VwGH Ra 2016/22/0104

VwGHRa 2016/22/01049.8.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 31. August 2016, VGW- 151/007/15388/2015-3, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: Z H in W, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15), zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §24;
AVG §58 Abs2 impl;
AVG §60 impl;
NAG 2005 §41 Abs2 Z4;
NAG 2005 §41 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §29;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016220104.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1.1. Der Mitbeteiligte, ein chinesischer Staatsangehöriger, verfügte zunächst über eine Aufenthaltsbewilligung "Schüler" und stellte am 6. August 2015 einen Verlängerungsantrag verbunden mit einem Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte" (selbständige Schlüsselkraft) gemäß § 41 Abs. 2 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

1.2. Der Mitbeteiligte brachte zum Zweckänderungsantrag vor, er (gemeint: die Z H KG, deren unbeschränkt haftender Gesellschafter er sei) betreibe ein Lieferservice für chinesisches Essen. Er fungiere dabei als Koch und Geschäftsführer, daneben gebe es drei Dienstnehmer. Ab dem nächsten Jahr sei auch ein Restaurant geplant, das noch renoviert werden müsse; in das Lokal seien bereits Investitionen von zirka EUR 20.000,-- getätigt worden. Bezüglich des Geschäftsgangs verwies der Mitbeteiligte auf die zahlreich vorgelegten Unterlagen.

1.3. Die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (im Folgenden: AMS) erstattete am 1. Oktober 2015 ein Gutachten gemäß § 24 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Laut dessen Inhalt komme dem Betreiben eines Gastgewerbes (Restaurants) durch die Z H KG kein gesamtwirtschaftlicher Nutzen zu. Ein solcher wäre (nur) dann gegeben, wenn durch die selbständige Erwerbstätigkeit entweder ein nachhaltiger Transfer von Investitionskapital oder die Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen erfolgte. Vorliegend stellten die allenfalls getätigten Investitionen von EUR 20.000,-- keinen maßgeblichen finanziellen Aufwand im Sinn des § 24 AuslBG dar. Ein Nachweis über die Beschäftigung von Arbeitskräften sei ebenso nicht erbracht worden. Eine ökonomische Gesamtbedeutung liege daher nicht vor, der Mitbeteiligte sei nicht als selbständige Schlüsselkraft zu erachten.

1.4. Der Mitbeteiligte entgegnete, ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen im Sinn des § 24 AuslBG liege vor. Im Rahmen des Unternehmens würden drei Mitarbeiter beschäftigt, der Mitbeteiligte sei als Arbeitsgesellschafter tätig. Es würden daher offensichtlich Arbeitsplätze geschaffen, ein gesamtwirtschaftlicher Impuls sei gegeben, der Mitbeteiligte sei als selbständige Schlüsselkraft zu erachten.

1.5. Im Hinblick auf dieses Vorbringen erstattete das AMS am 11. November 2015 ein weiteres Gutachten. Es wiederholte darin im Wesentlichen die bereits im Gutachten vom 1. Oktober 2015 abgegebene Beurteilung. Ergänzend führte das AMS aus, zur Begründung eines gesamtwirtschaftlichen Nutzens müsse ein zusätzlicher positiver Impuls für die österreichische Wirtschaft bewirkt werden. Mit dem Betreiben eines Gastgewerbes (Restaurants) durch die Z H KG werde dieser Anforderung nicht entsprochen. In der betreffenden Branche bestehe bereits ein ausreichendes Angebot, sodass aus der Tätigkeit keine Bereicherung für die inländische Wirtschaft resultiere.

2.1. Mit Bescheid vom 18. November 2015 wies der Revisionswerber den Zweckänderungsantrag ab. Er führte dazu im Wesentlichen aus, das AMS habe ein negatives Gutachten erstattet, dem zufolge der Mitbeteiligte keine selbständige Schlüsselkraft sei. Nach § 41 Abs. 4 zweiter Satz NAG sei der Antrag auf Aufenthaltstitel ohne weiteres abzuweisen, wenn das Gutachten des AMS negativ sei; nach der Rechtsprechung sei jedoch eine Bindung dann nicht gegeben, wenn das Gutachten unschlüssig sei. Vorliegend sei das Gutachten schlüssig, sodass der Zweckänderungsantrag ohne weiteres abzuweisen sei.

2.2. Der Mitbeteiligte erhob Beschwerde mit dem Vorbringen, die Gutachten des AMS seien grob mangelhaft und nicht nachvollziehbar begründet bzw. "alles andere als schlüssig", sodass der Revisionswerber daran nicht gebunden sei. Das AMS führe insbesondere aus, dass ein Nachweis über die Beschäftigung von Arbeitskräften nicht erbracht worden sei, was aktenwidrig sei, habe der Mitbeteiligte doch die Beschäftigung von drei Mitarbeitern (neben seiner eigenen Tätigkeit als Arbeitsgesellschafter) wiederholt hervorgehoben; das Vorliegen der Beschäftigungen wäre auch bei der Gebietskrankenkasse leicht überprüfbar gewesen. Es seien daher sehr wohl Arbeitsplätze geschaffen worden und würden diese (weiter) gesichert, sodass ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen bzw. Impuls in dem betreffenden Wirtschaftssektor vorliege. Folglich seien die Voraussetzungen des § 24 AuslBG erfüllt, der Mitbeteiligte sei als selbständige Schlüsselkraft zu erachten, sodass ihm der beantragte Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" zu erteilen sei.

3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (in der weitere Unterlagen betreffend den Geschäftsgang der Z H KG vorgelegt wurden und der Mitbeteiligte vernommen wurde) - der Beschwerde statt und erteilte dem Mitbeteiligten den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 2 Z 4 NAG für die Dauer von zwölf Monaten.

3.2. In den Entscheidungsgründen legte das Verwaltungsgericht zunächst den bisherigen Verfahrensgang dar, indem es die Gutachten des AMS vom 1. Oktober und vom 11. November 2015 wörtlich wiedergab, den Bescheid vom 18. November 2015 erwähnte, die dagegen erhobene Beschwerde wörtlich zitierte und die Aussage des Mitbeteiligten in der Verhandlung wörtlich wiedergab.

In der Folge führte das Verwaltungsgericht Nachstehendes aus:

"Die Bestimmung des § 24 AuslBG wurde bereits zitiert, weiters ist darauf hinzuweisen, dass eine selbständige Schlüsselkraft naturgemäß nur in einem bestimmten Sektor der Wirtschaft wirken kann, insofern bestimmt sich der ‚gesamtwirtschaftliche Nutzen' aus dem Nutzen der Tätigkeit der selbständigen Schlüsselkraft in jenem Sektor der Wirtschaft, in welchem die Schlüsselkraft tätig ist. In der Bestimmung des § 24 AuslBG wird der ‚damit verbundene Transfer von Investitionskapital' durch die Wort(e) und/oder die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen gleichgesetzt.

Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien ist zu schließen, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau bereits erfolgreich und mit steigendem wirtschaftlichen Erfolg ein Zustellservice betreiben, der Beschwerdeführer besitzt seit rund 10 Jahren Aufenthaltstitel in Österreich, er spricht gut Deutsch. Der verfahrensgegenständliche Antrag ist ungeschickt formuliert, wurde aber in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien ausführlich und schlüssig untermauert. Das Vorhaben zur Aufnahme des Restaurantbetriebes erweckt den deutlichen Eindruck einer wohlüberlegten Planung, die Finanzierung dieses Vorhabens wurde durchaus realistisch dargelegt, der Beschwerdeführer hat bestimmenden Einfluss auf die KG, die seinen Namen trägt.

Die Renovierungskosten werden ein Vielfaches des ursprünglich angegebenen Betrages betragen, das erscheint ebenfalls realistisch, auch der weitere Aufbau der Beschäftigung nach Betriebsaufnahme des renovierten Restaurants.

Aufgrund des Ergebnisses des durchgeführten Verfahrens, insbesondere der ausführlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien, die ein deutlich positiveres Gesamtbild ergab, als es aus den beiden gutächtlichen Stellungnahmen des Arbeitsmarktservice hervorgeht (das kann aber durchaus auch mit dem eher oberflächlichen und missverständlichen Antragsvorbringen zusammenhängen), erachtet das Verwaltungsgericht Wien die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels ‚Rot-Weiß-Rot - Karte' an den Beschwerdeführer für gegeben, es ist ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien ausreichend gelungen, den wirtschaftlichen Nutzen seiner Tätigkeit als selbständiger Gastronom ausreichend zu untermauern."

3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.

4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit einem Aufhebungsantrag.

Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurück- bzw. Abweisung der Revision.

 

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Revision - in der unter anderem geltend gemacht wird, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Begründungspflicht bzw. zum notwendigen Inhalt einer Entscheidung - ist zulässig und berechtigt.

6.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, hat die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 VwGVG den Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden (vgl. etwa VwGH 27.1.2017, Ra 2015/03/0059, mwN).

Nach § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige - eine Rechtsverfolgung durch die Partei im Wege einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ermöglichende - konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, infolge derer bei Vorliegen widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung gerade jener Sachverhalt festgestellt wurde, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben (vgl. VwGH 24.7.2017, Ro 2014/08/0043, mwN). Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen - wie etwa von Zeugen- oder Parteienaussagen - ist weder erforderlich noch hinreichend (vgl. VwGH 21.6.2017, Ra 2016/03/0086). Lässt eine Entscheidung die Trennung der notwendigen Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei im Wege der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/03/0086).

6.2. Vorliegend wird das angefochtene Erkenntnis den aufgezeigten Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung in keiner Weise gerecht, lässt doch die Entscheidung die Darstellung der erforderlichen Begründungselemente vermissen.

Insbesondere fehlt es zur Gänze an der mit Blick auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 41 Abs. 2 Z 4 NAG in Verbindung mit § 24 AuslBG notwendigen Tatsachenfeststellungen. Soweit das Verwaltungsgericht die Aussage des Mitbeteiligten wörtlich wiedergibt, ist daraus nicht zu erkennen, welchen konkreten Sachverhalt es als erwiesen annimmt. Die bloße Referierung der Aussage des Mitbeteiligten kann die erforderlichen auf die entscheidungswesentlichen Punkte zu fokussierenden, klar und nachvollziehbar zu treffenden Feststellungen nicht ersetzen.

Mit dem Fehlen der gebotenen Tatsachenfeststellungen geht zwangsläufig auch das Fehlen einer nachvollziehbaren Würdigung der aufgenommenen Beweise und einer entsprechenden Darstellung der rechtlichen Erwägungen einher. Die (oben unter Punkt 3.2. zitierten) Ausführungen des Verwaltungsgerichts sind jedenfalls als ungenügend zu erachten.

6.3. Im Hinblick auf die bestehenden gravierenden Mängel unterschreitet die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses die Qualitätserfordernisse einer rechtsstaatlichen Entscheidung und beeinträchtigt die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof in einem nicht mehr zu tolerierenden Ausmaß (vgl. etwa VwGH 4.3.2016, Ra 2015/08/0185, mwN), sodass die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses unumgänglich ist.

7. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

8. Mit Blick auf das fortzusetzende Verfahren ist darauf hinzuweisen, dass - wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt (vgl. etwa 21.3.2017, Ra 2017/22/0027) - ein negatives Gutachten im Sinn des § 24 AuslBG zwar durch den Antragsteller entkräftet oder widerlegt werden kann und auch die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht (trotz § 41 Abs. 4 zweiter Satz NAG) an ein unschlüssiges Gutachten nicht gebunden ist.

Vorliegend kann jedoch - zumindest nach der derzeitigen Aktenlage - eine Entkräftung oder Widerlegung durch den Antragsteller oder eine (auch von Amts wegen wahrzunehmende) Unschlüssigkeit des Gutachtens des AMS nicht erkannt werden. Es steht insbesondere mit der hg. Rechtsprechung im Einklang (vgl. VwGH 10.5.2016, Ra 2016/22/0023; 19.11.2014, 2012/22/0102; 3.10.2013, 2012/22/0057), dass die Beschäftigung einiger weniger (womöglich bloß geringfügig bzw. in Teilzeit beschäftigter) Arbeitnehmer zur Schaffung neuer oder Sicherung bestehender Arbeitsplätze in der Regel nur unwesentlich beiträgt und daher keinen gesamtwirtschaftlichen Nutzen einer Erwerbstätigkeit im Sinn des § 24 AuslBG begründet.

Wien, am 9. August 2018

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