die Verfolgung nicht gewiss sein, sondern nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung würde jedoch nicht genügen (vgl. etwa VwGH 15.12.2005, Ra 2015/18/0100‑0101, mwN).

19 Da das BVwG die erforderlichen Feststellungen zum Umfeld der Revisionswerberin ‑ wie oben angesprochen ‑ nicht getroffen hat, hält die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses einer nachprüfenden Kontrolle nicht Stand.

20 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

21 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 6. September 2018

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