VwGH Ro 2017/22/0007

VwGHRo 2017/22/000713.12.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das am 24. Februar 2017 mündlich verkündete und am 9. März 2017 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/032/15732/2016- 16, betreffend Aufenthaltsbewilligung (mitbeteiligte Partei: H A O P, z.H. Dr. J R in W), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37
NAG 2005 §64 Abs3
NAGDV 2005 §8 Z7 litb
UniversitätsG 2002 §75 Abs6
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017220007.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein guatemaltekischer Staatsangehöriger, verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit einer Gültigkeit bis zum 1. August 2016.

2 Mit Bescheid vom 9. November 2016 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde, Revisionswerber) den Verlängerungsantrag des Mitbeteiligten vom 21. Juli 2016 gemäß § 64 Abs. 3 NAG in Verbindung mit § 8 Z 7 lit. b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) und § 75 Abs. 6 Universitätsgesetz 2002 (UG) ab, weil er keinen ausreichenden Studienerfolg für das vorangegangene Studienjahr nachweisen habe können. Somit seien die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung "Studierender" nicht erfüllt.

Hinsichtlich der mit der Stellungnahme vom 31. Oktober 2016 geltend gemachten Gründe betreffend die Sorge über den Gesundheitszustand seiner Mutter im Wintersemester 2015 und die damit einhergehenden familiären Probleme, die unzureichenden Sprachkenntnisse sowie die Erkrankung des Mitbeteiligten an einer akuten Gastroenteritis vor der Prüfungswoche im Juni 2016 verneinte die belangte Behörde das Vorliegen von Hinderungsgründen im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG.

3 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte zusammengefasst vor, die angegebenen Gründe seien in ihrer Kumulation unvorhergesehene und unabwendbare Hinderungsgründe im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG, welche den Mitbeteiligten an der Erbringung seines Studienerfolges gehindert hätten. Nach einer Besserung der individuellen Lage und einem Studienwechsel zum Bachelorstudium der Politikwissenschaften an der Universität Wien im Wintersemester 2016 könne er bereits einen Studienerfolg vorweisen.

4 Mit dem angefochtenen, am 24. Februar 2017 - nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen in Anwesenheit des Mitbeteiligten - mündlich verkündeten und am 9. März 2017 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und erteilte ihm gemäß § 64 Abs. 3 NAG die Aufenthaltsbewilligung "Studierender" für die Dauer von zwölf Monaten. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für zulässig.

5 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte sei ab dem 16. Juli 2014 bis zum Sommersemester 2016 an der Wirtschaftsuniversität Wien für das Bachelorstudium "Wirtschafts- und Sozialwissenschaften" als ordentlicher Studierender gemeldet gewesen. Im zuletzt abgelaufenen Studienjahr 2015/2016 habe er einen Studienerfolg im Umfang von 4 ECTS-Punkten nachweisen können. Ansonsten habe er sämtliche Prüfungsantritte negativ absolviert. Auf Grund des wiederholt (zuletzt am 21. Juni 2016) negativen Antritts zur Prüfung "Europäisches und Öffentliches Recht I" habe er nach der Studienordnung im Sommersemester 2016 zu keinen weiteren Prüfungen antreten können. Somit habe er im maßgeblichen Studienjahr 2015/2016 den erforderlichen Studienerfolgsnachweis nicht erbracht.

Der Mitbeteiligte habe sowohl im verwaltungsbehördlichen als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren das Vorliegen von Hinderungsgründen im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG behauptet. Betreffend die vorgebrachte Sorge über den Gesundheitszustand seiner Mutter im Wintersemester 2015 führte das Verwaltungsgericht aus, dass diese Sorge kein krankheitsähnliches Ausmaß erreicht habe und ihn an der Teilnahme an Lehrveranstaltungen und Prüfungen nicht gehindert habe, weshalb diese nicht als Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG gewertet werden könne.

Weiters stellte das Verwaltungsgericht - gestützt auf vorgelegte ärztliche Bestätigungen und die Schilderungen des Mitbeteiligten - fest, dass der Mitbeteiligte im Mai 2016 an einer akuten Gastroenteritis gelitten habe, die ihm für etwa zwei Wochen die Vorbereitung auf die Prüfungen im Juni 2016 verunmöglicht habe. Diese zweiwöchige, nicht dauerhafte und unmittelbar in der Phase der Prüfungsvorbereitung aufgetretene Erkrankung sei grundsätzlich geeignet, ein Absehen vom Erfordernis des Studienerfolges im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG zu begründen. Wäre der Mitbeteiligte - so das Verwaltungsgericht weiter - "im Mai 2016 nicht erkrankt, hätte er die Prüfungen im Juni 2016 möglicherweise positiv absolvieren können". Die positive Absolvierung dieser Prüfungen vorausgesetzt hätte er im Sommersemester 2016 noch eine weitere Prüfung und damit insgesamt anrechenbare Prüfungen im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten ablegen und somit die Voraussetzungen für einen Studienerfolgsnachweis erbringen können.

Die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 1 und 2 NAG seien erfüllt, weshalb dem Mitbeteiligten gemäß § 64 Abs. 3 NAG die beantragte Aufenthaltsbewilligung "Studierender" für weitere zwölf Monate erteilt werde.

6 Zum Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision führte das Verwaltungsgericht aus, es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vor, "ob für das Absehen vom Erfordernis des Studienerfolgs nach § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG ausreicht, dass bei Wegdenken des unabwendbaren oder unvorhergesehenen Grundes hypothetisch ein Studienerfolg prognostiziert werden kann, der nicht nur unmittelbar durch den Grund verhinderte Studienleistungen beinhaltet, sondern auch weitere hypothetische Studienleistungen umfasst, welche allenfalls bei Absolvierung der durch den Grund verhinderten Studienleistungen später noch erbracht hätten werden können".

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision der belangten Behörde.

Der Revisionswerber verweist zur Begründung der Zulässigkeit zwar auch auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes,

dies jedoch nicht zu der vom Verwaltungsgericht aufgezeigten Frage, weil bei tatsächlichem Vorliegen von Gründen im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG die Aufenthaltsbewilligung unabhängig von jeglichen Studienleistungen verlängert werden könne und es auf hypothetisch erfolgreich absolvierte Prüfungen nicht ankomme. Es fehle jedoch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine zweiwöchige Krankheit einen Grund im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG darstellen könne. Der Revisionswerber vertritt dazu die Ansicht, dass zweiwöchige Krankheiten, sofern sie nicht unmittelbar vor dem Prüfungstermin oder am Prüfungstag auftreten, zu kurz seien, um von einem im Rahmen eines Studienjahres zu erbringenden Studienerfolg im Sinn des § 64 Abs. 3 NAG absehen zu können. Aufgrund der kurzen Dauer der Erkrankung und der dem Mitbeteiligten zur Verfügung gestandenen Vorbereitungszeit zwischen der Genesung und der Prüfung könne diese zweiwöchige Erkrankung keinen Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG darstellen.

Des Weiteren macht der Revisionswerber in diesem Zusammenhang ein Abweichen von (näher zitierter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb es dem Mitbeteiligten aufgrund seiner zweiwöchigen Erkrankung im Mai 2016 nicht möglich gewesen sei, seit Beginn seines Studiums im Studienjahr 2014/2015 sowie im maßgeblichen Studienjahr 2015/2016 einen Studienerfolg zu erbringen. Da die zwischen Jänner 2015 und März 2016 negativ absolvierten Prüfungen nicht in der Erkrankung im Mai 2016 begründet sein könnten, sei anzunehmen, dass der Mitbeteiligte sein Studium wegen fehlender geistiger Voraussetzung nicht erfolgreich betreiben könne. Es könne daher nicht von einem bloß vorübergehenden Hindernis die Rede sein.

8 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Der Revisionswerber führt zur Zulassung der Revision durch das Verwaltungsgericht bzw. zu der vom Verwaltungsgericht aufgeworfenen Frage aus, dass dem zwar mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung im Ergebnis zuzustimmen sei, jedoch "nicht aus dem vom Verwaltungsgericht vorgebrachten Grund". Der Revisionswerber wendet sich auch nicht gegen die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Lösung der vom Verwaltungsgericht als grundsätzlich erachteten Rechtsfrage im Zusammenhang mit dem hypothetischen Studienerfolg (vgl. etwa VwGH 27.9.2018, Ro 2017/10/0026). Ausgehend davon war - da der Verwaltungsgerichtshof für die Lösung abstrakter Rechtsfragen nicht zuständig ist - auf die vom Verwaltungsgericht als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage vorliegend nicht einzugehen.

10 Die Revision erweist sich allerdings im Hinblick auf das unter Rn. 7 dargestellte Vorbringen als zulässig und auch berechtigt.

11 § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, lautete auszugsweise:

"Studierende

§ 64. ...

(3) Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen der Durchführung eines ordentlichen oder außerordentlichen Studiums, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung für diesen Zweck nur zulässig, wenn dieser nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften einen Studienerfolgsnachweis der Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, Pädagogischen Hochschule oder anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule erbringt. Gleiches gilt beim Besuch eines anerkannten privaten Studienganges oder anerkannten privaten Hochschullehrganges. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Studienerfolges eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden.

..."

12 Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall zutreffend das Studienjahr 2015/2016, welches aufgrund der Dauer des Verlängerungsverfahrens das zuletzt vollendete Studienjahr war, als vorangegangenes und für die Beurteilung des Studienerfolges maßgebliches Studienjahr herangezogen (vgl. VwGH 13.9.2011, 2010/22/0036, mwN). Für dieses Studienjahr konnte der Mitbeteiligte keinen ausreichenden Studienerfolg nachweisen.

13 Gemäß § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG kann eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" trotz Fehlen eines Studienerfolgsnachweises verlängert werden, wenn Gründe vorliegen, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind. Das Bestehen solcher Gründe hat der Studierende konkret zu behaupten und ausreichend darzulegen (vgl. VwGH 23.5.2018, Ra 2017/22/0109, mwN).

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass von einem "unabwendbaren oder unvorhersehbaren" Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG nur dann die Rede sein könne, wenn der Hinderungsgrund nicht dauerhaft sei, wovon jedoch auszugehen sei, wenn der Fremde seit dem Beginn des Studiums in Österreich vor mehreren Jahren keinerlei Studienerfolg nachweisen könne (vgl. etwa VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0182, mwN). Einer vorübergehenden Erkrankung wurde hingegen die Eignung zugesprochen, den Tatbestand des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG zu erfüllen (vgl. VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0128, mwN).

15 Aus dem - vom Revisionswerber ins Treffen geführten - Umstand, dass der Mitbeteiligte bereits vor (und damit unabhängig von) der Erkrankung im Mai 2016 negative Prüfungsantritte aufzuweisen hatte, kann für sich allein allerdings nicht abgeleitet werden, dass es ihm an der geistigen oder körperlichen Voraussetzung für die erfolgreiche Absolvierung eines Studiums fehlt, zumal der Mitbeteiligte nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes im (vorliegend allerdings nicht maßgeblichen) Wintersemester 2016/2017 Lehrveranstaltungen im Ausmaß von 21 ECTS-Punkten positiv absolviert hat. Soweit der Revisionswerber diesbezüglich ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 13.9.2011, 2010/22/0036, sowie 7.4.2011, 2009/22/0124) geltend macht, ist dem entgegenzuhalten, dass die dort zugrunde liegenden Konstellationen mit dem hier vorliegenden Fall nicht vergleichbar sind, weil in den genannten Entscheidungen immer wieder auftretende Erkrankungen zu beurteilen waren. Es ist somit grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den vom Mitbeteiligten angegebenen Umstand der zweiwöchigen Erkrankung als vorübergehend angesehen hat.

16 Allerdings vermag der Verwaltungsgerichtshof die weitergehende Auffassung des Verwaltungsgerichtes, wonach diese zweiwöchige Erkrankung fallbezogen einen beachtlichen Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG darstellt, nicht zu teilen. Vor dem Hintergrund, dass eine zweiwöchige Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr bei einer zeitlichen Lagerung wie im vorliegenden Fall (bei dem zwischen dem Ende der Erkrankung und dem Prüfungsantritt noch zwei Wochen lagen) die Prüfungsvorbereitung für sich genommen nicht verunmöglicht, dass im maßgeblichen Studienjahr - abgesehen von dieser Erkrankung - keine weiteren, die Prüfungsvorbereitung des Mitbeteiligten beeinträchtigenden Umstände im Sinn des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG vorlagen und dem Mitbeteiligten insgesamt somit ausreichend Zeit zur Verfügung stand, um für die Erbringung des notwendigen Studienerfolges Vorsorge zu tragen, vermag das Verwaltungsgericht nicht nachvollziehbar darzulegen, dass die zweiwöchige Erkrankung kausal für die Nichterbringung des Studienerfolgs war (vgl. zu einem fehlenden Kausalzusammenhang im Hinblick auf einen nicht nachgewiesenen Schulerfolg nach § 63 Abs. 3 zweiter Satz NAG VwGH 21.3.2017, Ra 2017/22/0017).

17 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 13. Dezember 2018

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